Leute machen Kleider
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Leute machen Kleider

Eine Reise durch die globale Textilindustrie

  1. 250 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Leute machen Kleider

Eine Reise durch die globale Textilindustrie

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Ein ganz alltäglicher Morgen: Aufstehen, ins Bad gehen, sich ankleiden. Doch was wäre, wenn aus dem Schrank die Menschen klettern würden, die unsere Kleidung hergestellt haben? Was würden sie von ihrer Arbeit und von ihrem Leben erzählen? Imke Müller-Hellmann nimmt ihre Lieblingskleidungsstücke und fährt los: Bangladesch, Vietnam, Portugal, Schwäbische Alb, Thüringen, China...Sie lernt die Näherin ihrer Fleecejacke kennen, den Textilveredler von Slip Claudia und die Spinnerin des Garns ihrer Wandersocken. Sie interviewt Firmenchefs in deutschen Luxushotels und Manager auf staubigen, bengalischen Pisten, fährt an chinesischen Betriebstoren vor und bedankt sich bei den verblüfften Angestellten für ihre Lieblingsjacke. Wovon träumt eine Wanderarbeiterin in China, die 10 bis 12 Stunden am Tag unter Neonlicht näht? Was erhofft sich ein Näher in Bangladesch von seiner Zukunft? Was eine Schuhmacherin in Portugal?Doch bis sie die Menschen besuchen und kennenlernen kann, braucht es Beharrlichkeit. Die Autorin ringt mit den Firmen ihrer Kleidungsmarken um die Herausgabe der Zulieferernamen und bittet Gewerkschaften um Hilfe bei der Suche nach den Menschen, die ihre Kleidung fertigten.Leute machen Kleider ist eine Reise durch die globale Textilproduktion, voller sehr persönlicher Begegnungen. Leute machen Kleider sind überraschende Einblicke in eine weltweit vernetzte, gigantische Industrie. Ein Buch, das vor allem von den Menschen erzählt, die so weit weg zu sein scheinen, es aber eigentlich nicht sind – tragen wir ihre Arbeit doch täglich auf unserer Haut.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783955101480
Die Jacke | Wattierte Pilotenjacke
Stockholm, 14. Januar 2015
Dear Imke Muller-Hellmann,
Thank you for your letter and for contacting us!
We think you have a very nice idea and an interesting story.
Glad to know that you are wearing a 10-year old jacket from us and that it is among your favourite clothing!
Regret to inform you that we do not have the order number in our system, it is long gone archived.
But we would be happy to assist you if you buy a jacket from the recent collection/s!
Have a nice day
Stockholm, 3. Februar 2015
Dear Imke Muller-Hellmann,
How nice that you have found a jacket from our present range!
I have forwarded your letter and our correspondence to our communication department.
Hope they can help you further!
Have a nice day
(Ich bekomme trotz mehrerer Rückfragen keine Antwort mehr und teile am 8. Juni 2015 meiner Ansprechperson in Stockholm mit, dass ich in der kommenden Woche persönlich vorbeikommen werde. Schließlich könne man in einem Gespräch das weitere Vorgehen besser miteinander abstimmen.)
Stockholm, 9. Juni 2015
Dear Muller-Hellmann,
I’m sorry for the late reply.
Well, I can check again but with another person.
Hope you get lucky this time!
Best regards
Stockholm, 10. Juni 2015
Dear Imke,
Your mail has been forwarded to us at the press/comm department. As we receive so many requests from press and media we have limited resources to assist with your book project. We can answer your questions per e-mail, but we cannot accommodate a visit.
You can send your questions to this e-mail address.
Best regards
Hamburg, 15. Juni 2015
Hallo Imke,
vielen Dank für deine Anfrage. Unser Kollege hat sie uns weitergeleitet.
Gern können wir dir auch von Deutschland aus weiterhelfen. Wenn du Fragen hast, sende sie meinem Kollegen oder mir gern zu.
Wegen der Jacke kommen wir auf dich zurück.
