Lernen von Obama
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Lernen von Obama

Das Internet als Ressource und Risiko für die Politik

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  1. 222 Seiten
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Lernen von Obama

Das Internet als Ressource und Risiko für die Politik

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Über dieses Buch

Spätestens seit Barack Obamas beispiellosem Wahlkampf gilt eine auf Dialog und Glaubwürdigkeit fußende politische Kommunikation als wesentliche Voraussetzung für politischen Erfolg. Dabei gewinnt das Internet als Kommunikationsinstrument an Bedeutung. Konzepte wie "online-activism" oder "e-democracy" stehen hoch im Kurs. Funktionieren kann die Beteiligung über das World Wide Web jedoch nur, wenn politische Organisationen die Vermittlung von Politik um den Aspekt des Zuhörens erweitern. "Lernen von Obama? Das Internet als Ressource und Risiko für die Politik" widmet sich dem Phänomen digitaler politischer Kommunikation und untersucht Chancen sowie Risiken für Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie politische Online-Kommunikation organisiert sein muss, um die Ergebnisqualität politischer Entscheidungen zu erhöhen und einen effektiven Beitrag zur Legitimation von Politik zu leisten.

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Information

Neue Medien als Ressource strategischen Regierens
Christoph Dowe

1 Einführung

1.1 Politische Kommunikation und Neue Medien

Die grundlegenden kommunikativen Möglichkeiten des Internets sind inzwischen seit Jahren bekannt. Das Thema, um das es heute wieder geht (eine größere Beteiligung von Nutzern des Internets), ist schon vor Jahren als das zentrale Zukunftsthema, als das Alleinstellungsmerkmal der Online-Medien gesehen worden. Die neuen Möglichkeiten für demokratische Teilhabe sind ebenfalls schon früh beschrieben worden: leichtere Organisation von Beteiligungsprozessen, Zugang zu neuen Zielgruppen und Schaffung von mehr Transparenz des politischen Systems zugunsten einer höheren Legitimation der Demokratie.
Doch die Voraussetzungen sind andere als vor einigen Jahren. Zwar hat sich an den grundlegenden technischen Gegebenheiten nichts geändert und auch die derzeit hoch gelobten Werkzeuge des Web 2.0 basieren zum großen Teil auf jahrealten Technologien. Doch drei Neuentwicklungen geben den Ausschlag dafür, dass das Internet zum Medium für mehr als eine Informationselite werden kann und damit realistische Perspektiven für eine produktive Nutzung des Internets für politische Kommunikation entstehen: höhere Bandbreiten, leistungsfähigere Hard- und Software sowie gesteigerte Medienkompetenz der Nutzer.
Eine hohe Bandbreite ist die Grundvoraussetzung für schnelle und bequeme Internetnutzung und nötig, um große Datenmengen wie Bilder und Videos über das Internet zu verbreiten oder am heimischen Rechner abzurufen. Vorbei sind die Zeiten, als der Einwahl ins Internet zwingend ein Steckerwechsel an der TAE-Telefonbuchse und langes Warten beim Verbindungsaufbau vorausging. Das Hochladen auch von umfangreichen Dateien ist immer weniger ein zeitaufwendiges Unterfangen. Mitte des Jahres 2008 sind nach der Erhebung des (N)Online-Atlas 2008 rund 65 Prozent der Bevölkerung online, was einer Zuwachsrate von etwa fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dabei surfen 65,4 Prozent der Onlinenutzer im Jahre 2008 gegenüber 56,9 Prozent im Jahre 2007 via Breitband-Internet (Initiative D21 2008).
Zugleich wird die Hard- und Software leistungsfähiger und leichter bedienbar. Handys mit Video- und Upload-Funktionen werden langsam zur Selbstverständlichkeit. Mobile Geräte für E-Mails oder Online-Zugang wie etwa Blackberrys gehören zur Standardausrüstung eines Managers, setzen sich aber auch zunehmend in anderen Zielgruppen durch. Geotagging-Dienste für mobile Anwendungen, wie sie im Zukunftsszenario »Epic« bereits vor einigen Jahren beschrieben wurden, sind im Kommen. Die Kosten für Speicherplatz sinken, und mit dem Siegeszug des WLAN kann inzwischen an immer mehr Orten kabellos gesurft werden.
Zudem haben die Nutzer bei der Medienkompetenz erheblich aufgeholt. Beispielsweise stieg im Jahre 2008 der Anteil der Onliner in der Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen laut der ARD/ZDF-Onlinestudie um elf Prozent von 26,3 auf 29,2 Prozent, was auf die steigende Technikkompetenz dieser Altersgruppe zurückzuführen ist. Während die Teilnahme an Gesprächsforen und Chats sowie das Aufsuchen von Online-Communitys mittlerweile bei etwa einem Fünftel der Internetnutzer zur wöchentlichen Praxis gehört, sind es in der Altergruppe der 14- bis 29-Jährigen weit über 50 Prozent (DasErste.de 2008). Die Bildungs- und Geschlechterunterschiede der Online-Nutzer scheinen sich - wenn auch langsam - ebenfalls zu verringern (noch stimmt das Vorurteil vom jungen, männlichen, gut ausgebildeten Standardnutzer des Internets). Immer mehr Menschen sind in der Lage, E-Commerce-Angebote zu nutzen, eigene Websites oder Blogs zu betreiben oder sich im Internet zu informieren.
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1.2 Renaissance der Internetkommunikation?

