Politische Reformprozesse in der Analyse
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Politische Reformprozesse in der Analyse

Untersuchungssystematik und Fallbeispiele

  1. 324 Seiten
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Politische Reformprozesse in der Analyse

Untersuchungssystematik und Fallbeispiele

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Über dieses Buch

Wirksame Reformprogramme zu entwerfen, die durchsetzbar sind und öffentliche Akzeptanz finden - das ist aktuell eine der größten Herausforderungen an die Politik. Ausgehend von der Beobachtung, dass strategische Reformpolitik die kontinuierliche Berücksichtigung der drei strategischen Dimensionen Kompetenz, Kommunikation und Durchsetzungsfähigkeit bedeutet, hat das Programm "Politische Reformprozesse" der Bertelsmann Stiftung deshalb das "Strategietool für politische Reformprozesse" (SPR) entwickelt. Es dient gleichermaßen dem Aufbau von Strategiekompetenz wie der Analyse von Stärken und Schwächen bei bereits abgeschlossenen Reformprozessen. Vier konkrete Reformen werden in diesem Band von Experten anhand der Kategorien des SPR untersucht: Die Gesundheitsreform der Großen Koalition, die Agenda 2010 unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitsmarktreform, die Rentenreform der Regierung Schröder und die Steuerreform der Regierung Kohl. Alle diese Reformen haben ihre erfolgreichen Seiten und können dennoch nicht als Beispiele für Reformerfolg dienen. Die Anwendung des SPR zur differenzierten Analyse der Reformen macht klar, warum dies so ist, und zeigt Wege zu einer strategischen Reformpolitik.

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Information

Einführung in die Konzeption des Strategietools für politische Reformprozesse (SPR)
Thomas Fischer, Andreas Kießling, Leonard Novy





