Walter Nowak bleibt liegen
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Walter Nowak bleibt liegen

  1. 200 Seiten
  2. German
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Walter Nowak bleibt liegen

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Über dieses Buch

Jeden Tag schwimmt Walter Nowak seine Bahnen im Freibad. Eines Morgens bringt eine Begegnung ihn aus der Fassung, mit fatalen Folgen: Der Länge nach ausgestreckt findet er sich wenig später auf dem Boden seines Badezimmers wieder, bewegungsunfähig und auf sich allein gestellt. "Von nun an geht es abwärts, immer abwärts", schießt es ihm durch den Kopf. Zunehmend verliert er die Kontrolle, Gedankenfetzen, Bilder aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein: das Weihnachtsfest mit seiner ersten Frau Gisela, ihr Schweinebraten, ihre Tränen; der Blick seines Sohnes Felix, als er von der Trennung erfährt; Erinnerungen an seine eigene Kindheit als unehelicher Sohn eines GIs; und, vor kurzem, eine Diagnose seiner Ärztin. Während nach und nach alles vor seinen Augen verschwimmt, ziehen seine Gedanken immer engere Kreise, nähern sich einem verborgenen Zentrum, dem Anfang, dem Ende... Als das Hitzegewitter endlich losbricht, steht plötzlich sein Sohn Felix vor der Tür.Mit verblüffender erzählerischer Souveränität und großer Empathie zeichnet Julia Wolf in ihrem zweiten Roman ein eindrückliches Männerporträt: Walter Nowak, Kind der Nachkriegszeit, steht an einem Scheidepunkt. Seinem Gedankenstrom folgend macht der Leser eine faszinierende Reise in die menschliche Psyche.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783627022433
Für immer ich, noch gebe ich nicht auf. Kreisverkehr, Taumel, und geradeaus. Ich gebe Gas, zwischen den Feldern. Brüllen, dann Stille, ich betrete das Haus. Diese drückende Stille. Was nun? Wo ist mein Handy, ich will ins Bad. Meine Hand liegt schon auf der Klinke, mein Blick fällt auf den Läufer, auf den verstopften Spalt unter der Tür. Da war was, was war da. Flügel unter der Tür, ihr kleiner, grässlicher Kopf. Richtig. Die Fledermaus. Die ist da drinnen. Sofort wieder das Kreischen und Ziepen, das Flattern um meinen Kopf. Meine Hand gleitet von der Klinke. Ich stehe vor der Badezimmertür, denk nach, Walter, denk. Ich sollte den Jungen, der Junge wüsste, was tun, Felix würde die Fledermaus fangen. Der kennt sich doch aus. Aber die Nummer, wo habe ich die. Ich stehe vor der Tür, betrachte den Läufer, diese ledrigen Flügel, da kracht es, ein Fenster fällt zu.
Auf dem Glastisch vorm Fernseher steht noch mein Teller. Auf dem Teller liegt ein Stück Fleisch. Das stecke ich mir kalt, ich stippe das Fleisch in den Senf, stecke es mir in den Mund. Kauen, mein Kiefer, wieder kracht es, mein Mund voller Speichel, meine Zunge so dick. Kühl streift mich, Gedanke an Unterholz, Lüftchen. Ein Wind geht durchs Haus, schmeißt die Fenster. In der Küche erschrecke ich, hier sieht’s vielleicht aus. Die halbe Sau, zersäbelt zu Fleisch. Bräunlich, auf den Fliesen, Lache, das ist doch Blut. Muss ich aufräumen, muss ich, mit einem Lappen, und ach. Ich blicke auf meine Hände hinab, ein Stück rohes Fleisch. Das mache ich später. Ich stehe am Fenster, ich kaue, es quietscht, mein Kiefer knarrt. Wenn Yvonne mir wieder sagt, was gut für mich ist, ich schmeiße sie aufs Bett. Ich esse das auf, ich brauche Kraft. Eine Flasche Ketchup in meiner Hand. Ich habe Hunger. Wie lang ist das her? Dass ich solch einen Hunger. Senf, das Fleisch in den Senf und dann, kauen. Rotgrüne Schlieren auf dem Teller, getrocknete Ränder. Landschaften. Ich starre. Ich starre. Ich stehe vorm Fenster, und mich überkommt, Würgen, ein Ach, ein Ich weiß nicht. Mein Mund voller, Speichel, viel zu viel Speichel. Ich kann nicht schlucken, ich kaue und kaue und