Vorsicht, Freund liest mit!
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Vorsicht, Freund liest mit!

Wie wir alle seit Jahren ausspioniert werden und wie wir uns wehren können

  1. 192 Seiten
  2. German
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Vorsicht, Freund liest mit!

Wie wir alle seit Jahren ausspioniert werden und wie wir uns wehren können

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Über dieses Buch

"Wir alle werden seit Jahren ausspioniert: Ob beim Surfen im Internet, beim E-Mail-Schreiben oder bei der Webcam-Nutzung - überall und jederzeit." Das sagt Götz Schartner, professioneller Hacker und Experte für Spionage und Gegenspionage im Internet. "Ob Weltkonzern oder Privatmann - es soll sich keiner einbilden, dass er die Ausnahme ist." In seinem neuen Buch zeichnet der Bestsellerautor die Geschichte der Online-Spionage nach und demonstriert, wie unverschämt der Staat seine Bürger belügt. Schartner zeigt, wie sich jeder von uns mit einfachen Methoden gegen die allgegenwärtige Bespitzelung im Netz wehren kann.

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Information

Kapitel 1

„Blast sie weg!“

Julian K. ist das, was man landläufig als freundlichen Mitmenschen bezeichnet, immer nett und hilfsbereit, immer da, wenn Not am Mann ist. Mit seiner Ehefrau Claudia und dem vier Jahre alten Sohn Philipp bewohnt der 39-Jährige ein Reiheneckhaus vor den Toren Münchens. Die schmucke Immobilie mit ihren kaminroten Dachziegeln, der strahlend weißen Fassade und den flaschengrünen Fensterläden ist sein ganzer Stolz. Lange hatten er und Claudia auf die Verwirklichung ihres Traums von den eigenen vier Wänden gespart, dann, im Jahr 2011, schien die Gelegenheit günstig: In Südeuropa tobte die Wirtschaftskrise, Griechenland, Portugal und Spanien drohte der Staatsbankrott. Um die Region zu stabilisieren, drehte die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn so weit auf wie nie zuvor und die Kreditzinsen rauschten in den Keller. Die Eheleute hatten die Entwicklung aufmerksam verfolgt, nächtelang Finanzierungspläne für den Hauskauf geschmiedet und wieder verworfen und erst zugeschlagen, als sie sicher waren, die Finanzierung stemmen zu können. Während Claudia wegen der Schulden bei ihrer Hausbank auch heute noch manchmal schlecht schläft, ist Julian rundum zufrieden. Was soll passieren? Er hat einen guten Job als Verkäufer in einem Softwareunternehmen, das Programme für die Finanzindustrie entwickelt. Und die werden schließlich immer gebraucht – heute mehr denn je.
Julian K. ist ein guter Verkäufer, ein Glas-voll-Typ, wie seine Kollegen immer sagen. Sein freundliches Wesen und der unerschütterliche Optimismus machen ihn bei seinen Kunden beliebt. Sein Arbeitgeber schätzt an dem Familienvater hingegen die ausgeglichene Art, seine Teamfähigkeit und, vor allem, die guten Verkaufszahlen. Im Kollegenkreis ist er akzeptiert. Dass er Muslim ist, hat bislang niemanden sonderlich interessiert. Religion ist bei den Treffen, zu denen sich sein Verkaufsteam zusammenfindet, kein Thema. Es geht um andere Dinge: schwierige Kunden, Verkaufsziele, Abschlüsse, Boni. An jenem Freitagnachmittag drehen sich die Gespräche um die bevorstehende Branchenmesse in London, das wichtigste Event des ganzen Jahres. Jede Menge potenzieller Kunden, die es zu beeindrucken gilt. Die Konkurrenz ist natürlich ebenfalls vor Ort. Also wird ein Schlachtplan geschmiedet. Die Gruppe tüftelt über mögliche Strategien, es wird diskutiert und gestritten, doch am Ende sind alle zufrieden. Als sich Julian schließlich in seinem Wagen auf den Heimweg macht, ist es schon spät und er ist müde. Dass er bei der Messe in der nächsten Woche auslassen muss, weil ihn sein Arbeitgeber bei einer wichtigen Präsentation dabei haben will, hat ihn enttäuscht. Doch nur kurz. Er kennt seine Kollegen und vertraut ihnen: „Die kriegen das auch ohne mich hin.“ Während Julian auf die Autobahn auffährt, lässt ihn eine Idee kurz lächeln. Er fummelt aus der Innentasche seiner Anzugjacke das Smartphone hervor und beginnt zu tippen: „Hey Leute! Tut mir einen Gefallen und BLAST SIE WEG! Reißt von mir aus den ganzen verdammten Laden ein! Gruß Julian.“ Dann wählt er die Kontaktliste für seine Arbeit aus und drückt auf „SMS senden“. Auf dem Display erscheint: „SMS gesendet.“