Vorbemerkung

Trotz der in Deutschland vorherrschenden Systembedingungen, die hohe Anforderungen an strategisches Handeln in der Politik stellen, verfügen die politischen Entscheider über erhebliche Gestaltungsspielräume. Inwieweit es ihnen tatsächlich gelingt, diese Handlungskorridore zu nutzen, um notwendige Veränderungsprozesse in Gang zu setzen, hängt von ihrer Strategiefähigkeit ab.
Strategiefähige Politiker denken neben sachgerechten Politikinhalten immer auch die Kommunikation sowie die Mehrheits- und Durchsetzungsfähigkeit politischer Reformmaßnahmen im Willensbildungs- und Entscheidungsprozess mit. Nur so lässt sich die Gestaltungsdimension von Politik mit der Machtdimension in Einklang bringen. Das Strategietool für politische Reformprozesse (SPR) der Bertelsmann Stiftung soll ein solches ganzheitliches Denken bei der Planung, Durchführung und Bewertung von Reformen erleichtern. Dafür systematisiert es zentrale Steuerungsziele und die dazugehörigen Aufgabenbereiche im politischen Reformprozess.
In seinem Aufbau orientiert sich das SPR an einer modifizierten Fassung des Politikzyklusmodells. Auf diese Weise ist es möglich, den Ablauf von Reformprozessen in seiner Gesamtheit abzubilden - also vom Agenda-Setting über die Politikformulierung und Entscheidung bis zur Politikumsetzung. Anstelle einer linearen Lesart, die eine chronologische Abfolge dieser Einzelschritte unterstellt, liegt dem SPR allerdings ein dynamisches Verständnis des politischen Prozesses zugrunde. Deshalb beschränkt sich die politische Erfolgskontrolle im Rahmen des Tools nicht auf eine reine Ergebnisevaluation. Vielmehr ist sie dort als kontinuierlicher Rückkoppelungsprozess angelegt, der sich über den gesamten Reformverlauf erstreckt.
Außerdem wird der spezifischen Perspektive des Tools durch die Einführung der zusätzlichen Kategorie der strategiefähigen Kernexekutive Rechnung getragen. Das SPR geht zum einen davon aus, dass es vor allem die politischen Akteure innerhalb der Kernexekutive sind, die politische Reformprozesse vorantreiben können. Zum anderen wird die Kernexekutive selbst als Handlungsfeld strategischer Prozesssteuerung betrachtet und das Tool zeigt auf, inwieweit die dortigen Arbeitsabläufe und Strukturen im Sinne größtmöglicher Strategiefähigkeit optimiert werden können.
Aufgrund dieser Modifikationen des klassischen Politikzyklusmodells führt das SPR fünf Handlungsfelder reformpolitischer Prozessgestaltung auf: Agenda-Setting, Politische Politikformulierung und Entscheidung, Politikumsetzung, Erfolgskontrolle sowie strategiefähige Kernkompetenz. In einem weiteren Schritt wird jedes dieser Handlungsfelder entlang von drei strategischen Dimensionen aufgefächert: Ausgehend von der Prämisse, dass wirksame Reformen dann gelingen, wenn bei ihrer Umsetzung die Balance zwischen politischen Macht- und Gestaltungszielen gewahrt bleibt, benennt das Tool die strategischen Steuerungsdimensionen »Kompetenz«, »Kommunikation« und »Durchsetzungsfähigkeit«. Eine zentrale Grundaussage des Tools lautet, dass die Erfolgsaussichten der treibenden Reformakteure deutlich steigen, wenn es ihnen gelingt, diese Dimensionen über den gesamten politischen Prozess hinweg in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen. Durch die Ausdifferenzierung jedes der fünf Handlungsfelder entlang der drei Strategiedimensionen entsteht eine Systematik, auf deren Basis das SPR die zentralen Steuerungsziele und -aufgaben von Reformpolitik erfasst.
Das so strukturierte SPR erhebt keinesfalls den Anspruch, eine Art Gebrauchsanweisung für Reformpolitik zu sein. Es soll nicht mehr, aber auch nicht weniger leisten, als einen systematischen Überblick über wichtige Erfolgsdeterminanten von Reformprozessen bereitzustellen. Einsetzbar ist das SPR als Analyse- und Beratungsinstrument für abgeschlossene, laufende und anstehende Reformprozesse. Seine Ex-ante-Anwendung soll einerseits die systematische Entwicklung von Reformstrategien erleichtern. Andererseits kann es während der konkreten Durchführung politischer Reformvorhaben erfolgversprechende Optionen zum Nachjustieren aufzeigen. Und schließlich lässt sich das SPR auch einsetzen, um ex post Stärken und Schwächen einer Reformpolitik zu untersuchen und somit politisches Lernen zu ermöglichen.
In dem vorliegenden Band wird die Analysesystematik des Strategietools für politische Reformprozesse zunächst detailliert dargestellt. Daran schließen vier Fallstudien an, die das SPR auf vier konkrete Reformbeispiele aus der jüngeren deutschen Politik anwenden: die Gesundheitsreform der Großen Koalition, die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung, die Rentenreform der Regierung Schröder und die Steuerreform der Regierung Kohl. Entstanden sind das Konzept für das Strategietool und die Buchpublikation in einem mehr als zweijährigen Austausch mit politischen Praktikern und wissenschaftlichen Experten. Zum Abschluss dieses Dialogs fand im April 2008 der Expertenworkshop »Politische Reformprozesse in der Analyse« in Berlin statt, auf dem die vorliegenden Arbeitsergebnisse und Fallstudien Vertretern aus Politik und Wissenschaft präsentiert wurden. Die Teilnehmer an diesem Treffen haben viele nützliche Anregungen geliefert, die bei der Fertigstellung der Beiträge zu diesem Buch noch berücksichtigt werden konnten.
Der Dank der Bertelsmann Stiftung gilt zunächst allen, die ihre Expertise und ihr Erfahrungswissen in die Entwicklung des SPR eingebracht haben. Das kontinuierliche Feedback unserer Autoren Nils C. Bandelow von der TU Braunschweig, Manuel Fröhlich von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Simon Hegelich von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Frank Nullmeier von der Universität Bremen lieferte wertvolle Impulse für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Tools. Manuela Glaab und Sophia Burkhardt von der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.) der Ludwig-Maximilians-Universität München haben das Projekt durch die politikwissenschaftliche Begleitung und die redaktionelle Betreuung der Publikation maßgeblich unterstützt. Wichtige Anregungen hat schließlich auch Dominic Schwickert von der Universität Münster beigesteuert, während er in der Bertelsmann Stiftung für das Projekt »Optimierung politischer Reformprozesse« tätig war.
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1 Zielsetzung

