Diamanten Eddie
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Diamanten Eddie

  1. 704 Seiten
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Diamanten Eddie

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Über dieses Buch

Sie nennen ihn "Diamanten Eddie", Juwelen und Pelze sind sein Spezialgebiet. Stets elegant gekleidet, charmant und intelligent, ist Edward Kray gern gesehen an den Spieltischen und Theken der Stadt, wo er großzügig jeden gelungenen Coup feiert. Er reist quer durch Europa, nach Frankreich, Belgien, Holland und Griechenland, macht keine Pläne, spart nichts - ein Leben im Jetzt.Doch in seinen Träumen türmen sich die Bilder der Vergangenheit bedrohlich auf. Beim ersten Fliegerangriff der Deutschen auf das südostpolnische Zamo?? verliert er mit fünfzehn Jahren seine Familie und wird als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Sechs Jahre lang muss er in Straf- und Arbeitslagern die Grenzen des Erträglichen erfahren. Edward überlebt und bleibt auch nach 1945 in Deutschland, lernt im zerstörten Düsseldorf die lebenshungrige Marianne kennen. Mit ihr presst er der Nachkriegszeit alle Chancen ab, wird zwischen Verheißung, Chaos und Neuordnung zum erfolgreichen Hehler und Dieb.Sabine Kray setzt mit der Lebensgeschichte eines Juwelendiebs ihrem Großvater Edward Kray ein beeindruckendes literarisches Denkmal. Das bewegte Leben von "Diamanten Eddie" in der Zeit des Wirtschaftswunders verschränkt sich dabei eindrücklich mit dem Elend und der Verzweiflung der Jahre als Zwangsarbeiter. Der Roman entblättert Schicht um Schicht das Wesen eines Mannes, der im Land seiner Peiniger blieb, um ihnen immer wieder zu entkommen.

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Information

Mai 1955, Nizza

»Die meisten Monsieurs und Misters hier können kein Ass von einem Buben unterscheiden!«, sagte der Kassierer kopfschüttelnd, während seine Hände mit kleinen studierten Bewegungen Jetons in Scheine verwandelten. Lächelnd hob er den Kopf, während er die Banknoten blind zu gleich großen Stapeln arrangierte. »Aber Sie, mein Herr! Sie scheinen gut gespielt zu haben in unserem Haus, nicht wahr?«
Edward nickte, denn es stimmte. Die Männer an seinem Tisch hatten über den ganzen Abend hinweg stets eine Karte zu viel gezogen. Ihre Jetons, zutrauliche bunte Vögel, hatten sich auf dem weichen grünen Tuch vor ihm niedergelassen, waren auch dann zu ihm zurückgekehrt, wenn er sie erneut in die Mitte geschoben hatte. Bald hatten die ersten Männer entnervt die Runde verlassen. Andere hatten ihre Plätze eingenommen. Neue Männer, neue Jetons in allen Farben, eine beschwipste Dame mit einer smaragdgrünen Pelzstola und ein fetter Börsenspekulant, dessen humorvolles Grinsen kein noch so großer Verlust zu beseitigen vermocht hatte, bis er dem Croupier ein großzügiges Trinkgeld gegeben hatte und gegangen war. Beinahe im Minutentakt hatte der Tisch sein Gesicht verändert.
Nur Edward war sitzen geblieben. Hatte vorn auf der Kante des roten Sessels gesessen, hatte aufrecht und wachsam jede Bewegung des Bankhalters in sich aufgenommen, sich die Karten eingeprägt, die im Umlauf waren, bis ein ernster Mann mit einer dicken, runden Brille sich an den Tisch gesetzt und leidenschaftslos seine Einsätze gemacht hatte. Karten zu zählen war verboten, und das ein oder andere Mal hatte man ihn in anderen Städten schon des Lokals verwiesen. So weit sollte es an diesem Abend nicht kommen.
