Vorsicht, Arzt!
eBook - ePub

Vorsicht, Arzt!

Wie unser Gesundheitssystem uns krank und andere reich macht

  1. 226 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
eBook - ePub

Vorsicht, Arzt!

Wie unser Gesundheitssystem uns krank und andere reich macht

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Ein Arzt, der trotz zitteriger HĂ€nde Patienten an den Augen operiert und Kunstfehler am laufenden Band fabriziert. Ein Krebsmediziner, der dafĂŒr sorgt, dass todkranken Patienten ein Medikament vorenthalten wird, das ihnen helfen könnte. Ein GynĂ€kologe, der Kaiserschnitte macht, damit er mehr verdient und pĂŒnktlich ins Wochenende kommt. Und damit nicht genug: Einige Ärzte betrĂŒgen ihre eigenen Patienten um Geld; andere operieren sie aus Geldgier und bringen damit ihr Leben in Gefahr. Die staatlichen Aufsichtsbehörden, die Patienten eigentlich schĂŒtzen sollten, sind oft untĂ€tig. Was lĂ€uft gerade schief im deutschen Gesundheitssystem? Investigativjournalistin Anette Dowideit, die bereits in "Endstation Altenheim" MissstĂ€nde in der Altenpflege aufdeckte, dringt nun tief in die Niederungen der "Ă€rztlichen Selbstverwaltung" vor – und fragt: Was ist aus dem Ă€rztlichen Berufseid geworden?

HĂ€ufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kĂŒndigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekĂŒndigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft fĂŒr den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf MobilgerĂ€te reagierenden ePub-BĂŒcher zum Download ĂŒber die App zur VerfĂŒgung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die ĂŒbrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden AboplÀnen erhÀltst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst fĂŒr LehrbĂŒcher, bei dem du fĂŒr weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhĂ€ltst. Mit ĂŒber 1 Million BĂŒchern zu ĂŒber 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nÀchsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Vorsicht, Arzt! von Anette Dowideit im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten BĂŒchern aus Medizin & Gesundheitspolitik. Aus unserem Katalog stehen dir ĂŒber 1 Million BĂŒcher zur VerfĂŒgung.

