Klimazonen des Lebens
Zwei Monate später erwartet mich die Arbeitslosigkeit. Weil man aus »hauspolitischen Gründen« nicht bereit ist, mir die dritte befristete Stelle in Folge anzubieten. Diese hätte zu einer unbefristeten Beschäftigung geführt, die will und kann man mir nicht geben.
Die Mau heißt die Zeit der Arbeitslosigkeit sehr schnell willkommen. Denn sie stellt auf einmal etwas Erstaunliches fest: »Endlich hast du mal mehr Zeit, als nur noch am Abend ›Bitte lächeln!‹ zu kucken und dann auf dem Sofa einzuschlafen! Endlich nimmst du auch zu Hause überhaupt mal wahr, dass du mittlerweile eine Familie hast. Dein Sohn braucht dich auch!«
Aber wo ich Geld herkriegen soll, das weiß ich auch nicht. Umziehen werde ich auf jeden Fall nur noch dann, wenn ich woanders a) die Probezeit hinter mir habe und b) einen unbefristeten Vertrag erhalte. Auf einen befristeten Vertrag werde ich mich nur dann bewerben, wenn der Job hier in der Nähe ist.
Als ich über die Gründe meines Ausscheidens nachdenke, wird mir klar, dass ich in der Wissenschaft nicht weiter arbeiten kann und will. Weil eigene Ideen nicht erwünscht sind. Weil man sowieso nur das machen kann und soll, was der Chef will. Weil es da viel zu viele verkrustete Strukturen gibt, die eine zwangfreie Forschung nicht zulassen. Und last but not least, weil die Menschen mich auch dort anscheinend nicht verstehen wollen und umgekehrt.
Im »Philos«, meinem Tagebuchfreund, mache ich mir Gedanken darüber, wo ich im Leben jetzt stehe. Und was noch kommen soll. Inwieweit der eingeschlagene Weg der richtige ist beziehungsweise welche Kurskorrekturen vorzunehmen sind.
Die erste Erkenntnis ist die, dass für mich aufgrund der zwischenmenschlichen Verhaltensrätsel jeder Job, der die persönliche Abhängigkeit von einem Chef oder sonstigen Menschen beinhaltet, kein Traumjob sein kann. Auf ein hohes Einkommen zu verzichten, käme für mich aber nie in Frage. Beides gleichzeitig, ständigen Spaß bei der Arbeit und viel Geld, scheint es für mich nicht zu geben.
Es sind wieder konkurrierende Sehnsüchte, die befriedigt werden müssen. Nicht unbedingt gleichzeitig, aber in Abhängigkeit voneinander. Wie Kräfte, die abwechselnd an mir ziehen. Wie Yin und Yang. Das ist dann wie eine Schwingung. Wenn das eine zu groß wird, kommt das andere und macht es wieder kleiner. Und immer so weiter.
So wie man in der Physik die Bewegung eines Pendels beschreiben kann. Wenn es ruht, will es sich bewegen. Und wenn es sich bewegt, will es irgendwann wieder ruhen. Jeder Zustand ist für sich allein genommen unbeständig. Insofern ist die einzige Beständigkeit die Unbeständigkeit. Kein statischer Zustand bleibt ewig erhalten. Die Sehnsucht nach planbarer Beständigkeit kann nur im Verstehen der zugrunde liegenden Dynamik konkurrenzfrei befriedigt werden.
Die einzige Beständigkeit ist die Schwingung selbst. Sie ist wie eine dynamische Balance. Jede Veränderung, die als Teil eines solchen Balancestrebens abläuft, ist berechenbar und damit beherrschbar! Jeder Ruhepunkt ist ein Punkt der Umkehrung. Die Fortentwicklung eines sichtbaren Zustandes hat die Fortentwicklung verborgener anderer Zustände zur Folge, bis diese sichtbar werden. Ist die eine Sehnsucht gestillt, meldet sich die andere und so fort.
So begreife ich auch das Leben als Aneinanderreihung von Zuständen, die in einer dynamischen Balance zueinander stehen. Der scheinbare Widerspruch konkurrierender Sehnsüchte löst sich im Begreifen der dynamischen Wechselwirkung zwischen beiden auf. Die längste Schwingungsperiode des körperlichen Seins beginnt bei der Geburt und endet mit dem Tod. Wobei die Schwingung an sich schon vorher existiert hat und auch nachher weiterexistieren wird. Als Welle. Die Welle allen Seins. Gekörpert im Zustand einer Schwingungsperiode. Und solche Perioden gibt es viele im Alltag. Wir alle kennen sie. Und sie alle haben Zonen, Abschnitte, Phasen.
