Mit blauen Augen
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Mit blauen Augen

Roman

  1. 288 Seiten
  2. German
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Mit blauen Augen

Roman

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Über dieses Buch

Ein Vorort von Stuttgart, 1957: Es gibt offene Straßenbahnen, eine Dorfschmiede, den Geruch von Bohnerwachs auf Linoleum, das magische Auge im Radio und selbstgemachte Maultaschen. Gleichzeitig liegt ein Mann im Sterben: Franks Vater. Frank, sieben Jahre, Schulanfänger, erlebt alles hautnah mit.Trotz der schwierigen Umstände schmunzelt der Leser, wenn er den seltsamen Alltag der Erwachsenen mit den Augen eines Siebenjährigen sieht: Warum darf kein fremder Mann im Bett von Franks Tante schlafen, wenn er müde ist? Was geschieht eigentlich mit dem toten Mädchen, das in der Leichenhalle liegt und mitten in dem Blumenmeer wie Schneewittchen aussieht? Was hat ein heimlicher Nazi 1957 im Haus der jungen Witwe verloren?Rückblenden schildern die Liebesgeschichte von Franks Eltern, Arnold und Elisabeth, zwischen Berlin und Stuttgart in den Wirren des Zweiten Weltkriegs und ihre erschreckend blauäugige Sicht auf das "Dritte Reich".

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783842517363

1

JANUAR 1957. Draußen schneit es endlich. Ein Vorort von Stuttgart: Platanenallee, ein paar Streuobstwiesen und dazwischen die Häuser. Es gibt eine Metzgerei, die selbst gemachte Maultaschen anbietet und eine Schmiede, in der Pferde beschlagen werden. Freitags stinkt es nach verbranntem Horn.
Mitten durch den Ort: die Straßenbahn. Offene Waggons, die man noch während der Fahrt durch beherztes Aufspringen erreichen kann und die einen direkt bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof bringen.
Frank ist gerade sieben geworden und steht am Fenster. Die Schneedecke ist zu dünn für Schneemänner und zum Rodeln reicht es auch noch nicht. Er hat schlechte Laune, will den Kinderfunk hören, aber der einzige Radioapparat ist in Brittas Zimmer, in dem sein kranker Vater inzwischen liegt und schläft.
Frank blickt schräg nach oben. Weißkörniger Himmel wie Grießbrei. Er wird noch ein Weilchen warten müssen, bis der Schnee zu gebrauchen ist. Inzwischen wirbeln die Flocken herunter und bleiben auf den Platanenästen liegen. Seltsame Bäume, deren Rinde so aussieht, als würden die Bäume ständig ihre Haut wechseln.
Auf dem Trottoir der Schokoladenstraße, die eigentlich anders heißt, wird die Schneeschicht immer dicker. Weil die amerikanischen Soldaten, die mit ihren Militärlastern hier vorbeifahren, Schokoladenstücke nach draußen werfen, hat Frank die Straße so genannt. Und wenn die armen, deutschen Kinder ihnen zuwinken und hau du ju du und sänk ju rufen, lachen die Soldaten und werfen manchmal noch mehr. Frank weiß, dass man das sänk ju so aussprechen muss, als ob man lispelt. Neulich war nämlich ein echter Amerikaner zu Besuch gewesen, ein Freund von seinem Vater, den er getroffen hat, als er von den Amis gefangen gehalten wurde, und der hat es Frank beigebracht und viel gelacht. Aber die fröhliche Stimmung ist jetzt vorbei.
Hinter ihm und neben ihm hört er die Stimmen der anderen. Flüstern, verhaltenes Husten, leise Tritte, obwohl sein Vater sie sowieso nicht hört. Er hat die Augen geschlossen, schwitzt und stöhnt. Einmal hat Frank das Krankenzimmer betreten, hat sich leise hereingeschlichen, um zu sehen, wie es mit dem Kinderfunk aussieht. Es ist eigentlich das Zimmer seiner Schwester. Das Gesicht seines Vaters ohne Brille: blass und fremd.
Er ist sogar wach gewesen und lächelte kurz, als Frank neben seinem Bett stand.
»Na wie geht’s?«, fragte sein Vater.