Viele Grüße
Hamburg, 25. Juni 2015
Telefonat, Notizen:
Ich habe versucht, dem E-Mail-Verlauf zu folgen. Sie waren also erst beim Kundenservice, dann bei der Presseabteilung Stockholm und nun bei der Presseabteilung Deutschland. Erzählen Sie mir doch noch mal, worum es Ihnen geht. – Das freut uns natürlich, dass Sie unsere Jacke seit zehn Jahren tragen. – Ich habe mir Ihr aktuelles Buch angeschaut. Wollen Sie das neue Buchprojekt ähnlich gestalten? – Lieferketten wären nicht das Problem. Die sind öffentlich zugänglich bei uns und nicht vertraulich. Das ist eher eine organisatorische Frage. Was brauchen Sie von uns? – Wir sind in 60 Ländern aktiv. Produktionsbedingungen sind inzwischen ein Thema. Wir bekommen viele Anfragen, die Produktionsstätten zu besuchen, also eher von Journalisten, Autoren hatten wir jetzt noch nicht dabei. Vielleicht könnten wir Ihnen die Möglichkeit eröffnen, mit den Kollegen vor Ort, an den Produktionsstandorten die Betriebe zu besuchen. Das wird dann eine Gruppe mit Journalisten sein. Wir bekommen aber jeden Tag aus jedem Land Anfragen, und Deutschland ist nur einer von 60 Märkten, deshalb können wir nicht immer sofort reagieren, und wir müssten sehen, ob das ginge. – In den meisten Firmen wird für viele Marken produziert. Sie können ja durch die Reihen gehen und eine Mitarbeiterin fragen, ob sie die Jacke wiedererkennen. – Schwierig ist der Teil der Kultur: Sie werden keinen super spannenden Redefluss bekommen, sondern sehr viele höfliche Antworten erhalten. Dies ist zumindest meine Erfahrung. Ihre Idee ist es, Geschichten zu erzählen. Gerade in China ist das schwierig. Ein wichtiger Aspekt der Kultur ist es, das Gesicht zu wahren. Das ist zum Beispiel in Bangladesch sehr anders. In Hongkong war es auch anders. Und in Guangzhou. Dort war es am einfachsten, da ist der kulturelle Wandel schon weit fortgeschritten. Wenn ich mit Mitarbeitern aus der Fabrik gesprochen habe, wollten alle große Modedesigner werden, und ihr Hobby war es, shoppen zu gehen und Schuhe zu kaufen. Das ist ein Wandel mit der Ökonomie und der sozialen Entwicklung. – Wenn Sie sich den Arbeitsmarkt in China anschauen, die Löhne steigen rasant, die chinesischen Näher sind sich bewusst, dass sie einen Wert haben, dass sie nicht so leicht austauschbar sind. – Ich prüfe das gerne mit Ihrem Besuch, aber es liegt an der praktischen Beschränkung.
Hamburg, 19. August 2015
Liebe Frau Hellmann,
Bitte entschuldigen Sie die erneute Verspätung!
Ich habe mit den Kollegen vor Ort gesprochen und leider sehen wir derzeit aufgrund zahlreicher anderer Anfragen keine Möglichkeiten, einen Besuch bei einem Lieferanten in China in den nächsten Monaten zu organisieren. Im September/Oktober steht bereits eine Pressereise in China an, bei der zahlreiche internationale Medien die Möglichkeit haben, verschiedene unserer Lieferanten in China zu besuchen. Dies bindet allerdings unsere Ressourcen und nimmt uns leider die Möglichkeiten, Sie vor Ort sinnvoll zu unterstützen.
Das tut mir sehr leid, bitte aber hierfür um Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Bremen, 19. August 2015
Telefonat, Notizen:
Da gibt es eine große Journalistenreise im September/Oktober, deswegen sind alle Kapazitäten voll, es geht nicht. – Mitte Dezember wird nicht klappen. Ich sehe keine konkrete Möglichkeit für Ihren Besuch. – Hmm, vielleicht könnte man das noch im März mit unterschieben, aber das weiß ich nicht. Ich würde da ungern heute wieder anrufen. – Vielleicht ergibt sich spontan die Möglichkeit. – Ich rufe die im Februar/März an und vielleicht haben sie dann wenig Arbeit und sagen »Ja«. – Hmm, das stimmt natürlich, das Visum … – Nein, die ist komplett ausgebucht, wir mussten schon renommierte Medien ausladen. – Die Hoffnung will ich Ihnen nicht machen mit März, das ist nichts, womit Sie planen können. – Einfach da hinfahren? Das kann ich schwer einschätzen. Ich persönlich finde das schwierig. Ich kenne die Leute nicht. China ist auch nicht bekannt für Unternehmenstransparenz und Pressefreiheit … – Wie wäre es mit einem Designer?
