Das Ende der Bundesrepublik
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Das Ende der Bundesrepublik

Aktualisiert, erweiterte und verschärfte 2. Auflage. Mit Illustrationen von Kriki.

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Das Ende der Bundesrepublik

Aktualisiert, erweiterte und verschärfte 2. Auflage. Mit Illustrationen von Kriki.

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Über dieses Buch

Die Bundesrepublik ist nicht mehr reformierbar. Sie steuert auf eine Wirtschafts-, Sozial- und Staatskrise zu. Das Grundgesetz als Fundament der Republik ist unwiederbringlich zerstört. Aus der 'Status-Quo-Diktatur', deren Herrschaft bereits begonnen hat, führt nur ein Weg heraus: Deutschland bekommt eine neue Verfassung. Scharfsinnig und polemisch führt der politische Philosoph Reginald Grünenberg den bundesrepublikanischen Wahnsinn vor. Spannend und frech entwickelt er dann den einzigen Erfolg versprechenden Plan, wie die Deutschen diesem Staat gewordenen Irrenhaus entkommen können. Das Ende der Bundesrepublik ist eine Reise durch die tiefsten und bislang unerforschten Schichten der deutschen Misere. Wer Deutschland neu gründen will, der findet hier alles, was man dazu braucht. Der Umfang des Buches entspricht 320 Druckseiten. Es enthält grafische Übersichten, ein verlinktes Stichwort- und Personenverzeichnis sowie das Kapitel "Artikel für Artikel. Warum das Grundgesetz ausgedient hat", eine detaillierte politische Analyse unserer provisorischen Verfassung. Das Ganze wird aufgelockert durch zwölf herzerfrischende politische Karikaturen von Kriki. Mehr Informationen auf dem Blog zum Buch. PRESSESTIMMEN: "So wild die These klingen mag – der Autor macht sie plausibel. Er nennt die Todsünden der Bundesrepublik und skizziert die Schritte in eine neue lebensfähige Demokratie. Ein provokatives, manchmal verblüffend vernünftiges Buch" Deutschlandradio Kultur

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Information

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|23|Vorwort zur 1. Ausgabe
Im November 2007 ging ich im Rahmen eines Ausbildungsprogramms der Europäischen Kommission auf eine lange Reise. Zusammen mit einer Gruppe junger Europäer sollte ich zum Japan-Experten ausgebildet werden. Vier Monate lang wurden wir in Paris, Mailand und London an einigen der besten Universitäten Europas auf Japans Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vorbereitet. Seit März 2008 sind wir in Tokio und haben an der Waseda Universität tiefe Einblicke in dieses schöne und doch so fremde Land bekommen. Was mir hier allerdings schnell vertraut vorkam, das sind dieselben politischen und bürokratischen Verkrustungen wie in der Bundesrepublik, ein unfassbar großer öffentlicher Schuldenberg, eine atemberaubende Reformunfähigkeit, dieselbe Herrschaft der Parteien, ein unsäglich schwaches politisches Personal, ein vergleichbares Fehldesign wichtiger Institutionen und somit auch eine ganz ähnliche gelagerte Verfassungsproblematik. Dazu kommt noch ein in der Durchführung unterschiedliches, aber im Prinzip vergleichbares Durchwursteln auf höchstem Niveau. Ich glaube dennoch, dass mein Aufenthalt in Japan auf dieses Buch einen ernüchternden Einfluss gehabt hat, denn dieser Blick aus der Fremde zurück in die Heimat hat mich vorsichtig werden lassen bei der Beurteilung deutscher Verhältnisse. Von hier aus konnte ich besser erkennen, in wie vielen Dingen unser Land noch wirklich großartig ist. Da ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das ich nicht tauschen möchte, das hohe Ideal der Freundschaft, der deutsche Tiefsinn und seine wunderschöne Kompliziertheit, das uns unbewusste, aber beinahe genialische Organisationstalent, die weltweit einmalige Ingenieurskunst und – ja, auch das – die Qualität und Vielfalt des Journalismus [Das würde ich heute, im Februar 2010, nach den Erfahrungen mit den Medien beim 60. Grundgesetzjubiläum und während des ganzen Superwahljahres 2009, sicher anders formulieren]. All das und einiges mehr will ich auch in Zukunft unbeschädigt sehen. So hart und unnachgiebig meine Kritik daher stellenweise auch sein mag, so sehr habe ich dieses Buch doch geschrieben, um daran mitzuwirken, das Beste an Deutschland hinüberzuretten in eine neue, in eine bessere Zeit. Denn ich teile den Patriotismus eines Heinrich Heine, der bei allem Spott über das deutsche Unwesen doch noch zu träumen wagte „ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden!