kann einfach nicht. Heiße Wangen, ich habe einen ganz heißen Kopf. Wie als Kind. Reiß dich zusammen. Ich stehe vorm Fenster und blicke in den Himmel, die Wolken dicht, dunkel. Eine Fliege summt um meinen Kopf. Ich wedele mit der Hand, wenn das so einfach wäre. Eine Bewegung der Hand, wenn ich einfach wedeln könnte, und die Fledermaus wäre verschwunden. Das Telefon klingelt, ein Schrillen im ganzen Haus. Vielleicht ist das Gisela, ich meine Yvonne, vielleicht ist das. Das muss Yvonne sein, wer ruft mich denn sonst. Are you lonesome tonight. Ich sollte ans Telefon gehen, ich sollte Yvonne sagen, dass mein Handy im Bad liegt, mein Handy liegt auf dem Waschbeckenrand. Ich komme gerade nicht dran, das erkläre ich dir später. Erkläre ich dir alles, wenn du wieder da bist. Fahr vorsichtig. Ach, Walter. Ich stehe vorm Telefon, will abnehmen und tue es nicht, Du, ich hab den Mund voll, kann grad nicht sprechen. Ich nehme nicht ab, das Schrillen setzt aus, es bleibt still. Eine heiße Welle von meinem Kopf durch meinen Körper, den Namen merkst du dir besser. Wie’s aussieht, eine Weile. Wir werden noch eine Weile miteinander zu tun haben. Nicht, wenn ich hier liege, wenn ich einfach hier liegen bleibe, werde ich nie wieder, mit niemandem. Nichts zu tun haben. Wenn ich hier liegen bleibe, kann ich nächste Woche nicht zur Untersuchung gehen. Wenn ich hier liege, kann Frau Doktor noch so viele Gummihandschuhe, Frau Doktor wird mich nicht untersuchen. Wenn sie mich nicht untersucht, findet Frau Doktor auch nichts.
Ich stehe in der Küche, es knallt. Irgendwo im Haus fällt ein Fenster zu. Ich setze mich in Bewegung, Zeitlupe, ich drehe mich um. Das ist doch, Blut. Muss ich wischen. Ich darf nicht vergessen zu wischen. Eimer und Wasser, oh Gott. Gummihandschuhe. Ich gehe durchs Haus und schließe die Fenster, eins nach dem anderen. Zimmer für Zimmer. Als ich im Gästezimmer das Fenster schließe, blitzt es. Das war das letzte, kein Wind mehr im Haus. Alle Fenster, das Krachen draußen, als Donner. Regen mit kleinen Knöcheln am Fenster, Hallo? Hallo. Die Tropfen rinnen an der Scheibe hinab. Ich habe das als Kind schon gemocht, ich drinnen. Im Haus, wenn’s draußen tobt. Ich unter der Decke. Der Giebel des Nachbarn, Geranien, ich stehe an der Gardine und denke mir nichts Böses, ich denke gar nichts, mein Blick schweift durchs Bild. Gleitet am Haus des Nachbarn hinab, in die Hecke. Von der Hecke ins Beet, und da. Zwischen den Büschen steht einer. Im Anorak, Kapuze tief in die Stirn, Hände in den Taschen vergraben, steht einfach im Regen, im Donner und Blitz, mit breiter Brust. Steht im Beet, als gehörte er dorthin, als wäre er dort gewachsen. Und ich, Aha, erschrecke erst gar nicht. Ist zunächst nur mein Blick, der ihn erfasst, nicht mein Kopf. Ich weiß nicht, wie lange, wir stehen und starren uns an. Ein ganz schöner Wumms, irgendwann erreicht die Information mein Gehirn. Ich zucke zusammen. Moment mal. In meinem Garten ein Mann. Was will der? So ein Gefühl wie, der kommt mich holen. Der bricht ein in mein Haus. Nimmt sich, schlägt alles, was mir gehört, kurz und klein. Das war’s, ich bekomm’s mit der Angst, Stündlein geschlagen. Doch dann, Hecheln, erkenne ich, das bin ja ich, der da steht. Ich vor vielen Jahren, Jahrzehnten, Haus Nummer 14, und drinnen ein Mann, kein Vater. Winkt seinen Fans. Ich erkenne, das bin gar nicht ich, das ist ja Felix, der unten steht. Mein Sohn. Ich bin der oben. Winke ich? Ich winke. Ich schlucke. Ich meine, wer macht so was, wer in aller Welt bleibt im Regen stehen, im schlimmsten Gewitter? Und natürlich winkt er nicht einfach zurück, das wäre viel zu freundlich, das wäre ja normal, und normal gibt’s bei Felix nicht. Nein, er senkt den Blick, geht aufs Haus zu. Nach dem Motto: Mach schon auf, lass mich rein.
