Good bye, Fassbinder
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Good bye, Fassbinder

Das deutsche Kino nach 1989

  1. 368 Seiten
  2. German
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Good bye, Fassbinder

Das deutsche Kino nach 1989

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Über dieses Buch

Deutsche Erstausgabe eines umfassenden Standardwerks über die aktuelle deutsche Kinolandschaft.Nach der großen Ära des Autorenfilms in den siebziger Jahren überrascht heute ein neues deutsches Kino, dem man auch international mit Interesse begegnet. Pierre Gras stellt das deutsche Kino der letzten fünfundzwanzig Jahre in einem gut lesbaren Gesamtbild dar, indem er einzelne Regisseure vorstellt und die unterschiedlichen künstlerischen Strömungen und Schulen beschreibt. Es werden Arthouse-Filme genauso gewürdigt wie der deutsche Dokumentarfilm und das kommerzielle Kino. Außerdem liefert Gras Informationen zur Förder- und Finanzierungslandschaft und über Filmhochschulen und Festivals. 'Eine vergleichbare Publikation gibt es nicht.' Christoph Hochhäusler

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783895813672
IV.
Die junge Garde
Lieber Der schwarze Falke als Little Big Man
Christoph Hochhäusler
Christoph Hochhäusler hat mit 41 bereits fünf abendfüllende Spielfilme gedreht und gilt als einer der führenden Köpfe der in den siebziger Jahren geborenen jungen deutschen Filmemachergeneration. Sein Erstling Milchwald von 2004 war für viele Kritiker das dringend erforderliche Gegengift zu Filmen wie Good Bye, Lenin! und galt als wichtiger Film der »Neuen Deutschen Welle«. Als Mitgründer und Redakteur der Filmzeitschrift Revolver nimmt Hochhäusler in Deutschland auch im Verhältnis zur internationalen Filmkritik eine Sonderstellung ein. Revolver erscheint halbjährlich im Taschenformat und hat sich in Deutschland trotz großer Konkurrenz der Filmzeitschriften als Plattform für Werkstattgespräche und Reflexionen über das Filmemachen etabliert. Seit der Gründung 1998 erscheinen bei Revolver halbjährlich ausführliche und in die Tiefe gehende Interviews mit deutschen oder internationalen Filmemachern, die den Herausgebern wichtig sind. Von Anfang an wollten die beteiligten Filmemacher durch »Gespräche auf Augenhöhe« die eigenen anspruchsvollen Positionen theoretisch untermauern.
Revolver wurde von Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg, der bei Milchwald Koautor war und inzwischen selbst drei Filme gedreht hat, »aus Notwehr«24 (Hochhäusler) gegen das intellektuell anspruchslose und nur wenig theoriebegeisterte Klima unter Studenten und Lehrenden an der Filmhochschule in München gegründet. Seine Vorstellung von Kino grenzt sich vor allem gegen die Mittelmäßigkeit deutscher Filmproduktion ab. Er hat sich durch die Begegnungen und Gespräche für die Zeitschrift in eine filmische Traditionslinie hineingeschrieben, die vom fernsehfinanzierten kommerziellen Kino abweicht, das in Deutschland vor allem amerikanischen Erfolgsrezepten filmischen Erzählens verpflichtet ist.
Hochhäuslers erster Film Milchwald, der 2003 im Forum der Berlinale Premiere hatte, ist ein spartanischer Film geworden. Es gibt nur wenige Darsteller (zwei Kinder, ihr Vater, die Stiefmutter, ein polnischer Raumpfleger), wenige Orte (ein Neubau, der noch nicht fertig eingerichtet ist, Straßen auf dem Land, eine Raststätte, ein Wald), alle an der deutsch-polnischen Grenze. Das Märchen Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm wird in eine Zeit des Umbruchs durch die Osterweiterung Europas kurz nach der Jahrtausendwende verlegt. Der Vater der Kinder arbeitet zu viel, weil er das neue Haus abbezahlen muss.25 Die Stiefmutter fährt mit den Kindern, einem etwa zehnjährigen Mädchen und einem Jungen von sieben oder acht, über die nahe Grenze nach Polen. Dort setzt sie die Kinder nach einer Streiterei mitten im Niemandsland ab. Als sie wenig später umkehrt, um die Kinder wieder einzusammeln, sind sie im unbekannten Gelände verschwunden. Während Lea und ihr Bruder Constantin im Wald durch die Nacht irren, bringt es die Stiefmutter nicht über sich, ihrem Mann zu gestehen, was passiert ist. Ein herumreisender polnischer Putzmann nimmt die Kinder erst aus Mitleid auf. Als er aber erfährt, dass der Vater eine Belohnung ausgesetzt hat, will er diese kassieren. Die Kinder wollen nun ihrem Helfer nur noch entkommen.