Das Palais de la Méditerranée spielte mit drei Decks, und es war nicht einfach, da ohne weiteres mitzuzählen. Im Grunde hatte er an diesem Abend sowieso nur aus Gewohnheit gezählt. Edward rieb sich die müden Augen mit den Fingerkuppen, an denen noch der Duft der stark parfümierten Seife des Palais haftete. »Ja«, sagte er schließlich zum Kassierer gewandt, »die meisten Damen und Herren scheinen einfach einen eleganten Weg zu suchen, ihr Geld loszuwerden. Ich habe dagegen nichts einzuwenden.« Langsam löste er drei Scheine aus einem der Bündel und legte sie auf die Theke. Unter der flachen Hand schob er sie zu dem Kassierer hinüber, der sie mit der für seine Zunft charakteristischen Gleichgültigkeit entgegennahm, sie faltete und in die Brusttasche seiner Weste steckte.
Edward nickte noch einmal, dann verteilte er die Bündel auf die Taschen seines Jacketts und ließ sich von der Gelassenheit, die die Scheine ausstrahlten, aus dem Kasino heraustragen. Er wollte noch ein Glas trinken. Nicht im Kasino, nein, in irgendeiner Kneipe, wo er unter echten Menschen einen Schlaftrunk zu sich nehmen konnte.
In einer kurzen Seitenstraße, ein wenig vom Wasser entfernt, fand er das Vieux Lapin, ein holzgetäfeltes Lokal, wo es ein gutes Bier zu trinken und einen Teller grobe Wurst und Essiggurken zu essen gab. Bedächtig setzte er sich an den Rand der Bar, gab seine Bestellung auf, dann nahm er seine Karten aus der Tasche, beschäftigte seine Hände damit. Er wusste immer, in welcher Reihenfolge die Karten in seinem Deck sich gerade befanden, folgte ihnen mühelos, während er sie zwischen seinen Händen hin und herschob. Zehn nach dort, zwei Asse ganz hinten. »Bon appétit«, unterbrach ihn der Wirt schneller als erwartet und schob ihm das Bier und den Teller herüber.
Er legte die Karten beiseite, dann machte er sich hungrig über die Mahlzeit her. Schnell hatte er das meiste von der Wurst gegessen. Sie war salzig und wurde von dem leichten französischen Bier, das er in einem einzigen Zug herunterstürzte, perfekt ergänzt. Einen Augenblick lang ruhte sein Blick auf dem Teller. Aus Essiggurken machte er sich eigentlich nichts. Trotzdem aß er sie auf, schob das letzte Stück von der Wurst hinterher, bevor er ein weiteres Bier bestellte.
Auch ohne den Blick zu heben, hatte er die neugierigen Blicke registriert, jetzt sah er in die Runde, lächelte ihnen zu, nahm die Schachtel Gitanes, die er unterwegs gekauft hatte, aus der Tasche und suchte nach seinem Feuerzeug. »Monsieur!« Einer seiner Mittrinker hatte ein Streichholz angerissen, was er ihm nun entgegenhielt. »Merci«, sagte Edward und zog das Feuer in die Zigarette hinein.
Der Alte nickte zuvorkommend. »Vous êtes Italien?«, fragte er freundlich. »Non«, sagte Edward und schüttelte den Kopf, »Polonais!« Fast hatte er »Allemand« gesagt. »Ah, dobry!«, strahlte der Mann und strich gedankenverloren über seinen zerschlissenen grauen Hut, der neben ihm auf der Theke lag.