Die moderne Wissensgesellschaft und die fortschreitende Globalisierung stellen die deutsche Politik vor neue Herausforderungen und setzen sie unter ständigen Modernisierungsdruck. Allerdings erschweren es die herrschenden Rahmenbedingungen erheblich, sachgerechte Antworten auf diesen Reformbedarf zu geben. So sind die Wähler durch die weitreichenden politischen Reformen der letzten Jahre verunsichert und zunehmend reformmüde: Die Gesundheitsreform der Großen Koalition wird von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Die Agenda 2010 hat eindringlich gezeigt, wie sehr die Entwicklung einer Reformpolitik im reinen Elitendiskurs dazu beitragen kann, eine Regierungspartei in ihren Grundfesten zu erschüttern, die Parteibasis von der Führung zu entfremden und sogar parteipolitische Abspaltungen zu provozieren.
Gleichzeitig muss die deutsche Politik damit umgehen, dass Veränderungen im Wahlverhalten politische Mehrheiten immer unsicherer machen und zu neuen Kompromiss- und Koalitionszwängen führen. Außerdem stehen politische Entscheider unter ständiger medialer Beobachtung, die zu einer weiteren Beschleunigung politischer Prozesse führt sowie zu einer taktisch motivierten und auf kurzfristige Wirkung ausgerichteten »Darstellungspolitik« - auf Kosten einer längerfristig ausgerichteten, problemlösungsorientierten »Entscheidungspolitik« (Korte und Hirscher 2000).
Nicht zuletzt scheinen auch die institutionellen Rahmenbedingungen hierzulande Reformen nicht gerade zu begünstigen: In wenigen parlamentarischen Demokratien gibt es eine solche Fülle von potenziellen Vetopunkten und institutionellen Barrieren gegen Mehrheitsentscheidungen wie in Deutschland (Helms 2005: 205).
Dennoch bestimmen die spezifischen Merkmale eines politischen Systems keineswegs die potenzielle Reichweite und die Erfolgsaussichten von Reformen. Dafür sprechen auch die empirischen Vergleichsergebnisse der Sustainable Governance Indicators der Bertelsmann Stiftung. Diese untersuchen die Reformfähigkeit der 30 OECD-Demokratien. Dort zeigt sich: Die »Kunst des Regierens« hat nach wie vor entscheidenden Einfluss auf den Reformerfolg (Bertelsmann Stiftung 2009).
Demnach können politische Schlüsselakteure ihre Gestaltungsspielräume durchaus selbst beeinflussen und bewegen sich bei der Reformplanung und -umsetzung nicht von vornherein innerhalb starr vorgegebener Handlungskorridore und Pfadabhängigkeiten - seien diese nun institutionell oder politisch-kulturell bedingt. Inwieweit es gelingt, diese Korridore zu weiten, hängt wesentlich von der Strategiefähigkeit der politischen Reformakteure ab - also von der Fähigkeit dieser Akteure, ihr Denken und Handeln bei der Planung und Umsetzung von Reformprozessen strategisch auszurichten.
Strategiefähigkeit steht dabei für die Kompetenz, »strategisches Wissen und Know-how aufzubauen, vor allem in den Bereichen Problemlösung, Konkurrenz und Öffentlichkeit« (Raschke und Tils 2008: 18). Strategisches Reformhandeln in diesem Sinne zeichnet sich dadurch aus, dass es bei der Planung und Umsetzung von Veränderungsvorhaben sowohl Gestaltungs- als auch Machtziele im Blick behält. Anders ausgedrückt: Neben sachgerechten Politikinhalten denken strategiefähige Politiker immer die Kommunikation sowie die Mehrheits- und Durchsetzungsfähigkeit politischer Reformmaßnahmen im Willensbildungs- und Entscheidungsprozess mit.