Als er eine knappe Stunde später leise die Haustür aufschließt, wartet Claudia bereits auf ihn: „Wie war dein Tag? Du siehst müde aus“, stellt sie besorgt fest. „Alles in Ordnung, Schatz, alles in bester Ordnung“, antwortet er und gibt ihr im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss. Er streift die schwarzen Anzugschuhe ab, stellt sie in das Schuhregal hinter der Eingangstür und schlüpft in seine Pantoffeln. Dann legt er sich auf die Couch im Wohnzimmer, wo er augenblicklich einschläft.
72 Stunden später liegt das Leben von Julian K. in Trümmern.
Als er am Montagmorgen das Haus verlässt, zeigt das Thermometer eisige zwölf Grad minus. Die Luft ist klar und kalt und die tief stehende Sonne blendet. Mit einem geübten Griff fischt er die Sonnenbrille hinter der Blende hervor, dann startet er den Motor seines Wagens. „Hoffentlich haben die Jungs in London Erfolg“, denkt er. Dann wäre im neuen Jahr vielleicht beides drin, ein neues Auto und der Urlaub in Italien. Für den Weg in die Münchener Innenstadt benötigt er selten mehr als 55 Minuten, doch heute ist der Verkehr dichter als sonst. „Wahrscheinlich wieder so ein Depp, der mit seinem Bulldog auf den Acker schleicht.“ Sein schwarzer Passat Kombi rollt auf die letzte Ampel im Ort zu, danach geht’s hoffentlich zügiger. „Rot, war ja klar. Ich könnte im Büro anrufen und sagen, dass es etwas später wird.“ Im selben Moment, in dem Julian den Gedanken zu Ende bringt, bricht um ihn das Chaos aus. Überall zuckende Blaulichter. Eine Stimme aus dem Lautsprecher, die seinen Namen ruft. Polizisten mit gezückten Waffen – „Die zielen auf mich! MICH?“ Wieder wird er gerufen, die Tür seines Passats aufgerissen. Hände greifen ins Wageninnere und zerren ihn nach draußen. Sein Gesicht auf dem Boden. Gefesselt.
Claudia schlägt die Augen auf. „Der verdammte Wecker. Ich hatte das Scheißding doch ausgestellt.“ Mit fahrigen Bewegungen tastet sie nach dem Gerät auf dem Nachttisch, findet den Alarmknopf und hackt mit kurzen Fingerstößen darauf herum. Das Klingeln hört nicht auf. Claudia setzt sich im Bett auf und lauscht. Das Geräusch kommt von unten, von der Eingangstür. Jemand hält offenbar den Klingelknopf gedrückt. „Der Briefträger? Ich habe doch gar nichts bestellt. Der kann sich was anhören.“ Verärgert schwingt sie die Beine über die Bettkante, steht auf und greift nach ihrem Bademantel. Als sie die Treppe runtergeht, hört sie eine Stimme vor der Tür: „Frau K., machen Sie bitte die Tür auf, Polizei.“ Claudia blickt durch den Türspion und sieht etwas, das ein Dienstausweis sein könnte. Wissen tut sie es nicht, schließlich hat sie noch nie einen gesehen. Sie kriegt es mit der Angst zu tun: „O Gott, Julian“, entfährt es ihr, während sie den Schlüssel im Türschloss nach rechts dreht und die Klinke drückt. Vom Ruck überrascht, mit dem die Tür nach innen aufgestoßen wird, stolpert Claudia einige Schritte zurück. Als sie Halt findet und nach vorne blickt, stehen mehrere Männer im Hausflur. Einer, vermutlich der, der die Tür aufgestoßen hat, tritt auf sie zu und reicht ihr ein offiziell aussehendes Schreiben. „Frau K.? Das ist ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss. Gehen Sie bitte aus dem Weg.“ Claudia versteht kein Wort, sie ist durcheinander. Ist etwas mit ihrem Mann passiert, oder dem Sohn? Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. „Kommen Sie, ich habe ein paar Fragen.“ Der Mann nimmt Claudia am Arm und führt sie in die Küche. „Setzen Sie sich“, sagt er und drückt sie auf einen Stuhl am Küchentisch. Er mustert sie eine Weile aufmerksam, dann beugt er sich zu ihr runter und fragt: „Wussten Sie, dass Ihr Mann ein Terrorist ist?“
