1 Bereitschaft Jugendlicher zur unternehmerischen Selbstständigkeit
Im Zentrum des Interesses des Youth Entrepreneurship Barometer YEB steht die differenzierte Bestandsaufnahme der Bereitschaft der jungen Generation in Deutschland zur unternehmerischen Selbstständigkeit. Die Affinität zum Unternehmertum bei jungen Menschen wird mit mehreren Indikatoren erfasst. Weiterhin werden Differenzierungen des angestrebten Unternehmerprofils herausgearbeitet. In den Blick kommt zum Beispiel neben der klassischen Vorstellung vom Unternehmer auch der neuere Typus des Sozial- bzw. Gemeinwohlunternehmers, der in unternehmerischer Weise soziale und gemeinwohlbezogene Angelegenheiten bearbeitet. Zum anderen sind markante Gruppenunterschiede von Interesse, da mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle Untergruppen der Jugend dasselbe Verhältnis zur Selbstständigkeit haben. Das betrifft sowohl die Neigung zur Selbstständigkeit als auch die Neigung, sich mit einem bestimmten Typus des Unternehmers zu identifizieren.
1.1 Hohe Bereitschaft der Jugend zur Selbstständigkeit
1.1.1 Interesse und Intensität bezüglich einer Selbstständigkeit
Jugendliche in Deutschland zeigten laut dem YEB 2007 ein hohes Interesse an unternehmerischer Selbstständigkeit. Die überwältigende Mehrheit von etwa drei Vierteln wäre prinzipiell bereit, sich selbstständig zu machen (Abbildung 1). Es gibt demnach in der jungen Generation eine große Aufgeschlossenheit für das Thema. Dieses weit verbreitete Interesse am Unternehmertum hängt in gewissem Maße mit der pragmatischen (handlungsorientierten) Mentalität der jungen Generation der 2000er Jahre zusammen. Laut der 15. Shell-Jugendstudie sehen die Jugendlichen wegen der voranschreitenden Globalisierung zwar durchaus schwierige Anpassungsprobleme am deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, aber dennoch auch viele Chancen, durch eigene Anstrengungen die Vorteile der Globalisierung nutzen zu können. Das Interesse an unternehmerischer Selbstständigkeit ist zwar nicht in allen Untergruppen der Jugend gleichermaßen ausgeprägt, aber dennoch in allen Gruppen vorhanden. Ganz besonders in Richtung unternehmerische Selbstständigkeit denken Jugendliche, die aus Selbstständigenhaushalten stammen, und solche, die das Abitur bereits haben oder anstreben. Geringer ist die Neigung zur Selbstständigkeit bei Jugendlichen auf den mittleren Rängen des Bildungssystems (Realschule) und bei Jugendlichen, die aus Arbeiterhaushalten stammen.
Abbildung 1: Interesse an eigener unternehmerischer Selbstständigkeit (I)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
dp n="45" folio="43" ?Betrachtet man die Intensität der Neigung der Jugendlichen zur unternehmerischen Selbstständigkeit genauer, bemerkt man, dass die Masse der Jugendlichen diese Neigung eher in einer unverbindlichen, vagen Weise bekundet (»bin eventuell bereit«). Der harte Kern der unternehmerisch Eingestellten (»bin bestimmt bereit«) ist viel kleiner und umfasst 15 Prozent der Jugendlichen. Das drückt zunächst einmal aus, dass für viele Jugendliche die Frage einer eigenen unternehmerischen Selbstständigkeit noch keine wirklich lebenspraktische Relevanz hat. Sie sind oft noch in der Ausbildung, werden noch studieren usw. Allerdings verweist der geringe Unterschied zwischen den Altersgruppen darauf, dass bei den Jugendlichen insgesamt ein allgemeiner Faktor der Vorsichtigkeit wirksam ist, der das persönliche Bekenntnis zur unternehmerischen Selbstständigkeit zumeist unverbindlich ausfallen lässt.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass viele Jugendliche bisher eher noch unklare Vorstellungen vom Unternehmertum haben. Auffällig ist im YEB 2007 die Freimütigkeit, mit der sich die meisten Jugendlichen eine nur mäßige wirtschaftliche Kompetenz zugestehen. Zusammen mit der eher untergeordneten Rolle, die nach den Angaben von Jugendlichen und Lehrern wirtschaftliche Fragen in der Schule spielen, lässt sich festhalten, dass das allgemein positive Verhältnis der Jugendlichen zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit einer wesentlich besseren Fundierung bedarf. Dadurch könnten die Jugendlichen konkretere Vorstellungen vom Unternehmertum gewinnen und würden besser auf die Besonderheiten unternehmerischen Handelns vorbereitet. Dieser Aspekt der besonderen Verantwortung der Bildungseinrichtungen für die Vermittlung unternehmerisch verwertbarer Kompetenzen an Jugendliche soll im 4. Kapitel näher untersucht werden.
dp n="46" folio="44" ? 1.1.2 Wer zeigt bereits deutlichere Neigung zur Selbstständigkeit?