In den letzten fünf Jahren haben sich die Neuen Medien demnach enorm weiterentwickelt. Das Internet und seine Inhalte werden zunehmend zum anerkannten Massenmedium. Auch die politische Sphäre bleibt davon nicht unberührt. Verkürzend, aber durchaus zutreffend kann gesagt werden, dass bei der politischen Kommunikation in einer Demokratie die drei wichtigsten »Stakeholder« Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat in eine Wechselbeziehung treten, die durch Information, Kommunikation und Partizipation konstituiert wird. Mit dem Siegeszug des Internets ist es nicht nur möglich, sondern auch nötig geworden, sich der neuen Mittel zu bedienen, um Demokratie zu leben. Das lebendige Abbild der Demokratie im Internet bedarf indes der praktischen Einbindung in die Realitäten der Staatsbürger und der staatlichen Institutionen. Bislang ist jedoch wenig Alltagsbezug von Online-Projekten der politischen Kommunikation zu erkennen - die Debatte spielt sich zu großen Teilen weitab eines öffentlichen Diskurses im theoretisch-elitären Elfenbeinturm ab, in dem Wissenschaft und ohnehin Engagierte zu Hause sind.
Zudem haben die deutschen Akteure der politischen Kommunikation im Internet lange Zeit ein Schattendasein geführt. Das liegt zum großen Teil an ihnen selbst: Zum einen vermochten sie bislang noch nicht genau - und erst recht keiner großen Öffentlichkeit - zu erklären, worin ihr Erkenntnisinteresse, worin der Gegenstand ihrer Beschäftigung liegt und was konkrete Handlungen im Dienste der Demokratie sein können. Zum anderen ist den wichtigsten Akteuren - Wissenschaftlern, Netz-Aktivisten und Mitarbeitern politischer Institutionen - eines gemeinsam: Sie sind allesamt schlechte Selbstvermarkter. Hinzu kam der Crash der New Economy zu Beginn des Jahrtausends. Nach einer kurzen Welle der vitalen Auseinandersetzung mit den Demokratie fördernden Möglichkeiten des Internets in den 90er Jahren erstarb das Interesse mit dem Niedergang der New Economy. Nicht nur die Politik, auch die Wissenschaft hat sich nach der Pleite von »boo.com« und den folgenden ökonomischen Desastern leise, still und heimlich wieder den alten Themen zugewandt.
Doch Änderung ist in Sicht. Derzeit scheint das Thema eine massenmedial aufbereitete Renaissance zu erleben: Medien ziehen Online-Themen auf die Titelseite, Stiftungen interessieren sich wieder oder erstmals für das Thema der Internetkommunikation, und die Politik versucht zaghaft, sich die neuen technischen Instrumente für ihre politische Kommunikation zunutze zu machen. Die Schlüsselbegriffe lauten heute »Web 2.0«, »nutzergenerierte Inhalte« und »soziale Software«. Im Kern geht es um Ähnliches wie schon Mitte der 90er Jahre: Nutzer konsumieren nicht mehr nur Inhalte, sondern sie produzieren selbst und tragen damit zu einer Wertsteigerung eines Produkts, eines Dienstes, einer Idee bei. So weist Tim Berners Lee, Begründer des World Wide Web (W.W.W), darauf hin, dass es im Internet schon immer darum ging, soziale Beziehungen von Menschen zu unterstützen: »Web 1.0 was all about connecting people.« Diese Beschreibung lässt ein egalitäreres Bild von Kommunikation aufblitzen, als es aus der politischen Kommunikation bisher bekannt ist. Das hat Folgen, vor allem für die bisherigen Absender von politischen Aussagen.
Letztlich - und das stellt die zentrale These dieses Essays dar - ist das Internet dabei, eine Kernressource strategischen Regierens zu werden. Dabei steht weniger im Vordergrund, wie Regierungsinstitutionen die neuen Werkzeuge zur Verbreitung ihrer Agenda einsetzen können. Vielmehr wird argumentiert, dass das Internet als Ressource politische Akteure und Institutionen bei neuartigen Lernprozessen unterstützen kann - was wiederum Transparenz und Legitimität von Politik unterstützen soll. Wichtige Fragen sind dabei: Was können die Neuen Technologien dazu beitragen, Politik besser zu kommunizieren? Welche realistischen Erwartungen können an den Einsatz dieser Techniken gestellt werden? Mit welchen Widerständen ist zu rechnen? Derartige Fragen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. Dafür werden in diesem Papier einige Entwicklungslinien der Online-Kommunikation der letzten Jahre nachvollzogen und bewertet.