Ich beginne mein Leben im Spiegel der Jahreszeiten oder eines Tagesablaufs zu strukturieren, um meine Position in der Welle oder der Schwingungsperiode zu bestimmen.
Nachfolgende Tabelle teilt mein Leben in Abschnitte in Bezug auf Schwingungsperioden:
Lebensjahreszeit | Beschreibung und Inhalte der Lebensetappen |
Januar | Vorschulzeit, Winter des Lebens, mitten in der Nacht |
Februar | Grundschule, Winter des Lebens, fortgeschritten in der Nacht |
März | Gymnasium, erste Blumen blühen im Garten, Morgengrauen |
April | Studium, Blüte des Lebens beginnt, Austrieb, Sonnenaufgang, Aufstehen, das eigene Leben starten |
Mai | Berufsanfänger, Verliebtsein, volle Blüte, Frühstück |
Juni | berufserfahren, junger Vater, erste Früchte (Kinder, Geld) |
Juli | Hausbau, Zenit, Erntezeit, Sommer des Lebens |
August | Zenit, Erntezeit, Lebenserfahrung, Sommer des Lebens |
September | Spätsommerliches Leben, alle Früchte ausgereift |
Oktober | Goldene Zeit, Erntedank, Sonnenuntergang |
November | Ausklang der blättertragenden Lebenszeit, raureife Weisheit, Dämmerung |
Dezember | Rentner, Rückblick, am Licht des Lebens, Lebensfernsehabend |
Teilt man das Leben so ein, dass alle 6 Jahre ein Monat vergeht, oder 6 Jahre 2 Stunden auf der Tageszeitenuhr entsprechen, dann ist jetzt Juni in meinem Leben, oder es ist nach 10 Uhr morgens. Das bedeutet, ich habe es geschafft, im Sommer des Lebens anzukommen. Ich habe die volle Blütezeit, den herrlichen Morgen eines Lebenstages erlebt.
Alter in 6er-Jahresetappen | Tageszeit | Alter in 7er-Jahresetappen | im Gradnetz | Klimazone |
0 bis 6 | 0 bis 2 Uhr | 0 bis 7 | Nordpol bis 75 N | Polar |
6 bis 12 | 2 bis 4 Uhr | 7 bis 14 | 75 bis 60 N | Subpolar |
12 bis 18 | 4 bis 6 Uhr | 14 bis 21 | 60 bis 45 N | Gemäßigt |
18 bis 24 | 6 bis 8 Uhr | 21 bis 28 | 45 bis 30 N | Mittelmeer und Inlandswüsten |
24 bis 30 | 8 bis 10 Uhr | 28 bis 35 | 30 bis 15 N | Subtropisch und Wüsten |
30 bis 36 | 10 bis 12 Uhr | 35 bis 42 | 15 N bis Äquator | Tropisch |
36 bis 42 | 12 bis 14 Uhr | 42 bis 49 | Äquator bis 15 S | Tropisch |
42 bis 48 | 14 bis 16 Uhr | 49 bis 56 | 15 bis 30 S | Subtropisch und Wüsten |
48 bis 54 | 16 bis 18 Uhr | 56 bis 63 | 30 bis 45 S | Mittelmeer und Inlandswüsten |
54 bis 60 | 18 bis 20 Uhr | 63 bis 70 | 45 bis 60 S | Gemäßigt |
60 bis 66 | 20 bis 22 Uhr | 70 bis 77 | 60 bis 75 S | Subpolar |
66 bis 72 | 22 bis 24 Uhr | 77 bis 84 | 75 bis Südpol | Polar |
Aber es bedeutet auch, dass der ganze Sommer noch vor mir liegt. Dass der ganze Tag noch vor mir liegt. Auch wenn schon ein Großteil des Jahres oder eben ein großer Teil eines 24-stündigen Tages vorüber ist. Einerseits habe ich schon ein gutes Ziel erreicht, im Juni eines Lebens schon viel erlebt zu haben. Andererseits kann da noch sehr viel kommen. Mein Auftrag scheint noch unerfüllt zu sein.
Überhaupt finde ich diesen Vergleich faszinierend. Ich mag Ordnung und Statistiken dieser Art. Weil sie Dinge transparent machen, die ansonsten im Verborgenen bleiben. Ich finde es frappierend, wie wunderbar die Phasen eines menschlichen Lebens zu den Phasen eines Jahreslaufs und eines Tageslaufs passen. Sie illustrieren die stete Veränderung im Zustand des Seins.
Wie die ersten Blumen blühen und man durch den Gang zur Schule ins Leben hineinwächst. Wie die Blütezeit eines Frühlings mit der Blütezeit der eigenen Liebe zusammenfällt. Wie die Erntezeit mit den reifen Früchten des eigenen Lebe...