»Ganz gut, aber dir nicht so gut.«
»Ziemlich schwach«, flüsterte er. Da sah Frank eine Spinne, die über die Bettdecke krabbelte.
»Da ist … da ist eine Spinne«, sagte er.
»Wo?«
»Auf der Bettdecke. Soll ich sie …?«
Sein Vater richtete sich auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nein!«, krächzte er. »Lass sie, du weißt doch, dass ich … dass ich Spinnen mag. Wenn ich wieder … gesund bin, erzähl ich dir, warum.«
Frank nickte und ließ die Spinne mit seinem Vater allein.
Es fällt ihm wieder ein, dass sein Vater auch früher schon versucht hat, die Spinnen vor dem Staubwedel seiner Frau zu retten. Komisch, denkt er. Er selbst findet Spinnen eher eklig.
In der ganzen Wohnung riecht es nach Bohnerwachs, weil die Mutter das Linoleum auf Hochglanz gebracht hat mit ihrem Blocker. Schweres Instrument. Eisen mit Putzlappen und langem Stiel, auf das sich Frank manchmal stellen darf, wenn seine Mutter blockt. Bohnern und Blocken ist wichtig. Gerade jetzt! Der Arzt und die Besucher sollen nicht überall herumerzählen, es sei dreckig bei ihnen. Seine Mutter ist nämlich eine ganz saubere Frau und kommt aus Wasseralfingen von der Schwäbischen Alb. Stuttgart, die Stadt, in der sie wohnen, ist zwar auch schwäbisch, aber nur sanft schwäbisch. Dort sagt man zu Frauen Frauen und nicht Weiber.
Frank hat genug von dem leisen Gemurmel und von seinem kranken Vater, der ihm den Kinderfunk vermiest hat. Er möchte nach draußen.
Im Treppenhaus riecht es nach Königsberger Klopsen, das Essen der Flüchtlinge aus dem Osten. An dem Nagel neben der Tür hängt das Pappschild, auf dem »Kehrwoche« mit verschnörkelten Buchstaben steht.
Es ist gar nicht so kalt. Nach dem Bohnerwachsduft, in dem der dünne Geruch von Krankheit wie ein roter Faden verwoben ist, riecht die Luft draußen doppelt so gut: Wasser, frische Wäsche, Winter.
Der Grießbreihimmel ist von irgendwelchen Himmelsbewohnern teilweise weggefressen worden. Es sind sogar ein paar himmelblaue Flecken zu sehen. Wie Blaubeermilch.
Seine Hände hat Frank in der abgetragenen Cordjacke seines großen Bruders vergraben und drückt die Absätze in den Schnee. Direkt gegenüber der Haustür steht ein riesiger Kirschbaum, der bis über das Hausdach reicht und an dem im Sommer große Herzkirschen hängen. Aber jetzt ist er kahl und macht mit dem Wachsen Pause. Eine papierdünne Rinde, die sich ringelt, wenn man sie abzieht. Weiß bestäubt, dort, wo sie sich zu viel ringelt.
»So viel Aufregung, nur weil Papa Grippe hat«, murmelt Frank und öffnet das Gartentor. Er wird Bernhard besuchen, der am Ende der Hauptstraße wohnt. Fünf Minuten Fußweg.
Bernhard wird ihn auf andere Gedanken bringen. Er ist bekannt wegen seiner kühnen Aktionen. Letztes Jahr fand er Gefallen daran, immer knapp vor einer fahrenden Straßenbahn über die Straße zu rennen. Vor zwei Wochen hat er sich vom dritten Stock abgeseilt und das Seilende im Zimmer um die Kommode gebunden, die sich dann durch Bernhards Gewicht quer durchs Zimmer geschoben und ein paar Schleifspuren auf dem Linoleum hinterlassen hat, ganz abgesehen von den Gläsern, die im Inneren der Kommode umgefallen sind.
»Was soll aus dem Jungen bloß werden?«
Die ständigen Ausrufe von Bernhards Mutter, dabei sollte sie stolz sein auf Bernhard, denkt Frank. Keiner ist so mutig wie er.