Schuld und Unschuld, deutsche Sparsamkeit und Sauberkeit, überbordender polnischer Katholizismus, erwachsene Geldgier und kindliche Undurchschaubarkeit werden in diesem formal durchgestalteten Film in Beziehung gesetzt und einander gegenübergestellt. Der Film fängt mit einer langen festen Kameraeinstellung an, in der man die Kinder eine Straße entlanglaufen sieht, bevor das Auto der Stiefmutter im Bildhintergrund auftaucht und schließlich neben ihnen anhält. Die erzählte Geschichte ist reich an Intrigen, wenn sie auch manchmal ein wenig künstlich wirkt in der Neigung zur Metaphernbildung. Die großen Themen, die Grenze als besonderer Ort deutscher Dramen, die fehlende Liebe der Stiefmutter zu den Kindern als Auslöser und die Einflüsse der tagesgeschichtlichen Umstände deuten auf die Nähe zwischen Hochhäusler und Petzold hin. Die beiden schätzen sich und haben zahlreiche intellektuelle Debatten geführt, nicht nur in der Vorbereitung auf das gemeinsame Projekt Dreileben.
Hochhäusler hat allerdings mehr Sinn für abstrakte Bilder, die in Milchwald immer wieder als Akzente eingesetzt werden: formal durchkonstruierte Einstellungen mit frontal gefilmten Figuren. Er setzt auch wunderbare zeitgenössische Musik dramaturgisch ein. Petzold – wie Schanelec oder Arslan – verwendet Musik diskreter und sparsamer. Milchwald stößt allerdings aufgrund der konzeptuellen Strenge auch an seine Grenzen: Dem Zuschauer wird zu direkt, wenn auch talentiert und stets intelligent, die bildliche Umsetzung eines intellektuellen Programms geboten. Die Andersartigkeit Polens wird fast ein wenig naiv dargestellt: Der Pole ist ein mittelloser und auf Gewinn schielender Lebemensch, der ohne Skrupel seine schwangere Frau betrügt. Der Versuch, dokumentarisch eine katholische Prozession einzufangen, bleibt auf einige wenige, nicht allzu gelungene Vignetten beschränkt. Aber das sind nur die Fehler eines vielversprechenden Erstlings, wie Falscher Bekenner beweist, der 2005 in Cannes bei »Un certain regard« zu sehen war.
Dieser Film ist ein äußerst giftiger Coming-of-Age-Film. Das in Deutschland beliebte Genre thematisiert die Schwierigkeiten der Jugendzeit. Die Helden finden nach überstandenen Prüfungen meist zwangsläufig den Weg ins Erwachsensein. Armin, die Hauptfigur von Falscher Bekenner, hat die Schule ohne besondere Vorkommnisse zu Ende gebracht. Jetzt sucht er Arbeit und einen Platz in der Welt. Außerdem will er dem behütenden, aber erdrückenden Elternhaus entfliehen. Soweit das klassische Schema. Doch davon ausgehend gestaltet der Filmemacher einen irritierenden Film, der erzählerisch und gestalterisch die Reflexionen des Erstlingsfilms fortführt. Armin absolviert diverse standardisierte Aufnahmetests, an denen er scheitert, weil man von ihm stereotype Reaktionen erwartet, die er als junger Mann auf der Suche nach einer eigenen Persönlichkeit nicht liefern kann.