Information

Jahr
2016
ISBN
9783864704048

KAPITEL 1

PATIENT GEGEN GELDUMSCHLAG

WARUM MAN SEINEM ARZT NICHT BLIND VERTRAUEN SOLLTE

Es ist ein kalter Herbstabend, draußen regnet es. Seit zwei Stunden sitzt Marius Kleisner in seinem Auto, einem unauffĂ€lligen dunklen Kleinwagen, und fröstelt. Der Privatdetektiv wechselt sich seit einer guten Woche jeden Abend mit zwei Kollegen ab, um einen renovierten Altbau in einem der gehobenen Stadtteile von Frankfurt am Main im Blick zu behalten. Die beschattete Bewohnerin ist Ärztin mit einem gut bezahlten Spezialgebiet. Sie ist Radiologin. Doch Kleisners Auftraggeber halten die Frau fĂŒr eine StraftĂ€terin.
Es dĂ€mmert bereits, als die Ärztin ihre Wohnung verlĂ€sst, in ihren GelĂ€ndewagen steigt und losfĂ€hrt. Kleisner folgt ihr in unauffĂ€lligem Abstand. In den folgenden beiden Stunden dreht sie eine Runde durch mehrere Orte im Frankfurter SpeckgĂŒrtel: Bad Homburg, Königstein, Kronberg. An mehreren großzĂŒgigen EinfamilienhĂ€usern macht sie halt. Kleisners Recherche wird spĂ€ter ergeben, dass hier OrthopĂ€den und Internisten leben. Der Privatdetektiv greift zum Fotoapparat und dokumentiert, was er nun beobachtet: An jeder dieser Stationen holt die Ärztin einen Briefumschlag aus ihrer Handtasche, wirft diesen Umschlag in den Briefkasten, schaut sich noch einmal vorsichtig um, geht dann schnellen Schrittes zu ihrem Auto zurĂŒck und fĂ€hrt weg. AuffĂ€llig ist: Die Szene spielt sich zum Monatsende ab.
Marius Kleisner, der eigentlich anders heißt, und seine Kollegen arbeiten fĂŒr das Frankfurter ErmittlungsbĂŒro KDM Sicherheitsconsulting. Eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, in FĂ€llen von WirtschaftskriminalitĂ€t zu recherchieren. FĂŒr gewöhnlich sind die Auftraggeber Unternehmen, die Betrug in den eigenen Reihen oder Korruption von Konkurrenten vermuten. Der Chef der Ermittler ist Klaus-Dieter Matschke – ein ehemaliger Kriminaloberrat. In seiner Detektei arbeitet ein gutes Dutzend Ex-LKA-Ermittler, Zollfahnder und VerfassungsschĂŒtzer. Immer wieder, erzĂ€hlt Matschke, kommen seine AuftrĂ€ge seit ein paar Jahren aber aus einem anderen Bereich: dem Medizinbetrieb. Krankenkassen engagieren ihn und seine Kollegen zum Beispiel, um Abrechnungsbetrug aufzudecken: von KrankenhĂ€usern, die nicht erbrachte Leistungen bei den Kassen abrechnen. Oder ambulanten Pflegediensten, die den Pflegeversicherungen vorgaukeln, Senioren zu pflegen – die tatsĂ€chlich aber gar nicht pflegebedĂŒrftig sind.
Die Beschattung am nasskalten Herbstabend aber, und das ist ungewöhnlich, hat ein Mediziner selbst bezahlt. Ein anderer Radiologe hat die Detektei engagiert. Er will sich gemeinsam mit einem Berufskollegen in Neu-Isenburg sĂŒdlich von Frankfurt mit seiner eigenen Praxis niederlassen. Das aber ist eine teure und riskante Investition: Um eine radiologische Praxis einzurichten, mĂŒssen die beteiligten Ärzte je nachdem, welche Technik sie anschaffen – etwa GerĂ€te fĂŒr Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) – mit Anlaufkosten von deutlich ĂŒber einer Million Euro rechnen. Geld, das nur dann per Darlehen nach und nach abgezahlt werden kann, wenn genĂŒgend Patienten in die Praxis kommen. Der Radiologe, der seine Firma damals beauftragte, erzĂ€hlt Matschke, hat wĂ€hrend seiner GrĂŒndungsplanung jedoch Hinweise erhalten, dass sein Businessplan nicht aufgehen könnte. Denn es soll im Großraum Frankfurt zwei andere radiologische Praxen geben, die sich mit unlauteren