Tal des Schweigens
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Tal des Schweigens

Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz

  1. 224 Seiten
  2. German
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Tal des Schweigens

Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz

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Über dieses Buch

"Der alte Geist der katholischen Alpen-Oligokratie treibt im Wallis bis heute sein Unwesen", schrieb der Autor dieses Buches in der Zeit. Auf Druck der regional dominanten katholischen Kirche lehnte der Kanton Wallis die liberale Bundesverfassung von 1848 sowie die erste Totalrevision von 1874 haushoch ab. Das Wallis musste zu Demokratie und Rechtsstaat gezwungen werden. Das hat Auswirkungen bis zum heutigen Tag. Kurt Marti, langjähriger Redaktor der Oberwalliser Oppositionszeitung Rote Anneliese (rote Analyse) hat zahlreiche Fälle von Parteifilz, Vetternwirtschaft, illegalen Machenschaften, Intrigen, Willkür, Medienzensur, Bigotterie und Heuchelei aufgedeckt. Er wurde vor Gericht gezerrt und von der Walliser Justiz verurteilt und diffamiert. Schließlich sprach ihn das Bundesgericht in allen Punkten frei.Das Buch soll exemplarisch aufzeigen, welch schädlichen Einfluss die 155-jährige Vorherrschaft der katholischen Mehrheitspartei CVP auf Politik, Gesellschaft, Medien und Justiz hat, insbesondere wie dieEinschränkung der kritischen Öffentlichkeit funktioniert. In diesem Sinne ist das Buch ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft und steht in der Tradition der politischen Aufklärung.

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Von Klosterfrauen, Richtern und Dichtern

In großer Sorge griff Bischof Norbert Brunner von Sitten zum Telefon. Eines seiner Schäfchen hatte sich im politischen Unterholz verirrt und brauchte sofort Hilfe: Benno Tscherrig, Katholik und Anwalt, ehemaliger CSPO-Großrat, erfolgloser Kandidat fürs Gemeindepräsidium von Leuk und für den Nationalrat, ehemaliger Bauernpräsident, langjähriger Sekretär der Region Leuk, Präsident des Oberwalliser Vereins zur Förderung geistig Behinderter, insieme, sowie Präsident und operativer Leiter der katholischen Altersheimstiftung La Résidence. Die Menschen wollten Tscherrig auf der Straße partout nicht mehr grüßen und schnauzten ihn an: »Nicht einmal vor Klosterfrauen machst du halt!« Die Klienten mieden seine Anwaltskanzlei. Ein Ausgestoßener also, hilflos, aussätzig, gebrandmarkt. Ideal, um an ihm ein Exempel der katholischen Barmherzigkeit zu statuieren.
Das Telefon läutete Anfang Dezember 2004 in die Stille des Klosters Unsere liebe Frau vom Berg. Am Apparat meldete sich die siebzigjährige Klosteroberin Maria-Sinah Prause. Sie hatte auf den Anruf des Bischofs gewartet. Umso mehr erschrak sie über dessen Dreistigkeit. Ohne Umschweife nannte dieser sein Problem: Die linke Zeitung Rote Anneliese (RA) wolle Benno Tscherrig fertigmachen. Sofortige Gegenmaßnahmen seien angezeigt, um Tscherrigs Ruf zu retten. Tatsächlich konnte niemand im Tal behaupten, Tscherrigs Reputation hätte sich verbessert, nachdem die RA auf der Titelseite verkündet hatte: »Tscherrig wütet weiter. Klosterfrauen gefeuert!« Dazu ein Foto der betenden Klosterfrauen, andächtig kniend vor dem Altar der Klosterkapelle. So etwas verfehlte im katholischen Wallis seine Wirkung nicht. Keiner feuert dort ungestraft Klosterfrauen. Auch nicht der Freund des Bischofs!
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Keiner feuert im katholischen Wallis ungestraft Klosterfrauen.