Auf Französisch fuhr er fort: »Wissen Sie, während des Krieges kannte ich einen Polen. Wir arbeiteten gemeinsam in einer deutschen Rüstungsfabrik in Orra –«, unbeholfen suchte er nach dem Klang des Wortes, »Orran – Orraniienbur.« »Oranienburg!«, wollte Edward sagen, doch er schwieg und bestellte einen Schnaps für sich und den Mann, der noch immer redete. »Sein Name war Jan. Wir haben zusammen gearbeitet, haben einander geholfen, wenn einer Ärger hatte. Er kam aus Lublin. In einer von diesen Razzien, die sie überall im Osten gemacht haben, haben sie ihn einfach entführt und in einen Güterwaggon gesteckt.« Traurig schüttelte er den Kopf und zog an seiner fetten Selbstgedrehten: »Mich haben sie 1943 hingebracht. Sie drohten, wenn ich nicht mitkäme, dann würde das meiner Familie schaden, also ging ich.« Der Alte schluckte und fuhr sich durch das wüste Haar. »Es war schrecklich im Lager, dreckig und eng, nie konntest du allein sein, nie einen klaren Gedanken fassen. Und dieser Hunger, immer wieder dieser Hunger, eigentlich hast du an nichts anderes mehr gedacht.« Er hustete: »Wirklich, mein Herr! Das – war die schlimmste Zeit in meinem Leben!«
Edward nickte verständnisvoll. »Ja, das glaube ich Ihnen!«, sagte er, während er über den Kopf des Mannes hinwegsah. Auf dem kleinen Sims vor dem Fenster stand eine tönerne Kanne, blau glasiert, darauf in weißen Lettern das Wort Ricard. Einen Augenblick lang verlor er sich in dem Schriftzug. Warum wollten die Franzosen bloß immer über den Krieg reden? La guerre, toujours la guerre … Nur die Engländer waren schlimmer als diese Franzosen. Er löste den Blick von der Karaffe, zwang sich, dem Mann, der noch immer sprach und schon mit den Tränen kämpfte, ins Gesicht zu sehen. Seine Geschichte verschwamm zusehends hinter den gestammelten Worten. Verzweifelt packte der Mann seinen Arm: »Und dann haben sie ihn hingerichtet. Für einen einzigen Diebstahl. Ein Leben für ein paar Kartoffeln. Darüber bin ich nie hinweggekommen!«
Er sah Edward an: »Verstehen Sie das?« Edward nickte, fand keine Antwort und drückte die knochige Schulter des alten Mannes. Die anderen Männer starrten auf ihre Biergläser. Einen Moment lang mühte er sich noch um Worte: »Versuchen Sie …«, begann er, dann brach er den Gedanken ab. »Denken Sie nicht mehr daran, mein Herr«, flüsterte er schließlich, zahlte die Rechnung für sich und für den Alten und verließ das Lokal.
Den nächsten Tag begann er in einem kleinen Café direkt an der Promenade. Schwarzer Tee mit Zitrone, eine Brioche mit Marmelade. Der Tee war stark, wie er es mochte, und er leerte die Tasse mit wenigen Zügen, bevor er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und mit geschlossenen Augen die Kraft der Sonne genoss, die weiß über dem Mittelmeer stand und die junge Kellnerin bereits am frühen Morgen dazu veranlasste, die blauen Sonnenschirme zu öffnen. Der heiße Tee hatte Mund und Lippen ein wenig taub zurückgelassen, und er spürte, wie eine Schweißperle langsam seine Schläfe hinunterkroch. Mit der Fingerkuppe wischte er sie weg, dann öffnete er die Augen und sah der jungen Frau bei der Arbeit zu, während er nachdenklich seine Brioche aß. Bevor er sich auf den Weg machte, legte er einige Francs auf eine Untertasse und lief dann, das Jackett über dem Arm, eilig die Promenade hinunter.
Am Tag seiner Ankunft hatte er, in einer kleineren Straße hinter der Promenade, ein interessantes Geschäft entdeckt. Die altmodische Aufschrift auf der Scheibe des Juweliers versprach Luxus, der niemals aus der Mode kommt. Der Laden war noch geschlossen, so hatte Edward Zeit, in aller Ruhe die Stücke im Fenster zu betrachten, die fein gearbeitet und doch vielleicht ein bisschen zu protzig waren, um niemals aus der Mode zu kommen. Trotzdem. Der Laden hatte Potential.
