Die Tuschentaufe
Auf der ziemlich holprigen Strecke von Pschaweli hinauf nach Omalo
»Eine herrliche Landschaft! Von allen Seiten unbesteigbare Berge, rotschimmernde Felsen, die mit Efeu behangen und von Platanengehölzen gekrönt sind, gelbe Abbrüche mit stark eingezeichneten Wasserrinnen, und hoch, hoch oben der goldene Saum der Schneefelder …«
MICHAIL LERMONTOV
Eigentlich beginnt die Fahrt recht idyllisch. Pschaweli ist ein nettes Städtchen am Fuß des Großen Kaukasus, der sich jäh aus dem zentralgeorgischen Flachland erhebt. Gänse watscheln über die Fahrbahn. Ein Pferdekarren zuckelt vorbei. Ein paar Kühe haben sich im Schatten von Kirschbäumen und unter Spalieren aus Weinreben niedergelassen, während ein mit seinem Schicksal haderndes Eselchen unverdrossen an dem Strick zerrt, mit dem es an einen Baum angebunden ist. Am staubigen Rand der Hauptstraße haben derweil ein paar gewiefte Einwohner Sonnenschirme aufgestellt und bieten neben Obst und Gemüse aus eigenem Anbau erfrischende Getränke für die Durchreisenden an.
Auch wir legen früh einen ersten Halt ein. Suliko, der Fahrer, weiß genau, an welcher Adresse er den Proviant, der in den nächsten Tagen ganz besonders benötigt werden wird, besorgen muss: bei der Winzerfamilie Papunaschwili. Ein kurzes Hupen, ein heftiges Knurren von Boto, dem Hund, schon tritt der Sohn des Hauses durch die Metallpforte, in jeder Hand eine Plastikflasche, die offensichtlich nicht mit Wasser gefüllt ist. Wir bezahlen umgerechnet vier Euro für anderthalb Liter araki, wie die selbst- und zudem doppelt gebrannte lokale Variante des tschatscha heißt, jenes georgischen Tresterbrands, den John Steinbeck in seiner »Russischen Reise« als Wodka bezeichnet, in dessen »Abgang sich eine Zündschnur verbirgt«. »Den werden wir dort oben dringend brauchen«, raunt Suliko, »denn zu kaufen gibt es in Omalo nichts, nicht einmal Alkohol. Und auch sonst keinerlei Abwechslung.« Das kann ja heiter werden!
Lechuri, der letzte Ort vor dem rund siebzig Kilometer langen Aufstieg in die tuschetische Bergwelt, liegt bereits abseits jener Straßen, die auf Landkarten noch als einigermaßen gut befahrbar eingezeichnet sind. Das Dorf zieht sich an einer erbärmlichen Schotterpiste entlang, auf der junge Hunde, alte Stuten und verdutzte Kälber durcheinander laufen und die sich am Ortsausgang zu alles anderem als zum Besseren verändert, im Gegenteil. Noch früher als befürchtet werden wir auf das eingestimmt, was uns in den kommenden Stunden erwartet.
Geröll, Geplätscher, Gestein; endlose Serpentinen, bodenlose Schluchten und himmelstürmende Gipfel; schwindelerregende Schlünde, schroffe, Kopf- und Herzschmerzen hervorrufende Abgründe; Atemnot und Beklemmung. Ob Tuschetien, das knapp neunhundert Quadratkilometer umfassende historische Land im äußersten Nordosten der Region Kachetien, bereits hinter Lechuri oder erst jenseits des Abano-Passes beginnt, wissen nicht einmal die Einheimischen zu sagen. Egal. Hauptsache, Gio und ich sind mit Suliko und seinem militärgrünen Jeep unterwegs, der angeblich auch für allerschwierigstes Gelände geeignet ist. Ein Wagen mit gewöhnlichem Vierradantrieb würde in dieser Umgebung nicht reichen. Doch selbst mit optimalem Gefährt ausgestattet, kehren etliche Reisende, die sich trotz mangelnder Ortskenntnisse gegen einen einheimischen Chauffeur und für das Selberfahren entschieden haben, schon nach wenigen Kilometern um.
