Mein Shakespeare
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Mein Shakespeare

The Quality of Mercy

  1. 160 Seiten
  2. German
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The Quality of Mercy

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Brook hat Shakespeares Werke inszeniert und sein ganzes Leben lang kommentiert. In neun sehr persönlichen Essays reflektiert die Regielegende seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Phänomen Shakespeare und erklärt, wie Leser, Zuschauer, Schauspieler und Regisseure dem 450 Jahre alten Dramatiker begegnen können.'Dies ist keine akademische Arbeit. Es ist eine reihe von Eindrücken, Erfahrungen und vorläufigen Schlußfolgerungen. Die Einzigartigkeit Shakespeares besteht darin, daß jede Inszenierung ihre eigenen Gestalten und Formen finden muß, die geschriebenen Worte aber nicht einfach der Vergangenheit angehören. Sie sind Quellen, die immer neue Formen hervorbringen und beleben können.' Peter Brook

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Information

ACH, ARMER YORICK
oder

Was wäre, wenn Shakespeare
vom Sockel fiele?
Ich war in Moskau und hielt beim Tschechow-Festival einen Vortrag über Shakespeare. Als ich fertig war, stand ein Mann auf und teilte dem Publikum mit, wobei er seine vor Wut angespannte Stimme zu zügeln versuchte, daß er aus einer der islamischen Republiken im Süden komme.
»In unserer Sprache«, sagte er, »bedeutet Shake Scheich, und Pir bedeutet weiser Mann. Für uns besteht kein Zweifel – mit den Jahren haben wir gelernt, versteckte Botschaften zu deuten. Diese ist eindeutig.«
Ich war sehr überrascht, daß niemand darauf hinwies, daß Tschechow ein Tscheche gewesen sein muß.
Seit damals ist mir immer wieder ein neuer Anspruch auf die Urheberschaft am Werk des Barden* zu Ohren gekommen. Der letzte kam aus Sizilien. Ein Wissenschaftler hatte herausgefunden, daß eine Familie vor der Inquisition von Palermo nach England geflohen war. Ihr Name war Crollolancia. Es liegt auf der Hand: crollo heißt schütteln, auf Englisch shake, und lancia ist ein Speer, spear. Einmal mehr ist der Code eindeutig.
Vor einigen Jahren bat die angesehenste der intellektuellen Zeitschriften eine Reihe von Gelehrten, der großen Frage nachzugehen: »Who wrote Shakespeare? (Wer schrieb Shakespeare?)« Aus irgendeinem Grund kamen sie auf mich zu, und ich schrieb eine sehr humorvolle Reductio ad absurdum der ganzen Theorien.
Der Herausgeber schickte sie mit der kühlen Anmerkung zurück, daß sie meinen Beitrag zwar in Auftrag gegeben hätten, es jedoch nicht möglich sei, ihn zu veröffentlichen, da er des hohen akademischen Niveaus, das sie von ihren Autoren erwarteten, unwürdig sei.
Was für sie das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht hatte, war mein Schluß. Ich zitierte Max Beerbohm, einen hoch angesehenen englischen Humoristen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Seine Antwort auf die verworrenen Versuche, Geheimchiffren zu finden, war der Beweis, daß Tennysons Werk von Königin Viktoria geschrieben worden war. Dafür durchsuchte er In Memoriam geduldig Zeile für Zeile, bis er eine fand, die er ausschließlich unter Verwendung derselben Buchstaben umstellen konnte. Das Ergebnis seines Anagramms war: »Alf hat das hier nicht geschrieben, sondern ich, Vic.«
Zumindest in einem Punkt stimmen wir alle überein: Shakespeare war und ist einzigartig. Er überragt alle anderen Dramatiker, die Kombination von genetischen Elementen – oder Planeten, wenn Sie möchten –, die sein Entstehen im Mutterleib lenkten, ist so verblüffend, daß sie nur einmal in mehreren Jahrtausenden auftreten kann. Man pflegte zu sagen, wenn eine Million Affen eine Million Jahre auf eine Million Schreibmaschinen einhämmerten, würden die gesammelten Werke Shakespeares erscheinen. Selbst das ist nicht sicher.