2 Der Blick zurück: Evolution der Online-Kommunikation

Die technische Entwicklung ist rasant und bleibt nicht ohne Auswirkung auf moderne Werkzeuge, die für eine Weiterentwicklung von Online-Diskursen genutzt werden könnten. Von statischen Seiten (noch per HTML-Sprache programmiert7) ging der Trend über bunt blinkende Grafiken (per Flash-Technik erstellt) zur personalisierbaren Website, die sich der Nutzer nach eigenem Interessengebiet individuell zusammenstellen kann (per Ajax-Programmierung realisiert). Beiträge können inzwischen bewertet, kommentiert, per E-Mail-Newsletter oder mit anderen Techniken abonniert (wie etwa RSS, ein Service auf Webseiten, der ähnlich einem Nachrichtenticker die Überschriften mit einem kurzen Textanriss und einen Link zur Originalseite enthält) und per Mausklick (Trackback) verbreitet werden: Die Websites filtern automatisch oder nach Eingabe eines Interessen-Profils die beliebtesten, meist kommentierten oder am häufigsten angeklickten Inhalte auf. Andere Dienste, etwa Google-Maps, können auf der eigenen Seite eingesetzt oder mit anderen Diensten zusammengewürfelt (Mashup), weiterentwickelt oder schlicht per offener Schnittstelle einem weiteren Dienst zugeschaltet werden. Die Nutzer finden sich in Communitys wieder, in denen sie »gruscheln« (eine Wortbildung - so wird allgemein geschlussfolgert - aus grüßen und kuscheln, gemeint ist damit offenes, aktives Kennenlernen im universitären Umfeld via Internet, etwa unter www.studivz.net), Hobbys und Interessen austauschen und gelegentlich auch einen Kontakt in die Offline-Welt transferieren - oder umgekehrt einen Kontakt aus der Offline-Welt im Internet weiterführen, verstetigen, vertiefen.
Für alle Akteure der politischen Kommunikation bieten die Neuen Medien Möglichkeiten, die nicht erst seit dem Siegeszug von Web 2.0 bekannt sind, aber nun deutlich als Möglichkeiten hervortreten. Die Instrumente eignen sich dazu,
• die Haltung der Nutzer abzufragen,
• Themen öffentlichkeitswirksam auf die Agenda zu setzen,
• durch dialogische Wissensvermittlung die Haltung der Nutzer zu beeinflussen, Unterstützer zu mobilisieren oder zu rekrutieren,
• Transparenz von Entscheidungsprozessen zu verbessern und Legitimation für politische Prozesse zu erhöhen,
• vom Wissen und der Kreativität der Nutzer zu profitieren und eine bessere Lösung zu finden als bislang bekannt, und
• Druck auf »Stakeholder« der Politik auszuüben.
Die Instrumente sind dabei nur Ausdruck der Evolution der Neuen Medien, die in Abbildung 1 verdeutlicht werden. Jede neue evolutionäre Stufe ersetzt dabei nicht die vorhergehende Entwicklung, sondern ergänzt sie.
Auf die frühen Möglichkeiten der Information folgten die Kommunikation und später sogar die Partizipation. Auch wenn der Bereich der Information auf lange Sicht die Nutzung des Internets dominieren wird, können erst mit dem Rückkanal der Bereiche »Kommunikation« und »Partizipation« die Potenziale des Internets voll ausgeschöpft werden. Die Instrumente entwickeln sich entsprechend fort, beispielhaft seien E-Mail, Chat und Wiki genannt. Traditionelle Kampagnen wurden nach und nach um Dialogmöglichkeiten erweitert; heute ist oft nicht einmal mehr der Absender einer von den Nutzern als Kollektiv erarbeiteten Aktion sichtbar (vgl. den Beitrag von Dominik Meier in diesem Band). In dem Maße, in dem sich das Internet zum Massenmedium entwickelte, wird vordringlich ein Massenpublikum angesprochen. Doch auch dialog- und politikinteressierte Online-Stammtische finden längst zusammen. Die ›Elite‹, die im Offline-Leben etwa zu Bürgerversammlungen geht und politischintellektuell aktiv ist, ist derzeit der Hauptempfänger von partizipativen Online-Modellen - und wird es vermutlich auch so lange bleiben, wie die Einflussmöglichkeiten auf die Politikgestaltung ebenso gering bleiben wie in der Welt außerhalb des Internets. Gleichzeitig ist klar, dass in vielen Bereichen ein Top-down-Ansatz von den Menschen durchaus akzeptiert wird, denn nicht jeder Mensch will immer und ständig auf Augenhöhe oder »von unten nach oben« politisch kommunizieren. Doch die Distribution von Inhalten wird um die Möglichkeit ergänzt, in einem gemeinsamen, kollaborativen Verfahren eigene Inhalte herzustellen und zu verbreiten. Letztendlich, das soll die Abbildung zeigen, ist die Frühphase der Online-Evolution durch Kontrolle der Informationen und wachsende Kollegialität der Nutzer geprägt worden, während sich nun in einigen Bereichen zunehmender Kontrollverlust über Datenströme, Entwicklungen und Inhalte abzeichnet.
Abbildung 1: Evolution der Online-Kommunikation
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2.1 Enthierarchisierung und Kollaboration