Mitteln ihre Kundschaft besorgen. Die Rede ist in diesen Hinweisen von Kick-back-Zahlungen an andere Arztpraxen, die ihnen Patienten zufĂŒhren. Jedes Mal, wenn ein Kranker in einer der beteiligten OrthopĂ€die- oder Internistenpraxen eine Überweisung zum Radiologen brauche, werde eine der beiden radiologischen Einrichtungen empfohlen. An sich sind solche Empfehlungen nicht verwerflich – sofern der ĂŒberweisende Arzt ĂŒberzeugt ist, dass der empfohlene Mediziner außergewöhnlich gut arbeitet. Fließt jedoch dafĂŒr Geld, ist es eine Straftat.
Die Ermittler sollen nun helfen, diesen Verdacht zu erhĂ€rten. In den kommenden Monaten lassen sie sich Termine bei den in Verdacht stehenden „Partner-Praxen“ geben und hören sich an, wie deutlich die Mediziner und deren Sprechstundenhilfen die Patienten zum Besuch bestimmter Radiologenpraxen drĂ€ngen. TatsĂ€chlich erleben sie dort handfeste Beeinflussungen: „Wir empfehlen Ihnen, die Röntgenaufnahmen bei dieser speziellen Radiologiepraxis machen zu lassen“, hören sie immer wieder. Und damit nicht genug: „Wir rufen gleich mal an und machen einen Termin fĂŒr Sie aus.“
Bis dahin klingt das nur nach einer ĂŒberzeugten Empfehlung und Service am Patienten. Um zu beweisen, dass fĂŒr diese Empfehlungen auch Geld fließt, beschließen die Ermittler, auch die im Verdacht stehende Radiologin zu observieren – und beobachten schließlich, wie sie die UmschlĂ€ge einwirft. Dass sich darin Geldscheine befinden, sagt Ermittler Matschke, habe man auch feststellen können – weil manchmal UmschlĂ€ge versehentlich neben den Briefkasten gefallen und dabei aufgeplatzt seien – wie es wohl im Detektiv-Jargon heißt.
Ärzte-Bestechung in bar und mit persönlicher Zustellung: Solche FĂ€lle sind ein Grund fĂŒr dieses Buch. Es scheint, als nehme eine wachsende Zahl an Ärzten es mit ihrem Ă€rztlichen Berufsethos nicht mehr so genau. Wer im Gesundheitssystem recherchiert und in die Niederungen des Praxiswesens, der Krankenhausstrukturen und der Ă€rztlichen Selbstverwaltung eintaucht, der stellt fest: Im Medizinbetrieb ist hĂ€ufig nicht mehr nur die bestmögliche Versorgung des Patienten das Ziel. Im Fokus einiger Mediziner steht stattdessen offenbar, möglichst viel aus dem Patienten, der sich ihm und seiner Fachkenntnis anvertraut hat, herauszuholen. Teils geschieht das mit rechtlich lauteren, aber moralisch fragwĂŒrdigen Methoden. Teils geschieht es auch mit illegalen, teils hoch komplizierten Tricks.
Das PhĂ€nomen zeigt sich beispielsweise in dem Trend, dass Patienten in der Arztpraxis unnötige Selbstzahler-Leistungen aufgeschwatzt werden. Es geht weiter mit kleinen BetrĂŒgereien: Kranke zahlen in der Klinik Aufpreise fĂŒr eine vermeintlich luxuriösere Versorgung, die dann aber gar nicht geleistet wird. Niedergelassene Ärzte stellen gesetzlich Versicherten Rechnungen fĂŒr Leistungen, die ihnen bereits die Krankenkasse bezahlt hat. Sie kassieren ganz plump doppelt ab. Andere lassen Kassenpatienten Eintrittsgelder fĂŒr ihre Arztpraxis zahlen: Sie vergeben sogenannte Selbstzahler-Termine, mit denen man deutlich schneller drankommt als ein anderer gesetzlich Versicherter, der sich diese Sonderzahlung nicht leisten kann.
Manchmal aber geht die GeschĂ€ftstĂŒchtigkeit noch deutlich weiter – so weit, dass sie die Gesundheit der Patienten gefĂ€hrdet. Im Laufe der Recherchen fĂŒr dieses Buch und zuvor fĂŒr Zeitungsartikel, die in der Welt am Sonntag erschienen sind, kamen viele Beispiele dafĂŒr zusammen. Da ist 