Diesmal hat Bernhard einen Abgrund entdeckt. Bauarbeiter haben ein Loch gegraben, um Rohre zu verlegen. Wenn man ein Seil um einen Baum bindet, kann man sich in den Abgrund hinunterlassen. Es ist zwar ein bisschen dreckig, aber richtig gefährlich und toll.
Als Frank nach Hause kommt, sieht er den Krankenwagen. Zwei Männer tragen auf einer Krankenbahre jemanden heraus. Als er seine Mutter mit roten Augen sieht, fällt ihm ein, dass es vielleicht sein Vater sein könnte. Aber der hat doch nur eine Grippe!
»Was ist denn los?«, fragt er Britta, seine Schwester.
»Papa muss ins Krankenhaus. Kein Mensch weiß genau, was er hat. Wie siehst du denn aus? Zieh dich mal schnell um, bevor dich Mama sieht. Die hat jetzt genug Sorgen.«
Frank schleicht durch den Hausflur und denkt, dass er morgen endlich wieder den Kinderfunk hören kann.
Die nächsten Tage sind seltsam: Der Schnee fällt, und Frank ist draußen, wenn er seine paar Schularbeiten gemacht hat. Aber immer, wenn er nach Hause kommt, ist es so, als würden die anderen gerade aufhören zu reden. Und seine Mutter blickt manchmal nach draußen, ohne nach draußen zu blicken, was sie sonst nicht macht. Meistens fehlt sie aber nachmittags, weil sie nach Stuttgart ins Krankenhaus fährt.
Drei Tage später ist sein Vater im Krankenhaus gestorben. Die kleine Wohnung wird voll. Überall stehen oder sitzen Leute herum mit nassen oder roten Augen. Seine Mutter weint still vor sich hin. Frank weint nicht, obwohl er doch traurig sein müsste. Immerhin ist sein Vater gestorben. Aber der Junge spürt keinen Kloß im Hals, seine Augen brennen nicht und die Heulschlange, die doch sonst so schnell nach oben kriecht, um seine Tränen herauszupressen, liegt ruhig zusammengerollt in seinem Bauch.
Da legt ihm jemand die Hand auf die Schulter. Frank blickt hoch. Es ist Eduard, der Freund von seinem Onkel Hermann.
»Na, Frank?«, sagt er und lächelt. »Traurig, dass dein Vater gestorben ist?«
Frank findet es seltsam, dass der Mann lächelt, obwohl er eine traurige Frage gestellt hat.
»Ja, schon«, sagt er einsilbig.
»Wenn du mal einen Ersatzvater brauchst, dann melde dich.« Er tätschelt ihm lässig auf den Rücken. »Alles klar?«
»Mm«, sagt Frank und versucht, Eduard und seinem Vaterangebot zu entkommen. Später sieht er ihn in der Küche, wie er versucht, mit seiner Mutter zu scherzen.
Die nächsten Tage nach dem Tod des Vaters sind unheimlich. Frank kann schlecht einschlafen, weil er in der vorigen Nacht im Traum gesehen hat, wie sein Vater durch die Wohnung gegangen ist, um ihm das Radio wegzunehmen. Einfach so, ohne Kommentar, als ob er gewusst hätte, dass Frank sich nur für den Kinderfunk interessiert und nicht für den kranken Vater.
Obwohl der Vater sonst ein ganz netter Mensch ist. Oder gewesen ist. Er hat mit Frank Waldspaziergänge gemacht, hat ihm Lieder auf dem Klavier vorgespielt, kürzlich noch die sechste Symphonie von Beethoven erklärt, wo es blitzt und donnert und die Sonne wieder scheint. Und er hat ihm beim Baden in der Wanne seine Kriegsnarbe auf dem Oberschenkel gezeigt, wo sich ein Granatsplitter in das Fleisch gebohrt hat und wieder herausgeschnitten wurde. Er hat Frank allerdings auch mal verhauen, weil er zu spät nach Hause gekommen ist und sich alle Sorgen um ihn gemacht haben.
Manchmal hat sich sein Vater von der Arbeit heimlich ins Haus geschlichen, um die Familie beim Abendessen zu überraschen, zusammen mit einem Bückling. Geräucherte Heringe, die nicht viel kosten, aber trotzdem gut schmecken. Delikatessen für kleine Leute.