»Spätestens an der Abano-Brücke geben sie auf«, sagt Suliko. Er kennt sich aus. Als Mitarbeiter der Reiseagentur Georgia Insight aus Tbilissi legt er die Strecke seit neun Jahren regelmäßig zurück, »die schwierigste Straße der ganzen Welt«, wie nicht nur er sie nennt. Manchmal schafft er die zweiundsiebzig Kilometer in vier Stunden, manchmal, je nach Wetterlage, erst in acht. Gelegentlich muss er Hin- und Rückweg sogar zweimal an einem Tag bewältigen.
Bis zur besagten Abano-Brücke ist das Terrain eher flach, aber dennoch äußerst kompliziert. Es kommt einem vor, als irre man ziellos durch einen explodierten Steinbruch. Im ersten Gang umkurvt Suliko die herumliegenden Schieferplatten. Zu diesen rasiermesserscharfen Hindernissen gesellen sich zementsackgroße Felsbrocken, morsche Baumstämme, dürres Geäst und anderes totes Gehölz, das quer über der Fahrbahn liegt und ein zügiges Vorankommen unmöglich macht. Krampfhaft halte ich mich an den Türgriffen fest, um auf dem Rücksitz nicht ständig hin und her geschleudert zu werden und mit dem Kopf gegen das Autodach zu stoßen. Bald macht sich während dieses Rumpelslaloms ein mulmiges Gefühl im Magen breit. Hätte ich beim Frühstück nicht doch besser auf das KäseOmelette verzichten sollen?
An der Abano-Brücke ist noch nicht einmal ein Drittel der anspruchsvollen Strecke geschafft. Dabei beginnen die echten Schwierigkeiten erst nach der Überquerung des Flusses Stori, der mit rasender Geschwindigkeit ins Tal stürzt. Fortan muss Suliko nicht nur auf das lose Gestein achten, sondern zudem auf die von steten Rinnsalen geformten Erdspalten und Bodenrisse, die nicht selten so breit sind, dass eine Vorderachse darin leicht zu Bruch gehen kann. Es ist höchste Zeit, den Geländegang einzuschalten. Zumal auf rutschigem Untergrund erhöhte Zugkraft benötigt wird. Besonders schwierig und unberechenbar präsentieren sich die unzähligen Serpentinen, nachdem Regen die Erde aufgeweicht hat oder wenn ein Gebirgsbach über den Weg schießt.
Wie schrieb bereits Alexandre Dumas, der 1859 hier unterwegs war: »Im Kaukasus hält man überall da eine Brücke für überflüssig, wo Mann und Pferd das Wasser nicht über den Köpfen zusammenschlägt.«
Gelegentlich kommt die Nässe tatsächlich von oben, wie bei einer Dusche. Überhängende Felsen lassen das reichlich vorhandene Quellwasser in freiem Fall herabstürzen, sodass unser Jeep eine kostenlose Naturwäsche erhält. Doch diese »Tuschentaufe«, wie Gio das Schauspiel nennt, macht einen, so viel ahnt man jetzt schon, noch lange nicht zu einem echten Tuschen. Um diesen Ehrentitel zu erlangen, muss man sich weiteren Mutproben stellen. Und diese lauern hinter jeder Kurve.
Anzeichen menschlicher Präsenz sind hinauf nach Omalo rar gesät, abgesehen von etlichen Grabmalen und Totenbildern am Wegesrand. Diese Erinnerungen an nicht näher definierte Schicksale sind allerdings kaum dazu geeignet, den Reisenden Vertrauen einzuflößen. Auf halbem Weg taucht schließlich ein verwittertes Schild mit der Aufschrift »Torgvas Abano Medical Water« auf. Es verweist auf warme, schwefelhaltige Heilquellen, die irgendwo am Berghang aus der Erde kommen. Sogar Unterkunftsmöglichkeiten soll es dort geben, »aber die sind sehr primitiv«, weiß Suliko. Und kochen würde der Betreiber der Herberge auch nicht für seine Gäste.