Klaro, ich nach dem Motto, okay, die Treppe hinab. Plötzlich bin ich ganz aufgekratzt. Ich trippele, wie ein Fußballer, wie ein, Boxer, als müsste ich mich aufwärmen, tripp trapp die Treppe, und klaro hätte ich ihn mal anrufen können, wollte ich ja auch. Ich reiße die Augen auf, Gerade wollte ich dich anrufen! Mensch, du. Ich mache mich warm, ich bereite mich vor, ich frage mich, was er will, so aus dem Nichts. Wenn er kommt, um mir Vorwürfe, das brauche ich jetzt nicht. Wer will schon so leben, immer an allem schuld. Wer will schon ewig der Buhmann sein. Alles immer nur falsch. Der Junge hat doch alles gehabt. Der Junge hatte doch keine Probleme. Keine Probleme, die er sich nicht selbst eingebrockt. Wenn ich mir überlege. Bastard, Bastard. Zu dieser Zeit. War das lustig? Nein, war es nicht. Selbst meine Freunde haben mich beschimpft. Selbst Willi und Roland haben geschrien, vom Schorsch ganz zu schweigen. Habe ich mich beklagt. Habe ich jemals gejammert. Wenn ich mir überlege, dem Jungen hat’s an nichts gefehlt. Und der Rest, irgendwann muss doch mal gut sein. Jeder hat mal einen schlechten Tag, oder nicht. Na, was denn? Was ist daran so schlimm. Dumm. Wieso dumm? Ist doch wahr. Tripp trapp, die Stufen kommen mir entgegen, die Treppe scheint endlos, ich außer Atem, ich zum Beispiel habe jetzt ein paar schlechte Tage gehabt. Ich bin halt mal liegen geblieben. Kein Grund zur Panik.
Ein richtiger Mann, ich öffne die Tür, vor mir steht ein tropfnasser Kerl.
Mensch!, ich reiße die Augen auf wie eben geübt, Felix!
Funktioniert deine Klingel nicht?, sagt er und schlägt die Kapuze zurück. Meine, was, wieso. In meinem Kopf schrillt es. Vielleicht war das gar nicht das Telefon. Are you lonesome, hast du Angst vorm Gewitter. Ich, ist auch egal, Komm erst mal rein. Klingel egal, Das trifft sich ja gut. Ich ziehe ihn ins Haus, ich schließe die Tür. Du kommst wie gerufen!, ich ganz geschäftig, nur mein Kopf ist so schwer. Ich wollte dich sowieso, sage ich, und er geht durch den Flur, ich hinterher, mein Kopf, die Worte fallen aus mir heraus, Schwall, Das ist wirklich ein Zufall. Ich habe schon nach deiner Nummer geguckt. Beziehungsweise, konnte ich ja nicht. Mein Telefon liegt im Bad, und im Bad ist die Fledermaus, da konnte ich nicht rein. Warum? Warum dieser Hohn. Gleich dieser Widerstand, in seinen Augen. Als er sich umdreht, mich ansieht. Im Flur dreht Felix sich um. Ich kann ihn riechen, er riecht schlecht, nach Stall. Nach Moschus, Mist. Nach Nichtgewaschen.