Wenn Franks Vater nachts im Traum durch die Wohnung in Stuttgart schleicht, hat er seinen dicken Mantel mit dem Fischgrätmuster an. Es muss ja auch ziemlich kalt sein, wenn man im Januar im Grab liegt.
Aber liegt er überhaupt tagsüber in seinem Grab? Und wartet er wirklich auf das ewige Leben? Frank weiß es nicht so genau.
Er würde gerne einmal im Sarg nachschauen, aber das geht nicht. Er hat zu große Angst, und außerdem kann er allein den Sarg gar nicht ausgraben und aufmachen. Er ist ja erst sieben.
Gegen die Totenangst, die ihn manchmal aufwachen lässt, hilft nur das große Bett der Mutter, die warme Haut auf ihren Armen und der weiche Stoff ihres Nachthemds, den er in der Dunkelheit zu Hügeln und Bergen formt und dann durch Glattstreichen wieder in Flachland verwandelt.
»Was machsch denn dauernd an meim Nachthemed rom?«, murmelt sie. Und er versucht, ohne Landschaften einzuschlafen.
Und die weichen Zöpfe von Martina helfen auch gegen die Totengedanken. Die Zöpfe sind so schön dick, biegsam und rot, riechen so gut. Martina ist seine Freundin, ohne seine Freundin zu sein. Niemals würde er zu den anderen sagen, dass sie seine Freundin sei. Aber sie spielen manchmal zusammen und ab und zu darf er ihre Zöpfe in die Hand nehmen und daran riechen. Sie haben einen so besonderen Mädchenhaarduft, dass er sie am liebsten aufessen möchte, wenn sie nicht so haarig wären. Sie riechen ein bisschen nach Haut und Seife und nach einem Geruch, der Ähnlichkeit mit Vanillepudding hat.
Frank hat sich in sie von hinten verliebt, in ihre Zöpfe, und er nimmt das Übrige eben in Kauf. Und ihre Stimme klingt nicht schlecht.
Abends braucht sich Frank nur die Zöpfe von Martina vorzustellen, wenn der Geist mit dem Fischgrätmuster durchs Haus schleicht, dann kommt er auf andere Gedanken.
Oft steht Frank vor dem Fenster und blickt auf die Straße. Seine Mutter denkt wahrscheinlich, dass er vielleicht doch ein bisschen traurig ist, weil sein Vater gestorben ist, und streicht ihm über den Kopf. Aber er denkt an etwas anderes. Es könnte doch sein, dass wieder mal ein Laster die Straße herunterholpert und die Soldaten aus Amerika mit Schokolade werfen. Und dann muss er schnell hinaus und hau du ju du und sänk ju rufen, obwohl hau du ju du ziemlich komisch klingt, als ob jemand verhauen wird. Da ist doch Grüß Gott viel kürzer und schöner.
Am Tag, als die Traueranzeige in der Zeitung erscheint, kommen die Leute, die im Haus wohnen, zu ihnen hinunter, um ihr Beileid auszudrücken. Komisch, dass es ein Beileid und ein Mitleid gibt, denkt Frank. Dann müsste es doch auch ein Umleid oder ein Nebenleid geben.
Direkt über ihnen wohnt eine Frau, die Martha Granuleit heißt und dauernd im Bett liegen muss. Eine von den Flüchtlingen.
Weil sie nicht schwäbisch spricht, hat Frank ein wenig Angst vor ihr. Er war früher nur kurz mal oben und hat sie gesehen, wie sie auf ihrem Bett liegt wie auf einem Thron. Sie kommt nicht herunter, weil sie gelähmt ist, aber ihre Tochter und ein Mann, der nicht ihr Ehemann ist, kommen zu einem Beileidsbesuch. Seine Mutter sagt, Frau Granuleit hat sich mit den Amis eingelassen und hat vor vielen Jahren einen Autounfall gehabt, weil sie zu übermütig war. Und seitdem sei sie gelähmt. Das hat sie nun davon.
