Kapitel 1
Worum es geht
Verführung zur „Souveränen Markenführung”
Verführung ist etwas Wunderbares!
Doch verführerische Prosa allein wird Sie nicht überzeugen. Deshalb gibt es auch Checklisten und kurze anschauliche Beispiele. Sie sollen schließlich in die Lage versetzt werden, die Markenführung in Ihrem Unternehmen sofort spürbar zu verbessern.
Gebrauchsanleitung
Von einem Handbuch erwarten Sie zurecht Arbeitsanleitungen. Die werden Sie für die vier Werkzeuge auch finden. Vielleicht werden diese Anleitungen dem Einen sehr viel helfen, dem Anderen noch zu allgemein sein. Das liegt daran, dass Souveräne Markenführung in der Praxis in jedem Unternehmen anders aussehen wird. Das muss auch so sein, weil jede Marke anders ist. Sonst wäre es eine schlechte Marke. Auch ist jeder Manager anders und das ist gut so. Denn Souveräne Markenführung stellt auf autarke Managerpersönlichkeiten ab. Je nach Erkenntnisstand werden Ihnen die Leitfragen etwas geben. Vielleicht gewinnen Sie Ihre Information eher aus den Fallbeispielen oder aus dem Langtext. Fallbeispiele sind reale Geschichten, die nicht etwa dafür erzählt werden, um sie Eins zu Eins zu kopieren. Vielmehr vermitteln sie eine Ahnung von implizitem Wissen, das Ihnen auf dem Weg zu einer eigenen Entscheidung helfen kann. Sie können aus den Fehlern Anderer lernen. Wir alle machen Fehler – aber unsere eigenen und die hoffentlich nur ein einziges Mal. Die Langtexte sind für diejenigen unter Ihnen, die hinterfragen, die die Basis von „Souveräne Markenführung” verstehen möchten. Zugunsten besserer Lesbarkeit verzichte ich auf wissenschaftliche Beweisführung. Den Ausführungen liegt dennoch erkenntniswissenschaftliche Denkarbeit zugrunde.
Wozu das 1001. Buch über Markenführung?
Grundsätzliche Abhandlungen zur Geschichte und Bedeutung von Marken gibt es genug. Souveräne Markenführung richtet sich an Menschen, die das theoretische Grundgerüst von Marken und Markenführung bereits kennen. Anspruch von „Souveräne Markenführung” ist es, auf die Herausforderungen der sich wandelnden Medienbedingungen zu reagieren. Es ist ein Konzept, mit dem Marken geführt werden in einer Welt, in der ein Unternehmen nicht mehr qua Etat ein Monopol darauf hat, was und wie seine Marke kommuniziert. Es wird darauf ankommen, die im 19. und 20. Jahrhundert aufgebaute Entfernung und teilweise auch Entfremdung zwischen Unternehmen und Märkten wieder aufzulösen. Die Entwicklung der letzten 15 Jahre vermittelt eine Ahnung von der Tragweite, die die gegenwärtige dritte Medienrevolution mit sich bringt – nach der Erfindung der Schrift und dem Buchdruck. In der Markenführungspraxis wird die Tragweite dieses Wandels noch nicht erkannt.
Es gibt noch einen wesentlichen Unterschied:
Souveräne Markenführung ist nicht etwa ein weiteres gut gemeintes theoretisches Konzept, das dann in der Praxis an vielerlei Hürden scheitert. Souveräne Markenführung verzichtet von vornherein auf Perfektionismus. Sie werden in diesem Buch auch nicht die gewohnte BWL-Sprache vorfinden. Die BWL-Sprache hat eine wichtige Funktion: Sie soll Unsicherheit absorbieren. Das haben Wirtschafts- und Organisationssoziologen bereits vor Jahren herausgefunden und bewiesen. Aber für die wirksame Markenführung brauchen Sie keine Unsicherheitsabsorbtion. Sie benötigen Landkarten, die Sie bei der Entscheidung unterstützen, was Sie tun müssen, um den Wert Ihrer Marke zu steigern – in Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten. Komplexen Markt- und Kommunikationsverhältnissen können Sie nicht mehr mit einfachen Ursache-Wirkungsketten beikommen, wie zum Beispiel, dass mehr Verkaufsförderung zu mehr Absatz führe, während mehr Mediawerbung ein besseres Image erzeuge und damit ein höheres Preispremium ermöglicht.