„Also noch mal ganz von vorne“, seufzt Julians Gegenüber mehr gelangweilt als in der Hoffnung, tatsächlich etwas Neues zu erfahren. Sie sitzen nun schon geschlagene drei Stunden – oder waren es drei Tage? – in dem kleinen Verhörraum und Julian friert. Er hat jegliches Zeitgefühl verloren. Anfangs hatte er versucht, den beiden Beamten, die mit ihm im Zimmer waren und die ihn verhörten, zu erklären, dass das alles ein Missverständnis sei, ein riesiger Irrtum. Keine Reaktion. Stattdessen die immer gleichen Fragen:
„Wie heißen Sie?“
„Julian K.“
„Weshalb wollten Sie in London eine Bombe zünden?“
„Das wollte ich nicht.“
„Wer sind Ihre Hintermänner?“
„Ich habe keine Hintermänner.“
„Wer sind Ihre Kontaktleute?“
„Ich habe auch keine Kontaktleute.“
„Wer sind die Leute, denen Sie die SMS geschickt haben?“
„Arbeitskollegen.“
„Weshalb sind Sie zum Islam konvertiert?“
„Weil ich im Glauben an Allah eine Religion erlebe, die für die Menschen gemacht wurde.“
„Wie heißen Sie?“
„Julian K.“
Julian kannte die Fragen auswendig. Nur einmal hatte der Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß, kurz innegehalten, einen Computerausdruck aus der Tasche gezogen und ihm unter die Nase gehalten. „Können Sie mir das erklären?“ Julian schaute auf das Blatt Papier und las: „Hey Leute. Super Treffen. Tut mir einen Gefallen und BLAST SIE WEG! Reißt von mir aus den ganzen verdammten Laden ein! Gruß Julian.“ Das war seine SMS, die er am Freitag auf der Heimfahrt an die Mannschaft geschickt hatte. „Wie zum Teufel kommen die an meine SMS?“, dachte er, besann sich dann aber eines Besseren und fragte stattdessen: „Ist das ein Witz?“ „Sehen Sie mich lachen?“, kam es zurück. Also fing Julian an zu erzählen. Von seiner Arbeit als Verkäufer, von den Treffen mit seinen Kollegen, von der Heimfahrt und der Idee, das Team anzufeuern. Als er geendet hatte, fragte sein Gegenüber: „Was Besseres haben Sie nicht auf Lager?“ „Ich will einen Anwalt“, antwortete Julian, dem nun klar wurde, dass man ihm nicht glaubte. „Einen Anwalt? Wo sich doch alles nur um ein Missverständnis handelt?“ – Der Beamte lächelte höhnisch. „Vielleicht doch nicht, hm? Na, dann auf ein Neues. Wer sind Ihre Auftraggeber?“
Irgendwann am Abend hatten sie es aufgegeben. Julian war erschöpft, sein Kopf dröhnte und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ein Uniformierter hatte ihn aus dem kleinen Verhörraum geholt, ihm Gürtel und Schnürsenkel abgenommen und ihn in eine noch kleinere Zelle gesteckt. Als deren Tür laut krachend ins Schloss fiel, setzte sich Julian auf das Bett – das einzige Möbelstück im Raum – und heulte wie ein Schlosshund. Als er am nächsten Morgen durch das laute Klappern von Schlüsseln im Schloss erwachte, ließ Julian die Augen geschlossen. „Hoffentlich habe ich das alles nur geträumt“, war der erste Gedanke, der ihm kam.
Die Geschichte lässt sich hier abkürzen, denn Julian K. hat nicht geträumt – er existiert nicht, ebenso wenig seine Frau Claudia oder sein Sohn Philipp. Er ist auch kein Verkäufer mit Reihenhaus im Grünen. Er ist eine Erfindung – meine Erfindung. Die Figuren dienen nur dazu, die Geschichte mit Leben zu füllen. Eine Geschichte, die den meisten Menschen unglaublich erscheinen mag, oder zumindest stark übertrieben. Und die sich doch zumindest in Teilen genau so abgespielt hat – 7.000 Kilometer westlich von München, in der kanadischen Provinz Québec.

