Die Katharer
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Die Katharer

Was sie glaubten, wie sie lebten

  1. 316 Seiten
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Die Katharer

Was sie glaubten, wie sie lebten

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Sich selbst nannten die Katharer veri christiani, "die wahren Christen", oder auch boni homines, "die guten Menschen". Die mittelalterliche Kirche jedoch verfolgte sie als Ketzer gnadenlos und löschte sie schließlich nach jahrhundertelangen Kreuzzügen und Inquisition im 14. Jahrhundert aus. Doch wer waren die Katharer? Worin unterschied sich ihr Glaube von der päpstlichen Lehre? Und warum wurden sie von der Kirche so erbittert verfolgt? Gerhard Rottenwöhrer zeichnet in seinem Buch anhand zahlreicher Originalquellen ein umfassendes Bild der Katharer, ihrer Geschichte und ihres Glaubens.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783799504331

Fünftes Kapitel
DIE LEHRE DER ITALIENISCHEN KATHARER

Glaube und Theologie sind das Herzstück des Katharertums. Was von ihnen bekannt ist, läßt zum einen die geistige Leistung dieser Menschen erkennen. Es belegt ihre denkerische Fähigkeit und Kraft, ferner ihre Art, mit der Bibel umzugehen und die verschiedenen Lehrgegenstände zu gestalten. Zum anderen gestattet es, einen Blick in ihr Welt- und Lebensgefühl zu tun und damit ihren Hoffnungen oder Ängsten nahe zu kommen.
Obwohl die Katharer in ihren Anschauungen alles andere als eines Sinnes waren, betrieben sie doch allesamt Theologie. Es ging ja um das Verhältnis zwischen Gott, den Engeln und den Menschen, zwischen den Machtbereichen Gottes und Satans, um Schöpfung und Erlösung, Sünde und Heil, um die ersten und die letzten Dinge, um die Ereignisse und Zustände der Heilsgeschichte. Zu diesem Zweck stützte man sich auf die Bibel – besonders auf das Neue Testament – sowie auf mythische Erzählungen. Soweit sich das erkennen läßt, gleichen beide Größen Steinbrüchen, die nach Lust und Laune ausgebeutet wurden. Die Katharer begegneten ihnen demnach voreingenommen. Dennoch bestimmten sowohl biblische als auch mythische Vorstellungen ihre Theologie und deren Entwicklung.
Vergleicht man die katharische mit der zeitgenössischen katholischen Schultheologie des 12. und 13. Jahrhunderts, zeigt sich ein gewichtiger Unterschied. Zwar denken beide im Grund heilsgeschichtlich, da es ihnen um das Gottesvolk geht. Aber die katharische Theologie gebärdet sich weitaus weniger »systematisch«, was die philosophische Grundlage, die begriffliche und sachliche Klarheit oder den inneren Zusammenhang der Einzelheit anbelangt.
Die Katharer waren theologisch zersplittert. Das zeigt sich an den zwei Grundrichtungen und den drei Bekenntnissen, an den Erneuerungsbestrebungen innerhalb der Albanenser und Concorezzenser, an den theologischen Mischgestalten – eine besonders auffällige sind die Bagnolenser –, an den einzelnen Lehrern und vielfältigen Sondermeinungen. Das zeigt sich aber auch am Unterschied einer Theologie, die sich vor allem um Geschichte oder Geschick des Gottesvolkes kümmert – sie wird hauptsächlich von jenen geübt, die zwei Prinzipien lehren –, und einer solchen, welche die Herkunft von Zuständen oder Verhältnissen deutet und erklärt; sie ist bei den Concorezzensern und Bagnolensern zuhause. Die Aufsplitterung scheint ein Grundübel des Katharertums gewesen zu sein. Vielleicht erlaubte es seine ortskirchliche Gestalt eher, diesen Zustand zu ertragen, als wenn nur eine Kirche mit einer Art Lehramt bestanden hätte. Wahrscheinlich hätte letzteres aber auch mancher theologischen Sumpfblüte das Wasser entzogen. Am merkwürdigsten ist jedoch, daß man bei allen Gegensätzen in der Lehre in Gottesdienst und Lebensführung die Einheit wahrte, sich – abgesehen von Ausnahmen – also in Kirchen- und »Sakraments«gemeinschaft befand.
Wie bereits angedeutet, waren die Katharer in zwei theologische Richtungen gespalten. Die eine nahm zwei Prinzipien an, die andere nur eines. Für die erste ist Satan ein selbständiger Gott, für die zweite ein gefallener Engel. Aus dieser Grundanschauung folgen zahlreiche andere. Daher dient sie als geeignetes Mittel, um die Dinge zu ordnen. Leider fehlen genaue Angaben, wie sich dieser Zustand entwickelte. Der im ersten Kapitel erwähnte Bischof Symon v. Dragowitsa scheint um 1150/60 die entscheidende Rolle gespielt zu haben. Die Ketzerei der Katharer sagt dazu: »Von ihm ging die Ordnung aus, die Niketas angenommen hatte.« Falls die obige Deutung zutrifft, hätte Symon die Lehre von Satan als eigenständigem Prinzip entwickelt und eingeführt – vielleicht auch nur letzteres –, und sein Nachfolger Niketas unter den westlichen Katharern heimisch gemacht: zunächst bei den italienischen Albanensern, dann vielleicht 1167 auf der Versammlung in St-Félix-Lauragais auch unter den französischen. Dennoch behauptete sich die bisherige Richtung weiter. Die Concorezzenser und Bagnolenser blieben ihr treu. Der nordfranzösische Bischof und wohl auch seine Kirche kehrten vielleicht erneut zu ihr zurück.