Falscher Bekenner stilisiert die soziale Realität, deren Mechanismen der Film gleichzeitig sehr direkt vorführt. Die Hauptfigur ist, ähnlich wie später die Figur Thomas in Petzolds Jerichow, ein Opfer der Massenarbeitslosigkeit und der damit einhergehenden Beschäftigungsprogramme Anfang des neuen Jahrtausends. Hochhäusler und Petzold beschreiben die Zurichtung des menschlichen Verhaltens durch die Anforderungen des Kapitalismus und die Amerikanisierung der deutschen Gesellschaft durchaus auf ähnliche Weise. Das Individuum steht bei Hochhäusler allerdings immer in Beziehung zu den allgegenwärtigen Massenmedien. Armin denkt sich in Reaktion auf eine Nachrichtensendung eine kriminelle Schuld aus und bekennt sich dazu, das verunglückte Auto eines Industriellen manipuliert zu haben, später sogar, einen Brand gelegt zu haben, dessen Zeuge er nur zufällig geworden ist. Mit ironischer Brechung lebt hier die Atmosphäre des deutschen Linksterrorismus auf. Armins eigentliche Schuld besteht jedoch bei allen Versuchen, zum Täter zu werden, in dem Gefühl, sozial überflüssig zu sein, das ihm seine Eltern immer wieder einimpfen, hervorragend gespielt von Manfred Zapatka (dem Lieblingsdarsteller von Romuald Karmakar) und Victoria von Trauttmansdorff. Ein Gefühl, das die Leiter verschiedener Personalabteilungen genauso bestätigen wie das rätselhafte junge Mädchen, zu dem sich Armin hingezogen fühlt.
Hochhäusler verzichtet diesmal auf Frontalansichten und die hieratischen Bildausschnitte seines ersten Films. Die Bildgestaltung wird in andere Richtung weitergetrieben. Diesmal dominiert das Spiel der kalten Farben winterlicher Außenansichten bei Tag, der dunklen Massen, die von Lichtinseln durchbrochen werden, in den zahlreichen Nachtsequenzen, sowie das erstickende Braungrün des Elternhauses. Der Film ist in zahlreiche Einstellungen aufgelöst, der Schnitt steht im Dienste des flüssigen Ablaufs der Szenen und auch der Übergänge zwischen den Sequenzen. Die Wege der Hauptfigur folgen der Zwangsläufigkeit seiner inneren Entwicklung. Die sexuellen Phantasieszenen, in denen der Jugendliche eine Gruppe Motorradfahrer in Ledermonturen auf Autobahnparkplätzen trifft, sind gleichermaßen brillant umgesetzt wie bruchlos in die Handlung integriert. Der Traum, als Beifahrer eines maskulinen Bikers in Lederkluft auf dem Motorrad einfach davonzufahren und die gewohnte Welt zurückzulassen, ist eine zeitgemäße Entsprechung zu dem alten Traum vom Bauernsohn, der als Knappe einen fahrenden Ritter begleiten will. Er offenbart ein tiefes Verlangen nach Andersartigkeit, nach Ausbruch aus der Anonymität.
Der Film setzt die in Milchwald offensichtliche Reflexion über deutsche Orte fort. Die Grenze ist hier eine innere, hinter der jene Individualität beginnt, die nicht von der Gesellschaft oder der Familie vorfabriziert ist, sondern die Armin aus sich selbst heraus entwickelt. Es ist kein Zufall, wenn das Ende von Falscher Bekenner einen Neuanfang andeutet. Noch einmal, wie schon zuvor in seinem Traum als Beifahrer des Bikers, lächelt er, diesmal in Richtung des Mädchens, das er beeindrucken und erobern wollte26.
Hochhäuslers dritter Film, Unter dir die Stadt, wurde 2010 ebenfalls in der Reihe »Un certain regard« in Cannes gezeigt. Der Film behandelt erneut ein aktuell relevantes Thema, in diesem Fall die Finanzkrise. Die Hauptrollen werden wieder mit bekannten Darstellern besetzt, Robert Hunger-Bühler und Nicolette Krebitz. Der Filmemacher legt einer Erzählung ähnlich der Märchenstruktur von Milchwald diesmal eine Variation der biblischen Geschichte von Bathseba im Bade zugrunde. Der Vorstandsvorsitzende einer großen Bank schickt einen seiner Angestellten auf gefährliche Mission ins Ausland, weil er dessen junge Frau verführen will. Sie ist fasziniert von dem Machtmenschen, von dem großbürgerlichen Luxus seines Lebensstils und doch gleichzeitig davon abgestoßen, was sie daran hindert, ihren Mann zugunsten des Bankiers im Stich zu lassen. Der Bankier treibt seine Versuche, Macht über diese Frau zu gewinnen, derart ins Extrem, dass er dabei seine Karriere riskiert.
