LARP und die (anderen) Künste
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LARP und die (anderen) Künste

Aufsatzsammlung zum MittelPunkt 2016

  1. 102 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Als höchst schöpferische Spielform lädt Larp zahlreiche Künste ein, das Rollenspielen mitzugestalten. Im Zusammenhang mit Larp entstehen Kunstprodukte, wie die Zeichnung auf dem Titelbild. Während eines Cons wird auch oft das Schaff en von Kunst als Teil des Charakterspiels ausgeübt. In sieben Beiträgen zeigen die Autorinnen und Autoren, dass nicht nur die Sicht etablierter (Kunst)Wissenschaften auf Larp spannend sein kann, sondern eine Larp-Perspektive Einblicke bietet, um zeitgenössische Kunstwerke neu zu verstehen. Ob - eaterwissenschaft, Spieldesign oder Psychologie, die Aufsätze inspirieren zu neuen Ideen und vermitteln Erkenntnisse, indem sie Brücken schlagen zwischen Larp und den (anderen) Künsten.Zusammengestellt und aufbereitet anlässlich der Live-Rollenspiel-Konferenz MittelPunkt 2016.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783938922750
Auflage
1

Gerke Schlickmann

„WIR MÜSSEN ÜBER SIGNA REDEN

LARP UND PERFORMANCE-INSTALLATIONEN

„Normalerweise kommen die Menschen, gucken sich etwas an, gehen wieder. Aber im 21. Jahrhundert haben sie keine Lust mehr, sich Sachen anzugucken, sie wollen Teil von etwas sein, eine Erfahrung machen. Eine Verbindung zu anderen Menschen spüren.“
Marina Abramović über Performances1
Performance-Installationen, site-specific theatre, partizipatives oder immersives Theater – diese und ähnliche Schlagworte bestimmen aktuell die Diskussion um neue Konzepte in der darstellenden Kunst. Auch das vorangestellte Zitat der Performance-Ikone Marina Abramović zielt in diese Richtung und beschreibt einen Trend, der allerdings ebenso gut in einem Live-Rollenspiel enden könnte wie in einer Performance: Seit einigen Jahren ist sowohl in der „hohen“ Kunst wie in der „gemeinen“ Popkultur verstärkt eine Hinwendung zu partizipativen Formaten zu erkennen, die mehr bieten als reinen Konsum und die die Trennung von Produkt(ion) und Rezeption, von Akteuren und Publikum aufzuheben versuchen.2
So schrieb ein euphorischer Kritiker anlässlich der Wiener Festwochen 2016 über den Trend zum immersiven Theater und dessen Vorreiter, das Künstlerkollektiv SIGNA:
„Im klassischen Theater mit Bühne und Tribüne müssen Zuschauer körperlich nur darauf achten, dass sie nicht von ihren Sesseln fallen. Die ‚immersive‘ Performance mit Publikumsbeteiligung ist – quasi als ‚next level‘ – auf eigene Gefahr zu genießen. […] Ein noch härteres Training liefert die 2001 gegründete Kopenhagener Gruppe Signa mit ihrer Performance-Installation Wir Hunde, die ein ganzes Haus füllt. Erst wer diese fünf Stunden erlebt hat, weiß wirklich, was eine immersive Aufführung ist: Die Besucher werden voll und ganz in eine inszenierte Wirklichkeit integriert. Und zwar ganz analog. Im Vergleich mit einer solchen Erfahrung kann all die technisch erzeugte ‚virtuelle Realität‘, in die gerade Unsummen investiert werden, schlicht einpacken.“3
Besucher, die „voll und ganz in eine inszenierte Wirklichkeit integriert“ werden, „analoge“ Erfahrungen, die weit über technisch erzeugte künstliche Realitäten hinausgehen – klingen solche Beschreibungen nicht frappierend nach Live-Rollenspiel? Wird hier etwas als neu und innovativ gefeiert, das wir, die Live-Rollenspieler, schon seit mehr als zwanzig Jahren betreiben? – Diesem Eindruck möchte ich im Folgenden am Beispiel der schon genannten Gruppe SIGNA nachgehen und werde dabei gegebenenfalls auf meine eigenen Erfahrungen mit deren Performance Wir Hunde zurückgreifen.