In Frankreich sind nur die beiden Richtungen festzustellen. In Italien dagegen erhalten diese eigene Gesichter in den drei Bekenntnissen. Raynerius Sacconi schreibt zum Sachverhalt:
Man muß zunächst wissen, daß die erste Sekte, nämlich die Katharer, in drei Parteien oder Hauptsekten gespalten ist. Deren erste heißt Albanenser, die zweite Concorezzenser, die dritte Bagnolenser. Sie alle sind in der Lombardei. Die übrigen Katharer – seien sie in der Toskana oder in der Mark [von Treviso] oder in der Provence – weichen in ihren Ansichten nicht von den genannten Katharern oder von einigen von ihnen ab. Daher haben alle Katharer gemeinsame Ansichten, in denen sie übereinstimmen, und eigene, in denen sie geschieden sind.
Ebenfalls im 13. Jahrhundert berichtet die Summe gegen die Katharer:
Merke: Jene, die zwei Prinzipien annehmen, werden mit verschiedenen Namen genannt. Bei den einen heißen sie nämlich (Albigenser oder) Albanenser, bei anderen jene von Desenzano, bei anderen jene des Belesmanza. Die anderen, die ein Prinzip annehmen, werden ebenfalls mit verschiedenen Namen genannt. Bei einigen heißen sie nämlich Garattenser, bei einigen nach den verschiedenen Namen der Ketzerführer, wie sie nacheinander haben. Die dritte Sekte ist die der Caloianner. Sie werden ebenfalls von einigen verschieden genannt, wie es allgemein [?] heißt. Von einigen werden sie auch jene von Bagnolo genannt. Diese Sekte stimmt in einigem mit der ersten überein und in einigem mit der zweiten.
Raynerius beschreibt weiter den Zustand um 1250:
Zuletzt muß man bemerken: Die Katharer der Kirche von Toulouse, Albi und Carcassonne vertreten die Irrtümer Belesmanzas und der alten Albanenser und fast alle katharischen Kirchen jenseits des Meeres … gleichermaßen. Aber keine katharische Kirche stimmt in allem mit den Irrtümern der Kirche von Concorezzo überein. Die Kirche Nordfrankreichs stimmt mit der bagnolensischen überein. Jene aber der Mark von Treviso, der Toskana und des Spoletaner Tales stimmen mit den besagten Bagnolensern mehr überein als mit den Albanensern, werden aber allmählich zu den Albanensern hingezogen. Ferner nehmen sich alle katharischen Kirchen gegenseitig an, mögen sie auch verschiedener und gegensätzlicher Ansicht sein, außer den Albanensern und Concorezzensern, die sich gegenseitig verdammen.
Schließlich berichtet Durandus Oscensis in seinem Buch gegen die Manichäer, das er zwischen 1220 und 1227 verfaßte:
Denn wir wissen, daß sie ziemlich verdorben und auch in drei Parteien gespalten sind. Jede Partei verurteilt und verdammt die andere. Einige von ihnen gehorchen nämlich den griechischen Ketzern, andere aber den Bulgariern und andere den Drogovetiern.
… weil sie untereinander nicht übereinstimmen und sich gegenseitig verdammen, wie wir und der größte Teil des Volkes – Kleriker wie Laien – von ihnen in den Bistümern Carcassonne, Toulouse und Albi deutlich gesehen und gehört haben. Außerdem stimmen die griechischen Manichäer nicht mit den Bulgariern überein, mit beiden nicht die Drogovetier.
Die Bekenntnisunterschiede werden erstmals von Stücken bezeugt, die eine Summe gegen die Ketzer bilden, vor allem von der Mitteilung des Bonacursus, eines ehemaligen Katharers. Sie entstand zwischen 1176 und 1190. Neben diesen Angaben lassen besonders die Lehrgebäude bei allen Gemeinsamkeiten erkennen, wie sehr man sich in wesentlichen Punkten unterschied. Die Katharer litten anscheinend unter diesem Zustand, der zudem ihrem Ansehen bei den eigenen Gläubigen schadete. Salvus Burci berichtet 1235 – wie im dritten Kapitel angeführt – von gescheiterten Versuchen der heftig zerstrittenen Albanenser und Concorezzenser, die Glaubenseinheit erneut herbeizuführen.
Will man die Anschauungen der Katharer angemessen darstellen und kennenlernen, bleibt nichts anderes übrig, als den mühseligen Weg durch die mehr oder weniger bedeutenden Lehrgebäude einzuschlagen. Das übliche Verfahren, aus den Einzelheiten eine scheinbar allgemeine katharische Theologie zusammenzubrauen, achtet weder den Sachverhalt noch jene, die solche Bücher benützen.