»Ibermut tut sälden gut«, sagt seine Mutter. Jetzt liegt Frau Granuleit im Bett, direkt neben dem Fenster und sieht auch ab und zu die Amilaster vorbeifahren. Sie ist ziemlich fromm geworden und hat sogar ein Harmonium in ihrem Zimmer stehen, das hat Frank einmal gesehen. Manchmal spielt jemand einen Choral darauf, der bis zu ihnen nach unten wimmert. »Harre, meine Seele …«
Die sechzehnjährige Tochter von Frau Granuleit heißt Tamara. Sie ist schon voll entwickelt, sagt sein Bruder, und kann mit den Hüften wackeln. Außerdem hat sie keinen richtigen Vater, aber dafür schon einen Freund, der abends sogar vor ihrem Fenster Lieder singt. Hartmut findet das idiotisch und überlegt, ob er an der Dachrinne einen Blumentopf befestigt, den man mit Hilfe einer Schnur herunterfallen lassen kann.
»Von den Amis ist die Tochter jedenfalls nicht«, sagt seine Mutter. »Dafür ist sie zu alt.«
Und ganz oben unter dem Dach wohnen die Mergenthalers, zwei Eltern, zwei Kinder und eine Oma. Der Junge, der Jürgen heißt, ist in Franks Alter und seine Schwester Margret liebt Lakritzschnecken und hat oft braune Zähne. Dann lebt die Oma dort, deren Mann im ersten Krieg gefallen ist. Er muss ziemlich stark gefallen sein, denkt Frank, sonst wäre er nicht tot.
Überhaupt der Krieg! Frank ist ja erst fünf Jahre danach geboren und seine Geschwister sagen immer, er sei deswegen ein Friedenskind. Einmal hat ihn sein Bruder Hartmut so wütend gemacht, dass er ein Vergrößerungsglas nach ihm geworfen hat, und dabei ist Hartmuts Vorderzahn abgebrochen. Seitdem hat das Gerede mit dem Friedenskind aufgehört.
Für Frank ist der Krieg unheimlich. Er hat viel von Dinosauriern gehört und stellt sich vor, dass sie auch im Krieg mitgemischt haben. Andererseits muss der Krieg auch toll gewesen sein, denn Onkel Fritz aus der Verwandtschaft seines Vaters, erzählt immer begeistert davon, wo er überall gewesen ist und wie sie dem Iwan eingeheizt haben. Aber gewonnen haben sie dann trotzdem nicht. Es gibt Nächte, da lässt ihn sein toter Vater in Ruhe, und dann denkt er daran, dass er gar nicht so schlecht gewesen ist. Er konnte ziemlich viel. Zum Beispiel konnte er schwäbisch sprechen, ohne Schwabe zu sein. Seine Familie stammt aus Braunschweig und Sachsen, und deswegen ist auch Onkel Fritz kein richtiger Schwabe.
Sein Vater ist auch furchtbar musikalisch gewesen. Er konnte wahnsinnig gut Klavier und Orgel spielen.
Wenn Frank abends nicht schlafen kann, pfeift er manchmal vor sich hin, weil er denkt, dass er au...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Über den Autor
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Kapitel 1
  7. Kapitel 2
  8. Kapitel 3
  9. Kapitel 4
  10. Kapitel 5
  11. Kapitel 6
  12. Kapitel 7
  13. Kapitel 8
  14. Kapitel 9
  15. Kapitel 10
  16. Kapitel 11
  17. Kapitel 12
  18. Kapitel 13
  19. Kapitel 14
  20. Kapitel 15
  21. Kapitel 16
  22. Kapitel 17
  23. Kapitel 18
  24. Kapitel 19
  25. Kapitel 20
  26. Kapitel 21
  27. Kapitel 22
  28. Kapitel 23
  29. Kapitel 24
  30. Kapitel 25
  31. Kapitel 26
  32. Kapitel 27
  33. Kapitel 28
  34. Kapitel 29
  35. Kapitel 30
  36. Kapitel 31
  37. Kapitel 32
  38. Kapitel 33
  39. Kapitel 34
  40. Kapitel 35
  41. Kapitel 36
  42. Kapitel 37
  43. Kapitel 38
  44. Kapitel 39
  45. Kapitel 40
  46. Kapitel 41
  47. Literatur
  48. Weitere Bücher und E-Books aus dem Silberburg-Verlag