 der Augenarzt, der trotz zitteriger HĂ€nde weiteroperiert und dadurch Kunstfehler am laufenden Band produziert – was schon einige seiner Patienten das Augenlicht gekostet hat.

 der Chirurg, der sich selbst ĂŒberschĂ€tzt und an Patienten Operationen durchfĂŒhrt, die er zuvor noch nie gemacht hat.

 der GynĂ€kologe, der aus finanziellen ErwĂ€gungen und aus Bequemlichkeit Babys per Kaiserschnitt zur Welt bringt und dafĂŒr die werdenden MĂŒtter ohne Not auf den OP-Tisch legt.

 und der OrthopĂ€de, der Knie und RĂŒcken operiert, obwohl diese Verletzungen genauso gut von selbst heilen könnten. Dabei nehmen er und seine Berufskollegen, die es ihm gleichtun, in Kauf, dass bei diesen unnötigen Eingriffen manchmal Menschen sterben.
Es gibt auch einflussreiche forschende Mediziner, die eine ganze Ă€rztliche Fachrichtung maßgeblich beeinflussen, gleichzeitig aber mit der Pharmaindustrie verstrickt sind. Sie haben die Macht zu verhindern, dass alternative, pharmaunabhĂ€ngige Therapien erforscht werden, die todkranken Patienten vielleicht helfen könnten – und diese Macht scheinen sie zuweilen auch auszunutzen.
Und dann sind da noch die ÄrztefunktionĂ€re, die maßgeblich darĂŒber bestimmen, wie viele Arztpraxen sich wo im Land niederlassen dĂŒrfen. Ihnen hat der Gesetzgeber die verantwortungsvolle Aufgabe ĂŒbertragen, die bestmögliche Versorgung der Patienten im Land mit Ärzten sicherzustellen. Stattdessen tun sie aber immer wieder das Gegenteil davon: Sie begrenzen zum Beispiel die Zahl der Ärzte, um denen, die schon eine Praxiszulassung haben, ihre Kundschaft zu sichern. Das Kuriose: FĂŒr diese Arbeit werden die FunktionĂ€re an der Spitze der Ă€rztlichen Selbstverwaltung großzĂŒgig entlohnt, einige von ihnen verdienen deutlich mehr als die Bundeskanzlerin. Ihr Einkommen aber stammt zum großen Teil aus BeitrĂ€gen gesetzlich versicherter Patienten.
Setzt man all diese Puzzleteile zusammen, formt sich ein recht eindeutiges Bild vom Zustand unseres Medizinbetriebs: Seinem Arzt kann man nicht mehr blind vertrauen. Seit ein paar Jahren haben die Medien dieses Thema fĂŒr sich entdeckt. In Zeitungsartikeln, Fernsehberichten und BĂŒchern haben Journalisten immer wieder ĂŒber die ungesunden AuswĂŒchse des Gesundheitssystems berichtet, das die Patienten eigentlich heilen sollte – sie tatsĂ€chlich aber viel zu hĂ€ufig krĂ€nker macht als zuvor. Oder ihnen zumindest Geld aus der Tasche zieht. Allerdings geht es in diesen Berichten in der Regel um ein Versagen des Systems an sich: Verantwortlich gemacht werden fĂŒr gewöhnlich entweder der Gesetzgeber, der es nicht hinbekommt, ein Regelwerk zu schaffen, das es unmöglich macht, sich als Arzt auf unrechte Weise zu bereichern. Oder die Krankenkassen, die mit ihrer strikten Sparpolitik niedergelassene Ärzte und KrankenhĂ€user – wie Letztere sagen – derart gĂ€ngeln, dass ihnen kaum etwas andere ĂŒbrig bleibe, als bei der Abrechnung den Kassen gegenĂŒber „kreativ“ zu sein. Nur so, lautet dann die Argumentation, lohne sich das GeschĂ€ft ĂŒberhaupt noch. Die Verantwortung wird letztlich ĂŒberall anders gesucht – nur nicht bei den Medizinern selbst.
Zeit fĂŒr die Frage: Was ist aus dem Ă€rztlichen Berufsethos geworden?
Das BerufsverstĂ€ndnis der Ärzte beruht auf dem Eid des Hippokrates, eines Arztes, der rund 400 Jahre vor Christus auf der griechischen Insel Kos lebte. Die Richtlinien, die er sich selbst und seinen Kollegen auferlegte, gelten als die erste Grundlage, an der Mediziner ihr Wirken ausrichteten. Sie besagten unter anderem, dass man Kranken nicht schaden darf. In Deutschland legen Ärzte zwar keinen Schwur ab, wenn sie ihre Approbation erhalten, auch wenn es an einigen UniversitĂ€ten Gelöbnisfeiern gibt. Doch das dort Gesagte hat keine Rechtswirkung. Dennoch gilt der Ă€rztliche Berufseid als grundsĂ€tzliche Richtlinie fĂŒr Mediziner in Gewissenskonflikten: Darf ich einem Patienten eine Leistung verkaufen, die er gar nicht braucht? Darf ich ihn zu einem chirurgischen Eingriff ĂŒberreden, der nicht zwingend nötig ist? Die Antwort ist in vielen FĂ€llen lapidar einfach.
So weit die Theorie. Praktisch nĂ€mlich spielen heute im Alltag der Mediziner hĂ€ufig auch noch ganz andere Überlegungen eine Rolle: Wie schaffe ich es, genĂŒgend gesetzlich Versicherte in meine Praxis zu holen, um mein Honorarbudget bestmöglich auszuschöpfen? Wie bekomme ich es hin, möglichst viele Patienten mit meinem neu angeschafften GerĂ€t zu untersuchen oder zu behandeln, damit es sich schon bald amortisiert hat? Wie verkaufe ich möglichst viele Selbstzahler-Leistungen? Und wie ĂŒberzeuge ich Privatpatienten, ausgerechnet in meine Praxis zu kommen? Wie schaffe ich es, am Monatsende die Raten fĂŒr meinen Bankkredit abzubezahlen, den ich fĂŒr meine PraxisĂŒbernahme aufnehmen musste – und gleichzeitig genug Geld auf die Seite zu legen und so meine Familie abzusichern, sollte mir als selbststĂ€ndigem Unternehmer etwas zustoßen? Eine Arztpraxis zu fĂŒhren ist eben, neben allen moralischen SelbstansprĂŒchen, die ein Mediziner an sich stellen mag, am Ende des Tages: ein Business.