DIE ALBANENSER

Dieser Name wurde von seinen Trägern selbst gebraucht. Der Verfasser des Buches von den zwei Prinzipien schreibt an einer Stelle: »… wie alle Widersacher jener wahren Christen sagen, die zu Recht Albanenser genannt werden.« Es ist allerdings unklar, ob er von einem Ort oder einer Person herrührt. Raynerius berichtet 1250, sie hielten sich in Verona und in mehreren lombardischen Städten auf und zählten ungefähr fünfhundert männliche und weibliche Mitglieder. Damit standen sie in weitem Abstand nach den Concorezzensern sowie in geringem vor den Bagnolensern. Ihr Hauptsitz war Desenzano del Garda am Südufer dieses Sees. Laut Raynerius wandten sich die ehemals bagnolensisch ausgerichteten Ortskirchen Vicenza oder Mark von Treviso, Toskana oder Florenz und Spoletaner Tal um 1250 allmählich den Albanensern zu. Die übrigen Auskünfte lassen lediglich für jene von Florenz erkennen, daß sie bereits ab 1220 deren Vorstellungen teilte.
Wiederum ist es Raynerius, der die theologische Lage innerhalb des Bekenntnisses schildert:
Daher muß man zuerst deutlich wissen, daß diese Albanenser in zwei Parteien mit gegensätzlichen und verschiedenen Ansichten geteilt sind.
Das Haupt der einen Partei ist Belesmanza, ihr Bischof von Verona. Ihm folgen die meisten Älteren und wenige Junge seiner Sekte.
Das Haupt aber der anderen Partei ist der Bergamasker Iohannes v. Lugio, ihr Älterer Sohn und geweihter Bischof. Ihm folgen dagegen die Jüngeren und wenige Ältere. Diese Partei ist weitaus größer als die erste.
Die erste Partei vertritt die alten Ansichten, die alle albanensischen Katharer in den Jahren des Herrn 1200 bis 1230 hatten.
Neben den beiden Schulen sind noch die eigenen Vorstellungen einzelner Lehrer und Schriften bekannt. Es ist daher sinnvoll, sie der Reihe nach – beginnend mit den allgemeinen Anschauungen – zu behandeln. Wegen der heilsgeschichtlichen Ausrichtung empfiehlt es sich, zunächst die handelnden Personen, dann die Ereignisse darzustellen.

