BUNDESPRÄSIDENT, DER, 1:
WARUM ICH IN DIE HOFBURG WILL
Warum ich aktiver Bundespräsident für alle Österreicherinnen und Österreicher werden will, ist schnell erklärt: Ich bin über sechsunddreißig, nicht vorbestraft, zeckengeimpft und habe hier am Schreibtisch schon manches Band durchschnitten. Die Landwirtschaftsmesse ist noch nicht erfunden, die Autobahn noch nicht gebaut worden, die ich nicht einwandfrei eröffnen könnte. Dass es mir in zwanzig Jahren als Schriftsteller noch nicht gelungen ist, aufs News-Titelblatt zu kommen, hat mit meinen BP-Ambitionen gar nichts zu tun: Es ist einfach so, dass ich mein Land abgrundtief liebe (Bemerken Sie die verstörende Dimension, die Metaphorik, die Zwischenzeilenemotion dieser sprachlichen Nuance? Wenn’s der Stimmenmaximierung dient, nenne ich das Land je nach Region gerne auch Heimat, Hamat oder Hoamat, kaufe mir ein paar staatstragende Krawatten und pfeife durch die Zahnlücke die Hymne her wie einen Hit von den Stones oder Strauss) und spüre, dass mein Land mich braucht. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ohne mich einfach nicht geht. Ich frage mich nicht, was mein Land für mich tun kann. Ich frage mich, was ich für mein Land tun kann. Ich bin auch bereit, Opfer zu bringen: Während meine Landsleute in der Karibik oder wenigstens an der Adria urlauben, werde ich in Mürzsteg Blutwurst essen, ohne mit der Wimper zu zucken, während aus den Wänden Hirschgeweihe quellen. Zum Glück bekommt man während so einer Amtszeit von ausländischen Staatsoberhäuptern jede Menge Tiergeschenke, an die man die Blutwurst diskret verfütternkann. Ich dränge in die bürgerliche Mitte, das heißt ich werde alles daran setzen, ein Scharnier zwischen Kleinbürgertum und Großbürgertum zu bilden, das Mittelbürgertum. Der erste Mittelbürger, c’est moi!
Seit aber die Konkurrenz Wind bekommen hat, dass ich mich um das höchste Amt im Staate bewerbe (toll, der alte Dativ, was? So würdig kann ich sein, wenn ich will!), schüttet sie einen Schmutzkübel nach dem anderen über mir (beziehungsweise mich) aus. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin ein Deeskalierungsfanatiker und führe einen positiven Wahlkampf; von mir werden Sie nicht ein böses Wort über diese Jammerlappen und Lemminge der Parteiapparate hören, die gegen mich antreten. Nicht nur, dass ich jedes Fairnessabkommen unterschreibe. Ich schreibe auch jedes Fairnessabkommen, bevor es die anderen schreiben. Fairness-Poleposition!
Meine Kritiker freilich werfen mir vor, dass ich von Politik eigentlich gar keine Ahnung habe und vor allem meine Wirtschaftskompetenz gegen null geht. Dem halte ich entgegen, dass jeder, der zu meiner Abschlusskundgebung kommt, ein Auto gewinnt. Und wer noch keinen Führerschein hat, kriegt den Führerschein auch gleich dazu. Und jeder, der mich wählt, ein schlüsselfertiges Einfamilienhaus mit einem kleinen Gärtchen rundherum. Ich lasse mich da nicht lumpen. Dazu habe ich einen Kredit bei der Landesbank aufgenommen, den ich bis zum Jahr 3059 zurückzahlen werde. Falls ich so alt werde. Dann Schuldenschnitt. Schönes Wort: Schuldenschnitt – nicht? Aber was um alles in der Welt spricht denn dagegen? Ich liebe mein Volk eben und habe ein Ohr für seine Sorgen und Nöte, auch wenn das der Konkurrenz nicht passt.