Ich hoffe, dass das vorliegende Buch in Deutschland Funken schlägt und republikanische Leidenschaften entzündet und dass Japan von uns |24|Deutschen in naher Zukunft lernen kann, wie man eine untergehende Republik durch eine demokratische Revolution wiederauferstehen lassen kann.
R.G., Tokio, Oktober 2008
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|25|Einleitung
„So groß ist die Verführung, die menschlichen Angelegenheiten durch die Einführung einer unpolitischen Ordnung zu stabilisieren, dass der größte Teil der politischen Philosophie seit Plato sich mühelos als eine Geschichte von Versuchen und Vorschlägen darstellen ließe, die praktisch und theoretisch darauf hinauslaufen, Politik überhaupt abzuschaffen.“
Hannah Arendt, Vita activa – oder vom tätigen Leben
Im Herbst 2008 wäre das globale Finanzsystem beinahe kollabiert. Wie ein Virus hat der weltweite Handel mit komplexen Finanzprodukten, in denen riskante und schlecht gesicherte US-Hypothekenkredite versteckt waren, den gesamten Geldkreislauf infiziert. Große Geschäftsbanken und vor allem Investmentbanken waren plötzlich massiv überschuldet und gingen bankrott. Wenn die Notenbanken und die Regierungen der Industrieländer nicht massiv mit über zwei Billionen Euro und der Verstaatlichung von Banken in den Markt eingegriffen hätten, dann wäre die gesamte Wirtschaft zum Erliegen gekommen. In einer dramatischen Rettungsaktion hat die Bundesregierung vom Parlament ein sagenhaftes Paket von 480 Milliarden Euro an Bürgschaften und Bankbeteiligungen verabschieden lassen. Damit wurde größerer Schaden abgewendet. Die Wirtschaftsexperten glaubten damals allerdings noch, der Preis für diese phantastischen Finanzspekulationen wäre eine leichte Rezession in 2009. Doch es wurde der größte Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein ausgeglichener Bundeshalt ist damit in weite Ferne gerückt und der Schuldentsunami steigt weiter. Dennoch lautet die Botschaft der Regierung immer wieder, dass sie alles im Griff hat.
Nichts ist von der Wirklichkeit weiter entfernt als der der süße Schlummer der politischen Vernunft, auf den diese Beruhigungspillen uns schicken sollen. Denn das globale Finanzdebakel hat nur für kurze Zeit die Pointe der echten Krise überspielt, in der Deutschland schon längst bis zum Hals steckt: Es ist zu spät. Aus. Vorbei. Der Point of no Return ist überschritten, die Schäden sind irreversibel. Die Finanzmarktkrise ist dafür nicht der Auslöser, sie ist nur das Vorspiel. Die Bundesrepublik steht nicht mehr am Abgrund, sie ist im freien Fall. Das, was sich im Nebel vor uns abzeichnet, ist keine ungewisse Zukunft mehr, sondern der Boden, auf dem wir bald aufschlagen werden. |26| Die Bundesrepublik ist finanziell, politisch und sozial am Ende, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Der dreifache Bankrott ist schnell umschrieben. Seine finanzielle Dimension liegt darin, dass die Last der öffentlichen Schulden Kommunen, Länder und Bund in wenigen Jahren komplett handlungsunfähig machen wird. Das wäre auch ohne die Weltfinanzkrise von 2008 passiert, die diese Entwicklung allerdings erheblich beschleunigen könnte. Politisch gesehen gab es im November 2006 eine Premiere der besonderen Art. Der ARD-Deutschlandtrend hatte festgestellt, dass die Zahl jener, die mit der Demokratie unzufrieden sind, erstmals seit Gründung der Bundesrepublik die Mehrheit der Wahlbürger stellt. Kurz darauf hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern unter dem Titel „Regierung ohne Volk“ diese Zahlen bestätigt und sogar Verschlimmerungstendenzen festgestellt. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen. Und schließlich lässt der Armutsbericht von 2008 keinen Zweifel mehr daran, dass ein Viertel der deutschen Bevölkerung mit Armut zu kämpfen hat, was eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem letzten Bericht von 2006 bedeutet. In seinem Buch Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft hat der Soziologe Heinz Bude dazu beschrieben, wie die betroffenen Milieus verfestigt werden, damit, wer einmal arm ist, auch sicher immer arm bleibt. Die Bundesrepublik gewinnt allmählich einen Zug ins Gespenstische.