Die allgemeine Lehre

Die Grundgedanken der albanensischen Theologie sind die gegensätzliche Zweiheit und Spiegelbildlichkeit. Der erste wird mit Sirach 42,25 in der lateinischen Fassung begründet: »Alles ist zweifach, eines gegen das andere.« Damit konnte man zwei getrennte Bereiche annehmen. Sie waren jedoch – dank der Spiegelbildlichkeit – aufeinander bezogen. Die Bereiche Gottes und Satans ließen sich so unterscheiden, entsprechend einschätzen und dank ihres gegenseitigen Verhältnisses als Schauplatz der Heilsgeschichte verstehen. Außerdem konnte man an den alttestamentlichen Aussagen zum Gottesvolk festhalten. Sie mußten nur in den himmlischen Bereich verlegt werden.
Daß man zwei selbständige, ewige und einander feindliche Prinzipien annahm, bildete sowohl die Voraussetzung als auch den sachlichen Rahmen für die Hauptsache, nämlich die Geschichte oder das Geschick des Gottesvolkes. Die Katharer verstanden sich als eine Art »Fernwirkung« dieser Prinzipien, als ein Stück Himmel in der Hölle, nämlich der irdischen Welt. Beide Prinzipien waren zwar nach Sein und Machtgebiet stets voneinander geschieden. Im Verlauf der Heilsgeschichte kamen sie jedoch in ziemlich enge Berührung. Für die Albanenser handelte es sich nicht um Gedankengebilde, sondern um wirkliche Größen, um Gott und Satan. Von ihnen machte man sich genaue Bilder. Im Grund geht es um die ewige Menschheitsfrage nach Gut und Böse, ihrer Herkunft, ihrem Ort, ihrem Wirken und dessen Folgen. Indem sie als Prinzipien, als Gott und Satan betrachtet wurden, konnten die Albanenser ihre Welt ordnen und einen festen Standpunkt einnehmen.
Gott verdient als einziger diesen Namen. Das gilt nicht nur gegenüber seinem Widersacher Satan, sondern auch im Blick auf Christus und den Hauptgeist, den Hl. Geist der katholischen Lehre. Gleich den übrigen Katharern verwarfen auch die Albanenser die katholische Lehre von der Dreieinigkeit. Sie nahmen nicht an, die drei seien eines Wesens, wohl aber, sie wollten dasselbe und handelten als einer. Gott ist zwar Gott, aber als gutes Prinzip nur für den einen Teil der Wirklichkeit zuständig. So zeigt er sich in allem, was gut ist, wie Licht, Leben, Unvergängliches, Unsichtbares oder auch im Neuen Testament. Seine Allmacht – falls man von einer solchen überhaupt sprechen kann – beschränkt sich auf seine Schöpfung, die himmlische Welt und ihre Insassen. Er hat ja weder die irdische Welt erschaffen, noch beherrscht er sie. Bei der Schöpfung verwendet er einen Grundstoff, die vier unsichtbaren Elemente. Er teilt, ordnet und belebt sie und fertigt daraus die himmlische Welt. Was die Herkunft dieses Stoffes angeht, unterscheidet man sich. Es scheint, als habe die Mehrheit angenommen, Gott erschaffe auch ihn. Ein Teil der Albanenser hingegen lehrte, er sei mit anderen Größen – Lucifer, den Tröstergeistern, dem Gottesvolk und den Dämonen, den Engels- und Satansseelen, den Engelsgeistern, den vier sichtbaren Elementen und der irdischen Welt – seit ewig. Alle aber waren der Ansicht, die himmlische Welt bestehe für alle Ewigkeit. Sie umfaßt Himmel und Erde sowie die Engel. Darin entspricht sie grundsätzlich der irdischen Welt. Wie ihre südfranzösischen Glaubensgenossen beschrieben sie daher auch die Albanenser als getreues Spiegelbild der Satanswelt, freilich als von geistiger Art und in sich gut. Gott beherrscht sie von seinem Himmel aus. Da die Engel auf seiner Erde weilen, scheint er nur vom Hauptgeist und von den Tröstergeistern umgeben zu sein. Die Engel werden alle zugleich erschaffen, bestehen aus Körper, Seele und Geist, entsprechen darin den irdischen Menschen und werden als das himmlische Volk Israel betrachtet, von dessen Geschick das Alte Testament berichtet. Die Heilsgeschichte beginnt und endet auf der besagten Erde. Daß es soweit kommt und das Böse derart folgenschwer in den Bereich Gottes eingreifen kann, zeigt weniger die Schwäche des albanensischen Gottes. Seine Anhänger sind vielmehr zu dieser Vorstellung gezwungen, da sie den freien Willen bei Gott, den Engeln und Menschen leugnen. Deshalb müssen sie die treibende Kraft der unheilvollen Ereignisse außerhalb der Welt Gottes annehmen, eben in Satan.
