Im Tunnel
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Im Tunnel

  1. 574 Seiten
  2. German
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Im Tunnel

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Paul Zakowski sitzt seit dem frühen Morgen in der Abgangszelle seines Gefängnisses, in dem er ein paar Jahre verbracht hat, und hofft und flucht und betet. Er wartet auf seine Entlassung. Aber die darf eigentlich nicht sein. Nicht, dass er ein Unhold wäre oder ein Gewalttäter. Nein, Zakowski ist Einbrecher, erfolgreicher Einbrecher, und das hat ihm der Staat mit insgesamt acht Jahren und vier Monaten Haft vergolten. Allerdings in drei verschiedenen Prozessen. Von der ersten Strafe hat er inzwischen zwei Drittel verbüßt, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Eigentlich müsste die Staatsanwaltschaft jetzt die anderen beiden Strafen in Vollzug setzen. Zakowski ist sich im Klaren, dass die Telefondrähte in der Anstalt heiß laufen. Jeder will verhindern, dass er freikommt. Bis 17.00 Uhr haben sie Zeit, dann müssen sie ihn rauslassen. In der Abgangszelle, neben dem großen Tor in die Freiheit, harrt Zakowski aus. Während sich draußen die Weichen für seine Zukunft stellen, gerät Zakowski in den Sog seiner Erinnerung: Unerhörte Geschichten und Ereignisse aus seinem Leben steigen in ihm auf, und seine nicht gerade tadellose Vergangenheit fliegt an ihm vorbei.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783627022242

1. TEIL:
IM KLEINEN KREIS

Im Gefängnishof befinden sich ein großer und ein kleiner Kreis. Im großen Kreis laufen während der Freistunde die Gefangenen alleine oder in Gruppen und können miteinander kommunizieren.
Im kleinen Kreis, inmitten des großen, laufen nur die Abgesonderten, Ausbrecher, Renitente und Psychopathen, mit denen niemand kommunizieren darf. Es gilt das absolute Sprechverbot.
Lebenslauf: Lauf ums Leben
Erst lief mein Vater davon
Dann, vielleicht, Tränen meiner Mutter
Später lief sie mit mir im Bauch
Aus dem brennenden Haus in die Bombennacht
In die Evakuierung
Lief im letzten Moment ins Hospital
Zur Entbindung
Danach lief sie davon
Vor der Schande
Und der Verpflichtung
Ließ mich zurück bis
Nach langen Monaten meine Oma kam
Und mit mir floh
Vor den Russen
Und als ich selber laufen lernte
Lief ich gleich
Vor den Bauern davon
Drei Kartoffeln in der Tasche
Vor den Bahnpolizisten
Mit Kohlen im Rucksack
Vor den Nachbarn
Gestohlene Äpfel in der Hand
Oder vor andern Kindern
Die mich Zwerg Nase nannten
In der Schule lief es
Normal
Bis ich richtig laufen lernte, weglaufen
Vor der Familie
Vor der Polizei
Vor der Realität
Vor mir selbst
Ich lauf heute noch weg
Das Ziel kann nicht mehr weit sein
Neulich sah ich Marathonläufer ins Ziel kommen
Sie brachen zusammen