Wenig später erreichen wir den einzigen Rastplatz an der Strecke. Er besteht aus einem schlichten Holztisch mit vier Bänkchen. Hier legen wir einen nicht geplanten Halt ein, gezwungenermaßen. Zwei weitere Geländewagen stehen schon da. Die Fahrer kennen einander. Suliko unterhält sich eine Zeit lang mit seinen Kollegen. Dann verrät er uns beiläufig, dass es in der vergangenen Nacht in einer der nächsten Kurven zu einem Erdrutsch gekommen ist. Wir müssten auf den Bagger warten, der die Straße wieder freischaufelt. Er sei bereits unterwegs.
Eine Stunde später ist in der Ferne tatsächlich dumpfes Scheppern zu hören. Bald sieht man eine dunkelgraue Rauchfahne aus einem schmutzig gelben Gefährt aufsteigen. Unsere Rettung! Bis der Durchgang erneut passierbar ist, vergeht eine weitere Stunde. Man isst eine Kleinigkeit, spaziert herum. Suliko langweilt sich nicht. Aber müssen Gio und ich uns Sorgen machen, wenn unser Fahrer hinter, neben und vor seinem Jeep in die Hocke geht, die Stirn runzelt, mit bloßen Händen die Räder packt und einmal kräftig daran rüttelt? Stimmt etwas nicht mit den Achsen; sitzen alle Schrauben noch fest; sind sämtliche Muttern noch heil?
Wer meint, mit der Beseitigung der heruntergekommenen Erdlawine sei das Schlimmste überstanden, irrt sich gewaltig. Kurve für Kurve geht es auf den zweitausendneunhundertsechsundzwanzig Meter hohen Abano-Pass zu, den höchsten Punkt Georgiens, den man auf einer öffentlichen Straße erreichen kann. Längst haben wir die Baumgrenze hinter uns gelassen. Auch Gras wächst hier immer seltener. Dafür tauchen letzte, bräunlich schimmernde Schneereste auf. Oft bis in den Juli hinein bleibt es an geschützten Stellen weiß. Ein paar winzige orange-gelbe Blümchen ducken sich fröstelnd zwischen Flechten und Moose. Alles wird karger, unwirtlicher, menschenfeindlicher. Senkrecht fallen die Felswände in Täler, deren Sohlen nicht einsehbar sind. Jede Steigung scheint schnurstracks in den wolkenlosen Himmel zu führen. Minutenlang sagt keiner der Wageninsassen ein Wort. Nur schweres Atmen ist zu hören, gelegentlich ein Seufzer. Ich klemme mich nach wie vor an die Türgriffe und höre, wie mein Dolmetscher mühsam schluckt, weil seine – wie meine eigene – Kehle zunehmend trockener geworden ist. Ansonsten: Schweigen. Und bange Gedanken.
Einmal, ja, am Rand eines besonders steilen und tiefen Abgrunds überlege ich sogar, ob ich nicht mit Beten anfangen soll. In der nächsten Haarnadelkurve, die extrem schräg zur Seite kippt, denke ich kurz über mein bislang nicht verfasstes Testament nach. Und als uns ein Fahrzeug entgegenkommt und Suliko auf einen ausgesprochen unstabil wirkenden Vorsprung aus lockerer Erde und spärlich verstreuten Steinen ausweichen muss, frage ich mich, was wohl in meiner Todesanzeige stehen wird: »Im Kaukasus verschollen«?
»Nur keine Sorge«, mahnt Gio mit belegter Stimme, »Suliko kennt sich hier sehr gut aus.« Vermutlich zu unserer Beruhigung erzählt der Fahrer, dass er diesen Weg erstmals im Alter von drei Monaten zurückgelegt hat, auf dem Rücken eines Pferdes und in Begleitung seiner Oma, die ihn von seinem Geburtsort Alwani aus nach Omalo brachte. Gio nickt wortlos.
Apropos Omalo – wann kommen wir endlich dort an? »In gut anderthalb Stunden«, verspricht Suliko. »Nach dem Passgipfel noch einmal hinunter in ein Hochtal und von dort nur wenige Kilometer bergan bis auf gut zweitausend Meter, dann werden wir da sein.« Trotz einsetzender Kopfschmerzen, die wahrscheinlich der Höhe geschuldet sind, beginne ich die Fahrt allmählich zu genießen. Das Panorama ist einfach grandios, fantastisch, formidabel. Hat man seine Furcht und die Schwindelgefühle überwunden, entschädigt die Tuschetien-Tour mit unvergleichlichen Aussichten. Irgendwann klopft das Herz nicht mehr vor Angst, sondern vor lauter Begeisterung über die Weite, das Unfassbare und Majestätische der kaukasischen Natur. Und mit jeder Kehre, jeder Biegung steigt die Vorfreude auf die Begegnung mit den Tuschen, den Bewohnern dieser einmaligen Welt, in die erst seit den frühen siebziger Jahren eine, na ja, Straße führt.