Konzentriert näherte er sich der Tür. Aus bunten Glassteinen gefertigt, zeigte sie eine ägyptische Szene: Prinzessin Kleopatra, die den Kopf gebieterisch nach hinten wirft und einen makellosen langen Hals entblößt. Von der Seite nähert sich der Herrscherin eine Bedienstete, die vorsichtig, als handele sich um ein lebendiges Wesen, eine reich verzierte Halskette auf beiden Händen trägt. Für einen Augenblick tauchte Edward ganz in dieses Kunstwerk ein, wanderte mit dem Finger über die Figuren, spürte die Kälte des Glases und die feinen Fugen zwischen den Steinen, bis er sich endlich davon losreißen konnte.
Erneut ging er am Schaufenster entlang, interessierte sich für die Auslagen, registrierte die Fühler der Alarmanlage, die wie kleine Insekten auf der Innenseite der Scheibe hafteten, und den großen Kasten hinter der Theke. Darin befand sich mit Sicherheit die Alarmglocke, die schon durch die kleinste Erschütterung im Inneren des Ladens oder an den Fenstern in Bewegung geraten würde.
Trotzdem wollte er sich die Tür betrachten. Schließlich gab es durchaus Möglichkeiten, die Glocke außer Betrieb zu setzen. Unauffällig sah er sich um, dann ging er, zwei Schritte von der Tür entfernt, in die Knie.
Mit einem schnellen Griff löste er die Schnürsenkel seines linken Schuhs. Blind band er sie von neuem, während er konzentriert das Schloss unter der messingfarbenen Klinke betrachtete, dann erhob er sich federnd und lief, ohne einen Blick zurück, mit schnellen Schritten zur Promenade.
Es handelte sich um ein Sicherheitsschloss neueren Datums. An und für sich stellte das noch kein Problem dar, auch daran ließe sich mit einem gescheiten Dietrich etwas machen, doch er mochte es nicht besonders, an derart exponierten Orten zu arbeiten. Später würde er sich den Laden noch einmal von innen ansehen. Vielleicht ergab sich ja noch etwas.
Einige Meter weiter gab es einen Zugang zum Strand, auf dem sich einige Liegen, eine offene Bar und weiße Holzhäuschen zum Umkleiden befanden. Zwei dicke Damen in Badeanzügen und Strohhüten lagen plump auf ihren Sonnenliegen in der Nähe der Bar, ansonsten war die mondäne Badeanstalt leer.
Edward setzte seinen Weg am Wasser entlang fort. Er wollte einen kühlen Ort finden, eine Limonade, vielleicht ein leichtes Bier trinken. Da fiel sein Blick auf ein blaues Schild. Saison balnéaire stand darauf. Es gehörte zu einem sehr kleinen Geschäft. Im Fenster wurden Badeanzüge ausgestellt. Nachdenklich blieb er stehen. Noch nie hatte er eine Badehose besessen. Eine Minute lang zögerte er. »Was soll’s!«, dachte er schließlich und sah sich in der Schaufensterscheibe lachen, als er die Tür aufschob.
»Guten Tag, ich möchte eine Badehose kaufen.« Eine alte Dame maß ihn mit einem professionellen Blick über ihre schmale Brille hinweg: »Was für ein Modell kann ich dem Herrn denn zeigen?« Er hatte keine Ahnung: »Was trägt man denn heute?« Aus dem Handgelenk zündete sie sich eine schmale Zigarette an und maß seine Hüfte mit einem Band.