Meine Kritiker behaupten, es gehe mir nur um meine eigene Selbstdarstellung. Aber das sagen sie ja nur, weil das ganze Bundesgebiet bald von Wahlplakaten zugepflastert sein wird, die mein Konterfei zeigen. Um welche Selbstdarstellung sollte es bitteschön gehen, wenn nicht um meine eigene? Ich bin doch kein Selbstdarstellungsaltruist! Und es ist eine Unverschämtheit, von Personenkult zu sprechen, bloß weil ich aus meinem privaten Fotoalbum eine Hochglanzbroschüre produzieren und als Postwurfsendung an jeden Haushalt verteilen lassen werde. Das Volk hat ein Recht darauf, mich beim Frühstück, in der Duschkabine, auf der Wohnzimmercouch, beim Schwänefüttern und Dackelstreicheln zu sehen. Und soll ich vielleicht nicht gerührt sein, wenn mir fremde Kinder mit Zahnlücken tagein, tagaus Gedichte mit dem Reimschema AABB aufsagen und Strohblumensträuße schenken?
Meine Kritiker sagen, mein Wahlkampf verlaufe weitgehend inhaltsfrei, was nicht stimmt, denn ich verteile ja Schnaps. Wie mich die Wähler wählen sollen, wo doch mein Name gar nicht auf dem Stimmzettel steht? Blöde Frage. Auf dieses Niveau begebe ich mich nicht herab. Grundlos muss ich mich nicht anschütten lassen. Auch ich habe meine persönliche Schmerzgrenze. Meine Wählerinnen und Wähler werden dieser Art von Politik einen Denkzettel verpassen und solchen Diffamierungen eine deutliche Absage erteilen!
BUNDESPRÄSIDENT, DER, 2:
ALTBUNDESPRÄSIDENT: GUTEN MORGEN, GUTEN ABEND, GUTE NACHT!
Ein Bundespräsident hat viele, viele wichtige Aufgaben, aber die wichtigste von allen ist wahrscheinlich, dass er laut und deutlich »Guten Morgen« sagt. Guten Morgen, Margot! Guten Morgen, Margit! Guten Morgen, Herr Grissemann! Guten Morgen, Herr Stermann! Guten Morgen, Jedermann! Nicht jeder Bundespräsident freilich hat ein derart schicksalhaftes Pflichtgefühl, dass er nach zwei vollen Amtsperioden voller Vorbildfunktionen, in denen er »mit großer Sorge« auf sein Land schaut, exakt am allerletzten Tag seiner Amtszeit »sozialverträglich frühablebt«, sondern er geht in Pension – und zwar nicht in Mindestpension, wohlgemerkt. Aber man kann ja all die großen Sorgen und Guten Morgen nicht einfach beim Hofburgportier abgeben, daher entbrennt jetzt gerade eine Diskussion darüber, ob und wie man einen Altbundespräsidenten weiterbeschäftigen und nachnutzen könnte. Sportler ehren? Helden Medaillen um den Hals hängen? Mit Künstlern frühstücken? Bei Meetings und Greetings meeten und greeten?
Konsequent und logisch wäre es, wenn der erste Diener seines Volkes nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Amt im Staate in Zukunft »Gute Nacht« sagt: Die Guten-Morgen-Grundkompetenz zur Gute-Nacht-Kompetenz zu erweitern wäre allerdings womöglich nicht mit jedem Toleranzabkommen und jeder Fairnessvereinbarung akkordierbar, denn es entstünde ein Interessenskonflikt mit Oberküniglbergamtsrat Prof. Prohaska, dem Gutenachter der Nation, und ein Bruch seines Gutenachtmonopols mit schier unabsehbaren Folgen … Was also bleibt dem armen Altbundespräsidenten protokollarisch? Guten Abend? Nicht auszudenken! »Guten Abend« gehört dem unvergessenen Heinz Conrads, das wäre Störung der Totenruhe! Guten Abend, gut Nacht, mit Alpträumen bedacht … was bleibt dem armen, armen Altbundespräsidenten im Ausgedinge?