Er ist das böse oder schlechte Prinzip, als solches ebenfalls Gott. Sein Wesen wie Machtbereich lassen ihn jedoch als einen minderen Gott erscheinen. Das war er allein in den Augen der Albanenser und übrigen Katharer, während ihn die restliche Menschheit – nach deren Auffassung – als ihren Herrn und Gott betrachtet. Seine Art äußert sich in allem, was schlecht oder böse ist, wie Finsternis, Tod, Vergänglichkeit, Körperlichkeit, Sünde, Grausamkeit, Lüge oder auch im Alten Testament. Gleich seinem Widersacher ist auch seine Macht begrenzt. Sie erstreckt sich nur auf die irdische Welt und deren Bewohner. Das liegt in seiner ersten Untat begründet. Er erschafft beide, indem er die vier sichtbaren Elemente teilt, ordnet und belebt. Dieser Grundstoff wird wohl von der Mehrheit ebenfalls als geschaffen, von einer Gruppe als ewig angesehen. Es scheint, als habe die Schöpfung der irdischen Welt zeitlich unabhängig von jener der himmlischen stattgefunden. Zu ihr gehören Himmel, Erde, die Dämonen und die irdischen Menschen. Damit entspricht sie der himmlischen wie umgekehrt. Himmel und Erde sind – kurz gesagt – nichts anderes als die Hölle. Daraus ergibt sich unschwer, was die Albanenser von ihr hielten, obwohl sie in ihr leben mußten. Satan thront auf dem Firmament, umgeben von den Dämonen als seinem Hofstaat. Sie gleichen darin den Engeln Gottes. Eine Gruppe hält auch die Dämonen für ewig. Die irdischen Menschen sind grundsätzlich Geschöpfe Satans. Der überwiegende Teil stammt nach Leib und Seele von ihm, die Träger von gefallenen Engelsseelen nur dem Leib nach. Dank ihrer hält sich in der irdischen Welt zeitweilig ein Stück Himmel auf, wird sie zum Schauplatz der Heilsgeschichte. Nach der Rückkehr dieser Seelen in die himmlische ist sie nur mehr, was sie seit Anfang war, nämlich Hölle. Die zweite Untat Satans wird weiter unten behandelt werden. Sie besteht darin, daß er in den Machtbereich Gottes eindringt und dessen Volk verführt. Damit setzt er die Heilsgeschichte in Gang. Ihr gehörte das Hauptaugenmerk der albanensischen Theologie.
Beide Prinzipien haben Söhne. Bei Gott ist es Christus, bei Satan Lucifer. Auch in diesem Fall äußert sich die gegensätzliche Spiegelbildlichkeit. Christus ist kein göttliches Wesen, sondern der hervorragendste Engel, damit von Gott geschaffen. Im Rang übertrifft er den Hauptgeist. Seine himmlische Aufgabe besteht darin, den größeren Teil des Gottesvolkes, nämlich Israel, zu beherrschen. Als Engel besteht er aus Körper, Seele und Geist. Daher unterliegt er geschöpflichen Schwächen. Auf Grund von Hebräer 2,7.9 und 2 Korinther 5,21 nahmen die Albanenser an, er habe gesündigt, weil er sich der Verwalterschaft Lucifers gebeugt habe. Außerdem habe er nach Johannes 5,46 gezweifelt. Er läßt sich aber nicht – wie viele seiner Kollegen – verführen. So ist er für die Aufgabe geeignet, die Gott ihm im Heilsplan zugedacht hat.
Im Bereich Satans nimmt Lucifer die Sohnesstelle ein. Leider gleichen die Aussagen zu ihm weithin denen zu Satan. Daher ist es schwierig, ihn als eigene Gestalt zu erkennen oder zu beschreiben. Das geht vielleicht zu Lasten der katholischen Berichterstatter. Sie unterschieden beide Gestalten in ihrer Lehre nicht. Lucifer ist der hervorragendste Dämon, also von Satan geschaffen. Ein albanensische Gruppe läßt auch ihn seit jeher bestehen. Zusammen mit seinem Vater beherrscht er die irdische Welt. Schließlich spielt er eine wichtige Rolle bei Fall und Verführung des Gottesvolkes.
Zum göttlichen Bereich zählen ferner die Gottesgeister. Die Albanenser unterscheiden drei: den Hauptgeist, die Tröster- und die Heiligen Geister. Der Hauptgeist entspricht am ehesten dem Hl. Geist der katholischen Lehre. Er heißt so nach der lateinischen Fassung von Psalm 50,14. Ebenfalls Geschöpf Gottes, steht er im Rang hinter Christus und ist zugleich der oberste einer Gruppe hervorragender Geister, zu denen der Geist der Milde oder der Geist der Furcht zählen. Er bleibt stets im Bereich Gottes. Nachdem seine gefallene Seele zurückgekehrt ist, empfängt ihn der einzelne Engel dort zur Stärkung, um nicht mehr sündigen zu können. Die Tröstergeister sind zahlreich. Sie wurden von Gott geschaffen oder sind – wie eine Gruppe lehrt – seit ewig. Anders als der Hauptgeist verlassen sie die Welt Gottes, werden erstmals beim Pfingstfest in Jerusalem verliehen (Apostelgeschichte 2,3f), dann beim Empfang des Consolamentum neben dem jeweiligen Heiligen Geist, schließlich in Bedrängnissen zum Trost. Sie begleiten also die Katharer während des irdischen Lebens. Die Heiligen Geister sind nichts anderes als die Engelsgeister. Es gibt daher so viele wie Engel. Ein solcher Geist bildet mit Seele und Körper einen Engel Gottes. Er ist deshalb von Gott geschaffen oder besteht laut einer Gruppe seit jeher. Im Gegensatz zu seiner Seele läßt er sich nicht verführen und bleibt daher auf der himmlischen Erde zurück. Seit es Katharer gibt, sucht er seine Seele in der irdischen Welt und bestärkt sie darin, ein solcher zu werden. Beim Empfang des Consolamentum gesellt er sich zu ihr, um sie künftig zu leiten und zu schützen.
Bisher wurden jene Gestalten als solche dargestellt, die an der Heilsgeschichte beteiligt sind oder in ihr handeln, ferner der geographische Rahmen, innerhalb dessen sie sich abs...