Sie lief um ihn herum, betrachte ihn noch einmal von vorn, dann sah sie, wohl auf der Suche nach Inspiration, zum Fenster hinaus. Sie rauchte konzentriert, den Mund gespitzt, die Augen weit geöffnet: »Ich hätte da ein schönes Modell in hellblau, das müsste für Sie –«, wieder zog sie an ihrer Zigarette, wandte dann abrupt den Kopf und blies den Rauch nur knapp an ihm vorbei, »gerade richtig sein.« Ohne ein weiteres Wort umrundete sie mit federndem Schritt den Tresen und verschwand durch eine schmale Tür ins Lager des kleinen Ladens.
Mit einem kleinen, in feines Papier eingeschlagenen Paket kehrte sie zurück. Sorgfältig wickelte sie es aus. Zum Vorschein kam, wie angekündigt, eine hellblaue, leicht glänzende Badehose, die sie auf dem schwarzen Glas darunter ausbreitete. »Voilà!«, sagte sie und lächelte. »Modisch, praktisch, elegant.«
Neugierig nahm Edward das sonderbare Kleidungsstück in die Hand, während sie raschelnd das Seidenpapier zusammenfaltete. Er besah sich das blaue Ding von vorn und hinten, dehnte den Gummi am Bündchen der Hose, dann legte er sie auf den Tresen und zog seine Geldbörse aus der Tasche.
»Sie wollen Sie nicht anprobieren?«, fragte die Verkäuferin ungläubig. »Nein danke«, entgegnete er und zog mit einem fragenden Blick einen Schein aus der Börse. »Nun«, sagte sie und ergriff den Schein, »wenn Sie sich sicher sind, möchte ich Sie nicht drängen.« Die Registrierkasse, die auf dem schmalen Verkaufstresen in dem kleinen Laden ein wenig überdimensioniert wirkte, klingelte, dann händigte sie ihm sein Wechselgeld aus.
»Möchten Sie eine Tasche dafür?«, fragte sie und brachte eine kleine fliederfarbene Papiertüte unter dem Tresen hervor. »Sehr edel!«, sagte er lächelnd, nahm die Badehose, faltete sie zweifach und steckte sie in die Tasche seines Jacketts. »Doch vielen Dank!«
Während sie das Papiertütchen wieder zurück an seinen Platz schob, kicherte sie: »Du meine Güte, was für ein seltsamer Mann Sie sind! Charmant wie ein Aristokrat, scheu wie ein junges Mädchen, kess wie ein Dachdecker und –«, sie gluckste und ihre Wangen wurden ganz voll, als sie lachte, »können Sie überhaupt schwimmen?«
»Vor zehn Jahren konnte ich es noch«, sagte Edward und grinste, »und mit einer solchen Badehose kann es nicht zu schwer sein, meinen Sie nicht?«
Beschwingt lief er zum Strand herunter, zahlte den Eintritt für die Badeanstalt und zog sich dann in eines der Umkleidehäuschen zurück. Es war ein wunderbares Gefühl, die klebrigen Sachen ablegen zu können. Er hob die Arme hinter den Kopf, verschränkte die Hände, und die Hitze des Tages, die auf seiner Stirn und auf seinem Rücken Schweißperlen hinterlassen hatte, floss durch seine nackten Fußsohlen in den Boden hinein, der sandig und kalt war. Kurz musste er lächeln, als er an die Verkäuferin dachte.
Ein wenig enger als eine Unterhose schmiegte sich das neu erworbene Kleidungsstück an seine Haut. Er konnte noch nicht sagen, ob er sich darin gefiel. Er griff hinein, versuchte sich ein wenig kompakter zu arrangieren, dann ging er vorsichtig in die Hocke, um ein wenig Freiraum darin zu gewinnen.
Schließlich wandte er sich um und sah in den Spiegel, durch den ein langer Riss verlief und das Bild ein wenig verzerrt erscheinen ließ. »Merkwürdig, aber nicht so schlecht«, dachte er, dann verließ er die Kabine und schloss sie von außen ab. Den Schlüssel hinterlegte er beim Propriétaire, bevor er zum Wasser ging.