Mein Kompromissvorschlag: Guten Nachmittag! Das ist zwar nicht Deutsch, sondern Englisch, aber etwas, das es bisher noch nicht gegeben hat und eine dringende sprachliche Notwendigkeit! Ein Wohlfühlwunsch, gegen den niemand aus der Feelgood-Generation etwas haben kann! Die Schließung einer Lücke, die dem Fortschritt dient und die Welt verbessert. Da darf man nicht am falschen Platz sparen! Einmal eingeführt, wird der »Gute Nachmittag« des Altpräsidenten schon bald eine Institution sein, und die breite Masse wird sich gar nicht mehr vorstellen können, wie man früher einmal ohne den »Guten Nachmittag« leben und überleben konnte … so wie ohne Altbundespräsidenten.
BUNDESPRÄSIDENT, DER, 3:
JUNGBUNDESPRÄSIDENT: KARL KRAUS UND DIE PARTEIZWERGE
Am Wahlsonntag herrschte Hochbetrieb in meinem – nicht subventionierten – privaten Institut für höhere Niederlagenforschung (IHNF), neue Erkenntnisse überschlugen sich förmlich: Zum Beispiel dass es Kennzeichen einer Demokratie ist, dass eine Seite der anderen vorwirft, eine Diktatur zu sein und der Republik für den Fall, dass der jeweils andere Diktator zum Oberhaupt gewählt wird, mit kollektiver Auswanderung droht. Oder dass ziemlich unvermutet zwei neue Kleinparteien in der »politischen Landschaft Österreichs« auftauchten. Bei der Ursachenforschung verhielten sich deren Repräsentanten und Sprecher sehr kreativ: Es habe etwa »schwierige Rahmenbedingungen« und schwere »Rucksäcke« gegeben, man habe »verkaufbare Pakete geschnürt, aber zu spät aufgegeben« (= die Post ist schuld!), es sei ein »Persönlichkeitswahlkampf« gewesen, aus dem unvorhergesehenerweise ein »Themenwahlkampf« geworden sei (huch!), aus dem ein Protestwahlkampf wurde (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Willkommenskulturkrise, Vergewaltigungskrise, Registrierkasse! Zentralmatura! Oh jemine!). Zu den »Proteststimmen« seien dann auch noch die »Notwehrstimmen« gekommen. Zu viele oder zu wenige Konflikte in der Koalition, Hundstorfer könne schlecht taxibeifahren, außerdem konnte er kein Gedicht aufsagen, das konnten allerdings die meisten anderen auch nicht, Univ.-Prof. Van der Bellen schaffte zumindest »Hänschen klein …«, Heimat bist du großer Söhne, Präsidenten begnadet für das Schöne, und einer aus der Lichtenfelsgasse brachte es auf den politischen Punkt: »Shit happens.« Das war wirklich genau beobachtet, letztlich aber natürlich eine Erdrutschniederlage der Meinungsforschung, die die an sich total krisenfeste Politik mitgerissen habe, was wiederum damit zusammenhänge, dass es immer mehr Unentschlossene gebe, die erst ganz kurzfristig entschieden, wodurch also letztlich der Wähler schuld sei …
Der allerneueste Trend ist der, Umfragen der Meinungsforschungsinstitute nicht mehr zu veröffentlichen, um die Wahlen damit nicht zu beeinflussen und strategisches und taktisches Wählen nicht zu fördern, was auf Dauer natürlich die Frage aufwerfen könnte, wozu Umfragen dann überhaupt gut sein sollen, völlig falsche Umfragewerte sind wie völlig falsche Wettervorhersagen, eine Frage jedoch, auf die Meinungsforscher zunehmend empört reagieren, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen, da geht es ja um die Existenz, manch ein Meinungsforscher sieht sich heute nach einem Wahlgang schon in der Situation eines abgewählten Kandidaten, und insgeheim mag sich so ein torpedierter Meinungsforscher denken: Blutige Rache an der Politikwissenschaft!