Neue Medien stellen eine bislang in ihren Konsequenzen nicht abschätzbare Herausforderung für strategisches Regieren dar. In der Regel wird bei den Faktoren für langfristige strategische Planung zwischen der Ebene der »Sachrationalität«, der »Durchsetzungsrationalität« und der »Vermittlungsrationalität« unterschieden (Fischer, Kießling und Novy 2008). Besonders im Bereich der Vermittlungsrationalität kann das Internet mit seinen Formaten einen Beitrag leisten. Während die Potenziale der Neuen Medien in der Distribution politischer Inhalte längst erkannt und teilweise auch genutzt werden (Websites, Massen-E-Mails), liegen die Alleinstellungsmerkmale des Mediums in der vereinfachten Kommunikation mit den Nutzern und der Kollaboration unter ihnen. Dies setzt in der Regel eine weitaus weniger hierarchische Beziehung der Beteiligten voraus, als sie in den Betrachtungen etwa der Durchsetzungsrationalität für sinnvoll oder möglich erachtet wird. Insofern muss in dem Moment, in dem nach dem Einsatz der Neuen Medien für strategisches Regieren gefragt wird, eine weitaus weiter gehende Frage angeschlossen werden: Sind politische Akteure überhaupt bereit, neue, enthierarchisierte Kollaborationsformen in ihren Arbeitsalltag zu integrieren?
Bei enthierarchisierten Bottom-up-Kollaborationsformen geht es eben nur vordergründig um den Einsatz neuer Werkzeuge und Formate wie Wikipedia, Weblogs oder Communitys. Gefragt ist nichts weniger als ein neues, offeneres, weniger hierarchisches Politikverständnis. Viele Menschen möchten nicht nur nach ihrer Meinung gefragt werden - sie wollen auch die Möglichkeit haben, aktiv in einzelnen Bereichen mitzugestalten. Ob ein solches Politikverständnis mit den Regeln der repräsentativen Demokratie vereinbar ist, muss an dieser Stelle nicht abschließend erörtert werden. Denn nicht »Volksentscheide« wie in der Schweiz sind hier das Stichwort, sondern »gemeinsames Erarbeiten« politischer Linien, Vorstellungen, Werte. Für viele Akteure der bisher im Rahmen von strategischem Regieren erdachten Konzepte muss dies nicht nur wie eine Horrorvorstellung, sondern auch im hohen Maße naiv und unrealistisch erscheinen, denn tatsächlich würde dies die bisherige Ordnung gefährden. Im Kern der Debatte um den Einsatz der Neuen Medien geht es also um Macht. Denn jeder ernst zu nehmende Einsatz von neuen Online-Methoden im Bereich des strategischen Regierens muss zu einem Verlust der Kontrolle über Kommunikation führen - zumindest teilweise. Grund dafür ist, dass eine moderne und internetaffine Kommunikation nur strategisch und glaubwürdig gelingen kann, wenn die Entscheidungsträger bereit sind, zumindest auf mittelfristige Sicht freiwillig auf einen Teil der Kontrolle über Kommunikation zu verzichten, um diesen Teil in die Hände der interessierten Öffentlichkeit zu legen. Die neuen Techniken reduzieren ihren Gehalt im politischen Bereich letztendlich auf zwei Dinge: Das Internet erleichtert die Herstellung von Transparenz politischer Verfahren und ermöglicht Kommunikationsformen, die mit alten Top-down-Ansätzen nicht mehr viel gemein haben.