Um Reformakteuren dabei behilflich zu sein, diesen komplexen Anforderungen strategischer Prozesssteuerung gerecht zu werden, hat die Bertelsmann Stiftung das Strategietool für politische Reformprozesse (SPR) entwickelt. Das SPR soll die Planung und Durchführung von Reformvorhaben erleichtern, indem es zentrale Steuerungsziele und die dazugehörigen Aufgabenbereiche im Reformprozess systematisiert - von der Identifikation von Zukunftsthemen bis zur Sicherung der Ergebnisqualität, vom Aufbau von Vertrauen bis zum Bilden von Mehrheiten.
Keineswegs ist damit der Anspruch verbunden, das SPR könne eine Art Gebrauchsanweisung für Reformpolitik liefern. Jeder Versuch, Politik durchgängig zu planen, stößt rasch an seine Grenzen. Die politische Realität ist von Widersprüchen und Unwägbarkeiten geprägt, sodass häufig nur situative Lösungen möglich sind. Deshalb soll das SPR nicht mehr, aber auch nicht weniger leisten als die Bereitstellung eines systematischen Überblicks über wichtige Erfolgsdeterminanten von Reformprozessen - ausdifferenziert in zentrale Steuerungsziele und -aufgaben.
Seinen praktischen Nutzen kann das SPR nur dann voll entfalten, wenn bei seiner Anwendung auf konkrete Reformprozesse den Spezifika des jeweiligen Politikfeldes und den dort herrschenden Akteurskonstellationen Rechnung getragen wird. Wird das SPR jedoch an den jeweiligen Kontext angepasst, so eignet sich das Tool dafür, geplante, laufende und abgeschlossene Reformprozesse auf ihre Stärken und Schwächen zu überprüfen.
Im Falle seiner Ex-ante-Anwendung soll das SPR die Lagebeurteilung erleichtern, eine realistische Standortbestimmung ermöglichen und so zur systematischen Entwicklung von Reformstrategien beitragen. Im politischen Prozess kann es verfügbare Handlungsoptionen zum Nachjustieren aufzeigen. Wird das Tool hingegen rückblickend für die Stärken-Schwächen-Analyse abgeschlossener Reformen herangezogen, so ermöglicht es einen systematischen Überblick darüber, inwieweit tatsächlich alle relevanten Reformakteure hinreichend eingebunden und die verschiedenen Aufgabenbereiche strategischer Reformpolitik über den gesamten Prozess hinweg ausreichend berücksichtigt wurden.
Gerade diese Nutzung des SPR für Ex-post-Analysen dürfte erhebliches Potenzial für politisches Lernen bergen. Dass dies der Fall ist, sollen die vier Fallstudien zur Anwendung des SPR veranschaulichen, die im Anschluss an eine ausführliche Darstellung des Tools in diesem Band folgen.
Nils C. Bandelow und Mathieu Schade (S. 85-144) analysieren die Gesundheitsreform der Großen Koalition. Frank Nullmeier betrachtet die Agenda 2010 unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitsmarktreform (S. 145 - 190), Simon Hegelich die Rentenreform der Regierung Schröder (S. 191 - 251). Manuel Fröhlich und Stefan Schneider widmen sich schließlich der Steuerreform der Regierung Kohl (S. 253 - 308). Alle vier Studien nehmen anhand der Analysesystematik des SPR eine Stärken-Schwächen-Analyse der jeweiligen Reform vor.