Apropos Wetter: Shitstorms werden aus der virtuellen Welt gemeldet, vor allem solche gegen den Kandidaten der Rechten, und so wie früher der Kampf zwischen rot und schwarz oder links und rechts tobte, so tobt heute der Kampf zwischen Onlinern und Offlinern: Die Empörung, Enttäuschung und Fassungslosigkeit darüber, dass auch der wildeste Shitstorm auf Facebook oder in irgendwelchen Social Networks keine neue Wirklichkeit generiert, sondern bei der schweigenden (nicht postenden) Mehrheit der verbohrten Analogis vom Land hinter den sieben Bergen und aus dem letzten Jahrhundert (Jahrtausend!) keinen Eindruck macht und nicht einmal wahrgenommen wird, ist förmlich greifbar. Ich poste, also bin ich, und die Grenzen meines Datenvolumens sind die Grenzen meiner Welt. Offenbar existieren aber noch immer Exemplare unserer Gattung ganz ohne Datenvolumen, also ganz ohne Welt.
Nicht zu vergessen: »Der Regierungsmalus« (den hat’s in der guten alten Zeit so auch noch nicht gegeben …). Einig sind sich die Personen des Apparats der Kleinparteien darin, dass eine »Verjüngung des Parteiapparats« wünschenswert wäre, dass aber »personelle Veränderungen zur Problemlösung nichts beitragen« … die Konsequenz sei, (wie bisher) »hart zu arbeiten« (= (wie bisher) viele Worte zu machen und super zu verdienen).
Persönlich verstört am Ergebnis der Präsidentschaftswahl hat mich selbst ein Detail: Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik könnte ein Bundespräsident jünger sein als ich! Fast zehn Jahre jünger! So ein Springinsfeld! Wie soll denn ein so junger Bursche die enormen Probleme des Landes lösen, wenn nicht einmal ich das kann? Ich finde, es sollte in der Verfassung verankert sein, dass ein Bundespräsident älter sein muss als ich! Wo kommen wir denn da hin, wenn der Pater Patriae jünger ist als sein großer Sohn? Und soll ich meinem Nachwuchsbundespräsidenten dann vielleicht das Duwort anbieten? Auf der anderen Seite ein parteifreier Präsidentschaftskandidat? Wohin soll denn das noch führen? Parteifreie Gymnasialdirektoren? Parteifreie Sportclubs? Parteifreie Briefmarkensammelvereine? Parteifreie Pannendienste? Da bricht doch alles zusammen … So dramatisch ist die Situation, dass sich sogar Karl Kraus zu Wort meldet und auf Facebook postet, Österreich sei das einzige Land der Welt, das aus Erfahrung dumm würde. – Was? Ist das der mit Sugarsugarbaby? – Nein, der mit den letzten Tagen der Menschheit und der Versuchsstation für den Weltuntergang und den langen Schatten der Parteizwerge, die die niedrig stehende Parteikultursonne wirft … zu Hitler hatte Karl Kraus bekanntlich noch »hörbar geschwiegen«, aber jetzt reicht es auch ihm.
CHILDRENING
Walking kennt man. Jogging kennt man. Dogging kennt man. Ducking kennt man mittlerweile auch schon. Der letzte Schrei aber: Childrening. Kinderwagenlanglauf, Gentle-Baby-Outdooring, das eigene Kleinkind als Sportgerät.
So ein Säugling wird natürlich nicht gefragt, ob es ihm recht ist, was mit ihm geschieht. Frische Luft als Gesundheitszubringer ist bekanntlich ein präventivmedizinischer Dauerbrenner: Das war schon so, als ich klitzeklein war, Kunstmuttermilch nuckelte und im Schritttempo durch Parks und über Boulevards und Promenaden geschoben wurde. (Lang ist’s her. Damals schrieb man selbst »Schritttempo« bloß mit zwei »t«.) In unserer schnelllebi...