Das suchende Herz
eBook - ePub

Das suchende Herz

Der innere Weg von Etty Hillesum

  1. 336 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Das suchende Herz

Der innere Weg von Etty Hillesum

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Erst in den 1980er Jahren wurde das Tagebuch bekannt, das die junge Amsterdamer Jüdin Etty Hillesum während der deutschen Besatzung von 1941 bis zu ihrer Ermordung 1943 geführt hatte. Geschrieben im Bewusstsein der bevorstehenden Vernichtung, ist es ein bewegendes Zeugnis der Selbstsuche, des Ringens mit der Gottesfrage, aber auch der Menschlichkeit, ja der ungebrochenen Freude am Leben, das heute weltweit gelesen wird. Paul Lebeau zeichnet den spirituellen Weg Etty Hillesums nach. Er bietet eine allgemeinverständliche Einführung in ihr Leben und ihre innere Entwicklung. In zahlreichen Zitaten kommt sie selbst zu Wort.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Das suchende Herz von Paul Lebeau, Peter Knauer im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theology & Religion & Religious Biographies. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

KAPITEL IX
»Der Welt einen neuen Sinn anbieten, der aus den tiefsten Brunnen unserer Not und unserer Verzweiflung kommt …«149

Wahrscheinlich an dem Tag, an dem sie sich als Freiwillige für das Lager Westerbork meldete, kritzelte Etty auf einem Zettel, den sie in eines ihrer Hefte auf der Seite des 22. Juli [1942] einlegte: »Mein Herz ist heute schon wieder einige Male gestorben, aber es ist auch schon wieder auferstanden« [opgestaan] (S. 528).
Einen Christen erinnert dieser Satz an das Pascha-Mysterium, das Ostergeheimnis, den existentiellen »Übergang« Christi, der angesichts des Todes und in der Prüfung der Gottverlassenheit (Matthäus 27,46) sich Gott anvertraut und aus seinem Tod einen Akt des Gehorsams macht. Damit hat er dem menschlichen Tod die bloße Schicksalhaftigkeit genommen und ihn in einen Akt der Freiheit verwandelt: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist«, die Lebenskraft, die ich von dir empfangen habe (Lukas 23,46).
Ohne Ettys Erfahrung, die sie uns in dieser letzten Etappe ihres Lebens mitteilt, im genauen Sinn dieses Wortes als »christlich« bezeichnen zu können, orientiert sie sich doch in derselben Richtung, die durch den österlichen Hingang Christi in der menschlichen Geschichte vorgezeichnet worden ist. Seit ihrer ersten Berührung mit diesem kleinen Universum von Westerbork, hat sich Etty in einer Tiefe daran gebunden, die sie selber erstaunt. Aus Gesundheitsgründen nach Amsterdam zurückgekehrt, schreibt sie auf Deutsch an Osias Kormann,150 einen Juden polnischer Herkunft, der ebenfalls beim Jüdischen Rat arbeitet und mit dem sie sich freundschaftlich verbunden fühlte.
»Ein kleiner Gruß aus dieser großen Stadt. Ich gehe hier durch die viel zu vielen Straßen und Westerbork geht mit mir mit. Es ist merkwürdig, daß man in so kurzer Zeit so sehr mit einem Ort und dessen Einwohnern verwachsen kann. Ich komme gerne wieder zurück, wie schwer es mir auch fällt, mich hier von sehr nahestehenden Menschen trennen zu müssen. Aber irgendwie fühle ich mich hingetrieben zu diesem kleinen Fleck mitten auf der Heide, wo soviel Menschenschicksal zusammengeschmissen ist. Ich kann mir noch gar nicht erklären, warum das so ist, vielleicht wird mir das später mal klar werden, aber jedenfalls: ich komme zurück« (Brief vom 14. August 1942, S. 601).
Dies Hingetriebensein hängt auch damit zusammen, dass Etty, die instinktiv Gemeinsamkeiten mit bestimmten Menschen erfasste, in Westerbork tiefe Freundschaften knüpfte. Davon zeugen mehrere Briefe aus dieser Zeit, zum Beispiel auch dieser, der ebenfalls an Osias Kormann gerichtet ist:
»Wie wird meine verwaiste Schreibmaschine sich gefreut haben, daß endlich mal wieder etwas Schönes auf ihr geschrieben worden ist!
Zu bedenken, daß es da irgendwo in Holland eine Heide gibt mit einem kleinen hölzernen Barackendorf und daß da ein Mensch lebt, der Osias Kormann heißt und gute Augen hinter Brillengläsern hat, der einem schreibt:
›Du bist wirklich schöpferisch, Du hast etwas um mich geschaffen, was lebt –‹ – das hat mich ganz groß gepackt, weißt Du? […]
Wenn es mal keinen Stacheldraht mehr in der Welt gibt, kommst du dir mein Zimmer ansehen, es ist so schön und ruhig. Ich verbringe halbe Nächte an meinem Schreibtisch, lesende und schreibende, bei der kleinen Lampe. Ich habe da ungefähr 1500 Seiten Tagebuch liegen vom vergangenen Jahr, die lese ich mir mal durch. Was für ein reiches Leben mir da von jeder Seite entgegenspringt. Und daß das mein Leben war. Und immer noch ist. Eigentlich weißt Du noch nicht viel von mir und ich nicht von Dir. Tatsachen, meine ich. Aber auf die Tatsachen kommt es doch gar nicht an im Leben, nur was man durch sie geworden ist. Also, ich denke, wir wissen doch ein bischen von einander?«
(Brief vom 28. September 1942, S. 604 f.)
Für uns ist es spannend, diesen Eindruck zu erfahren, den Etty selbst bei der Lektüre ihres Tagebuchs gewinnt. Ist dies nicht auch unser eigener Eindruck? Ein weiterer Brief an denselben Empfänger zeugt ebenfalls von wohltuender und vertrauender Freundschaft:
»Wie gemütlich haben wir immer an dem Stacheldraht entlang spaziert und was für gute Freunde waren wir, in so kurzer Zeit so gute Freunde. Hast Du noch manchmal Zeit, mir einen freundschaftlichen Gedanken hinüberzusenden (schreiben wird wohl unmöglich sein, das verstehe ich) und vielleicht kannst Du Dir Kraft schöpfen aus dem großen Freundschaftsgefühl, das ich für Dich habe und das dauernd ist?« (Brief vom 9. Oktober 1942, S. 608).