Das wäre dann ein Schwede. Versendet wird in Poznan, Polen. Ginge auch eine Verkäuferin? Wie wäre es mit jemand aus dem Einkauf? Oder mit einem Funktionsexperten? Falls es eine Outdoor-jacke ist. Die beraten die Designer, welches Material genommen werden sollte. Ich schätze mal, dass ein Dutzend Leute mit der Jacke zu tun hatte, bevor Sie bei Ihnen gelandet ist. – Wie hoch wird die Auflage des Buches sein? – Wo die Jacke produziert wurde?
In Dongyang, einer Kleinstadt, zwei Stunden von Shanghai entfernt.
Hamburg, 19. August 2015
Liebe Frau Hellmann,
der Name der Fabrik ist Zhejiang Tongli Clothing Co., Ltd.
Die Adresse: No. 90, Zengshan Road Xicheng Industrial Zone 322100
Dongyang, China.
Ich hoffe, dass die Ihnen weiterhilft.
Beste Grüße
Hangzhou, 21. August 2015
Dear Imke,
Thanks for your contact; this is a really special inquiry :)
I am responsible for new customer development, you can talk with me about your visit.
I would like to know what kind of book you are writing? And what jacket are you talking about? Do you mind send me a picture?
And why don’t you contact us through the brand’s Shanghai office?
Hope to get more information and background.
Thanks and B.rgds!
Zhejiang Tongli Clothing co., ltd Hangzhou office
image
Hangzhou 12. April 2016
Dear Imke,
Well noted about your situation, I checked internally, it is better for us to be informed by the brand’s Shanghai Office.
Thanks and B.rgds!
Zhejiang Tongli Clothing co., ltd Hangzhou office
image
Hamburg, 12. April 2016
Liebe Frau Hellmann,
Bitte entschuldigen Sie die späte Antwort. Ich arbeite mittlerweile in einem anderen Bereich. Ich weiß ehrlich gesagt nicht wirklich, wie ich Ihnen hier helfen kann. Ich habe Ihre Anfrage an meine Kollegen in unserer globalen Presseabteilung weitergeleitet. Sie können die Kollegen dort unter … erreichen. Allerdings weiß ich aus der Vergangenheit, dass wir hier leider unter den extrem vielen Anfragen, die wir erhalten, stark priorisieren müssen und internationalen Medien den Vorzug geben.
Beste Grüße
(Ich suche im Netz nach Fotos von Mitarbeitenden des Shanghai Offices, picke die Person heraus, die mir am sympathischsten erscheint und schreibe sie an. Dabei mache ich einen entscheidenden Fehler. Ich achte nicht darauf, wie viele Jahre der Mitarbeiter im Betrieb ist. Nur die, die lange dabei sind, trauen sich, unkonventionelle Wege zu gehen und sich über offizielle Betriebsregeln hinwegzusetzen.)
Shanghai, 14. April 2016
Hi Imke,
Thanks for your email. I will reach out to our Woven Supply Chain Manager and Sustainability Manager to find out how we can appropriately manage your request.
Cheers
Shanghai, 1. Juni 2016
Hi Imke,
I spoke with our Media Relations department. Please see their response below:
»Our general policy is that we decline participation in books.
When it comes to books on our suppliers we of course can’t decide whether or not they participate. We can however let the suppliers know that we don’t wish them to talk about us.«
So please feel free to collaborate with our suppliers as long as there is no connection made with us in the book.
I wish you all the best with your book publication.

China

Die Volksrepublik China ist 28-mal so groß wie Deutschland und in ihr leben 1,367 Milliarden Menschen. Das sind 1285 Millionen mehr Menschen mit Ausweispapieren mit fünf Sternen auf rotem Grund als mit Papieren mit einem Adler – offene Flügel, zur Seite gewandter Kopf. Das Land hat hohe Bergmassive, Steppen und Wüsten, Flussdeltas, Schwemm- und Hochebenen, und das Gelbe, das Ostchinesische und das Südchinesische Meer. Es hat den höchsten Berg der Erde, die längsten Landesgrenzen, die meisten Nachbarländer und die größte Bevölkerung, die vor allem im Osten des Landes lebt, in der Nähe der Küste, viele von ihr in den Metropolen: elf Millionen Menschen in Peking, 13 Millionen in Guangzhou, 24 Millionen in Shanghai. 2133 Jahre lang herrschten in diesem Land die Kaiser, 28 Jahre lang die Kuomintang, die Politiker der Republik, und 67 Jahre lang – bis heute – die zweitgrößte Partei der Welt, die Kommunistische Partei Chinas. Die Planwirtschaft 1952 bis 1975 brachte Wachstum und Hungersnöte, die Sonderwirtschaftszonen seit 1979 Fabriken ausländischer Unternehmen, Wanderarbeiter und Made-in-China-Produkte für die ganze Welt und der »Sozialismus mit chinesischen Merkmalen« einer kleinen Oberschicht und den Familien der kommunistischen Funktionäre viel Geld. Chinas Ökonomie wächst schnell. 2050, sagen einige, wird es alle Industrieländer überholt haben, nein, widersprechen andere, dies wird bereits 2039 so sein.