Die filmische Erzählung ist in der Welt der Frankfurter Bankentürme angesiedelt, einer Kulisse aus Glas und Stahl, deren Inszenierung an einigen Stellen zu formalistischen Exzessen der Kamerabewegung neigt. Immerhin entsprechen sie genau den kodierten Bildern, die jene Geldmacht von sich selbst durch Architektur und deren Abbildung in den Medien vermitteln will. Phantastisch angehaucht ist die karikierende Übersteigerung der Codes großbürgerlicher Geschäftsleute und das Verhalten der Jungbanker zum Beispiel in der rätselhaften letzten Sequenz. Im Zentrum der Geschichte steht allerdings die schillernde Figur des großbürgerlichen Bankiers, der die Logik der Macht bis zum Äußersten treibt. In dem Versuch zu begreifen, was er zerstört, erfährt er die Zerstörung in aller Intensität am eigenen Leib. Der Schweizer Darsteller Robert Hunger-Bühler (Mephisto unter Peter Stein) spielt das mit der erforderlichen Komplexität und Gebrochenheit. Mit der Geschichte dieses instabilen Paares am Rande des Abgrunds gelingt es dem Regisseur, die Zwänge der unmenschlichen Gesetze unserer Wirtschaft noch an denen überzeugend darzustellen, die sie ausüben.
Im Triptychon Dreileben, das 2011 auf der Berlinale im Forum lief, eine Auftragsproduktion von WDR, BR und Degeto, zeigt Hochhäuslers Beitrag Eine Minute Dunkel die Flucht des Sträflings Molesch, um den die Trilogie kreist, der aber erst hier zur Hauptfigur wird. Dem gegenübergestellt wird ein Polizeikommissar, der Moleschs Spur finden will und dabei zu einer neuen Erklärung des Verbrechens kommt, für das Molesch verurteilt wurde. Hochhäusler verknüpft hier Moral und ästhetischen Standpunkt. Der Flüchtling, gespielt vom Schweizer Darsteller Stefan Kurt, wird als krankes und gebrochenes Individuum dargestellt, gefährlich, aber kein »Psychopath«. Die Art, wie Moleschs Flucht gefilmt wird, stellt eine ungewöhnliche Empathie zu der in den beiden anderen Teilen eher unsympathisch gezeichneten Figur her. Mehr als die Hälfte des Films zeigt, wie Molesch den Verfolgungen und Treibjagden der Polizei entkommt und sich im Thüringer Wald, der von der Bildauflösung und der Kamera Reinhold Vorschneiders wunderbar in Szene gesetzt wird, durchschlägt. Ab der Hälfte tritt dann die psychologische Recherche des Kommissars, der eigentlich nicht mehr mit dem Fall betraut ist, in den Vordergrund. Er widmet sich vor allem den Familiengeheimnissen des Straftäters. Wie schon in der Episode Séance, die Hochhäusler zum Omnibusfilm Deutschland 09 beigesteuert hat, zeigt der Film zahlreiche Photos und Dokumente in Großaufnahmen. Auch in anderen Passagen des Films spürt man Hochhäuslers Aufmerksamkeit für Materialität, für Licht, für das Spiel seiner Darsteller. Die intelligente Handschrift verwendet Stilisierungen allerdings nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel im Dienste einer dichten Inszenierung.