Das Dörfchen Unterems liegt auf einer Anhöhe am Südhang des Rhonetals bei Leuk. Hier hatte sich die Gemeinschaft der Schwestern von den sieben Schmerzen Mariä niedergelassen und in Fronarbeit das Kloster Unsere liebe Frau vom Berg sowie das millionenteure Alters- und Pflegeheim Emserberg aufgebaut. Mit bestem Blick auf die Berner Alpen und den Pfynwald. Unzählige alte Menschen hatten hier in Obhut der Klosterfrauen ihre Lebensgeister ausgehaucht. Gründer und Präsident der Stiftung La Résidence, welche das Altersheim betreibt, war Emil Tscherrig, Domherr der Kathedrale von Sitten, ein welt- und geldgewandter Kirchenmann; inzwischen war er alt und gebrechlich, derweil sein drahtiger Neffe Benno Tscherrig als Stiftungsrat und operativer Leiter des Altersheims eifrig am Lebenswerk der Klosterfrauen bastelte.
Zuerst erwischte es eine Putzfrau des Altersheims, welche von einem Tag auf den anderen freigestellt wurde, weil sie sich mit der bereits pensionierten Oberin Maria-Sinah kritisch über das Altersheim unterhalten hatte. »Gibt es in diesem Hause noch Meinungsfreiheit?«, fragte die frühere Chefin des Altersheims in einem Brief an Tscherrig und die anderen Stiftungsräte. Und sie legte gleich nach: »Wir Schwestern empfinden den Kündigungsgrund, den die Heimleitung ausgesprochen hat, als massivste Diffamierung von uns Schwestern.«
Ein paar Monate später wurden auch zwei Klosterfrauen per sofort freigestellt. Sie mussten die Schlüssel des Altersheimes abgeben, das sie während 25 Jahren aufgebaut hatten und das ihre Existenz in Zukunft sichern sollte. »Können Sie sich das leisten?«, wollte die Oberin von Tscherrig wissen, der kurz zuvor im Nationalrats-Wahlkampf großspurig behauptet hatte, er habe seine soziale Ader erst spät zum Beruf gemacht. Die Klosterfrauen waren untröstlich. Dunkle Schatten lagen über der Feier zum 25-Jahr-Jubiläum. Die heimliche Empörung im katholischen Oberwallis war groß. Zahlreiche Geistliche zelebrierten die heilige Messe und gingen schweigend über den unchristlichen Hinauswurf der Schwestern hinweg. Generalvikar Josef Zimmermann, der Gesandte des Bischofs, fand erbauliche Worte zur klösterlichen Anbetung und Demut. Doch das nützte den Klosterfrauen wenig.
Die Oberwalliser Medien hielten sich an die katholisch-konservative Omertà, bis ausgerechnet die gottlose Rote Anneliese den Klosterfrauen zu Hilfe eilte. Innert weniger Tage war die Zeitung an den Kiosken ausverkauft. Tscherrig war geschockt und forderte die Klosteroberin im Befehlston auf, sich umgehend zum RA-Artikel zu erklären. Nicht ohne den Klosterfrauen auf subtile Art zu drohen, der Stiftungsrat werde eine hängige Konvention, welche für die Schwestern von existenzieller Bedeutung war, »im Lichte dieser Ereignisse behandeln«. Ob solch rüdem Ton und der unmissverständlichen Drohung erschraken die Klosterfrauen sehr.
Doch die Oberin dachte nicht daran, gegenüber Tscherrig Rechenschaft abzulegen. Deshalb wandte sie sich vertrauensvoll an den Bischof von Sitten: »Wir bitten den H.H. Bischof Norbert Brunner, sich unserer sehr prekären Situation anzunehmen und uns zur Seite zu stehen.« Mit dieser Bitte brachte die Oberin den Bischof in eine ziemlich heikle Situation. Dieser Kämpfer für die christliche Nächstenliebe, der Jesus laut eigenem Bekunden »zum Fressen gern hat« und der sich gern auf Matthäus 25,40 beruft (»Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«), musste sich entscheiden: Für oder gegen Tscherrig, für oder gegen die Schwestern, für die Starken oder für die Schwachen, für die katholische oder für die christliche Moral.