Es lohnt sich, die bestimmte Bereitschaft von Jugendlichen zur unternehmerischen Selbstständigkeit genauer zu untersuchen. Das Alter der Jugendlichen führt in dieser Hinsicht nicht weiter (Abbildung 2). Im Älterwerden ergibt sich offensichtlich keine wirkliche Festigung des jugendlichen Entschlusses zum Unternehmertum. Zunächst fällt auf, dass sich die allgemein hohe Bereitschaft von Jugendlichen aus Selbstständigenhaushalten auch in einer besonders ausgeprägten bestimmten Affinität zur Selbstständigkeit fortsetzt. Dieser Befund war allerdings erwartbar und verweist auf eine Sozialisationswirkung, die man sich intensiver vorstellen könnte. Interessanter ist die besonders hohe bestimmte Affinität der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur unternehmerischen Selbstständigkeit. Ebenso auffällig ist auch die erhöhte verbindliche Neigung Jugendlicher mit einfachem Bildungshintergrund (Hauptschule) zur unternehmerischen Selbstständigkeit.
Zunächst gilt es festzuhalten, dass sich beide Merkmale (einfache Bildung, Migration) in gewissem Maße überschneiden, da Migranten vermehrt einen einfachen Bildungshintergrund haben. Es gibt aber auch unabhängige Erklärungsfaktoren. Unter den Migranten ist die wirtschaftliche Selbstständigkeit durchaus verbreitet, wenn auch eher im kleinen oder mittelständischen Maßstab. Jugendliche mit Hauptschulhintergrund sind in der untersuchten Altersgruppe (15 bis 20 Jahre) eine Gruppe, die ihre Schulausbildung zumeist beendet hat und oft bereits in der Lehrausbildung, erwerbstätig oder arbeitslos ist. Die praktische Bodenhaftung in Ausbildung und erwerbsnahen Statuspassagen ist weit größer als bei Jugendlichen mit Abiturhintergrund, ebenso die Notwendigkeit, den eigenen beruflichen Weg konkreter zu bestimmen.1 Damit gerät in dieser Gruppe auch die wirtschaftliche Selbstständigkeit als berufliche Option verstärkt in den Blick.
dp n="47" folio="45" ? Abbildung 2: Interesse an eigener unternehmerischer Selbstständigkeit (II)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
dp n="48" folio="46" ?Auffällig sind weiterhin die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männliche Jugendliche ziehen die unternehmerische Selbstständigkeit deutlich bestimmter in Erwägung als weibliche. Dieser Unterschied soll hier zunächst nur konstatiert werden, weil die Geschlechtervariable in dieser Analyse noch oft erscheinen wird. Es gilt festzuhalten, dass das Geschlecht der Jugendlichen eine Vielzahl von Aspekten bündelt, die auch von Bedeutung für die Neigung zur Selbstständigkeit sind. Das etwas klischeehafte Leitbild des auf Kosten familiärer und menschlicher Bindungen »hart« arbeitenden und agierenden Unternehmers führt bei weiblichen Jugendlichen trotz prinzipieller Aufgeschlossenheit zu einer gewissen Distanz. Weibliche Jugendliche, die zur Selbstständigkeit neigen, bevorzugen (wie noch zu zeigen ist, z. B. in Abbildung 11 und in Abbildung 21) gegenüber männlichen Jugendlichen daher das untypischere Leitbild des Sozialunternehmers, das die unternehmerische »Härte« in deutlich milderem Licht erscheinen lässt.
1.2 Ausgeprägtes unternehmerisches Selbstbewusstsein
Die hohe Bereitschaft Jugendlicher zur unternehmerischen Selbstständigkeit geht mit einem deutlichen unternehmerischen Selbstbewusstsein einher. Immerhin 44 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, sie seien grundsätzlich der richtige Typ, um Unternehmer zu werden (Abbildung 3). Quantitativ noch ausgeprägter erscheint dieses Selbstbewusstsein bei den 57 Prozent der Jugendlichen, die meinen, sie hätten bereits die richtigen Fähigkeiten, um Unternehmer zu werden (Abbildung 4). Mehr noch: Die Jugendlichen, die sich unternehmerische Fähigkeiten bisher noch nicht zuschreiben, sind überwiegend der Meinung, sie könnten diese Fähigkeiten erlernen. Mit der hohen Bereitschaft Jugendlicher, sich selbstständig zu machen, geht folgerichtig bei vielen von ihnen ein ausgeprägtes unternehmerisches Selbstbewusstsein einher bzw. der Optimismus, ein unternehmerisches Fähigkeitsprofil erwerben zu können. Auch diese Befunde bestätigen den handlungsorientierten Zeitgeist der Jugend der 2000er Jahre.