Im gleichen Brief folgt ein Hinweis auf eine andere sehr liebe Freundschaft, die mit Joseph (Jopie) Vleeschhouwer. Der ehemalige Bankangestellte war wie Etty Mitarbeiter des Jüdischen Rats.151 Etty nennt ihn ihren »Waffenbruder« (16. September 1942, S. 548; vgl. S. 577 und 605.).
»Heutemorgen früh ist Vleeschhouwer von hier weggefahren, er hat noch dafür kämpfen müssen, hinzukommen, man wollte ihn erst in Amsterdam behalten, aber wie ein tapferer kleiner Soldat wollte er unbedingt zu seiner Front. Ich fühle mich fast wie eine Art Deserteur, daß ich jetzt nicht bei euch bin« (Brief vom 9. Oktober 1942, S. 608).
Etty teilt auch die Sorge ihrer Freunde angesichts dessen, was sie die »Animosität« (Brief vom 28. September 1942, S. 605) zwischen den holländischen und den deutschen Juden in diesem Lager nennt. Letztere waren die ersten Insassen gewesen; um sie aufzunehmen, hatten die niederländischen Behörden diese Barackenreihen gebaut, die noch mit relativem Komfort ausgestattet waren. Die Deutschen sahen die massenhafte Ankunft ihrer holländischen Religionsgenossen ungern, weil ihre große Zahl zur Desorganisation des Lagerlebens führte. Nachdem Westerbork seit dem 1. Juli 1942 offiziell unter deutsches Kommando gestellt worden war, wurde die deutsche Sprache für alle auszufüllenden Formulare verpflichtend, was die Diskriminierung der niederländischen Juden gegenüber den deutschen Juden noch verstärkte; sie wurden fast alle von wichtigen Aufgaben ausgeschlossen, während die deutschen Juden in der Verwaltung allgegenwärtig waren.152 Es ist wenig überraschend, dass Etty nicht bereit war, sich mit dieser stummen, aber tiefen Feindschaft zwischen den beiden Gruppen abzufinden. Während sie noch in Amsterdam ist, schreibt sie Kormann ihren Wunsch, dazu beizutragen, diese Feindschaft zu verringern:
»Ich habe es oft vor mir, dieses Westerbork und gehe in Gedanken die modrigen Wege. Es ist mir dabei sehr ernst zu Mute. Es wartet uns eine große Aufgabe, glaubst Du nicht, um den Winter, der schwer sein wird, einigermaßen befriedigend durchzukommen. Und ich glaube es wird in letzter Instanz mehr auf unsere menschlichen als auf unsere organisatorischen und technischen Talente ankommen (letztere gibt es ja so wie so von selber schon, man braucht darüber doch nicht soviel Lärm zu machen, oder sehe ich das vielleicht zu naiv?). Es wird wohl nicht einfach sein eine Brücke zu bauen zwischen Kampinsassen und jüdischem Rat? Ich weiß, der jüdische Rat hat große Fehler gemacht und macht sie noch, Menschen mit der Mentalität von einem Vleeschhouwer gibt es noch zu wenig bei uns. Aber wir haben gute Elemente, hoffentlich werden die den Weg zu euch finden und ihr auch zu ihnen« (Brief vom 28. Oktober 1942, S. 609).
Ettys stetes Bemühen, Kleinlichkeiten und Groll zu überwinden, der die Menschen voneinander entfernt, kommt ebenfalls sehr deutlich in einem Brief zum Ausdruck, den sie auf die inständige Bitte eines Dr. K.153 Ende Dezember 1942 an zwei Schwestern in Den Haag schreibt. Sie nennt den Namen nicht, weil der Brief in die Zensur geraten könnte. Es handelt sich um einen langen und sehr detaillierten Bericht über das Leben im Lager. In den abschließenden Zeilen beurteilt Etty sich selbst – wie wir das bereits häufiger feststellen konnten – mit einer Strenge, die übertrieben scheinen mag.
»Und nun habe ich Sie durch mein langwährendes Geschwätz vielleicht wohl zu der Vorstellung gebracht, ich hätte Ihnen etwas über Westerbork erzählt? Wenn ich dieses Westerbork vor meinem geistigen Auge entstehen lasse, mit allen seinen Facetten und seiner bewegten Geschichte, in allen seinen geistlichen und materiellen Nöten, dann weiß ich, dass mir dies überhaupt nicht gelungen ist. Und darüber hinaus handelt es sich um einen sehr einseitigen Bericht. Ich könnte mir einen solchen vorstellen, der mehr von Hass und Verbitterung und Aufstand erfüllt wäre.
Aber Aufstand, der erst geboren wird, wenn die Not die eigene Person erreicht, ist kein echter Aufstand und wird niemals fruchtbar sein können.
Und Abwesenheit von Hass bedeutet noch nicht die Abwesenheit einer elementar-sittlichen Entrüstung.
Ich weiß, dass diejenigen, die hassen, dafür Grund und Ursache haben. Aber warum sollten wir immer wieder den leichtesten und billigsten Weg wählen müssen? Ich habe dort so stark erfahren, wie jedes Atom Hass, das zu dieser Welt hinzugefügt wird, sie unwirtlicher macht, als sie bereits ist« (Brief von Ende Dezember 1942, S. 629).
In diesem langen Bericht154 zeichnet Etty ein ergreifendes Bild vom täglichen Leben im Lager Westerbork, von seiner Organisation, seiner so unterschiedlichen Bewohnerschaft, vom Elend und den falschen Hoffnungen der Insassen; sie offenbart uns auch die Tiefe und Großmut ihres Herzens in der Prüfung durch eine solche menschlichen Grenzsituation. Mit Recht hat man dazu beobachtet: »Bei sehr vielen Menschen würde eine solche Extremsituation Verwirrung oder Apathie auslösen. Bei Etty ereignet sich das Gegenteil, eine unbeirrbare Lebensintensität«155 aber auch, so würden wir hinzufügen, eine unerschöpfliche Fähigkeit zu Zartheit und Mitleid. Aber lassen wir sie selbst sprechen, während sie sich für einige Zeit von der sie umgebenden Menge absondert, um den beiden Schwestern zu schreiben:
»Ich ging dort die ersten Tage umher wie durch die Blätter eines Geschichtsbuchs. Ich traf dort Menschen an, die bereits in Buchenwald und Dachau gesessen hatten zu einer Zeit, als diese Namen für uns noch ferne und drohende Laute waren.
Ich traf dort Menschen an, die noch auf jenem Schiff gesessen hatten, das durch die ganze Welt fuhr und in keinem einzigen Hafen anlegen durfte.156 […] Ich habe Fotos von kleinen Kindern gesehen, die inzwischen auf dem einen oder anderen unbekannten Flecken der Erde ein ganzes Stück gewachsen sein müssen – die Frage ist, ob sie ihre Eltern noch wiedererkennen werden, wenn...