Dennoch ist dies ein optimistisches Buch. Zum einen, weil die dunklen und bedrohlichen Ahnungen nun endlich der klaren Einsicht weichen werden. Damit stellt sich, wie schlimm es auch kommen mag, paradoxerweise ein ungemein befreiendes Gefühl ein. Nichts ist schlimmer als die Ungewissheit. Das ist nun vorbei. Zum anderen soll hier versucht werden, der unvermeidbaren Katastrophe zuvorzukommen und das Ende der Bundesrepublik nicht zu Deutschlands Ende werden zu lassen. Wir müssen uns von der Bundesrepublik verabschieden, und das wird für viele Menschen schmerzhaft sein. Doch am Horizont der Möglichkeiten taucht damit ein ganz anderes, ein neues, vitaleres und gesünderes Deutschland auf, die Morgenröte einer neuen Republik. Die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006 hat gezeigt, dass die Menschen in diesem Land auf nichts anderes warten als auf einen Großen Aufbruch, dass ihre Herzen voll sind mit den besten Gefühlen und dass der Mut und das ganze Pathos, das eine Neugründung der Republik erfordert, schon längst da ist. Und wie versammelte sich in Deutschland die größte Menschenmenge aller Zeiten, um einem einzigen Politiker zu lauschen? Nein, das war nicht Hitler auf dem Reichsparteitag in Nürnberg, sondern der amerikanische Präsidentschaftskandidat |27|Barack Obama 2008 in Berlin mit seiner Botschaft Change.
Deshalb werde ich mich hier nicht auf die Analyse der bundesrepublikanischen Krise mit ihren vielfältigen Ausprägungen beschränken, sondern den Schwerpunkt auf die Maßnahmen legen, die getroffen werden müssen, um diesen Gestaltwandel, diese nationale Häutung erfolgreich einleiten und überstehen zu können.
Dabei wird die aktuelle Reformpolitik – oder was davon übrig geblieben ist seit der Großen Koalition – keine Rolle spielen, denn alles, was die Bundesregierungen unter Schröder und Merkel auf den Weg gebracht haben, betrifft nur die leichteren Symptome des Patienten und kann das Ende der Bundesrepublik nicht mehr aufhalten. Der Krebspatient hat im Moment vielleicht weniger Kopfschmerzen, aber auch das nur für kurze Zeit. Es gibt allerdings Leute, die sehen das anders. Die Beobachtung sinkender Wirtschaftsleistung – wir werden noch sehen, was es mit dem angeblichen Wachstum auf sich hat – bei steigender Armut und sozialer Desintegration sei eine Bewusstseinsverzerrung einer verwöhnten Zivilisation, meinte der angesehene Intellektuelle Peter Sloterdijk in einem Spiegel-Interview. Im unaufhaltsamen Abstieg der Bundesrepublik sieht der Zeitdiagnostiker nur eine „Verwöhnungspause“ und die Deutschen sollten ihren Reichtum doch mit etwas mehr Distanz und Wertschätzung betrachten. Es gibt auch wirtschaftlich zurechnungsfähigere Wunderdoktoren, bis hin zu Matthias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, oder dem ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, die in Momenten patriotischer Ergriffenheit der todkranken Bundesrepublik predigen, sie solle endlich aufstehen und loslegen wie nach dem zweiten Weltkrieg, um das nächste Wirtschaftswunder zu vollbringen. Auf diesen Zug ist eine ganze Gruppe aufgesprungen, die man Anti-Reformautoren nennen könnte. In ihren Büchern Die Reformlüge (Albrecht Müller), Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit (Heribert Prantl) oder Wir sind besser als wir glauben. Wohlstand für alle (Peter Bofinger) wollten sie uns weismachen, dass eine neoliberale Verschwörung unseren wundervollen Staat aushöhlt und die großen Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft abschaffen will. Das ist Unsinn. Das Resultat ist eine moralisierende und weitgehend entpolitisierte Kapitalismusschelte, die sich bei Franz Müntefering, alter und neuer SPD-Vorsitzender, mit der Heuschrecken-Allegorie zu beunruhigenden Symptomen von politischer Demenz verdichtete. Die damalige Regierung wie auch die Große Koalition glauben offensichtlich ernsthaft, dass die Wirtschaft |28|an der Staatsmisere schuld ist und dass sie von der Politik nur repariert oder wenigstens einmal richtig verbal gestriegelt werden muss, damit es mit Deutschland wieder aufwärts geht. Dieses Buch wird zeigen, dass kein Weg mehr zu diesem Ziel führt, zumindest nicht für die Republik des Grundgesetzes. Wir brauchen keine Gesundbeterei, keine Beschwichtigungen und keine Relativierungs- oder Ertüchtigungsrhetorik, in die inzwischen sogar der Berufszyniker Harald Schmidt völlig humorlos einstimmt, sondern eine ehrliche Diagnose verbunden mit der entsprechenden Therapie. Zum Glück sind dafür bereits wichtige Vorarbeiten geleistet worden.