Eine Fledermaus?
Wenn ich’s doch sage.
Er sieht fertig aus, abgenutzt irgendwie. Nicht mehr frisch. Ich rechne, sein Alter. So alt war ich, Mathematik, als er zur Welt kam. Zahlen, ich so alt wie Großvater, als er starb. Ich rechne, so lange kein Anruf von mir. Weißt du, das Bad war verstopft, ich konnte nicht rein. Weißt du, das ist nicht ohne, von denen kann man sich Tollwut holen und so.
Ein Senken der Lider mitten im Satz, Und wo ist Yvonne?
Yvonne, Yvonne, die ist nicht da.
Ich verstehe nicht gleich, ich verstehe nicht die Bewegung in seinem Gesicht, die Mundwinkel ziehen, das ist ein Grinsen. Mit Zähnen, mit Brauen, mit Spott: Hat sie dich etwa verlassen?
Ich stehe vorm Schrank, die Hände an den Türen, meine Arme wie Flügel. Ich betrachte die Stapel mit Polohemden, das ist beruhigend, Farbverläufe, so schön. Yvonne ist auf einer Tagung, sie kommt morgen wieder. Der Junge nickt, Ach so, das Grinsen erlischt. Beruhigend, ja, aber, das war nicht der Grund. Warum stehe ich hier? Was wollte ich doch gleich? Das rosa Hemd leuchtet zwischen den anderen auf, Abendrot, das rosa-schwarz gestreifte Hemd, das ist nicht so mein, das bin gar nicht ich. Kein Geck, das Hemd war ein Versuch, vor vielen Jahren, ein Fehlkauf. Irgendwo hatte ich gelesen, Rosa und Schwarz, das waren seine Farben. Die Lieblingsfarben des King. Ich habe das Hemd nur einmal getragen. Bei aller Liebe, mein Gang ist nicht weich. Ich bevorzuge Blau. Grau. Grün. Ich stehe vorm Schrank, die Arme wie Flügel, gleich fliege ich davon, vergesse völlig für einen Moment. Dass unten ja, er wartet auf mich. Einen Moment lang habe ich völlig vergessen, dass es ihn gibt. Tropfnass im Flur, Hast du mal ein Handtuch für mich? Ich ziehe das rosa Hemd aus dem Stapel, trete vor den anderen Schrank. Ein Handtuch, ganz oben, für meinen Sohn.
Oh Mann, das ist nicht dein Ernst! Felix’ Blick wie ein Spiegel, ich muss nicht an mir hinabsehen, ich weiß, was ich trage. Das weltbeste Polo. Yvonnes Stimme im Ohr, Off, Wie ein Penner. Die Stimme der Fritzsche, Wie sehen Sie denn aus? Die letzte Dusche ein paar Tage her. Ein paar seltsame Tage waren das. Aber Felix meint gar nicht mein Aussehen, er meint die Sauerei, Felix steht in der Küche, überall Blut. Hinter ihm auf der Anrichte Fleisch, das tote Tier.
Habe ich nicht selbst geschossen!, sage ich, der Willi –
Immer dieser Widerstand, er fällt mir ins Willi, Wort: Mama hat also recht. Und natürlich will ich wissen, womit, doch er schüttelt nur weiter den Kopf. Ich reiche ihm das Handtuch. Er zieht sich aus, die Jacke, das Hemd. Er reibt sich Kopf und Brust trocken. Seine Haare in Stacheln. Recht womit? Er ist so dünn. Mein Fleisch und Blut. Die Sehnen wie Schnüre unter der Haut. Blass ist er auch. Graupenrisotto. Ein Loch in diesem Mann, Nabel. Dort war er mal, mit Gisela –
Mama hat erzählt, du hättest sie angerufen? Sie meinte, du klangst verwirrt?
Ich stelle mir die Leitung vor, von ihr zu ihm.
Hast ihr den Anrufbeantworter vollgelabert? Und deine Sekretärin, von früher, wie heißt die?