Markenführung oder Markenbildung?
Die Unklarheit bei der Abgrenzung von Markenbildung und Markenführung ist nur allzu verständlich. Es gibt jede Menge Literatur und Beraterkonzepte zur Festlegung von Markenattributen, Leistungsmerkmalen, dem Markenkern, der Marken-DNA und die Darstellung von all dem in einem Modell. Solch ein Modell soll dann als Instrument zur alltäglichen praktischen Markenführung benutzt werden: wenn Erweiterungen der Marke auf eine andere Produktlinie oder gar Produktkategorie diskutiert, Agenturen gebrieft und Entscheidungen getroffen werden zu Preisen, Aktionen oder was auch immer mit der Marke zu tun hat.
Abb. 2 | Markenbildung, Markentechnik und Markenführung im Zeitverlauf
Markenbildung setzt dort an, wo es noch keine Marke gibt. Eine Marke muss erst gebildet und aufgebaut werden. Für gewöhnlich geht man dabei folgendermaßen vor: Aus dem individuellen Stärkenprofil werden Potenziale für einen herausragenden Zielgruppennutzen herausgearbeitet. Langfristige Chancen hat das Ganze nur, wenn es auf ein konstantes Grundbedürfnis bei eben jener Zielgruppe abstellt. Sobald der Anbieter diesen Nutzen aus Sicht der Zielgruppe einzigartig erfüllen kann, können wir von einer Marke sprechen. Erst an dieser Stelle setzen die theoretischen Beschreibungen von USP, Positionierung und Markenkern an. Danach erst beginnt Markenführung. Mitunter besteht noch Unklarheit darüber, wer eigentlich die Marke führt. So sprechen auch Agenturen davon, dass sie mit Hilfe der von ihnen entwickelten und lancierten Werbekampagnen Marken führen. Markenführung entsteht durch eine Kette absichtsvoller Interventionen.
Solche Interventionen können sein:
• die Festlegung von Bilderwelten
• die Aufgabenstellung an die Agentur
• das Firmenprofil in Facebook
• ein Film auf YouTube
• eine Anzeige im „Stern”
• eine neue Kollektion Laufschuhe
• eine Preissenkung durch den Handel
• die Antwort auf einen Kommentar im Markenblog
• ein Tweet bei Twitter
• das Fahren eines Autos einer bestimmten Marke
Diese Liste könnte endlos fortgesetzt werden.
Einige Interventionen werden vom Brand Manager initiiert, andere von Mitarbeitern anderer Abteilungen und wieder andere von x-beliebigen Menschen. Interventionen können folgenreich sein oder folgenlos bleiben. Sind sie folgenreich, dann haben sie Einfluss auf die Marke. Sie gestalten das Imagebild mit, das ein Beobachter von der Marke hat. Sie können weiterhin Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft, die Verkaufszahlen und den monetären Markenwert haben – im positiven wie im negativen. Das „Steuern” dieser Interventionskette ist eher vergleichbar mit dem Anstubsen einer Billardkugel als mit dem direkten Lenken eines Fahrrads.
Ihr Einfluss auf Ihre Marke
Einfluss auf Markenerlebnisse
Abb. 3 | Quelle: Accelerom, 2009
Abbildung 3 erfasst Durchschnittswerte. Je nach Branche und Bedeutung einer Marke fallen die Anteile unterschiedlich groß aus. Generell gilt: Je bekannter, bedeutender und emotionalisierender eine Marke ist, desto mehr Markenkommunikation findet unabhängig vom Unternehmen statt.