Instinktiv zeigte seine Magnetnadel in die katholische Richtung. Statt der Klosteroberin beizustehen, schlug sich der wendige Gottesmann auf die Seite von Tscherrig und bearbeitete die Klosteroberin: Der RA-Artikel sei irreführend und entspreche nicht der Wahrheit, redete er auf die Klosteroberin ein. Deshalb müsse sie sich in aller Form schriftlich davon distanzieren. Die Klosterfrau widersprach energisch, der Artikel sei nicht aus der Luft gegriffen und entspreche den Tatsachen. Zudem verstehe sie Tscherrigs Brief als Drohung und Druckmittel.
Aber der Bischof ließ sich weder von den Fakten noch von der Bedrängnis der Klosterfrauen beeindrucken und befahl der Klosteroberin ultimativ, sich gehorsamst seiner Doktrin zu unterwerfen. Denn hier ging es um höhere Ziele: Vereint im katholischen Glauben und der C-Politik sollte dem RA-Redaktor ein für alle Mal das journalistische Handwerk gelegt werden. Umso mehr als auch der ehrwürdige Bischof seine noch frischen Wunden von einem früheren RA-Artikel zu lecken hatte. Mit außergewöhnlicher Sturheit hatte Bischof Brunner einen beliebten Jungpriester dermaßen in die Enge getrieben, dass dieser arbeitsunfähig und krank in ein Sanatorium eingewiesen werden musste.
Für Tscherrig war der Tagesbefehl des Bischofs an die Klosterfrauen wie himmlisches Doping auf seinem bevorstehenden Kreuzzug gegen die RA. Vom Bischof gedrängt und von Tscherrig eingeschüchtert, setzte sich die Klosteroberin seufzend an ihre Schreibmaschine und distanzierte sich schweren Herzens vom RA-Artikel: »Im Namen der Schwesterngemeinschaft distanziere ich mich in aller Form von diesem Artikel.« Die Distanzierung der Oberin war umso erstaunlicher, als die Oberin vor Erscheinen des Artikels auf telefonische Anfrage der RA den Sachverhalt bestätigte, nicht ohne die Freistellung ihrer zwei Mitschwestern und einer Reinigungsfrau mit klaren Worten zu geißeln.
Mit der Distanzierung der Oberin in der Hand reichten Tscherrig und sein Anwalt Bruno Imhof wenige Wochen später eine Strafklage wegen Ehrverletzung gegen den RA-Redaktor ein. Zuvor hatte er bereits weitherum geprahlt, er werde den RA-Redaktor vor den Richter ziehen. Vor der Friedensrichterin von Brig gab er sich entsprechend kompromisslos: »Ich habe nichts mehr zu verlieren.« Nun setzte sich die unberechenbare Zensurmaschinerie der Walliser C-Justiz in Gang. Vor der Friedensrichterin von Brig wedelte Tscherrig noch stolz mit dem Distanzierungsschreiben der Oberin, ohne das Papier im Prozess aber je wieder zu gebrauchen. Der Grund für diesen Rückzieher sollte erst später klar werden, als die Klosteroberin vor der Kriminalpolizei die näheren Umstände erläuterte.