Eine Reihe von Autoren hat nämlich bereits 2005 mit der gründlichen Analyse der finanziellen und der wirtschaftlichen Dimension der Krise sowie verschiedener Reformszenarien begonnen. Ein besonderer Vorteil ist, dass sie sich alle intensiv mit Prognosen beschäftigt haben, die aufgrund umfangreicher Datenerhebungen und leistungsfähiger Modelle heute viel zuverlässiger sind als noch vor wenigen Jahren. Ich werde mich darauf beschränken, die wichtigsten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dieser Reformautoren, wie ich sie nennen möchte, in einem Kapitel zusammenzufassen und die Diskussion nur noch zuzuspitzen, indem ich die definitive Ausweglosigkeit der Finanzlage im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung zeige. Wer keine Lust hat, sich mit dem Zahlenmaterial zu befassen oder meint, das alles schon zu kennen, der kann sich mit dem Fazit dieses ersten Kapitels begnügen und so gerüstet in den politischen Teil des Buches eintauchen. Im Anhang findet sich zur besseren Übersicht und für den schnellen Rückgriff das ganze finanzielle Staatsdrama in Zahlen. Dort sind die wichtigsten Daten zusammengetragen, die verdeutlichen, dass dieses Staatsgebilde Bundesrepublik wirtschaftlich und finanziell keine Chance mehr hat. Alle Reformen und auch eine kurzfristige Aufhellung der Konjunktur können daran nichts mehr ändern.
Es gibt Beobachter im In- und Ausland, die uns übertriebene Sorge attestieren. Doch sie kennen meistens nur einige volkswirtschaftliche Rahmendaten ohne viel Aussagekraft, die zum Teil schlicht falsch berechnet sind. Für sie sieht es so aus, als ob ein bisschen mehr Wachstum das Ganze schon wieder ins Lot bringen könnte. Das ist falsch. Die gefährliche Dynamik, die sich aus den Vektoren Demographie, Staatsverschuldung, Renten- und Pensionsansprüchen speist, ist ohne einen grundlegenden Systemwechsel nicht mehr aufzuhalten. Das hat bereits das Jahresgutachten 2003/2004 des Sachverständigenrates bestätigt, dessen Analyse auch heute noch gültig ist:
|29|„Die vielfach anzutreffende Vorstellung, dass über ein höheres Wirtschaftswachstum allein eine den Anforderungen der Zukunft gerecht werdende Lage der Staatsfinanzen erreicht werden könne, ist unrealistisch. Ein einfaches Beispiel mag dies verdeutlichen: Um ausgehend von den Zinslasten, Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte des Jahres 2002, auch nur eine Stabilisierung der ausgewiesenen Schuldenstandsquote in den kommenden 30 Jahren zu erreichen, müsste die Zuwachsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts jährlich über 6 v. H. betragen.“
Davon sind wir im Moment mit moderaten 0,5-1,0 % Wachstum weit entfernt und selbst mit den sagenhaften Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung vom 1. Januar 2007 ist nicht ein einziger ausgeglichener Bundeshaushalt in Sicht. Hier halte ich eine Wette gegen Finanzminister Peer Steinbrück, diesen ansonsten hervorragenden Mann, der im Sommer 2008 den ersten Haushalt ohne Neuverschuldung für 2011 angekündigt hat [die habe ich wohl bereits gewonnen; R. G. 2010]. Die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik wird 2008 bis 2011 und auch danach möglicherweise nur eine relative Verlangsamung der Schuldenaufnahme bewirken. Wahrscheinlicher ist, dass die bereits durchgeführten Zinserhöhungen im Euroraum sowie die zusätzlichen Lasten aus dem 480-Milliarden-Rettungspaket die fiskalischen Effekte der Mehrwertsteuererhöhung komplett verpuffen lassen. An Tilgung ist nicht einmal zu denken.