Dabei geht es mir nicht darum, zu beweisen, dass solche Performance-Installationen Live-Rollenspiele sind (auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass man sie als solche fassen kann) oder dass „wir“ das schon viel länger machen. Mich interessiert vielmehr die Frage, ob es für das Verständnis solcher Formate hilfreich sein könnte, innovative Performance-Formen mit der larp-spezifischen Brille zu betrachten.
Mein Ausgangspunkt besteht dabei zunächst aus persönlichen Eindrücken, vor allem durch eine immer wiederkehrende Beobachtung im Kontext theaterwissenschaftlicher Forschung(sgespräche): In vielen Diskussionen über SIGNA und ähnliche Phänomene fiel mir bei anderen Theaterwissenschaftlerinnen eine gewisse Sprachlosigkeit auf, wenn es darum ging, das eigene Erleben zu beschreiben und die verschiedenen Ebenen zu differenzieren. Das Vokabular von Performer/Schauspieler/Darsteller, Zuschauer/Besucher oder Rolle/Figur scheint nicht ausreichend, das Eingebundensein der Teilnehmer und die komplexen Bezugnahmen zwischen den verschiedenen Realitätsebenen auszudrücken und das eigene Erleben und Handeln darin zu verorten. Wenn ich dagegen mit anderen Live-Rollenspielerinnen über diese Art von Performances sprach, benutzten wir ganz selbstverständlich die üblichen Larp-Begriffe, die sich mühelos übertragen ließen und es ermöglichten, uns präzise über die Performance und unsere Erfahrungen darin zu verständigen.
Der Titel dieses Artikels ist also wörtlich zu nehmen: Mir scheint, dass es – nicht nur innerhalb der Theaterwissenschaft – ein großes Bedürfnis gibt, sich über solche Formate wie SIGNA auszutauschen, wobei aber die gewohnten Begrifflichkeiten und Sichtweisen an ihre Grenzen zu kommen scheinen. Der Bezug zu Live-Rollenspiel könnte einen neuen Diskurs über solche Phänomene ermöglichen. Insbesondere der Begriff und das Konzept von „Bleed“ könnte das Sprechen über immersives Theater um einen wesentlichen Aspekt bereichern und etwas in Worte fassen, das bislang nur vage angedeutet werden konnte.
Auch außerhalb des akademischen Kontextes erzeugen diese „entgrenzten Spiele“4 Redebedarf, wie ich vielfach von anderen Besuchern gehört habe. Um das Verwischen und Durchmischen von Realität und Spiel, das Ausweiten von Spielelementen auf die Welt außerhalb und nicht zuletzt die teilweise emotional herausfordernden Situationen zu verarbeiten und zu sortieren, schienen viele eine Art Nachbereitung nötig zu haben – ein Feature, das von den Veranstaltern nicht vorgesehen ist. Die Besucher bleiben mit ihren Eindrücken, ihrer Überforderung allein – oder sie finden sich spontan nach der Vorstellung zu Gesprächsgruppen zusammen. „Wir müssen über SIGNA reden“ ist daher auch der Seufzer, mit dem ich aus meinem eigenen SIGNA-Abend herauskam, und der von meinen Begleitern – allesamt Live-Rollenspieler wie ich – erwidert wurde: Wir alle brauchten dringend ein Debriefing.
Der vorliegende Text ist daher weniger eine stringente wissenschaftliche Argumentation, sondern eher eine mäandernde, durchaus persönlich grundierte Auseinander- und Inbezugsetzung zweier faszinierender Phänomene, von der ich mir einen Gewinn für beide verspreche. Larp könnte ein Modell bieten, mit dem die Vorgänge in partizipativen Formaten besser verstanden werden können und das vielleicht auch Hilfestellung in der persönlichen wie wissenschaftlichen Verarbeitung solcher Grenzerfahrungen zu geben vermag. Gleichzeitig zwingt uns dieser Vergleich, genau zu benennen, was ein Larp denn eigentlich ist, welche Elemente es ausmachen. Definitionen müssen gefunden und eventuell aktualisiert werden. Und nicht zuletzt könnte das Zusammendenken von Larp und Kunst – von Larp als Kunst – Veranstaltern, Designern und Spielern weitere Herangehensweisen eröffnen und sie ermutigen, selbstbewusst neue Visionen zu entwickeln und zu erproben.