In der Strafklage zählten Tscherrig und sein Anwalt all jene Begriffe auf, mit welchen die RA angeblich Tscherrigs Ehre verletzt hatte: »feuern«, »wüten«, »unchristlich«, »provozieren«, »zurückkrebsen«, »verdrehen«, »einschüchtern«, »an Erpressung grenzen«, »Rosskur«, »Schock-Kündigung«. Letztere betrafen einen weiteren RA-Artikel, den Tscherrig ebenfalls auf seinen »Index Librorum Prohibitorum« setzte, nämlich einen Bericht über den Oberwalliser Verein zur Förderung geistig Behinderter, insieme. Im Rahmen einer unzimperlichen Umstrukturierung hatten acht Kaderleute von insieme den blauen Brief erhalten. Die RA warf Tscherrig vor, er habe eine Rosskur durchgezogen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeschüchtert und provoziert, gegenüber den Medien die Fakten verdreht sowie ein Verhalten an den Tag gelegt, das an Erpressung grenze. Das war starker Tobak! Aber die RA hatte die Vorwürfe ausführlich dokumentiert und begründet. Tscherrig hingegen stritt alle Vorwürfe rundherum ab.
Medialen Support erhielt Tscherrig vom Walliser Boten (WB), welcher just am Erscheinungstag der RA einen ganzseitigen Gegenartikel veröffentlichte. Darin wurden Tscherrigs brachiale Methoden bei insieme unter dem Titel »Hut ab!« gelobt. Über den Rausschmiss der Klosterfrauen hingegen verlor das Regionalblatt kein einziges Wort.
Die polizeilichen Ermittlungen brachten schließlich die Fakten an den Tag. Die Kritik der RA war hart, aber sie hatte eine solide Basis. Zweifellos war Tscherrigs Ehre lädiert, und er litt schwer darunter. Doch das hatte er sich selbst eingebrockt. Aufgrund dieser Faktenlage hätte der Untersuchungsrichter Bernhard Tenud die Zensurjagd gegen die RA sofort abbrechen müssen. Umso mehr, als Tscherrig weiterhin faktenwidrige Behauptungen auftischte und seine Glaubwürdigkeit angekratzt war.
Tscherrig behauptete nämlich, die RA hätte geschrieben, die Klosterfrauen seien »fristlos« entlassen worden. Im RA-Artikel war davon nirgends die Rede, sondern nur von einer sofortigen Freistellung. Zudem warf er dem RA-Redaktor vor, er habe es versäumt, bei der Leitung von insieme zu recherchieren. Ein E-Mail bewies das Gegenteil: Tscherrig hatte auf Anfrage der RA sogar erklärt, er nehme die RA-Fragen zur Kenntnis, obschon er der RA »in keiner Art und Weise rechenschaftspflichtig« sei. Und noch ein weiteres Faktum schmälerte Tscherrigs Glaubwürdigkeit: insieme wurde nämlich vom Walliser Arbeitsgericht zur Zahlung von 60 000 Franken verpflichtet, weil der Verein zwei langjährige Mitarbeiter fristlos entlassen hatte. Auch darüber hatte die RA berichtet.
Dem Untersuchungsrichter lag zudem das brisante Polizeiprotokoll der Befragung der Klosteroberin vor, welche klar bestätigte, dass der RA-Artikel den Tatsachen entsprach und dass sie die Distanzierung nur geschrieben hatte, weil sie Tscherrig mit dem Hinweis auf existenzielle Nachteile unter Druck gesetzt und weil der Bischof sie gegen ihren Willen dazu aufgefordert habe. Laut Art. 181 des Strafgesetzbuches wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer jemanden durch Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Nötigung ist ein Offizialdelikt, und demzufolge hätte Untersuchungsrichter Tenud von Amtes wegen gegen Tscherrig und den Bischof ein Verfahren eröffnen müssen.
Davor schreckte er aber zurück, sodass der RA-Redaktor mit einer Strafanzeige nachhelfen musste. Doch der getreue C-Richter stand kurz vor der Pensionierung, und jeder kann sich ausmalen, was auf ihn zugekommen wäre, hätte er das Verfahren gegen den RA-Redaktor eingestellt und ein Verfahren gegen den Bischof und Tscherrig eröffnet. Und so ließ er die beiden Pappenheimer springen, ohne sie überhaupt zum Nötigungsvorwurf befragt zu haben. Das Dossier Rote Anneliese hingegen reichte er pflichtbewusst an den Bezirksrichter von Brig weiter. Die RA schrieb: »Ein klarer Fall politischer Justiz!« Die Walliser Justizmaschinerie nahm ihren verhängnisvollen Lauf.