Saad Allami

Am 24. Januar 2011 befand sich der kanadische Vertriebsmanager Saad Allami auf dem Weg zur Schule seines Sohnes, als er ohne Vorwarnung von der örtlichen Polizei angehalten und verhaftet wurde. Die Beamten brachten den 40-Jährigen auf eine Polizeistation und verhörten ihn mehrere Stunden lang.11 Zeitgleich drangen Ermittler in sein Haus ein, in dem sie Beweise für die terroristischen Aktivitäten Allamis vermuteten. Während der mindestens vierstündigen Durchsuchungsaktion erzählten sie der völlig verängstigten Ehefrau wiederholt, sie sei mit einem Terroristen verheiratet.
Der Auslöser für die Polizeiaktion findet sich in einer Textnachricht Allamis drei Tage vor seiner Verhaftung. Darin hatte er Kollegen in seinem Verkaufsteam aufgefordert, die Konkurrenten bei einer Handelsmesse in New York wegzublasen. Die Nachricht war, wie in der Provinz Québec nicht unüblich, auf Französisch verfasst und enthielt das Verb „exploser“. Im Englischen bedeutet „exploser“ „explode“, also „explodieren“. Wie bei „destroy“, gibt es aber auch für „exploser“ mehrere Bedeutungen, abhängig vom Kontext, in dem es verwendet wird. „Exploser de joie“ beispielsweise heißt „außer Rand und Band sein“ – im positiven Sinn. „Das war doch nur als Motivation gedacht“, sagte Allami nach seiner Freilassung. „Es ist ein branchentypischer Ausdruck, mehr nicht.“
Während seiner Vernehmung versuchte er, genau das den Beamten zu erklären. Vergebens. Erst am nächsten Nachmittag ließen sie ihn laufen. Was der zu Unrecht Verdächtigte nicht wusste: Jetzt ging der Ärger erst richtig los. Einige der Kollegen, denen er die Nachricht geschickt hatte, wurden an der kanadisch-amerikanischen Grenze festgehalten und ebenfalls stundenlang verhört. An seiner Arbeitsstelle verbreite sich die Nachricht vom Terrorverdacht deshalb wie ein Lauffeuer. Statt Beistand erfuhr der Familienvater Ablehnung. Niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben. Am Ende war Allami völlig entnervt und kündigte. Seine Frustration erreichte ihren Höhepunkt jedoch erst, als er versuchte, einen neuen Job zu finden. Das hierfür benötigte polizeiliche Führungszeugnis wurde ihm von der Polizei in seinem Heimatort Laval nämlich verweigert. Wie Allami mithilfe eines Anwalts herausfand, waren die fälschlicherweise gegen ihn erhobenen Terrorvorwürfe ein maßgeblicher Grund hierfür.