Als ich das Land erreiche, bin ich nervös. Ich bin die Letzte in einer Schlange von Ausländerinnen und Ausländern in einer fast menschenleeren Halle eines Bahnhofs, mein Rucksack wird zum wiederholten Male auf Verbotenes hin durchleuchtet und ein stummer, junger Mensch in Uniform betrachtet ernst mein Gesicht, um herauszufinden, ob das grimmige Bild des Reisepasses mit der fahrig lächelnden Reisenden vor ihm übereinstimmt. Als Stipendiatin einer großen Stiftung durfte es ein Tourismus-Visum nicht sein, aber ein Journalismus-Visum noch weniger. Mit meinem Thema ließe man mich nicht hinein, so der Stipendiumsbetreuer. Nicht hinein? Textilindustrie, sagte er, rieche nach schlechter Presse. Eine Einladung des Generalkonsuls von Shanghai ebnete den Weg zum Visum der Kategorie F, »Exchange-Austausch«, und wenn es Probleme gebe, so der Stipendiumsbetreuer weiter, möge ich mich nicht sorgen, der chinesische Staatsapparat klappe reflexartig zu wie eine fleischfressende Pflanze, die eine Fliege fängt, aber öffne sich wieder, wenn man nur beschwichtigend einwirke und geduldig genug kitzele. Ich stehe in dem für mich ersten Bahnhof des großen Landes und versuche, nicht an die fleischfressende Pflanze zu denken, die ich mir nach dem Gespräch in einem Video ansah: Der Fliege in dem Clip ging es nicht gut. Ich verlasse das Bahnhofsgebäude ungehindert und werde auf 4500 Kilometern, die ich in Zügen und Bussen zurücklegen, und in den sieben Städten, die ich besuchen werde, kein einziges Mal mehr von einem Uniformierten taxiert, auch nicht befragt, nicht behindert. Ich werde auf bestimmte Internetseiten nicht zugreifen und die Hälfte der Zeit meine E-Mails nicht lesen können, und ich werde – so wie alle in diesem Land –, sobald ich die privaten Wohnräume verlasse, gefilmt: auf den Straßen, in den Fahrstühlen, U-Bahnen, Bussen und Zügen, im Innenhof des hippen Hostels und in fast allen von mir besuchten Restaurants. Ich werde mich fühlen wie in einem bunten, gut ausgestatteten, lückenlos überwachten Raum und das wird mich anfangs irritieren und später wütend machen. Alle im Land, denen ich davon erzähle, werden die Achseln zucken und diese Gefühle nicht verstehen.
Ich laufe über den großen, fast menschenleeren Platz vor dem Bahnhof, auf dessen Halle ein M für »McDonald’s« prangt, und überlege, was ich zurücktrage in die »Fabrik der Welt«, nach China, wo es hergestellt wurde: die Sandalen, die Jacke, den Rucksack, die Umhängetasche, das Smartphone. Die Mütze, den Schal, drei Unterhosen, zwei T-Shirts, einen der beiden Pullover aus Fleece. Vielleicht die Nagelschere? Möglicherweise die Feile. Mit großer Sicherheit das Notizbuch, den Kopfhörer, den externen Akku und, aus der Handvoll Schreibgeräte, hineingeworfen in den Rucksack, in das obere Fach, mindestens einen Stift.