Shakespeare nimmt Bezug auf alle Aspekte des menschlichen Daseins. In wirklich jedem seiner Stücke wird das Niedrige – der Dreck, der Gestank, das Elend des gewöhnlichen Lebens – mit dem Schönen, Reinen und Erhabenen verwoben. Das zeigt sich in den Figuren, die er erschafft, ebenso wie in den Worten, die er schreibt. Wie konnte ein einziges Gehirn ein so breites Spektrum umfassen? Lange Zeit genügte diese Frage, um einen Mann des Volkes auszuschließen. Nur jemand von adliger Herkunft und mit höherer Bildung konnte diese Stufe erreichen. Selbst der klügste Gymnasiast vom Land, und sei er noch so begabt, könnte nie über so viele Erfahrungsebenen springen.
Das wäre einleuchtend, wenn nicht sein Gehirn einzigartig gewesen wäre.
Als wir für ein Stück, L’Homme qui*, über das Gehirn forschten, begegnete ich vielen Phänomenen. Nur ein Aspekt war die erstaunliche Fähigkeit vieler Gedächtniskünstler. Ein typisches Beispiel war ein Taxifahrer aus Liverpool, der die komplette räumliche Anordnung jedes Hotelzimmers in Liverpool in anschaulichen Details im Kopf hatte. Wenn er Kunden vom Flughafen abholte, konnte er ihnen daher raten: »Nein, Zimmer 204 ist nichts für Sie. Das Bett steht zu nah am Fenster. Lassen Sie sich 319 zeigen. Oder noch besser, gehen Sie ins ›Liverpool Arms‹ und fragen Sie nach Zimmer 5. Das ist genau das, was Sie suchen.« Ein so erstaunliches Erinnerungsvermögen ist nicht das Resultat höherer Bildung und reicht für sich genommen nicht aus, um Shakespeares Werk zu schreiben. Aber er muß eine außergewöhnliche Fähigkeit gehabt haben, um jede Art von Eindruck aufzunehmen und sich in Erinnerung zu rufen. Ein Dichter nimmt alles auf, was er erlebt, und das gilt erst recht für einen genialen Dichter. Er filtert es und hat die einzigartige Fähigkeit, scheinbar völlig unzusammenhängende oder widersprüchliche Eindrücke miteinander in Verbindung zu bringen.
Heutzutage wird das Wort »Genie« sehr selten benutzt. Aber wenn man über Shakespeare spricht, muß man von der Erkenntnis ausgehen, daß dies ein Fall von Genialität ist, und der ganze altmodische Standesdünkel ist wie weggefegt. Ein Genie kann aus den bescheidensten Verhältnissen hervorgehen. Wenn wir das Leben der Heiligen betrachten, waren die meisten, im Gegensatz zu Kardinälen und Theologen, von ganz gewöhnlicher Herkunft. Das trifft vor allem auf Jesus zu. Niemand bezweifelt, daß Leonardo wirklich Leonardo da Vinci war, auch wenn er ein uneheliches Kind aus einem italienischen Dorf war. Warum also behaupten, daß Shakespeare ein Bauerntölpel war? Das Bildungsniveau war zu Zeiten von Königin Elisabeth I. bemerkenswert hoch. Es war gesetzlich festgelegt, daß kein Junge vom Lande über weniger klassische Bildung verfügen sollte als die Söhne des Adels. In der Satzung der Schule in Stratford stand: »Alle Kinder sollen unterrichtet werden, mögen ihre Eltern auch noch so arm und die Jungen noch so unbegabt sein.« Wir können das Vergnügen erkennen, mit dem sich Shakespeare über Lehrer lustig machte. Klassisches Wissen ebenso wie die Überheblichkeit der Pedanten, alles füllte den riesigen Speicher seines Gehirns.