Fritzsche, höre ich mich sagen.
Frau Fritzsche, genau. Die hat sich bei Mama gemeldet. Die macht sich auch Sorgen um dich.
Eine Leitung, Gisela schickt ihn vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Schau mal nach deinem Vater. Er ist doch dein, Papa. Dieses klebrige Wort, ich bin gerührt. Wie zärtlich das klingt. Wie weich im Vergleich zu –
Walter!, mit t in der Mitte. Seine Hand landet auf meiner Schulter, ich sehe auf, ihm ins Gesicht.
Verwirrt? Wieso verwirrt? Ich wollte doch nur ein Rezept –
ich strecke ihm das Polohemd entgegen. Seine Hand gleitet von meiner Schulter. Felix hält das Hemd in die Höhe. Und einen Moment lang bin ich gespannt. Wird er es annehmen? Geck hin oder her, seine Farben. Felix seufzt. Er zieht das Polo über den Kopf, es ist etwas zu kurz, der Bund seiner Boxershorts ragt zwischen Hemd und Hose hervor. Viel zu kurz, trotzdem freue ich mich. Walter, dieses T immerzu. Irgendwie alarmiert, seltsam panisch. Felix steht plötzlich sehr nah. Legt den Kopf schief, sein Blick, den Blick kenne ich. Tropfen im ganzen Gesicht. Sollen wir einen Arzt rufen? Sein Atem auf meinem Gesicht, Einbrecher, nimmt alles, macht alles kaputt. Stellt falsche Fragen. Alles anders, ich spüre schon die Hände um meinen Hals, spüre ihn schon würgen. Ein Brennen schießt mir die Kehle hinauf. Ich schwitze. Aus der Ferne, wie leise gebrüllt: Walter, mit dir alles in Ordnung?
Aber sicher, was sollte mit mir nicht –
Sein Finger. Bevor ich antworten kann, tippt er an meine Stirn. Und da? Was ist da passiert? Ich zucke zusammen, und er stupst gleich noch mal. Tut das weh? Ich weiche zurück, wieder grinst er, was soll das. Ich habe mich gestoßen. Soso, er kneift die Augen zusammen, ganz schönes Veilchen.
Ja, beim Schwimmen. Hatte ich das nicht schon gesagt?
Ich habe den Blick satt, was soll mit mir sein. Kann doch mal passieren. Das Wildschwein, na gut, habe ich vergessen. Das lag eben da. Ein, zwei Tage. In der Hitze, okay. Habe ich eben vergessen, sauberzumachen, na und? Katze aus dem Haus, die kommt wieder. Mäuselchen. Klar kommt die wieder, was glaubst denn du? Verlassen, das ist doch Quatsch. Hier wird niemand verlassen. Ich räuspere mich. Fledermäuse, wie gesagt. Die übertragen ja Krankheiten. Keine Ahnung, wie die ins Haus. Und Felix immer noch, Hä. Felix immer noch, Walter. Was redest du da? Als würde ich labern, nur Scheiße erzählen. Kurze Rede, die Fakten. Sie ist im Haus. Ich habe sie eingesperrt. Im Bad. Völlig nüchtern, das ist hier los. Hilfst du mir oder nicht? Sieh an, mein Sohn. Der Spott weicht aus seinem Blick. Ein Tier in Not, da wird er ernst. Felix klopft sich mit der flachen Hand auf die Brust, er denkt nach.
Kann sein, dass die Schutz gesucht hat. Fledermäuse spüren Tage im Voraus, wenn so ein Unwetter kommt. Die wird durch ein Loch im Dach gekrochen sein.
Moment, was heißt hier Loch im Dach? Mein Dach hat keine Löcher! Nur wie ist sie dann. Irgendwie ist sie ja reingekommen. Sagen wir mal, einer stünde am Fuß einer Leiter. Und blickte hoch. Ein dunkles Maul, die Luke zum Dachboden. Sagen wir mal, einer stiege die Leiter hinauf. Auf einer Dose ein Ritter mit Lanze und Pferd, darin vergilbtes Papier, ein Brief, Bild einer Braut. Mal angenommen, es ist heiß auf dem Dachboden, wahnsinnig stickig. Er würde wahrscheinlich die Dachluke öffnen. Ertappt. Felix ertappt mich dabei, wie ich starre. Schon wieder.