Es sind 1600 Kilometer Zug, bis ich die Hauptstadt der Region Zhejiang, Hangzhou, erreiche. Auf der zweitägigen Fahrt sehe ich mehr Hochhäuser und Fabriken als in allen 41 Jahren meines bisherigen Lebens zusammen. Während die Lautsprecher der Smart-phones und iPads der um mich Sitzenden das Großraumabteil mit Filmen, Spielen, Musik und Telefonaten beschallen, im Bildschirm über den Köpfen mit pädagogisch wertvollen Comics lautstark zur Ruhe gemahnt wird und die Lautsprecherdurchsagen sehr häufig die nächste Station und das Verbot des Rauchens verkünden, blicke ich aus dem Fenster und betrachte die Straßen, auf denen Flugzeuge starten oder landen könnten – sechsspurig, achtspurig, zehnspurig breit –, und die Hochstraßen und die Autobahnauffahrten, die sich im Bau befinden und abbrechen in der Luft, Betonsprungbretter und geschwungene Kurven, die in den Himmel ragen. Ich sehe Flüsse, die einbetoniert, Landschaften, die aufgerissen, Berge, die mit Strommasten vollgestellt sind, und bis zum Horizont Gewächshäuser und Plastikplanen oder Neubauten und Altbauten-Kästen und Altnachgebaut-Bauten, und denke: Dort, wo kein einziger Strommast und kein Baukran steht, mache ich ein Foto und dort, wo es richtig schön ist, steige ich aus. Ich fahre zwei Tage lang Zug. Ich mache kein Foto, ich steige nicht aus.

Dongyang | Tongli

In Hangzhou nehme ich ein Taxi zum Busbahnhof. Ich will in die Stadt Dongyang, aus der meine Jacke kommt, 200 Kilometer entfernt. Vier Busbahnhöfe gäbe es, zeigt mir der Fahrer mit seinen Fingern an, und ich schreibe ihm die Schriftzeichen für Dongyang, die ich mir gut eingeprägt habe, auf: eine Vier mit einem Querbalken oben und zwei seitlichen Strahlen unten – das Zeichen für Osten – und ein ß und ein Schrank aus zwei Quadern auf zwei Füßen – das Zeichen für die Sonne. Der Fahrer nickt und fährt los, und ich weiß nicht, von welchem der Busbahnhöfe ich weiterfuhr, ich weiß nur, dass ich eingeschüchtert im Rücksitz des Taxis saß, da diese Stadt riesig ist, acht Millionen Menschen zählt, die durch eine imposante Kulisse moderner Glas-Stahl-Bauten laufen, und dass wir an Ampeln mit Sekundenanzeigern standen, im Stop-and-go, und große Banner am Bahnhof, unter den Hochstraßen und an öffentlichen Gebäuden angebracht waren, die für Gastfreundschaft für den G20-Gipfel, der vor ein paar Wochen hier stattfand, warben. Der Zugbahnhof von Hangzhou war so groß wie eine Flughafenhalle, der Busbahnhof, den ich betrete, ist dagegen klein. Die Zeichen des digitalen Abfahrtsplans leuchten rot über die gesamte Fläche der gegenüberliegenden Wand, es müssen Hunderte von Bussen täglich vom Parkplatz hinter dem Gebäude rollen, und ich suche akribisch nach der durchgestrichenen Vier und den Quadern auf den zwei Füßen, ich finde sie nicht. Dongyang ist keine Endstation, weiß ich später, Dongyang ist eine Kleinstadt, eine Zwischenstation auf dem Weg nach Jinhua, wenn der Bus einen Umweg fährt, nur dann. Ich sehe mich hilfesuchend um, halte meinen Zettel mehreren Menschen entgegen, werde zu einem Bus gelotst, steige ein. Nach zwei Stunden Fahrt, eine Stunde davon auf einer Autobahn, die es so auch in Deutschland geben könnte, überquert der Bus ein Mittelgebirge, das an seinem höchsten Punkt den Blick in die Weite des Tales freigibt: Häuser, so weit man sehen kann, hohe Häuser vor allem und Stadtviertel, deren Wohnblocks sich ähneln, die sich wie geklont auf der anderen Seite einer Straße oder eines Parks – akkurat angelegt – fortsetzen. Der Bus fährt hinein in das Meer der Stadtgebäude, und ein Lkw, beladen mit einem Container, fährt an uns vorbei. Die Lettern, weiß auf rotem Grund, verraten den Firmennamen und die Destination: Hamburg Süd. Beinahe stoße ich meine Sitznachbarin an und rufe aus: Sieh mal, da komme ich her! Beinahe winke ich ihm zu, dem Conta...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Prolog
  6. Die Unterhose | Slip Claudia
  7. Die Mütze | Melbu Beanie III
  8. Die Socken | Trekking Teka 2
  9. Die Fleecejacke | Moon River Jacket
  10. Die Jeans | Straight 3301
  11. Das Unterhemd | Laurel
  12. Das Top | Stella Dreams
  13. Das beliebige T-Shirt
  14. Die Jacke | Wattierte Pilotenjacke
  15. Die Schuhe | Vintage Boots
  16. Nachbemerkungen
  17. Anhang