Gewissenhafte und fleißige Wissenschaftler haben eine gewaltige Forschungsarbeit betrieben. Allen voran hat James Shapiro ausgezeichnete Arbeit geleistet und das Lebensgefühl und den Zeitgeist jener Epoche lebendig werden lassen. Seine detaillierten Nachforschungen sind so überzeugend, daß ausnahmsweise einmal Theorien durch lebendige Erfahrung ersetzt werden. So können wir uns den jungen Mann vom Lande an seinen ersten Tagen in London vorstellen, wie er durch die lauten, geschäftigen Straßen läuft, in den Wirtshäusern sitzt und in Bordelle späht, Augen und Ohren weit offen, um Geschichten von Reisenden, Gerüchte über Palastintrigen, religiöse Streitigkeiten, elegante Schlagfertigkeit und gewalttätige Obszönitäten aufzusaugen. Angesichts seiner einzigartigen Wißbegierde und großen Aufnahmefähigkeit hätte ihm ein einziger Tag – oder, wenn Sie wollen, eine Woche – mehr als genug soziales, politisches, intellektuelles Material für einen ganzen Stückekanon geliefert. Und tatsächlich lebte er Jahr für Jahr mit diesem riesigen Meer von Informationen, das den ungeformten Geschichten, die in seinem Kopf herumwirbelten, Nahrung gab. So verwundert es nicht, daß er nach außen hin als stiller Mensch wahrgenommen wurde!
Jeder Hochschuldozent kennt die Aufregung, die die Welt der Wissenschaft ergreift, wenn ein Plagiatsvorwurf aufkommt. Es ist wirklich seltsam, daß das nie dazu geführt hat, den wichtigsten, entscheidendsten Faktor der ganzen Geschichte von Shakespeare zu bedenken, daß nämlich seine Welt das Theater war. Theater ist eine Gemeinschaft, und nur mit dem Leben, das er Tag für Tag lebte, kann jede ernsthafte Untersuchung beginnen.
Wer war dieser Mann, der auf der Bühne stand, zusammen mit anderen probte, stundenlang in den Wirtshäusern saß und mit jedermann ins Gespräch kam, ohne daß irgendeiner ihn verdächtigte, ein Schwindler zu sein? Ein Schauspieler sagt zu einem Autor: »Kannst du diese Zeile nicht ändern?« oder »Der Teil scheint ein bißchen lang, könnten wir ihn nicht kürzen?« oder »Ich habe nicht genug Zeit für den Kostümwechsel, könntest du nicht einen Monolog oder eine kleine Szene auf der Vorbühne schreiben?«
Stellen Sie sich vor, ein falscher Shakespeare gerät in Bedrängnis. Er muß etwas umschreiben und eine neue Szene hinzufügen. Er überlegt eine Weile und rechnet aus, wie lange es für einen Mann zu Pferd dauern würde, vielleicht nach Oxford oder York zu reiten, zu warten, bis ihm der geheime Dichter seine Papiere gibt, und dann zurückzukommen. Shakespeare müßte jedes Mal hin- und herüberlegen und dann sagen: »Dafür brauche ich fünf Tage.« Und niemand hat das je angesprochen, obwohl es Jahr für Jahr so gelaufen sein muß. Niemand schöpfte Verdacht unter all diesen gehässigen und neidischen Rivalen? Tut mir leid, Akademiker: Wenn ihr je Teil eines Probenprozesses gewesen wärt, würdet ihr anders denken. Stellen Sie sich heute einmal einen falschen Dichter vor. Die Mitwirkenden würden es merken und sich über die Tatsache den Mund zerreißen, daß der Autor bei jeder Frage mit seinem Mobiltelefon auf die Seitenbühne verschwindet.
Als Manager und klugem Geschäftsmann war Shakespeare oft bewußt, daß seine Schauspieltruppe sich auflösen würde und Gagen nicht gezahlt werden könnten, sollte er nicht sehr schnell mit einem neuen Erfolg aufwarten. Es gibt kein Dokument, das auf eine Überarbeitung hinweist. Sogar Ben Jonson betont das. Es gab keine unvollendeten Stücke in der Schublade, keine Schreibblockade – keine mit Beckettschem Perfektionismus immer wieder überarbeiteten Entwürfe. Sein Gehirn hörte nie auf, zu suchen und zu experimentieren. Er war wie Mozart. Wenn man etwas dringend von ihm benötigte, griff er sofort auf das gesamte Material zurück, das in ihm vibrierte.