Leigh Van Bryan, Emily Bunting

Saad Allami ist kein Einzelfall. Tatsächlich finden sich Übergriffe wie der geschilderte häufiger, als einem lieb sein kann. Ein Jahr nach der Verhaftung des Kanadiers etwa gerieten zwei junge Briten in das Visier der Ermittler: Leigh Van Bryan und Emily Bunting.12
Die beiden waren im Januar 2012 von Paris nach Los Angeles geflogen, um sich eine Auszeit vom stressigen Alltag zu gönnen. Spaß haben und Abfeiern stand ganz oben auf der To-do-Liste des Pärchens. „Erst machen wir den Hollywood Boulevard unsicher“, ließ Leigh seine Kumpels via Twitter wissen, „und dann buddeln wir Marilyn Monroe aus.“ Es sollte die Reise ihres Lebens werden und das wurde sie auch– allerdings aus den falschen Gründen.
Als Flug AF 72 auf dem Los Angeles International Airport aufsetzte und die beiden die Kontrolle passiert hatten, warteten auf sie statt des erhofften Hotels und einer warmen Dusche bewaffnete Sicherheitsbeamte. Das Paar wurde verhaftet und anschließend mehrere Stunden von Beamten des amerikanischen Heimatschutzes in die Mangel genommen. „Die haben immer wieder gefragt, weshalb ich Amerika zerstören wolle“, sagte der sichtlich mitgenommene Bryan später in einem Interview. Doch das wollte er gar nicht. Leigh Van Bryan war 26 und Geschäftsführer einer Bar in Coventry. Er wollte Urlaub machen, feiern, es krachen lassen, die Nacht zum Tag machen oder wie man das sonst noch nennt. Sein Pech: In seiner Heimat England nennen das die Menschen schlicht „to destroy“, zerstören. Und genau das hatte er getwittert. Während der Vernehmung fand Bryan schnell heraus, dass die Beamten weder Humor noch Sprachgefühl besaßen. Verzweifelt versuchte er das Missverständnis aufzuklären – erfolglos.
Seiner Freundin erging es kaum besser. Die Beamten machten in Emily Bunting die Komplizin von Leigh Van Bryan aus, die Schmiere steht, während ihr krimineller Partner die Leiche von Marilyn Monroe ausgräbt. „Ich dachte, ich ersticke vor Lachen, als die mich danach gefragt haben“, sagte die Britin später. Der Satz mit der Monroe stamme schließlich aus der US-Zeichentrickserie „Family Guy“. „Die wollten gar nicht verstehen, dass das alles nur Sprüche waren, die haben das ernst genommen.“ Sogar ihr Gepäck wurde durchwühlt, auf der Suche nach Hacke und Schaufel. Als die Beamten schließlich einsahen, dass sie es bei Bryan und Bunting nicht mit Terroristen zu tun hatten, sondern mit zwei harmlosen Touristen, war die Sache damit keineswegs ausgestanden. Das Paar verbrachte die nächsten zwölf Stunden im Gefängnis, Bryan gemeinsam mit zwei mexikanischen Drogenschmugglern, die ihm eine Heidenangst einflößten, wie er sagte.
Wie endet die Geschichte? Der kostspielige Traumurlaub für Bryan und Bunting war gelaufen, noch bevor er begonnen hatte. Den beiden Briten wurde die Einreise nach Amerika verweigert, sie wurden direkt nach ihrer Entlassung in ein Flugzeug zurück nach Paris gesetzt. Für den – wenig wahrscheinlichen – Fall, dass sie die Reise eines Tages nachholen möchten, müssten sie über das amerikanische Konsulat ein Visum beantragen. Ob ihnen ein solches jemals ausgestellt wird, ist fraglich. Trotzdem sind die beiden Briten mit einem blauen Auge davongekommen. Sicher, die Vorwürfe waren ebenso lächerlich wie das Verhalten der Sicherheitsleute. Aber es hätte sie schlimmer treffen können. Es hätte ihnen ergehen können wie Saad Allami ein Jahr zuvor.
Beide Geschichten liegen einige Zeit zurück, doch sie werfen dieselben Fragen auf: Woher hatten die Behörden ihre Informationen? Woher wusste der amerikanische Zoll, was ein 26-jähriger Bar-Angestellter aus der englischen Provinz seinen Freunden getwittert hatte? Von wem bekam die örtliche Polizei in Québec den heißen Tipp, dass ein vermeintlich radikaler Islamist – Saad Allami ist Moslem – auf dem Weg nach New York sei, um dort eine Handelsmesse in die Luft zu sprengen? Die einzig logische Antwort ist die, die uns Edward Snowden gibt: Festnetz, Mobilfunk, Internet, E-Mail – sämtliche Kommunikation wird von den Geheimdiensten, allen voran von der amerikanischen NSA, überwacht, analysiert, gespeichert. Die Unschuldsvermutung existiert nicht mehr, jeder Einzelne ist verdächtig.

Kapitel 2

Whistleblowing

Korruption, Vetternwirtschaft, Wirtschaftsbetrug, Verschwörung: Die Zahl der von Journalisten enthüllten Skandale ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen – auch dank anonymer Hinweisgeber, ohne deren Insiderinformationen viele Machenschaften wohl nie aufgedeckt worden wären. Trotz ihres unbestritten hohen gesellschaftlichen Nutzens ist der öffentliche Umgang mit Whistleblowern problematisch – sind Whistleblower die Helden des dritten Jahrtausends oder doch nur Verräter?

Whistleblowing in der Etymologie

Der Begriff „Whistleblowin...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. Kapitel 1: „Blast sie weg!“
  7. Kapitel 2: Whistleblowing
  8. Kapitel 3: NSA
  9. Kapitel 4: Beteiligung der Regierung
  10. Kapitel 5: Ihre digitale Spur
  11. Kapitel 6: Abwehmaßnahmen
  12. Anmerkungen
  13. TATORT www
  14. VORWORT
  15. 1. WLAN