Inhaltsverzeichnis

  1. COVER
  2. NAVIGATION
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Einführung
  5. KAPITEL I»Es gibt in mir auchBizarres, Abenteuerliches und Launisches …«11
  6. KAPITEL II»Seit ein schwerer, uneleganter Mann in mein Leben eingetreten ist …«21
  7. KAPITEL III»Auch sie sind in meinem Leben,sie bevölkern mein Leben«38
  8. KAPITEL IV»Meine langen Nächte, dass ich sitzen und schreiben werde, das werden meine schönsten Nächte sein«64
  9. KAPITEL V»Das Mädchen, das nicht knien konnte und es doch lernte …«70
  10. KAPITEL VI»Ich werde dir helfen, Gott, dass du in mir nicht schwindest …«87
  11. KAPITEL VII»Von allen Seiten schleicht unsere Vernichtung heran …«105
  12. KAPITEL VIII»Die Möglichkeit des Todesso absolut in mein Leben aufgenommen …«136
  13. KAPITEL IX»Der Welt einen neuen Sinn anbieten, der aus den tiefsten Brunnen unserer Not und unserer Verzweiflung kommt …«149
  14. Anhang
  15. Nachwort
  16. ÜBER DEN AUTOR
  17. ÜBER DAS BUCH
  18. IMPRESSUM
  19. HINWEISE DES VERLAGS