Ruhe
  1. 300 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Ein Beamter des Innenministeriums fährt mit zwei Polizisten in ein entlegenes Unterkrainer Nest, um die junge Romi Agata Šarkezi abzuholen und sie wieder nach Ljubljana zu bringen. Ihre Familie ist nach Ausschreitungen der lokalen Bevölkerung, bei denen ihr Haus zerstört wurde, von den Behörden in ein Übergangsquartier in der Stadt verbracht worden, aus dem Agata geflohen ist. Die Aktion scheint zunächst glattzugehen, Agata und ihr Baby werden rasch gefunden. Doch die Rückfahrt gestaltet sich schwierig. Einheimische verbarrikadieren nämlich alle Wege hinaus, und man bleibt schließlich auf einer Lichtung mitten in der Wildnis des Ko?evski rog hängen. Eine quälend lange Nacht bricht an, aus der keiner der Beteiligten unverändert hervorgehen wird.Andrej Skubic' Roman "Ruhe" (2009), der einen vermeintlichen Routineeinsatz zum absoluten Horror geraten lässt und dabei viel von Rassismus, Verhetzung und Gewalt in einer mehr und mehr verwildernden Öffentlichkeit erzählt, beruht auf wahren Ereignissen: der Vertreibung der Familie Strojan aus dem Dorf Ambrus im Herbst 2006, ein Fall, der international für aufsehen sorgte.Auf wahren Ereignissen, die sich ebenfalls 2006 zutrugen – auf der Geschichte der Jasmine Richardson aus der kanadischen Kleinstadt Medicine Hat – beruht auch die einleitende Erzählung vom Mord einer Zwölfjährigen an ihrer Familie, auch diese orchestriert durch (teils authentische) Chats, die nicht weniger schockierend wirken als die Bluttat selbst.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783854358343

Ruhe II

For the hunter is weak at heart and sentimental, overflowing with repressed treasures of gentleness and compassion.
Samuel Beckett, Molloy
Wenn es dunkel ist, bin ich nicht mehr hier, ich schwör’s. Schon jetzt geht mir dieses gelbe Abendlicht wie Wasser aus einer Schlammpfütze auf den Sack.
Diese Zeit im Jahr hab ich nie gemocht. Die braungrauen Hügel mit den schwarzgrünen Fichtenflecken sind schon mit allerhand zarten Nuancen irgendwo zwischen Zitronengelb und Graugrün betupft, aber das ist irgendwie alles noch Blödsinn, kein Frühling, nur Bluff. Daheim sind die schwarzen Schneeleichen neben der Fahrbahn noch nicht mal richtig eingesickert, immer noch sind Rußflecken auf dem Gras und im Schlamm. Und bleiben dort bis in den April. Hinterm Haus blühen die Ahornbäume, alle andern machen gerade mal Anstalten, ein bisschen auszutreiben. Der März ist schon per Definition eine einzige elende Imitation von etwas; aber hier!
Ich stehe genau vor dem niedrigen Mauerrest, und im Loch eines herausgeschlagenen Ziegels, an einem zentimeterlangen Bündel Fäden, das an ihren Arsch gepappt ist, hängt eine Spinne, die aus Verzweiflung einfach vertrocknet sein dürfte. Oder erfroren. Ein kaum spürbarer Wind schaukelt sie sanft hin und her. Vielleicht war sie schon da, als das Haus noch gestanden ist. Hoffnung auf ein neues Netz gibt’s hier offenbar keine mehr. Und die Bäume rundherum sind noch so total grau, als stünden sie neben einem Zementwerk.
Als ich mich bewege, knirscht der Sand unter meinen Füßen. Ist überhaupt besser, sich möglichst wenig zu bewegen. Die Schotterstraße ist zerfurcht, und man muss aufpassen, wo man hintritt. Das würd mich an sich noch nicht so stören, ich bin nicht wegen jedem Tropfen Mist in Panik, ich hab gute Schuhe und strapazierfähige Sachen an, sportliche. Aber diese Stille. Ein bisschen ist’s wie auf einem Friedhof. Kein Mensch zu sehen, jedes Rascheln schreckt unnötigerweise diese Bäume auf, die es gewohnt sind, allein zu sein. Die Reifen der schweren Lastwägen und Bagger sind schuld. Obwohl es vorher wahrscheinlich auch nicht viel besser war. Aber jetzt – vom Gras hier, gehen sich vielleicht ein paar zerzauste Büschel aus. Und was da rumliegt, Beton und Kleinzeug, Ziegel, Späne, Bretter, Möbelstücke. Gelump.