Hochhäuslers neuester Film, Die Lügen der Sieger, von 2014 ist schließlich eine brillante Stilübung mit einem für die vorangegangenen Filme eher ungewöhnlichen Cast. Sein fünfter langer Spielfilm spielt mit den Codes des Thrillers, der Paranoia des Überwachungsstaates, mit Suspense und Elementen des »Buddy-Movies« – dank des Darstellerpaares Florian David Fitz (unter anderem Hauptdarsteller und Autor des kommerziellen Erfolgsfilms Vincent will Meer) und Lilith Stangenberg. Der Film folgt den Ermittlungen eines sehr unabhängig denkenden investigativen Journalisten, der merkwürdige Vergiftungsfälle bei ehemaligen Bundeswehrsoldaten aufklären will. Hochhäusler hat hier – erneut mit Ulrich Peltzer zusammen – ein Drehbuch geschrieben, das den Zuschauer unentwegt auf falsche Fährten schickt und dabei mit Klischees spielt, wie zum Beispiel der (französischen) Bande, die beim Hauptdarsteller seine Spielschulden eintreiben soll. Der unerschrockene Held dieser Geschichte begreift erst am Ende, was eigentlich bei diesem Fall, in dem es um seltene Metalle, Kontamination und Umweltskandale zu gehen schien, eigentlich auf dem Spiel steht. Er lässt sich von den Indizien, die die Drahtzieher des Komplotts für ihn auslegen, in die Irre leiten, ähnlich wie der Zuschauer von den funkelnden Bildern des Kameramanns Reinhold Vorschneider, der hier erneut seine ganze Kunst unter Beweis stellen kann. Der Zuschauer erlebt diesen Film ähnlich wie sein Held als Desillusionierung und Demaskierung der Zustände in der neuen Berliner Republik. Die Virtuosität der Inszenierung zeigt sich zum Beispiel in den Proben für das Geschäftsessen mit einem einflussreichen Politiker und anschließend beim Essen selbst, wo die Vielzahl der Schnitte und Einstellungen einer Vervielfältigung der Blickwinkel entspricht. Hochhäusler beweist mit Die Lügen der Sieger die Fähigkeit, sein Regietalent auch in den Dienst eines Projektes mit üppigem Budget zu stellen, geleitet von der ihm eigenen hintergründigen Ironie. Als Nächstes steht eine deutsch-französische Koproduktion mit Isabelle Huppert an, die zum ersten Mal ein historisches Thema behandeln wird.
Benjamin Heisenberg
Hochhäuslers Koautor bei Milchwald und Mitgründer von Revolver, Benjamin Heisenberg, hat inzwischen drei Spielfilme geschrieben und inszeniert: Schläfer (2005) und Der Räuber, der 2010 im Wettbewerb der Berlinale lief. Über-Ich und Du lief 2014 im Panorama der Berlinale. In diesen Filmen gibt es zwar keine Kinder und Jugendlichen, aber die Figuren sind wie bei Hochhäusler auf der Suche nach sich selbst. Das gilt für Johannes, die Hauptfigur von Schläfer, ein junger Forscher, der vom Geheimdienst angeworben wird, um sich mit seinem Laborkollegen Farid anzufreunden. Er soll den jungen Mann mit arabischen Wurzeln überwachen, der verdächtigt wird, ein islamistischer Terrorist, ein Schläfer zu sein. Das gilt auch für Rettenberger, den Marathonläufer und Bankräuber in Der Räuber. Und es gilt ins Komödiantische gewendet für den Kleinkriminellen Nick im letzten Film, den eine »Blitztherapie« fast seine Identität vergessen lässt. Das große Thema der Suche nach der eigenen Identität ist nicht nur von den beiden Gründern von Revolver durchdekliniert worden, sondern auch von einer Reihe anderer Filmemacher, die ihre ersten Filme um das Jahr 2000 herum gedreht haben (Köhler, Winckler, Ade). Die immer neuen filmischen Formen, die für diese konstante Problemkonstellation westlicher Gesellschaften gefunden werden, gehören sicher zu den Stärken des deutschen Gegenwartskinos.
Heisenberg baut Schläfer auf einer Dreiecksgeschi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Autor, Herausgeber
  5. Widmung
  6. Inhalt
  7. Vorwort von Christoph Terhechte
  8. I. 2003: Neuanfang oder Wiederentdeckung?
  9. II. Das Abenteuer X Filme: Lola, Lenin und der Führer
  10. III. Die erste Generation: Christian Petzold, Angela Schanelec, Thomas Arslan
  11. IV. Die junge Garde
  12. V. Drei Filmemacher jenseits aller Gruppenzugehörigkeit und ein Meteorit
  13. VI. Besessene und Maîtres fous: Romuald Karmakar
  14. VII. Das kommerzielle Kino
  15. VIII. Die Kunst des Dokumentarfilms
  16. IX. Wachstumsfaktoren
  17. X. Farocki und Kluge, zwei Mentoren
  18. XI. Ausblick
  19. Dank
  20. Anhang
  21. Titelverzeichnis
  22. Personenverzeichnis
  23. Filmbücher im Alexander Verlag Berlin
  24. Back Cover