Die Gemütslage des weiß ergrauten Briger Bezirksrichters Philipp Bumann verhieß nichts Gutes: Der C-Richter war wegen eines zweifelhaften Urteils kürzlich unter die RA-Räder geraten. Zudem freute auch er sich auf seine bevorstehende Pensionierung. Bumann und sein Schreiber Martin Andereggen machten Tscherrigs Strafklage kurzerhand zum Programm ihrer Urteilsbegründung. Die Argumente des RA-Redaktors hingegen perlten an ihren juristischen Regenmänteln ab, als wären sie mit Nano-Technologie imprägniert. Auch ein vierzigseitiges Dossier der Klosterfrauen fand überhaupt keine Erwähnung.
Mangels Beweisen anerboten sich Bumann und Andereggen der RA gar als Hilfsredaktoren. Die RA hatte nämlich geschrieben: »Benno Tscherrigs Methoden: Verdrehen und einschüchtern.« Laut Bezirksgericht war das ehrverletzend, weil nicht Tscherrig allein gehandelt habe, sondern der gesamte insieme-Vorstand. Die RA hätte laut Bumann und seinem Adlaten besser schreiben müssen: »Methoden des insieme-Vorstandes mit Präsident Benno Tscherrig: Verdrehen und einschüchtern«. Dummerweise übersahen die eifrigen Zensoren, dass nur Tscherrig die Wahrheit verdreht hatte, nicht aber die restlichen Mitglieder des Vorstandes. Statt der RA eine angebliche Ehrverletzung nachzuweisen, verletzten Bumann und Andereggen mit ihren stümperhaften Korrekturen die Ehre von sechs Vorstandsmitgliedern. Zudem wollten sie auch nicht sehen, dass die RA sehr wohl den gesamten insieme-Vorstand im Titel, im Lead, im Text und namentlich in einem separaten Kasten genannt hatte. Sie waren mit der fixen Idee des Strafklägers an den Fall herangegangen und folglich nicht mehr imstande, auch andere Farbtöne zu erkennen.
Und so setzten die beiden Helden der Jurisprudenz ihren Ritt gegen den RA-Redaktor entschlossen fort: Der RA-Artikel sei generell nicht objektiv geschrieben und versuche Benno Tscherrig schlechtzumachen. Der Artikel sei »tendenziös« und folglich ehrverletzend. Ungeachtet des Wahrheitsgehaltes der einzelnen Fakten. Damit fabrizierten sie allein aus der kritischen Haltung eine strafbare Handlung. Tscherrig und sein Anwalt hatten es vorgekaut, die Richter plapperten es nach. Und so verurteilte das Briger Bezirksgericht im Frühjahr 2007 den RA-Redaktor wegen Ehrverletzung zur Zahlung von insgesamt 9200 Franken. Zuvor hatte Tscherrig zivilrechtlichen Schadenersatz angekündigt. Das konnte teuer werden, falls das Urteil rechtskräftig würde.