Für die letzten Meter nach Zemo Omalo, dem oberen Dorf, nimmt Suliko den Weg über die Wiese. Es gibt keinen anderen. Kühe und Pferde stehen Spalier, ein Schafhirte treibt seine Herde zur Seite, ein Weilchen rennt ein Hund kläffend neben dem Wagen her. Auch der Ort selbst kommt ohne festen Untergrund aus. Zwischen den einzelnen Grundstücken, Häusern und angrenzenden Gärten wächst mehr Unkraut als Gras. Von Asphalt oder auch nur Schotter keine Spur. Stattdessen mäandert ein Bächlein, das hinter der letzten Hütte am Berg aus einem Häufchen Steine entspringt, durch die dörfliche Szenerie.
Ziala Bachturidse erwartet uns schon, mit typisch tuschetischem Essen natürlich. In einer winzigen Küche, die mangels staatlicher Stromversorgung mit Energie aus Sonnenkollektoren betrieben wird, hat sie selbst gemachte chatschapuri mit extra viel Käse, Auberginenröllchen mit Walnusssauce, Bratkartoffeln, mit Koriander aromatisierten Tomaten- und Gurkensalat, Hühnchen mit Möhren, chinkali mit Hammelfleischfüllung, frisches Fladenbrot und noch ein paar Kleinigkeiten mehr für die Gäste zubereitet. Wie so oft schaffen wir gerade einmal die Hälfte des mehr als reichhaltigen Mahls. Und auch das nur dank etlicher Gläschen araki.
Seit 2009 betreiben die Siebenundfünfzigjährige und ihr Mann Nugsari Idoidse das kleine Hotel Tusheti Tower. Benannt ist es nach einem der für diese Region typischen Türme aus dem 11. und 12. Jahrhundert, in dem heute vier Zimmer mit eigener Dusche und WC untergebracht sind. Die längste Zeit interessierte sich niemand für die fast tausend Jahre alten Zeugnisse tuschetischer Architektur. Viele der markanten Wohn- und Schutztürme, die oft angegriffen, aber nie eingenommen wurden, sind inzwischen verfallen. Einige wenige – wie der unserer Gastgeber – wurden in rezenter Vergangenheit renoviert und neuen Bestimmungen zugeführt.
Nugsari, ein drahtiger Kerl, dem man seine vierundsechzig Jahre keineswegs ansieht, interessiert sich nicht nur privat für die historischen Gebäude und ihre oft turbulente Geschichte. Als Angestellter im nahen Landschaftsschutzzentrum ist er auch beruflich mit der Pflege von Natur und Traditionen seiner Heimatregion beschäftigt. Auf dem Gebiet der tuschetischen Ethnokultur gilt Nugsari als der georgische Spezialist schlechthin. Über die einzigartigen Sitten, Bräuche, Mythen und Legenden seines Volkes hat der nicht nur im Inland renommierte Tuschetien-Kenner zahlreiche Artikel und eine Broschüre verfasst, die sogar in deutscher Übersetzung vorliegt. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter kümmert er sich zudem um das kleine Turmmuseum, das 2003 auf dem Hügel oberhalb von Omalo eröffnet wurde. Dessen Besuch ist selbstverständlich Pflicht für jeden Gast. Nugsari gibt sich die Ehre, die Neugierigen höchstpersönlich zum Keselo-Museumskomplex zu begleiten. Erneut geht es über schmale, rutschige Pfade und wackeliges Gestein, wo manche ortsansässige Kuh ihre fladenförmigen Spuren hinterlassen hat. Wer unter Höhenangst leidet, sollte beim Aufstieg lieber nicht zur Seite schauen. Stattdessen bietet es sich an, die Leichtigkeit und Eleganz zu bewundern, mit der Nugsari, beide Hände in den Hosentaschen, den Steilhang förmlich hinaufschwebt.