SIGNA

So, wie man bei der Beschäftigung mit der klassischen Performance Art nicht an der eingangs zitierten Abramović vorbeikommt, so kristallisiert sich in der Beschäftigung mit aktuellen Formen dieser Kunst eine neue Ikone heraus: die Künstler_innen-Gruppe SIGNA, deren Arbeit hier im Folgenden als Beispiel für Performance-Installationen und mögliche Parallelen zu Live-Rollenspiel dienen soll.5
Das internationale Kollektiv um Signa und Arthur Köstler mit Basis in Kopenhagen macht seit einigen Jahren durch ihre aufwändigen Projekte von sich reden, in denen sie komplexe, in sich geschlossene Gegenwelten erschafft, die von Darstellern und Zuschauern bevölkert werden. Die Zuschauer – die man hier eher Besucher nennen möchte – können (oder müssen) diese Welten durchstreifen und mit den Darstellern interagieren. Im Vergleich zum traditionellen Theater und auch zu den meisten Performances ist sowohl die räumliche Komplexität (es werden ganze Gebäude oder sogar Dörfer bespielt) als auch die zeitliche Dauer (mehrere Stunden bis hin zu mehreren Tagen non-stop) der SIGNA-Aktionen bemerkenswert. Auf der Website der Gruppe beschreiben sie ihr Konzept wie folgt:
„[T]he fundamental concept of their projects is best described as performance installation. Each project is a devised site-specific performance played in non-traditional art spaces. In collaboration with an ensemble of international participants, the founding members of SIGNA conceptualize and perform in wholly immersive endurance installations which engage with archetype, improvisation and highly curated visual landscapes, to indulge and investigate structures of power and degradation, fate, identity and desire. The audience is invited not only to visit and explore the extensive installations, but also to interact with and in some cases, impact them.“6
Bei Wir Hunde bedeutete das konkret, dass man als Gast der Gemeinschaft „Canis Humanus“ eingeladen war, deren Wiener Stadthaus bei einem Tag der Offenen Tür zu besuchen.7 Etwa 50 Darsteller_innen bewohnten dieses Haus in mehreren komplett eingerichteten Wohnungen und einem „Zwinger“ genannten Keller. Fünf Stunden lang konnten die 70 Besucher die Räume durchstreifen, dort mit den Familien auf der Couch sitzen, Kaffee oder Schnaps trinken, sich Fotoalben anschauen und sich von dem Leben als Herrchen oder Hundemensch berichten lassen, während leicht bekleidete „Hundsche“ auf allen Vieren herumkrochen, sich an den Beinen der Besucher rieben und sich den Kopf tätscheln ließen. Unter dem Deckmantel der Toleranz, mit der sich „Canis Humanus“ um die sogenannten Hundemenschen kümmerte, also um Hunde, die im menschlichen Körper gefangen sind, und ihnen ein „artgerechtes“ Leben ermöglichte, eröffnete sich ein Vexierbild von Befreiung und Entmündigung, in das die Besucher direkt eingebunden waren: Wenn im „Zwinger“ neue Hundsche auf ihr Leben in der Gemeinschaft vorbereitet, das heißt: abgerichtet wurden, geschah das vorgeblich zu ihrem eigenen Besten, da sie ja nur so ein ihnen gemäßes Leben führen könnten, anstatt außerhalb der Gemeinschaft als pervers oder verrückt zu gelten. Doch wie verhält man sich als Besucherin, wenn jemand vor den eigenen Augen erniedrigenden und möglicherweise real schmerzhaften Praktiken unterzogen wird – steht man nur passiv daneben, schreitet man ein oder macht sogar mit, weil es die Darsteller doch so wollen und die Geschichte es so vorgibt? Hinterfragt man das Märchen des Tierschutzes, das die Familien einem in vielfältigen Variationen erzählen, oder geht man ganz in einer Unterstützerrolle auf, streichelt die Hundschen, gibt ihnen Leckerlis und bietet an, mit ihnen einmal Gassi zu gehen?
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Abb. 1: Deckblatt des in-time verteilten Programmhefts
SIGNAs Arbeiten behandeln auf eindringliche Weise Fragen von Macht und Unterdrückung, Ausbeutung und Entmenschlichung – also keineswegs leichte Kost, sondern eher ein „begehbarer Alptraum“, wie Die Zeit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Grenzen übertreten – Gedanken über Partizipation, Computerspieltheater und Live-Rollenspiel (Órla Fiona Wittke)
  7. Traumpark Larp – Über die Vermischung von Fiktion und Realität in Vergnügungsparks (Herwig Kopp)
  8. Live-Rollenspiel als Erzählform (Daniel Steinbach)
  9. Theater und Larp – Warum das zusammen gehört! (Ruth B.)
  10. „Wir müssen über SIGNA reden“ – Larp und Performance-Installationen (Gerke Schlickmann)
  11. „They have … what?!“ Atmosphere and Storytelling in Larps (Carsten Herbst)
  12. Mittendrin statt nur dabei. Oder: Warum Partizipation im Larp wichtig ist (Katharina und Marius Munz)
  13. Literatur: Lesenswert