Die Sonne stand jetzt senkrecht über ihm, und er spürte, wie sich die Hitze langsam unter seiner Haut ausbreitete, den Rücken und die Schultern wärmte. Kurz leckte das kalte Wasser des Mittelmeers an seinen Zehen, dann zog es sich wieder zurück. Immer wieder. Und wenn man lange genug darauf schaute, konnte einem schwindelig werden.
Edward kniff die Augen zu, dann hob er den Blick und betrachtete die mondänen Segelboote und Motorjachten, die auf dem hellen Wasser schaukelten. Schließlich atmete er tief ein, machte drei große Schritte und ließ sich in das kalte Wasser fallen. Durch Mund und Nase prustete er hinein, machte einige ruhige Züge. Nein, er hatte es nicht verlernt. Glücklich zog er sich weiter hinaus. Bald hatte er die Motorboote erreicht, die unmittelbar hinter den roten Bojen, die den Schwimmbereich begrenzten, ihre Anker geworfen hatten, um von der Promenade aus gut gesehen zu werden. Hier ließ er sich treiben.
Eines der Motorboote, es trug den Namen Ricarda, faszinierte ihn besonders. Das Holz, aus dem das Boot gemacht war, schimmerte golden in der Sonne und die türkisen Sitzpolster gaben im grellen Mittagslicht einen perfekten Kontrast zu seiner weißen Kajüte ab. Es war ungeheuer elegant. Edward legte sich auf den Rücken und beobachtete die Menschen an Deck. Offenbar zwei Paare. Die Männer, etwas grobe, doch gutaussehende Kerle, trugen Freizeitanzüge ohne Krawatten, drei Hemdknöpfe offen, die Damen bodenlange Sommerkleider, kleine Blumenwiesen, die sich in den Wind legten und ihre zarten Figuren umschmeichel...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Titel
  4. Widmung
  5. 3. Mai 1971, Mönchengladbach
  6. September 1939, Zamość
  7. 5. Mai 1971, Mönchengladbach
  8. Oktober 1939, Zamość
  9. 4. Juni 1971, Düsseldorf
  10. Oktober 1939, Mielec
  11. 4. Juni 1971, Düsseldorf
  12. November 1939, zwischen Mielec und Krakau
  13. 5. Juni 1971, Mönchengladbach
  14. Dezember 1939, zwischen Krakau und Essen
  15. 5. Juni 1971, Mönchengladbach
  16. Juli 1940, Köthen
  17. 15. Juli 1971, Mönchengladbach
  18. November 1942, Köthen
  19. 20. Juli 1971, Mönchengladbach
  20. Januar 1943, Köthen
  21. 3. Mai 1974, Mönchengladbach
  22. Januar 1943, Köthen
  23. 10. Dezember 1974, Mönchengladbach
  24. Juni 1944, Köthen
  25. 11. Dezember 1974, Mönchengladbach
  26. Juni 1944, Köthen
  27. 15. Oktober 1981, Düsseldorf
  28. Juli 1944, Köthen
  29. 15. Oktober 1981, Düsseldorf
  30. Juli 1944, Köthen
  31. Juli 1944, kurz vor Minden
  32. August 1944, Minden
  33. August 1944, Lahde
  34. August 1944, Lahde
  35. 23. November 1981, Düsseldorf
  36. Krefeld, Mai 1945
  37. August 1945, Düsseldorf
  38. November 1945, Düsseldorf
  39. November 1945, Köln
  40. 24. Februar 1985, Düsseldorf
  41. Februar 1949, München-Gladbach
  42. 25. März 1985, Düsseldorf
  43. Februar 1949, München-Gladbach
  44. 19. April 1985, Düsseldorf
  45. April 1949, München-Gladbach
  46. April 1949, Antwerpen
  47. Mai 1949, Paris
  48. 23. April 1985, Düsseldorf
  49. Mai 1955, Nizza
  50. Danksagung
  51. Impressum
  52. Über die Autorin