Marketing befasst sich üblicherweise mit den Markenkommunikationen, die vom Unternehmen veranlasst werden:
• Ausgestaltung von Produktmerkmalen
• Verpackungsgestaltung
• Unverbindliche Preisempfehlung
• Auswahl und Beschickung von Vertriebskanälen
• Kampagnen (Mediawerbung, Direktmarketing, Sales Promotion, Viral Marketing)
• Produkt-PR
• Sponsoring.
Bei diesen Instrumenten und Mitteln können Sie die Mitteilungen inhaltlich und formal weitestgehend bestimmen. Aber was heißt das? Tatsächlich haben Unternehmen auf vieles, was selbstverständlich Gegenstand der Markenführung ist, heute keinen exklusiven Zugriff mehr: Produktmerkmale werden vom Prosumenten mitgestaltet. Die zunehmende Macht des Handels hat in den letzten 35 Jahren den Spielraum für Preise immer weiter verkleinert. Ihre Marke taucht bei ebay auf. Manche Hersteller wollen das nicht, können es aber nicht wirksam verhindern (vgl. Beispielbox). Zu welchem Preis ein Produkt bei ebay unter den Hammer kommt, darauf haben Hersteller kaum Einfluss, wie das Beispiel Prada deutlich macht: Im Prada Flagship Store in New York wurden Monitore aufgehängt. Kunden konnten live mitverfolgen, welche Prada-Produkte über ebay verkauft wurden.
Markeneinfluss im Wandel der Zeit
Auf den Stil Ihrer Werbung und wo sie geschaltet wird, haben Sie einen nahezu hundertprozentigen Einfluss – abgesehen von den Spielräumen der Mediaagenturen und Medien-Vermarkter. Was aber ist mit den nicht autorisierten Spots, die jemand einfach mal so mit dem Handy aufnimmt und bei YouTube hochlädt? Einige dieser Spoofs (so nennt man diese Werbespot-Parodien) erreichen sogar mehr Menschen als die offizielle Werbung. Im Frühjahr 2010 gab es unzählige Parodien auf den 1&1-Werbespot über den Leiter Kundenzufriedenheit, Marcell D’Avis. Auch Agenturen produzieren immer häufiger Werbung, für die sie gar kein Mandat haben. Die taucht dann im Internet auf – aus Versehen oder beabsichtigt; nicht immer lässt sich das abschließend klären. Auch offizielle Spots kann jeder auf seiner eigenen Website einbetten, ohne dass Sie auf das redaktionelle Umfeld irgendeinen Einfluss haben. Selbst wenn Sie von Ihrem Recht Gebrauch machen und abmahnen: Die Kommunikation findet statt. Neben den einst so zentralen traditionellen Massenmedien haben sich unzählige Blogs, Foren und Meinungsportale etabliert, die wahre oder falsche, gut oder schlecht getextete, schön oder grässlich gestaltete Inhalte anbieten. Gerade in Deutschland ist unter den so genannten Meinungsführern eine eher konsum- wenn nicht sogar wirtschaftskritische Haltung verbreitet. Je mehr ein kommerzielles Interesse bei einem Akteur vermutet wird, desto schärfer die Kritik. Auch die Glaubwürdigkeit von prominenten Testimonials und gesponserten Spitzensportlern kann kippen. Die Beziehung zwischen Marke und Promi ist eine sehr sensible. Beide können voneinander profitieren. Das macht das Instrument so attraktiv und wirkungsvoll. Kein Unternehmen kann aber diese Menschen – seien es Schauspieler oder Sportler – zu 100 Prozent für seine Markenführung instrumentalisieren. Sie haben auch hier nur einen indirekten Einfluss auf die Markenkommunikation.
Eine Haltung wie beim Surfen
Egal, welchen Markenführungsansatz jemand verfolgt, in einem sind sich alle einig: Die Märkte werden immer turbulenter, immer weniger vorhersagbar, und ...