DER LÄNGSTE TAG

Montag, 30.12., 6.00 Uhr

Die Vorfreude gilt als die schönste Freude, weil man sich auf etwas freut, was es eventuell nicht gibt, aber dennoch die Phantasie beflügelt.
Niemand, aber auch niemand, weder der Papst noch der Dalai Lama oder irgendeiner dieser Gottesvertreter, Gurus, Wahrsager, Sternedeuter oder Esoteriker kann voraussagen, was das Leben in der nächsten Stunde für einen bereithält. Und auch ein Bauer weiß nur: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.
Natürlich versuchen Menschen, seitdem es sie gibt, in die Zukunft zu schauen. Alleine aus Angst, dass sich etwas zusammenbraut, was gefährlich werden könnte. Auch Paul hatte diese Angst, als ihm morgens um sechs, beim Frühstück auf dem Gefängnisflur der Abteilungsbeamte die erwarteten Worte zurief: »Zakowski, schon gepackt? Gleich geht’s zur Kammer, Sie werden heute entlassen.« Er grinste dabei. Das sollte wohl bedeuten, dass auch er sich freute, einen wie Paul von der Abteilung wegzukriegen. Aber was auch immer der Beamte wirklich dachte, interessierte niemanden, höchstens seine Frau, wenn er denn eine hatte.
Natürlich hatte Paul gepackt, obwohl er allen Regularien gemäß gar nicht hätte entlassen werden dürfen. Das war ihm klar, und deshalb hatte er sich schon einige Tage lang mit Vorhersagen beschäftigt, die ihm natürlich vor allem Schlaflosigkeit einbrachten. Was war passiert?
Vor einer Woche, am 23. Dezember, hatte ihm doch tatsächlich ein Richter der Vollstreckungskammer Darmstadt den Rest seiner zweijährigen Haftstrafe des Landgerichts München zur Bewährung ausgesetzt. Üblicherweise dauert es eine Woche, bis ein solcher Beschluss rechtskräftig wird, um der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, Einspruch einzulegen. Doch bisher war nichts geschehen.
Aber die Sache war noch viel komplizierter. Die zwei Jahre waren nicht die einzige Strafe, die Paul Zakowski absitzen musste. Nach dem Ende der jetzigen warteten weitere zwei Jahre und vier Monate des Landgerichts Bonn und noch mal vier Jahre des Landgerichts Frankfurt auf ihn. Doch für keine dieser Strafen lag ein wirksamer Vollstreckungsbefehl vor, weil alle damit rechneten, dass Paul Zakowski noch bis zum nächsten Juli für die Strafe aus München einsitzen musste. Denn warum sollte man ihm Bewährung geben, wenn er eh nicht rauskam?
Pauls großes Pech, dass diese drei Strafen nicht zu einer einzigen zusammengezogen werden konnten, was mit den Verurteilungszeiten zusammenhing, erwies sich nun für ihn – zumindest vorübergehend – als eine Chance auf Freiheit. Aber für wie lange?
Der Vollstreckungsrichter hatte sich intensiv mit Paul unterhalten. Paul hatte ihm in der ihm eigenen Art einige Geschichten aus seinem Leben erzählt, die den Richter beeindruckten. Natürlich wusste er von den weiteren Verurteilungen, aber er wollte sich von anderen nicht unter Druck setzen lassen, unter diesen Umständen eine Strafaussetzung zur Bewährung zu verweigern, von der er überzeugt war, dass er sie geben musste. Das war am 23. Dezember.
Heute war Montag, der 30. Dezember. Dienstag ist Silvester und Mittwoch Neujahr. Also drei Tage Zeit zu verschwinden, dachte Paul, wobei ihm klar war, dass eine wirkliche Flucht, die ihn erst nach zehn Jahren mit Verfolgungsverjährung belohnen würde, nicht in Frage kam.
Paul war weit gereist und wusste, im Grunde konnte ihn kein Land der Welt gebrauchen. Ganoven hatten sie alle selbst genug. Außerdem war für ihn Deutschland nicht nur Heimat, sondern auch der beste Ort zum Leben.
In Privatkleidern, mit seinem kleinen Koffer in der Hand, führte ihn der Kammerbeamte über den Hof in die Entlassungszelle neben der Außenpforte.
Es war noch früh. Die Geschäftsstelle, in der Paul den Entlassungsschein, seine Personalpapiere und sein Geld bekommen sollte, öffnete erst um acht. Also setzte er sich in die Ecke der Zelle, ein ungastlicher Raum, der überwiegend dazu diente, Besucher auf harten Bänken warten zu lassen, bis sie in die eigentlichen Besuchsräume geführt werden konnten.
Paul kamen heute die kahlen Wände, das hochgelegene vergitterte Fenster, die kargen Tische vor wie das Wartezimmer zum Himmel, falls es dafür ein Wartezimmer gab. Er lehnte sich zurück und schaute auf seine Uhr, sieben Uhr fünfzehn. Um acht würden ihn also die Schreibtischgeier rufen, um ihn auszuzahlen. Laut Pauls Vorstellung konnte es sich nur um wenige Hundert Mark handeln, aber das Wichtigste war der Entlassungsschein.
Paul drehte sich eine Zigarette, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Jetzt nur nicht daran denken, dass er später noch mal in den Knast zurück musste. Die Tür öffnete sich, der Pfortenbeamte schaute herein: »Zakowski? SIE sollen entlassen werden?« Er grinste hämisch. »Wer’s glaubt, wird selig!« Er warf die Tür wieder zu. Paul schloss die Augen und sah dieses arrogante, wohlgenährte Gesicht unter der Dienstmütze vor sich. Er kannte ihn.
In diesem kleinen Knast kannten sich eh fast alle. Vierhundert Gefangene und hundertfünfzig Bedienstete konnten über Jahre nicht so einfach aneinander vorbeilaufen. Der Typ war ein besonders prächtiges Exemplar von Staatsdiener. Ein Bauernsohn aus dem Odenwald, als letzte Chance, mit fünfunddreißig Jahren, aufgesprungen ins Beamtenleben, als Sicherheit für den Rest des Lebens. Seine neue Klientel, Menschen in Haft, behandelte er wie früher seine Kartoffeln und Zuckerrüben. Der Typ hatte mal eine Woche lang den Werkmeister in dem Betrieb vertreten, in dem Paul Telefonapparate zusammenbaute. Der Mann hatte mit seiner barschen Art unter den Gefangenen fast eine Revolte ausgelöst. Paul versuchte zu schlichten, sprach mit dem Odenwälder Dickschädel, bis er merkte, dass das den gar nicht interessierte. Die Gefangenen gingen ihm schlicht am Arsch vorbei.
Sein Gesicht hatte Paul schon immer an jemanden erinnert. Und jetzt, hier, in der Zelle sitzend, fiel es ihm wieder ein. Mit seiner Dienstmütze sah er genauso aus wie der erste Polizist, mit dem Paul zu tun hatte, einem belgischen Militärpolizisten, als er vier Jahre alt war. Damals, in der schlechten Zeit direkt nach dem Krieg, waren alle Menschen hager bis dürr, dieser Belgier aber war als Besatzer gut genährt und hatte einen dicken Schädel, so wie dieser Odenwaldbauer in Uniform.
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Die Hamstertour