Zwar war das schon immer so – doch es scheint, als habe sich die Wahrnehmung dieser Tatsache in den vergangenen paar Jahren verĂ€ndert. Als sei der Anspruch vieler Ärzte heute eher, das von ihnen betriebene GeschĂ€ft mĂŒsse sie nicht nur versorgen, sondern auch reich machen. Das zumindest meinen diejenigen unter den Medizinern, die ĂŒber die Moralvorstellungen dieses Berufsstands wachen: die Medizinethiker. In den vergangenen zwei, drei Jahren sind prominente Stimmen unter ihnen lauter geworden, die eine zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens beklagen. Unter ihnen ist der renommierte Freiburger Professor fĂŒr Medizinethik Giovanni Maio, der eine in der Branche heftig diskutierte Streitschrift veröffentlichte. Wie kann es sein, fragt Maio, dass ein vom Grunde her soziales System wie das Gesundheitswesen – in dem es eigentlich vorrangig darum gehen mĂŒsste, die SchwĂ€chsten unserer Gemeinschaft, also Kranke und PflegebedĂŒrftige, zu unterstĂŒtzen – zu einem Wirtschaftszweig geworden ist, in dem dieselbe Denke herrscht wie in der Versicherungsbranche, der Automobilbranche oder der fĂŒr Damenoberbekleidung? Dass es dort darum geht, Gewinne zu erzielen, sie abzuschöpfen und – was etwa fĂŒr große Krankenhaus- und Pflegekonzerne gilt – an Investoren auszuschĂŒtten und sie so dem Gesundheitskreislauf zu entziehen, wo sie doch dringend gebraucht wĂŒrden?
Das Ergebnis dieser Gewinn-Denke ist nĂ€mlich dies: Das VertrauensverhĂ€ltnis zwischen dem Behandelnden und dem Patienten, der sich vertrauensvoll in seine HĂ€nde begibt, scheint momentan nachhaltig Schaden zu nehmen. Dass dem so ist, zeigt etwa eine Umfrage der Beratungsfirma Accenture, die Anfang 2016 veröffentlicht wurde: Mehr als zwei Drittel der 2.000 befragten Patienten sagten, sie fĂŒhlten sich von ihrem Arzt nicht gut betreut oder sogar alleingelassen. Das galt vor allem fĂŒr jene, die schwere Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Rheuma oder Bluthochdruck haben und somit stĂ€rker als grundsĂ€tzlich Gesunde von ihren behandelnden Medizinern abhĂ€ngig sind.
Unter dem zunehmend zerrĂŒtteten VerhĂ€ltnis leiden aber all jene Ärzte – sicher der ĂŒberwiegende Teil aller Mediziner im Land –, die ihren Beruf redlich ausĂŒben. Die das Wohl ihrer Patienten im Blick haben, sich fĂŒr deren bestmögliche Versorgung tagtĂ€glich aufreiben und sich damit am Ende womöglich keine goldene Nase verdienen. FĂŒr sie alle macht es eine kleine Gruppe von Berufskollegen, die durch BetrĂŒgereien, durch Abzocke und durch das Ausnutzen des Vertrauens der Patienten, die sich auf ihre Expertise verlassen haben, unendlich schwerer.
Eine kleine Gruppe schwarzer Schafe in der Branche hat den Zeitgeist nachhaltig beeinflusst: Ging noch die Generation unserer Großeltern, vielleicht auch unserer Eltern, vorbehaltlos und mit grenzenlosem Vertrauen in die Respektsperson „Doktor“ in die Arztpraxis oder in die Klinik, scheint sich in der Generation der 50-JĂ€hrigen und abwĂ€rts eine von gesundem Misstrauen geprĂ€gte Haltung ausgebreitet zu haben – und das zu Recht. Anstatt sich auf die Empfehlung des ersten besuchten Mediziners zu verlassen, fordern Patienten immer hĂ€ufiger eine Zweitmeinung ein – was dazu gefĂŒhrt hat, dass der rechtliche Anspruch darauf mittlerweile gesetzlich verbrieft ist. Immer hĂ€ufiger holen sich skeptische Patienten auch Beratung von Verbraucherzentralen oder Patientenrechts-organisationen, um ihre Rechte zu ĂŒberprĂŒfen. Beides sind positive Entwicklungen, die dazu beitragen dĂŒrften, das Machtungleichgewicht auszugleichen – zwischen dem Arzt, der in den Körper des Patienten „hineinschauen“ kann, und dem Patienten, der dem Mediziner mehr oder weniger glauben muss, was dieser ihm ĂŒber den eigenen Körper erzĂ€hlt.
So positiv diese Entwicklungen im Sinne des Verbraucherschutzes jedoch auch sein dĂŒrften: Sie werden nicht vollstĂ€ndig verhindern können, dass auch in den kommenden Jahren solche, die das System auf unlautere Weise fĂŒr ihre Zwecke ausnutzen wollen, immer neue Schlupflöcher fĂŒr BetrĂŒgereien finden werden. So wie die Radiologin aus Frankfurt am Main, die ihre Kollegen offenbar mit GeldumschlĂ€gen versorgte.
Das Gesundheitssystem funktioniert offenbar an vielen Enden wie ein Schachspiel: Auf der einen Seite des Tisches sitzen diejenigen, die Gesetze erlassen, um Korruption zu verhindern. Auf der anderen Seite jene, an die sich diese Gesetze richten, also Ärzte, Krankenhausmanager, Apotheker oder Labortechniker – die mit allerlei Tricks versuchen, ebendiese rechtlichen Handlungsbedingungen zu ihrem eigenen Vorteil zu umgehen. Jedes Mal, wenn der Gesetzgeber einen Schachzug macht und eine LĂŒcke fĂŒr Abrechnungsbetrug oder Bestechung schließt, öffnet sich dadurch eine andere. Und wer die kriminelle Energie hat, diese LĂŒcken aufzuspĂŒren und sie zu seinen Zwecken zu nutzen, der schafft das auch. Denn die Kontrollen durch Aufsichtsbehörden und Ă€rztliche Selbstverwaltung sind an vielen Stellen lasch – deutlich lascher, als man es fĂŒr einen Zweig des öffentlichen Lebens erwarten wĂŒrde, in dem es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht.