Das Theater lebt und atmet in der Gegenwart, nicht in Bibliotheken oder Archiven. Im Theater – heute, gestern, überall auf der Welt – ist der Autor als lebendiger Mensch präsent. Shakespeare hätte nicht am Tag der Aufführung kommen, den Schauspielern ihren Text geben und erwarten können, daß sie ein paar Stunden später Hamlet oder König Lear aufführen, ohne Vorbereitung, ohne Einüben, ohne Erarbeitung der Auftritte und Abgänge, der Musikeinsätze und der Wechsel von einer Spielebene zur anderen. Wäre das ohne Fragen, ohne Diskussion, ohne Trials and Errors möglich gewesen?
Es mußten praktische Entscheidungen getroffen werden. Es genügt, die Figur Peter Squenz bei den Proben für die Aufführung von Pyramus und Thisbe mit Zettel und den sogenannten »Handwerkern« im Sommernachtstraum oder Hamlets Rede an die Schauspieler anzuschauen, um ganz konkret zu sehen, daß die Inszenierungen zu Shakespeares Zeiten, auch wenn diese nicht die Schwierigkeiten der heutigen Zeit hatten, keine willkürlichen Ereignisse waren. Sie müssen Zeit in Anspruch genommen haben, und bestimmt gab es Fragen, auch Meinungsverschiedenheiten, mit denen der Autor konfrontiert wurde – besonders wenn dieser auch Mitglied der Truppe und sich der Probleme sehr wohl bewußt war, die sie schnell und gemeinsam lösen mußten.
Es ist erstaunlich, daß so viele Gelehrte bei ihrer Suche nach Beweisen für ihre Theorien diesen grundsätzlichen Aspekt völlig übersehen haben. Shakespeare war kein Dichter, der auf einer Insel lebte, er schrieb für eine Gemeinschaft in prekären Lebensverhältnissen.
Neben den Schauspielern gab es im Globe Theatre damals wie heute Souffleure und professionelle Bühnenarbeiter, die unter anderen Namen, wie stage keepers, die notwendigen Aufgaben erledigten – bei den Proben und Vorstellungen waren sie allgegenwärtig, um Vorhänge auf- und zuzuziehen, Requisiten bereitzuhalten und zu verteilen, zu gewährleisten, daß die Schauspieler rechtzeitig auftraten, und vor allem um auf der Bühne und im Publikum für Ordnung zu sorgen – und dies insbesondere bei den Kampfszenen, wo eine sich ständig ändernde Anzahl mitspielender Zuschauer unter Kontrolle gehalten werden mußte. Diese stage keepers waren auch bekannt dafür, ihr Urteil über ein Stück manchmal lautstark kundzutun – ebenso wie die galanten Herren, die auf der Bühne des Londoner Blackfriars Theatre* saßen und geistreiche Bemerkungen auf Kosten der Darsteller von sich gaben, so wie die Höflinge bei der Aufführung von Pyramus und Thisbe im Sommernachtstraum.
Es ist seltsam, geradezu unwirklich, sich vorzustellen, daß Shakespeare Jahr für Jahr mit so erschöpften und unzufriedenen Mitarbeitern arbeitete und seine Befähigung nie in Frage gestellt wurde. Alle Theorien, die Proben und Aufführungen nicht berücksichtigen, bewegen sich auf dünnem Eis. Natürlich gibt es heute noch hier und da Schauspieler, die ebenfalls ihre Lieblingstheorien haben. Aber sie sind nicht sehr zahlreich.
Zu Shakespeares Zeit wimmelte es nur so von Dramatikern, guten und schlechten, wohlwollenden und gehässigen. Die meisten von ihnen starben arm; Shakespeare war einer der ganz wenigen, der sich mit genügend Geld Land kaufen und zur Ruhe setzen konnte. Es gab allen Grund für Neid. Wie überall versuchten Schriftsteller im elisabethanischen London, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und waren dafür bereit, Pamphlete zu verfassen, die ihre Kollegen herabsetzten. Shakespeare war ein perfektes Ziel. Ist es daher nicht seltsam, daß es keine Dokumente gibt, die diesen falschen Schauspieler-Manager diffamieren, der vorgibt, diese sehr erfolgreichen Werke unter seinem eigenen Namen zu schreiben und zu veröffentlichen? Es gibt nur die viel zitierten, abfälligen Worte von Robert Greene, »eine emporgekommene Krähe«, denen Ben Jonson warme und sogar entschuldigende Worte entgegensetzt und dabei einen Shakespeare preist, der seit Jahren offen sein Rivale war und mit dem er doch viele Stunden zusammen in der »Mermaid Tavern« verbrachte. Und wie kann es sein, daß wir kein Pamphlet mit Spottversen finden, das sich an jeder Straßenecke mit demselben unmittelbaren Erfolg verkauft hätte, den alle Verschwörungstheorien und alle Enthüllungen über geheime Leben heute haben?