2.2 Vom Empfänger zum Sender

Heute haben Nutzer im Internet die Möglichkeit, bereitgestellte Informationen aufzunehmen und diese durch eigene Daten, Informationen oder Interpretationen zu bereichern. Daher kann von einer neuen Ära des Kommunikationszeitalters gesprochen werden, denn aus Empfängern sind auch Sender geworden. Kein Geringerer als Bertolt Brecht hatte dieses Szenario in den frühen 30er Jahren in seiner derzeit wieder häufig zitierten »Radiotheorie« formuliert. Brecht forderte: »Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d. h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müsste demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren« (Brecht 1967: 129).
Erst in den 70er Jahren hat man sich angesichts neuer gesellschaftlicher Reformforderungen an die Gedanken erinnert. Betrachtet man das Internet mit seinen Blogs sowie Pod- und Videocasts, dürften die Reformforderungen wohl als Realität gewordene Utopie bezeichnet werden. Warum die Theorie so lange in Vergessenheit geraten war, liegt auf der Hand: Die Aussichten auf eine Umsetzung erschienen angesichts der technischen Möglichkeiten utopisch. Zudem reduzierten gerade die Nationalsozialisten die Medien zum Top-down-Instrument schlechthin.
Ob die Möglichkeit des Publikums, zum Sender zu werden, auch zu einer ›besseren‹ Gesellschaft im Sinn von gesteigerter demokratischer Teilhabe und höherer Qualität der Politikergebnisse führen kann, ist eine der entscheidenden Fragen. Brechts Überzeugung war, dass »das Publikum nicht nur belehrt (wird), sondern auch belehren muß« (Brecht 1967: 129). Die Ziele heutiger Apologeten von E-Demokratie-Projekten sind konkreter: Entweder sie zielen darauf ab, bestehende Demokratien zu optimieren, oder sie sollen helf...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Ressource und Risiko: Potenziale des Internets für die Politik
  5. Neue Medien als Ressource strategischen Regierens
  6. »Online Citizenship?« - Die Entwicklung der individuellen politischen ...
  7. Politik ist Dialog. Webbasierte Politikkommunikation in der politischen Praxis ...
  8. Menschen mobilisieren. Effektiveres »Grassroots-Campaigning« durch den Einsatz ...
  9. Die Teilhabe der Vielen. Konsultationsverfahren der nächsten Generation
  10. A New Agora? The Internet and Everyday Deliberative Democracy
  11. »E-bama« - Amerikas erster »Internetpräsident« und die Rolle des World Wide Web ...
  12. Findetechnik - zur sprachlichen Gestalt politischer Online-Kommunikation
  13. Die Autoren