Abbildung 3: Selbsteinschätzung als Unternehmertyp (I)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
Bei der Umsetzung des kräftig vorgetragenen jugendlichen Selbstbewusstseins in eine erfolgreiche Realitätsbewältigung müssen naturgemäß deutliche Abschläge gemacht werden. Dennoch sind ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und eine optimistische Einstellung gegenüber den zu bewältigenden Lebensaufgaben wichtige Erfolgsvoraussetzungen, wenn die Jugend den Herausforderungen der Globalisierung an den deutschen Standort begegnen soll. Skepsis und Misserfolgsmotivation wären dafür ungünstige mentale Grundlagen.
Welche Jugendliche sehen sich bevorzugt als Unternehmertyp, und wer schreibt sich unternehmerische Fähigkeiten zu (Abbildungen 5 und 6)? Mit 59 Prozent und 70 Prozent trifft das auf Jugendliche aus Selbstständigenhaushalten besonders zu. Eine spezifische Einwirkung des elterlichen Umfelds bestätigt sich demnach. In Arbeiterhaushalten wird eine Anregung unternehmerischen Selbstbewusstseins am wenigsten erkennbar, allerdings ist sie auch in Angestelltenhaushalten unterdurchschnittlich. Der einzige sonstige größere Unterschied findet sich bei den Geschlechtern. Männliche Jugendliche bekunden bei beiden Fragen ein höheres unternehmerisches Selbstbewusstsein als weibliche. Dieses Selbstbewusstsein korrespondiert mit der höheren Bereitschaft der jungen Männer zur Selbstständigkeit.
Abbildung 4: Selbsteinschätzung von Unternehmerfähigkeiten (I)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
Vermehrt als Unternehmertyp schätzen sich auch Jugendliche mit Abiturhintergrund ein. Jugendliche mit höherem Bildungshintergrund sehen bei sich außerdem in deutlich stärkerem Maße unternehmerische Fähigkeiten. Diese Einschätzung zeigt ein Bewusstsein an, dass man sich durch die höhere Schulbildung besser für die Herausforderung des Selbstständigseins gerüstet fühlt. Bei den Jugendlichen mit einfachem und mittlerem Bildungshintergrund bleiben in dieser Hinsicht die Selbsteinschätzungen deutlich zurück. Differenzierter liegen die Verhältnisse bei den Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund. Diese sehen sich etwas mehr als einheimische Jugendliche als Unternehmertyp, schreiben sich aber dennoch weniger als diese unternehmerische Fähigkeiten zu.
dp n="51" folio="49" ? Abbildung 5: Selbsteinschätzung als Unternehmertyp (II)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
dp n="52" folio="50" ? Abbildung 6: Selbsteinschätzung von Unternehmerfähigkeiten (II)
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2007
dp n="53" folio="51" ?Alle bisher untersuchten Indikatoren des Verhältnisses Jugendlicher zur unternehmerischen Selbstständigkeit weisen eher geringe Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland aus. Die unterschiedliche wirtschaftliche und politische Geschichte beider Landesteile zwischen 1945 und 1989 und die auch heute noch ungleichen wirtschaftlichen Verhältnisse in beiden Landesteilen bewirken keine entsprechenden Unterschiede in den Einstellungen der Jugendlichen. Die befragten ostdeutschen Jugendlichen wurden im Umfeld der Wendezeit geboren und haben keine eigene historische DDR-Erfahrung. Dieser Hintergrund sowie das Fehlen eines negativen allgemeinen Meinungsklimas gegenüber der unternehmerischen Selbstständigkeit in Ostdeutschland scheinen den Ausschlag für ihre Einstellungen zu geben.
1.3 Selbstständigkeit als Teil jugendlicher Berufsplanung
1.3.1 Vielfalt und Flexibilität der beruflichen Erwartungen
Die folgende Analyse soll dem Punkt näher kommen, an dem die allgemeinen Einstellungen der Jugendlichen zur unternehmerischen Selbstständigkeit sich handlungspraktisch konkretisieren. Inwieweit spielt die wirtschaftliche Selbstständigkeit in den beruflichen Plänen der Jugendlichen eine Rolle? Wie bereits gesehen, haben Jugendliche mit einfachem Bildungshintergrund eine engere Beziehung zum Arbeitsmarkt, während solche mit höherer Bildung zumeist Ausbildung und Studium erst vor sich haben. Der Zeithorizont de...