Das Ganze sieht aus, als hätte sich der ehemalige Besitzer des Anwesens nach einer schleißig kopierten Do-it-yourself-Anleitung ein Terroristen-Basiskit zusammenstellen wollen. Am anderen Ende des früheren Vorhofs ist ein riesiger Haufen, als hätte man dort alles hingebaggert, mittendrin aber aufgehört. Betonplatten, Scherben von Fensterglas, Porzellan, Spiegeln, Dachplatten, Flaschen. Dazwischen die Reste eines Kinderfahrrads, Spanplatten, ein fast ganz gebliebener Schrank, die Kanten aufgequollen und geplatzt vom Regen. Irgendein Zargenteil, Schläuche, eine verdrehte Schubkarre mit einem Platten, ein Stück von einer Marienstatue aus Gips – Ethnozeug. Buntes Plastik, glatzige Reifen ohne Felgen, eine Alukanne, vermutlich für Milch, aber schmutzig und angelaufen. Schon längst vergilbte Zeitungen – die waren uralt, noch bevor der Wind begonnen hat, sie auszutragen. Wenn das nicht Zeitungen aus den Achtzigern sind, in denen steht, wie uns der Generalsekretär der Bewegung der Blockfreien besucht hat, Genosse Mugabe persönlich (der noch heute ein angesehener Herr ist). Mitten in dem Armageddon aber steht – der Schuppen. Der Schuppen, ha, die berühmte Rumpelkammer, die schon eine Million Mal im Fernsehen war; angeblich steht er deshalb noch, weil er noch vom früheren Besitzer als Einziger angemeldet war, als Bienenhaus. Als Bienenhaus! :-) Der Typ hat offensichtlich da drin gewohnt. Er ist aber leer; nichts weist darauf hin, dass jemand vorgehabt hätte, hier einzuziehen, keine Tasche, kein Lumpen, der sauberer oder wenigstens ganzer wär als die ganze Sauerei hier.
Unser Mädel ist noch nicht da gewesen. Alles, was Decken oder bunten Schlafsäcken gleichschaut, liegt draußen, auf dem Boden, angesoffen und voller Dreck.
In der Regentonne, die neben den Resten der zerbrochenen Betonbodenplatte steht, schwimmt irgendein ertrunkenes Tier, ich hab’s vorhin mehr von Weitem gesehen, irgendein riesiger Nager, wie ein Biber. Eine Biberratte? Keine Ahnung. Wo spazier ich hier bloß herum! Ich warte.
Ich warte auf das Date meines Lebens. Ich meine, es ist arg, wenn die Arbeit zu deinem Leben wird und dein Leben zur Arbeit. Witzig, echt.
Gut, ich bin nicht allein, die Aufpasser sind nahe genug, ich bin nicht in Gefahr. Und sie sollte allein sein. Klar, Garantie gibt’s keine. Sie kann unterwegs auch ohne Weiteres jemanden aufgegabelt haben, so zur Sicherheit. Sie kennt genug Leute zwischen Kočevje und Novo mesto. Und den ganzen weiten Weg geht sie nicht zu Fuß, das ist klar. Jemand, dem sie vertraut, wird sie fahren müssen. Wenn sie ihm vertraut. Ich an ihrer Stelle würde zwar keinem trauen, bei den Leuten, die sie kennt. Aber egal. Ich meine, ich hab keine Angst, das will ich sagen, es ist kein Problem in diesem Sinn.
Bescheuert, das Ganze hier. Der Köder. Der Minister. Das Blind Date. So was fällt der Polizei ein!
Ich würd gern glauben, dass die zwei Feuer, die ich im Tal unten sehe, auf eine Feier mit Spanferkeln, gebratenen Ochsen, Cviček und Plastikbechern hinweisen; aber das Fest mit der berühmten Gottscheer Goldkehle Janez Kramberger-Philips und der Moderatorin, der vielverheißenden Miss und Leiterin einer Reality-Show Sabina Hudolin wird nicht hier unten sein, sondern im Nachbardorf, durch das wir hergefahren sind, wie uns die Plakate unterwegs gesagt haben, Plakate auf einer Busstation aus gesprungenen Betonblöcken und Salonit. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass die zwei Feuer dort unten etwas ganz anderes erzählen, nicht das. Und es sind nur die ersten, das weiß ich. Bin ja nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen.
Fernsehberichte, Radio, Telefonate, Internet, die Nachbarin. Ich gehör nicht hierher. Was mach ich hier? Ich warte auf das Empfangskomitee. Ha, ist nur eine Frage der Zeit, wann sie unser Auto bemerken. Wenn’s nicht schon passiert ist. Es steht hinter der Kurve, um den Hügel herum, aber man kommt dort vorbei. Das heißt?
Schlechter Zeitpunkt für einen Spaziergang hier oben.
War überhaupt mal wer hier? Bei mir ist es das erste Mal. Dieses bescheuerte Stück Grund hab ich bisher nur im Fernsehen gesehen. Damals war alles sehr überzeugend, da war echt was los. Ich bin daheim gesessen, am Tisch, hab Liptauer gegessen, Brot, das, glaub ich, ein wenig alt war, und Knoblauch, ganze Zehen. Für die Gesundheit, weil damals die Grippe grassiert hat. Aber das ist ja wohl eine Ewigkeit her, fast ein Jahr. Ich hab gegessen und in den Fernseher gegafft, und das im Fernsehen war ein Krimi, eine Liveübertragung, ein Actionfilm! Jetzt ist nur mehr dieses Gerümpel hier, die Trümmer, wie nach der besten Absolventenfeier aller Zeiten. Und ich! Der Hauptdarsteller.