In dem Gutachten wurde zugleich eine große Hilflosigkeit deutlich, denn die rein wirtschaftliche Betrachtung kann zur Rettung des Staates kaum noch etwas beitragen. Die Rede von Liberalisierung und Deregulierung, von Arbeitsmarkt- und Steuerreform ist nur noch ein Stottern der ökonomischen Vernunft vor dem sich auftürmenden Katastrophenszenario. Die mutig vorgebrachte Forderung nach der Streichung von Subventionen, die im besten Fall gerade einmal 25 Milliarden Euro pro Jahr bringt, steht wie ein Zwerg vor der anderen, riesenhaften Zahl, die das Gutachten einige Seiten zuvor bestätigt hat: Bald wird die Bundesrepublik jedes Jahr 125 Milliarden Euro zusätzlich brauchen, um den Schuldenstand über die nächsten 30 Jahre stabil zu halten, d. h. ohne Tilgung der heutigen Schulden.
Dieser zusätzliche Bedarf könnte entweder über Einsparungen oder durch Mehreinnahmen bewerkstelligt werden – theoretisch! Denn dort führt im Rahmen der deutschen Wirtschaft und des Grundgesetzes bisher kein Weg hin. Das damalige Gutachten wollte keinen Zweifel daran |30|lassen, dass Steuer- und Abgabenerhöhungen ausgeschlossen sind. Danach, im Januar 2007, hatten wir dann doch noch eine massive Steuererhöhung. Wenn diese nichts ändert, dann kommen also nur noch Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben in Frage. Aber wie soll das gehen? Sicherheitshalber wurde in den vier Gutachten seit 2003/4 der kumulierte Wert der auf den Staat zukommenden Pensionszahlungen nirgends gesondert ausgewiesen, denn dann wäre klar geworden, wie riesig der Schuldenberg ist, unter dem die Haushalte bald begraben sein werden.
Mit anderen Worten, die Krise beginnt gerade erst und lässt sich mit den Instrumenten der Wirtschaftspolitik gar nicht mehr lösen. Hier muss man mit anderen, mit neuen Mitteln ans Werk gehen. Wir befinden uns in einer Krise ohne Alternative, die, wenn nichts Einschneidendes unternommen wird, bald zu einer bizarren Form der Diktatur abgleiten wird, wie ich später noch erläutern werde. Doch es gibt noch eine Möglichkeit. Wir müssen das System, in dem wir leben, einreißen und komplett neu aufbauen. Das kann nur in einem sehr ursprünglichen Sinn politisch gelingen.
Seit Mitte der 90er Jahre gibt es einen enormen Schub im volks- und betriebswirtschaftlichen Allgemeinwissen in der deutschen Bevölkerung. Die Gründe dafür sind vielfältig: Das Ende der Ära Kohl, das für die rotgrüne Regierung mit einem ernüchternden Kassensturz begann, dann der kurze Boom...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Impressum
  3. |11|Vorwort zur 2. aktualisierten, erweiterten und verschärften Auflage
  4. |23|Vorwort zur 1. Ausgabe
  5. |25|Einleitung
  6. |35|Der unsichtbare Staatsbankrott oder Es ist zu spät
  7. |61|I. Diagnose: Akute Politikarmut
  8. |119|II. Therapie: Eine neue Republik
  9. |122|Trade-Off oder das Prinzip des politischen Verzichtvorteils
  10. |133|Dominotheorie der demokratischen Revolution
  11. |180|Eine neue Parteiform
  12. |217|Demokratische Revolution in vier Akten
  13. |241|Die acht Todsünden der Bundesrepublik
  14. |307|Literatur
  15. |311|Sachregister
  16. |313|Personenregister
  17. |6|Hinweis
  18. Informationen zum Autor
  19. Informationen zum Buch