In der Literatur hat es viele Plagiatsfälle und falsche Identitäten gegeben, ebenso wie in der Mathematik, weil dort die Arbeit in Abgeschiedenheit stattfindet. Aber wir dürfen nie den gemeinschaftlichen Aspekt des Theaters aus den Augen verlieren. Theaterleute bezeichnen sich selbst oft als Familie. In einer Familie sind jedem alle Geheimnisse und Lügen bekannt.
Es gab die Boy Actors mit dem aufgeweckten Verständnis und der schnellen Boshaftigkeit von Kindern in Erwachsenenaufführungen. Wären sie nicht die ersten gewesen, die sich lustig gemacht und unwiderstehlich komisch den Chef parodiert hätten, der die Vorstellung leitet und vorgibt, ein Dichter zu sein? Und hätte einer von Shakespeares Dichterkollegen widerstehen können, dies in eines seiner eigenen Stücke einzubauen?
Jean Genet hat einmal zu mir gesagt: »Schriftsteller sind sehr neidische Geschöpfe. Wenn jemand einen großen Erfolg hat, ist es eine Erleichterung zu hören, daß er sein Werk nicht selbst geschrieben hat, sondern sein Cousin, und würde dies tatsächlich bewiesen, richtete sich der Neid natürlich sofort auf den Cousin.«
Weder Granville-Barker noch Henry Irving, John Gielgud oder Laurence Olivier glaubten, daß der Autor, der ihnen so vertraut war, ein Hochstapler sein könnte.
Offenbar gibt es etwa siebzig Anwärter auf Shakespeares Thron. Es gibt sogar eine Frau, eine spanisch-jüdische Dame, die die »Dark Lady« aus den Sonetten sein soll. Und es gibt ein Gerücht, daß Königin Elisabeth die Stücke in Zusammenarbeit mit einem unehelichen Sohn, mit dem sie eine inzestuöse Beziehung hatte, geschrieben hat. Ein Fürsprecher dieser Anwärter arbeitet genau wie ein Strafverteidiger. Er beginnt mit dem Fall, den er zu gewinnen hat, dann setzt er, häufig überaus brillant, all seine Gelehrsamkeit ein, um die Jury zu überzeugen, und übertrumpft im voraus seine gegnerischen Kollegen. Und in den meisten Fällen können wir nicht umhin, uns selbst für einen Augenblick überzeugen zu lassen.
Soweit ich weiß, vergingen Jahrhunderte, bis jemand den Autor hinter diesem Namen in Frage stellte. Dann, eines Tages am Ende des 19. Jahrhunderts, wachte eine Dame, die zufällig Delia Bacon hieß, in Boston auf und beschloß, daß ihr Urururgroßonkel die Stücke geschrieben haben mußte. Und so kam die Betrugsindustrie ins Rollen. In harten Zeiten ist sie ein Geschenk Gottes gewesen – sie sorgte für Massenbeschäftigung: Anstellungen für Professoren, Vorschüsse für jene, die die letzte Veröffentlichung anfechten wollen; und ein Segen für Verlage und die sie begleitenden Gewerbe Druck, Lektorat, Buchbinderei, Auslieferung und Buchhandel. Und natürlich haben jetzt Kritiker – wie Banker – ein ureigenes Interesse daran, die Sache in Gang zu halten. Daß einer der ersten Anti-Shakespearianer den gottgege...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Autor
  5. Widmung
  6. Inhalt
  7. Vorwort
  8. Ach, armer Yorick
  9. Ich war dort
  10. … gebacken als Pastete
  11. Wer hält die Waage?
  12. … noch so lange leben
  13. Das Stundenglas
  14. Ein Koch und ein Konzept
  15. Es gibt auch sonstwo eine Welt
  16. The Quality of Mercy
  17. Epilog
  18. Peter Brooks Shakespeare-Inszenierungen
  19. Back Cover