Ich bin nicht geil drauf, dass das Feuer anfängt, langsam hier raufzuwachsen. Was es bald tun wird, ich weiß das, es muss nur noch etwas dunkler werden. Die Dämmerung heizt den Enthusiasmus, die Fantasie an. Fackel um Fackel, Taschenlampe um Taschenlampe. Damit wir mal sehen, ob wer oben ist, auf dem Hügel! Soll er sich zeigen! Gut, bis dahin dauert’s noch ein bisschen, jetzt ist es noch hell.
Ja.
Als ich mich wieder zu diesem Schuppen, der Rumpelkammer, dem sogenannten Bienenhaus umdrehe, pralle ich fast zurück.
Agata Šarkezi, was ziehen Sie am liebsten an?
Sie sehen doch, bequeme, sportliche Sachen, ein klein bisschen retro. Jeans, hellblau, unten weit, echt super. Das heißt, Siebziger, nicht Achtziger. Eine Jacke mit Pelz beziehungsweise Plastikpelzimitat gefüttert, was Zottiges, klar, auch am großen Kragen. Olivgrün, mit zwei hellbraunen Lederstreifen vorn. Die ist warm und an sich sogar sexy, wenn man auf so was steht. Und noch nicht mal so abgewetzt, so aus ein paar Metern Entfernung. Eine Bluse darunter, aus Jeans. Schwarze Socken, Turnschuhe. Und ich bin ehrlich gesagt ein wenig erledigt.
Agata Šarkezi, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie schöne Augen haben?
Hellbraun sind sie, ja, ein paar haben mir schon gesagt, dass man sie schon von ganz weit weg sieht, obwohl die Farbe nicht besonders auffällig ist. Wissen Sie, wir sind nicht alle schwarz, quatsch, das war ja wohl nicht so gemeint. Naja, was kann ich dafür, so hat mich Gott gemacht.
Agata Šarkezi, wo haben Sie denn ihr Kind, Ihren reizenden Säugling?
Was geht Sie das an.
Nicht zu glauben!
Sie ist hier.
Sie ist hier!
Sie ist wirklich hier. Steht da und schaut, als wollte sie mich mit ihrem Blick erschießen! Ich glaub’s nicht! Die halbe Mission wär damit gelaufen! Unwahrscheinlich, schau her, noch bevor es dunkel ist.
Von dem Kleinen ist nichts zu sehen. Hat sie ihn wo versteckt? Oder sie hat ihn vielleicht irgendwo gelassen. Gelassen! Ha, gebe Gott, dass sie ihn irgendwo gelassen hat. Wenn, dann ist – dann ist das Ganze vielleicht – was weiß ich, ein bisschen … einfacher. Oder nicht? Hängt davon ab … Unwillkürlich seufze ich.
Eigentlich hab ich auf sie gewartet, ich müsste wissen, wie ich anfange, alles parat haben, aber schmeck’s. Das kommt daher, dass ich mir im Grunde gewünscht hab, dass sie nicht kommt. Ich hab damit gerechnet, dass sie nicht da sein wird. Stimmt. Nicht hier. Und nicht jetzt. Mein Date! Die ersten Eindrücke sind wichtig, entscheidend. Wir beäugen einander.
Sie könnte tatsächlich auch nett aussehen, alles in allem, aber das ist nicht drin. Weil sie zu ihnen gehört. Sie strahlt förmlich was aus, beziehungsweise, man riecht es, auf hundert Meter; klar, wenn sie noch vor Kurzem hier gelebt hat, auf diesem Schutthaufen! Etwas leicht Muffiges ist in der Luft, wie nasses Fell. Ich bin kein Rassist, quatsch, das ist wohl das Allerletzte, das man mir unterstellen könnte. Gut, ich weiß, was Gene sind, dafür kann man nichts. Und bei ihnen haben alle, die ganze Familie, schon abgesehen von der Rasse, etwas seltsame Visagen; wir haben uns alle dran sattgesehen. Sie sind irgendwie eckig. Irgendwas Schamloses ist darin. Bei den Weibern noch mehr als bei den Typen, eigentlich. Einer dieser Typen schaut sogar recht anständig aus. Die Weiber aber machen einen, was weiß ich, unausstehlichen, rabiaten Eindruck. Sie hat dunkles Haar, kein schwarzes, aber fast. Dunkelbraunes. Die Augen, die man auch von Weitem sieht, sind für ihre Sorte irgendwie sehr hell. Mischbl...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Ruhe I
  6. Ruhe II
  7. Anmerkungen