Die nächste Runde wurde im Frühjahr 2008 vor dem Kantonsgericht in Sitten ausgefochten und endete erwartungsgemäß mit der Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Auch hier war die politische Stimmungslage von Anfang an rabenschwarz: Kantonsrichter Lionel Seeberger war eben erst vom Gerichtsschreiber zum Kantonsrichter avanciert. Von CVPO-Gnaden versteht sich. Gleichzeitig saß er auch im Vorstand der CVPO und musste bereits in der Affäre »Conti Neri« (siehe Seiten 61ff) herbe Kritik von der RA einstecken. Auch andere Mitglieder des Kantonsgerichts waren gebrannte Kinder und gar nicht gut auf den RA-Redaktor zu sprechen. Zum Beispiel Erwin Leiggener, der damalige Doyen des Kantonsgerichts und frühere CSPO-Politiker. Aufgrund einiger schmerzhafter RA-Artikel hatte er den RA-Redaktor ins Restaurant Commerce in Brig vorgeladen, um ihm die besonderen Gepflogenheiten und die journalistischen Grenzen der Justizkritik im Wallis nahezubringen. Bei dieser Gelegenheit attestierte er dem RA-Redaktor durchaus ein »juristisches Flair« und fragte ihn dann etwas genervt: »Wenn Sie alles besser wissen, wieso werden Sie nicht selbst Kantonsrichter?« Die Antwort hätte er selbst am besten gewusst, denn Kantonsrichter aus dem Oberwallis wird nur, wer ein gelbes (CSPO) oder ein schwarzes (CVPO) Fell hat.
In diesem juristischen und politischen Spannungsfeld muss man sich nun den frischgebackenen Kantonsrichter Seeberger vorstellen. Die Erwartungshaltung der Parteigenossen und der Druck auf das Kantonsgericht waren groß, ein Freispruch kam folglich nicht infrage. Deshalb fand Seeberger vor allem an einem Argument großen Gefallen, das Tscherrig und sein Anwalt immer wieder wiederholten: Die RA habe »allein und ausschließlich« Tscherrig als Hauptakteur genannt. Die Entscheide zur Freistellung der Klosterfrauen hingegen habe nicht Tscherrig allein, sondern der gesamte Stiftungsrat gefällt. Die Darstellung der RA sei folglich wahrheitswidrig und ehrverletzend. Die Gegenargumente des RA-Redaktors und seines Anwaltes Peter Volken ließen Seeberger unbeeindruckt.
Das Urteil gegen den RA-Redaktor verbreitete Seeberger per Medienmitteilung. Besonders der Walliser Bote konnte nicht genug wiederholen, dass der RA-Journalist den Wahrheitsbeweis schuldig geblieben war und dass er »erhebliche Teile seiner Äußerungen nicht beweisen konnte und diese sich teilweise als falsch herausstellten«. Die Schwarzen und Gelben hatten nun den Beweis dafür in der Hand, was sie schon immer wussten: »Die Rote Anneliese ist ein Lügenblatt!« Und auch die Bevölkerung begann an der Glaubwürdigkeit des RA-Redaktors zu zweifeln. Sein Ruf war ernsthaft gefährdet.
Ein Jahr später machte das Bundesgericht der rufschädigenden Parteijustiz glücklicherweise ein Ende und sprach den RA-Redaktor auf d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einleitung: Vom Tanz der Tschäggättä
  7. Erinnerungen an die Strafkolonie
  8. Von Klosterfrauen, Richtern und Dichtern
  9. Ein Betreibungsbeamter fällt aus allen Wolken
  10. Horror im Spital und die totale Omertà
  11. Der liebeshungrige Chefarzt der Psychiatrie
  12. Frommer Polizeichef missbraucht Schülerin
  13. Leukerbad: Wo selbst die alten Römer erblassen
  14. Gottesstaat Wallis kreuzigt Freidenker
  15. Ein Zermatter Hotelier wird kalt abserviert
  16. Die Drahtzieher des Mattmark-Prozesses
  17. Nach der Lawine kam der Klärschlamm
  18. Der Beton-König lebt von Cervelats und Brot
  19. Subventionen für die Pleitefirma des Parteipräsidenten
  20. Die seltsamen Methoden des Visper Präfekten
  21. Ein Nationalrat flüchtet aus dem Steuerparadies
  22. Die Kantonalbank im kanadischen Goldrausch
  23. Der fehlgeleitete Autobahn-Skandal
  24. Die »Alpen-Opec« am Gängelband der Strombarone