KAPITEL 2

BESTECHLICHE HEILER

WARUM DIE VERBRECHENSBEKÄMPFUNG SO SCHWIERIG IST

Frust bei der Polizei

Am Stadtrand von Wiesbaden, in einem streng bewachten, schmucklosen GebĂ€udekomplex, arbeitet eine der wichtigsten Behörden zur VerbrechensbekĂ€mpfung: das Bundeskriminalamt (BKA). Eine Abteilung befasst sich mit WirtschaftskriminalitĂ€t, also mit all jenen Delikten, bei denen BĂŒrger oder Staat in großem Umfang um Geld geprellt werden. Kurz: Betrug.
Zur Arbeit der Ermittler gehört es auch, BetrĂŒgern aus dem Gesundheitswesen auf die Schliche zu kommen. Die FĂ€lle, die bei den Beamten auf dem Schreibtisch landen, haben es in sich. Alles ist dabei, von MedikamentenfĂ€lschung ĂŒber Bestechung bis hin zu Abrechnungsbetrug. Die TĂ€ter im Visier der BKA-Ermittler sind Betreiber von ambulanten Pflegediensten, Laborinhaber und Ärzte. Mehrere Hundert Ermittlungsverfahren werden im Jahr 2016 bundesweit gegen Mediziner gefĂŒhrt. Die Beschuldigten sollen zu Unrecht Geld der Sozialkassen abzweigen, anderen wird vorgeworfen, sich gegenseitig zu bestechen oder sich von Pharmafirmen korrumpieren zu lassen. Die Ermittler tragen in Wiesbaden und in den LandeskriminalĂ€mtern im ganzen Land Berge von Belegen dafĂŒr zusammen.
Und dennoch, sagt ein hochrangiger BKA-Ermittler, komme es nur in einem Bruchteil der FĂ€lle zu Verurteilungen. Schuld, sagt er, sei vor allem die Organisation der Staatsanwaltschaften. Es gebe ein generelles Problem im Gesundheitswesen, erklĂ€rt er. Die Ermittlungsergebnisse, die er und seine Kollegen zusammentragen, wĂŒrden hĂ€ufig versickern, weil die Staatsanwaltschaften völlig ĂŒberlastet seien. In vielen FĂ€llen werde deshalb ĂŒberhaupt keine Anklage erhoben, selbst wenn Beweise fĂŒr Betrug vorliegen. In anderen FĂ€llen gesch...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impresssum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. 1 PATIENT GEGEN GELDUMSCHLAG
  7. 2 BESTECHLICHE HEILER
  8. 3 VERLOREN IN DER ARZTPRAXIS
  9. 4 EINGELIEFERT – AUSGELIEFERT? WIE ES PATIENTEN IM KRANKENHAUS ERGEHT
  10. 5 VON ÄRZTEFUNKTIONÄREN UND FORSCHUNGSCLIQUEN
  11. 6 SICH WEHREN STATT RESIGNIEREN
  12. DANK
  13. LITERATURVERZEICHNIS