Walter, was ist hier los?
Also, das war wirklich blöd. Ich dachte, ich habe noch zwei Züge. Bis zur Wand. Aber nix da. Mit voller Wucht, ein ganz schöner Schlag –
ich seufze. Ich seufze und sehe seine Nase, zu spät seine Nase. Die kleine, leicht knollige Nase von Gisela, ragt aus seinem Gesicht. Mir entgegen. Der schnüffelt an mir. Wir wie die Hunde, in der Küche, beriechen einander.
Sag mal, hast du getrunken?
Ich schüttele den Kopf. Auf solche Fragen antwortet man immer mit Nein. Mit Nö, wieso? Er sieht nicht aus, als würde er mir glauben. Na dann, sagt er, schaue ich mal nach deinem Gast.
Ich stehe vor dem Fleck, an dem er eben noch stand, ich blicke zu Boden. Wo eben noch Felix, ein dunkler Kringel, ein Haar. Ich bücke mich und hebe es auf. Ich stehe am Küchenfenster und reibe das Haar zwischen den Fingern, gar nicht eklig. Ich sollte aufräumen. Ich sollte. Draußen der Regen schräg, peitscht den Asphalt, die Pflanzen, der Rhododendron biegt sich. Das Haar ist unfassbar fein, ein Gefühl zwischen den Fingern, fast zärtlich. Darum habe ich all die Jahre so ein Theater gemacht? Ich sollte. Das Blut aufwischen, die Fettspritzer. Pfanne und Messer spülen. Doch ich stehe am Fenster, mir fehlt die Kraft. Ich sinke. Ich sinke hinab in die Tiefe, um mich herum wird es dunkel. An der Wasseroberfläche ein leeres Boot, tanzt auf den Wellen. Am Himmel ein Hubschrauber, die Kamera. Das alles hat mit mir nichts mehr zu tun, ich sinke hinab in die Stille. Das träumst du. In diese Stille hinein:
Walter, das musst du geträumt haben!
Ich stehe am Fuß der Treppe, Felix oben, pink-schwarz gestreift. Keine Fledermaus weit und breit!, sagt er.
Kann nicht sein! Ich habe doch die Tür mit dem Läufer zugestopft!
Felix, Hand am Geländer: Das habe ich gesehen.
Wie soll die da rausgekommen sein?
Ich unten, er oben, wir überlegen. Felix überlegt, mir dreht sich’s. Wie groß war sie denn?, fragt Felix. Vielleicht sitzt sie im Luftschacht vom Ventilator? Macht ja keinen Sinn, dass sie erst Unterschlupf sucht und dann, wenn das Unwetter wütet, abhaut.
Keinen Sinn, ich nicke.
Kein Sinn, zwischen den Fingern ein Haar. Ich stoße die Tür auf und sehe sie, ihr nackter Arsch, ein Becher mit Stiften fällt um, Michi oh Michi. Das ist doch, Felix. In Yvonnes Bademantel, viel zu klein. Seine Arm lang aus den Ärmeln, die Brust blank. Er legt den Kopf in den Nacken, Du spinnst! Jetzt spinnst du wirklich!, rasselndes Lachen, Keine Fledermaus weit und breit! Und die Stufen fallen mir entgegen, nein, das war wann anders, diese Stufen, diese verdammten, ich stürze die Treppe hinauf, auf ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Titel
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Ach Walter, hat sie gesagt …
  6. Wenn ich mich recht entsinne …
  7. Der Riss in der Decke …
  8. Wer schläft denn bis zwölf …
  9. Rotwein im Spiel, Bier …
  10. Beim Einatmen, los, beim Ausatmen, lassen …
  11. Wenn die Maus nicht …
  12. So langsam, mein Magen …
  13. Für immer ich …
  14. Danksagung
  15. Impresssum
  16. Über die Autorin