Francesco war der Vater aller Dinge. Das galt für unsere Familie, für Mutter, Sophie und Eva, meine Schwestern, meinen kleinen Neffen Gino und mich, wie für unsere kleine dunkle Welt im Kellergeschoss des zerbombten Hauses. Francesco war ein schöner Mann. Schwarzes dichtes Haar, garniert mit grauen Fäden, ein buschiger Schnurrbart, die stets dunkel getönte Haut, gepaart mit warmen Augen und einem heiteren Mund, machten ihn zu aller Freund. Obwohl er nicht mein Vater war, blieb er für mich immer ansprechbar. In seinem harten Deutsch erklärte er mir alles, was ich wissen wollte, und drückte sich vor keiner Frage. Kam er mit der Sprache nicht weiter, benutzte er Arme, Beine und wie Lieder klingende italienische Laute. Auch Mutter hielt große Stücke auf ihn. »Ein guter Italiener. Nicht so ein verräterischer Itaker wie die anderen!«

Francesco hatte die Wende von 1943 in Italien nicht mitgemacht, war nach Deutschland gegangen und hatte sich hier zur SS gemeldet, statt wie seine Landsleute im Süden bereits den Frieden zu genießen. Er und Sophie waren verheiratet und hatten ein gemeinsames Baby.

Das Wichtigste: Er ernährte uns alle. Francesco war Schuster von Beruf. In einer Zeit, in der Geld nichts galt und nur Ware zählte, schnitt, nähte, nagelte, klebte und band er die schönsten bunten Fußbekleidungen für Damen, die ich je gesehen habe. Irgendwoher hatte er sich ein Schustereisen organisiert, Hammer, Schere, Ahle und Kordel. Nur Nägel waren knapp. So sammelte ich tagsüber auf d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Titel
  4. 1. Teil: Im kleinen Kreis
  5. Lebenslauf: Lauf ums Leben
  6. Der längste Tag
  7. Montag, 30.12., 7.30 Uhr
  8. Montag, 30.12., 7.38 Uhr
  9. Montag, 30.12., 7.50 Uhr
  10. Montag, 30.12., 9.05 Uhr
  11. Montag, 30.12., 9.15 Uhr
  12. Montag, 30.12., 9.45 Uhr
  13. Montag, 30.12., 10.30 Uhr
  14. Montag, 30.12., 11.25 Uhr
  15. Montag, 30.12., 12.05 Uhr
  16. Montag, 30.12., 12.20 Uhr
  17. Montag, 30.12., 12.25 Uhr
  18. Montag, 30.12., 13.30 Uhr
  19. Montag, 30.12., 14.00 Uhr
  20. Montag, 30.12., 14.15 Uhr
  21. Montag, 30.12., 14.32 Uhr
  22. Montag, 30.12., 16.50 Uhr
  23. Impressum
  24. Über den Autor