Einmal mehr lohnt sich die Mühe, auch abgesehen von der überwältigenden Rundumsicht und dem Gefühl, Zeuge einer urtümlichen Harmonie zwischen menschlicher Kultur und unberührter Natur zu sein. Wo sonst soll man auf authentischere Weise erfahren, wie die Tuschen früher lebten? In ihren berühmten, vier- bis sechsstöckigen Türmen war die unterste Etage für den Viehstall reserviert, zu dem nur Frauen Zugang hatten. Auf den mittleren Ebenen kam die Großfamilie zusammen, die sich aus mehreren Generationen zusammensetzte. Auch hier waren die Aufenthaltsräume nach Geschlechtern getrennt. So wie im obersten Stockwerk, das mit dem Himmel gleichgesetzt wurde und nur von den Männern betreten werden durfte.
Und wie sind die Tuschen von heute so? Stimmt es immer noch, dass seelisches Gleichgewicht und innere Ausgeglichenheit ihnen außerordentlich wichtig sind, wie Nugsari in seinem Handbuch schreibt? Und dürfen sich die Damen inzwischen auch in die Gemächer der Herren vorwagen?
Das erfahren wir am nächsten Tag in Dartlo. Noch einmal ist eine mehrstündige Holperfahrt über Felstrümmer und Lehmbrocken, durch Quellwasser und Schlammpfützen zu bewältigen. Erneut kommen wir an Wasserfällen vorbei, die aus dem Stein brechen. Wie die meisten tuschetischen Siedlungen ist auch dieses Gebirgsdorf nur im Sommer bewohnt. Im Spätherbst, wenn die Felder abgeerntet, die Wiesen abgegrast und die Berge schon schneebedeckt sind, ziehen die Hirten mit ihren Schafen, Ziegen und Kühen zurück ins Tal. Auch die meisten Herbergsbetreiber und die übrigen siebzig Familien aus Dartlo haben in Alwani, der nächsten größeren Stadt am Fuß des Kaukasus, eine Wohnung.
»Schade«, findet Schorena Nadiraschwili, der wir beim Balancieren über die Schieferplatten zwischen den niedrigen, eng aneinander liegenden und ebenfalls aus Schiefer gebauten Häuschen begegnen. Die Vierunddreißigjährige stammt aus Achmeta, einem anderen Städtchen weit unten in der Ebene. Seit zwei Jahren arbeitet Schorena im Guesthouse Samtsikhe, hält die zwanzig Zimmer in Schuss, kocht für bis zu vierzig Gäste, wäscht, kümmert sich um Garten und Tiere. Auf den saisonbedingten Ortswechsel würde sie liebend gerne verzichten. »Sie sagt, das Leben hier oben sei für sie wie in einem Märchentraum«, übersetzt Gio. Und wie kommt sie mit den Einheimischen zurecht? Die hätten viel Humor und seien längst nicht so dickköpfig und eigensinnig, wie immer gesagt wird. Das zumindest würden sie von sich selbst behaupten, fügt Schorena mit einem schelmischen Lächeln hinzu: »Aber als fremde Blume habe ich endlich ein wenig Charme in ihr Leben gebracht.«
Bevor wir uns verabschieden, dürfen wir noch kurz die sprichwörtliche tuschetische Gastfreundschaft genießen. Salomé, die aus Dartlo stammende Freundin von Schorena, kommt mit einer Kanne kondari, einem Tee. »Aus selbst gesammelten Kräutern«, wird mir übersetzt. Sonnenblumengelb und intensiv im Geschmack.
Am nächsten Morgen sind wir früh auf den Beinen. Abschied von Omalo, von Tuschetien, den Tuschen. Leise Wehmut und Rückfahrt Richtung Tbilissi, die bekanntlich vier, fünf, aber auch acht oder zehn Stunden in Anspruch nehmen kann. Zuvor nur noch ein paar letzte, vieldeutige Worte von Nugsari, dem Hausherrn: »Oft geraten die durch Tuschetien reisenden Fremden schon nach kurzer Zeit in Versuchung, sich als Einheimische zu fühlen. Diese Tuschetisierun...