2 Reformpolitik aus der Perspektive der Kernexekutive

Die Strategiekompetenz der politischen Hauptakteure hat wesentlichen Einfluss darauf, wie gut es bei der Planung und Umsetzung von Reformen gelingt, Gelegenheiten rechtzeitig zu ergreifen und Handlungskorridore zu weiten. Deshalb betrachtet das Strategietool politische Reformprozesse aus der Perspektive dieser Schlüsselakteure. Das Ziel besteht darin, einen Kernbestand strategischer Steuerungsziele und -aufgaben herauszuarbeiten und zu bündeln. An diesem Kernbestand können sich Entscheider und deren Entscheidungsvorbereiter orientieren, um die Erfolgsaussichten ihrer Reformpläne zu erhöhen - und zwar sowohl mit Blick auf die gewünschten Politikergebnisse als auch mit Blick auf die machtpolitischen Durchsetzungschancen und die öffentliche Unterstützung der angestrebten Reformen.
Nur: Wie setzt sich der innere Kreis reformpolitischer Schlüsselakteure hierzulande eigentlich zusammen? Wo genau liegt in der deutschen Politik das strategische Macht- und Gestaltungszentrum bei der Planung und Umsetzung von Reformen? Schon auf diese Fragen gibt es keine einfache Antwort. Wer im Einzelfall maßgeblich an der Vorbereitung, Formulierung und Implementierung weitreichender politischer Entscheidungen beteiligt ist, hängt vom Reformgegenstand und von den politischen Machtkonstellationen ab. Daher lässt sich das tatsächliche Zentrum reformpolitischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nicht über rein institutionalistische Definitionen erfassen (vgl. Bandelow 2005).
Weit besser geeignet für die Abbildung der Realität ist das Konzept der »Kernexekutive«, das auf einer funktionalen Definition des politischen Machtzentrums beruht: »The term ›core executive‹ refers to all those organizations and procedures which coordinate central government policies, and act as final arbiters of conflict between different parts of the governmental machine« (Rhodes 1995: 12). Damit ist die funktionale Kernexekutive weiter gefasst und variabler als die institutionelle Exekutive. Neben dem Regierungschef und dem Kabinett kann die Kernexekutive eine Vielzahl weiterer Akteure umfassen (Rhodes 1995: 11).
In der deutschen Politik gibt es kein Machtzentrum mit völlig klar umrissenen Konturen. Stattdessen bilden sich fortlaufend unterschiedliche Schnittmengen aus Spitzenvertretern der Kollektivakteure heraus, die in Deutschland formell und informell am Regieren beteiligt sind. Dazu kann neben den Spitzen von Bundes- und Landesregierungen, Parteien und Koalitionsfraktionen auch deren unmittelbares Arbeitsumfeld zählen - wie Planungsstäbe, Fachverwaltung, informelle Zusammenschlüsse und zuarbeitende Personen. Die Kernexekutive unterscheidet sich damit je nach Politik- bzw. Reformfeld und Machtkonstellation und ist in ihrer Zusammensetzung variabel.
Welche politischen Systemkomponenten stecken in Deutschland den Rahmen für die konkrete Zusammensetzung der Kernexekutive ab? Zu nennen sind hier vor allem vier Handlungskontexte der deutschen Politik:
Die Regierungsorganisation: Sie umfasst vor allem das Bundeskabinett und dessen administratives Umfeld. Das deutsche Grundgesetz verleiht dem Bundeskanzler1 innerhalb dieser Organisation durch die Richtlinienkompetenz nach Art. 65 GG eine zentrale Stellung. Der Kanzler verfügt außerdem mit dem Kanzleramt über eine bedeutende institutionelle Ressource (Korte und Fröhlich 2006: 81). Das Kanzlerprinzip wird durch das Ressort- und das Kollegialprinzip ergänzt. Während das Kabinett nach dem Kollegialprinzip nach innen und außen als Kollegialorgan handelt, wird jedem Minister nach dem Ressortprinzip die Verantwortung für seinen Geschäftsbereich zugeschrieben. Vor allem diese Eigenverantwortlichkeit der Minister schränkt die Macht des Kanzlers ein (Helms 2005: 236f.).
Meistens spielen das Finanzministerium und häufig das Auswärtige Amt bei Entscheidungen eine wichtige Rolle, ohne dass beide Ministerien offiziell die Federführung innehaben. Je nach Politikfeld tun sich außerdem bestimmte Fachministerien besonders hervor. So liegt es nahe, dass in der Gesundheitspolitik das Gesundheitsministerium dominiert. Eine hervorgehobene Rolle spielt die Exekutive und somit die Regierungsorganisation in Handlungsfeldern, in denen w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Abkürzungsverzeichnis
  4. Einführung in die Konzeption des Strategietools für politische Reformprozesse (SPR)
  5. Die Gesundheitsreform der Großen Koalition: Strategische Erfolge im Schatten ...
  6. Die Agenda 2010: Ein Reformpaket und sein kommunikatives Versagen
  7. Die Riester-Reform: Systemwechsel durch strategische Politik
  8. Die »Große Steuerreform« der Regierung Kohl: Versuch und Scheitern
  9. Synthese und Perspektiven: Vom Strategietool zum Optionenreservoir
  10. Die Autoren