Inhaltsverzeichnis

  1. NAVIGATION
  2. HAUPTTITEL
  3. INHALT
  4. Vorwort
  5. Erstes Kapitel – Die Anfänge
  6. Zweites Kapitel – Die Quellen
  7. Drittes Kapitel – Die Bezeichnungen und die Mitgliederzahl
  8. Viertes Kapitel – Die Kirche
  9. Fünftes Kapitel – Die Lehre der italienischen Katharer
  10. Sechstes Kapitel – Die weitere Geschichte der italienischen Katharer
  11. Siebtes Kapitel – Die Lehre der französischen und spanischen Katharer
  12. Achtes Kapitel – Die weitere Geschichte der der spanischen und französischen Katharer
  13. Neuntes Kapitel – Die Lehre und Geschichte der deutschen Katharer
  14. Zehntes Kapitel – Die allgemeine oder unbestimmte Lehre
  15. Elftes Kapitel – Die Bibel
  16. Zwölftes Kapitel – Der Gottesdienst
  17. Dreizehntes Kapitel – Die Kritik an Gottesdienst und Sakramenten der Großkirche
  18. Vierzehntes Kapitel – Das religiöse Leben
  19. Fünfzehntes Kapitel – Die Sittlichkeit
  20. Sechzehntes Kapitel – Das Alltagsleben
  21. Siebzehntes Kapitel – Katharertum und Gesellschaft
  22. Achtzehntes Kapitel – Das Katharertum als Theologie und Religion
  23. Neunzehntes Kapitel – Die theologische und religiöse Herkunft der Katharer
  24. Nachwort
  25. Anhang
  26. ÜBER DEN AUTOR
  27. ÜBER DAS BUCH
  28. IMPRESSUM
  29. HINWEISE DES VERLAGS