Brehm 46
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Brehm 46

Roman

  1. 286 Seiten
  2. German
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Brehm 46

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

»Als ich endlich in meinem Bett lag, ging es mir nicht gut. Bis ich Tom spielen hörte. Ich ging in die Küche und setzte mich lautlos zwischen die Klänge.«Ein altes Mietshaus an einer stark befahrenen Straße im Norden Düsseldorfs. Elf verkrachte Existenzen jeden Alters, die unter einem Dach in verschiedenen Welten leben und von hier aus ihrer Wege ziehen. Eine alte schrullige Dame ist das Herzstück dieses Hauses. Sie lebt seit sechzig Jahren hier und hat alles im Griff. Bis ihr alles entgleitet.Eine junge und schwangere Kunststudentin, ein achtzehnjähriger schwuler Moslem und sein heterosexueller Freund, eine einsame Linke mit ihrer Tochter, eine alte Schachtel und deren Schwester, ein Knutschpärchen und eine Schauspielerin, die ihren Lebensunterhalt als Porno-Synchronsprecherin verdient.Die Geschichten begegnen sich im Treppenhaus. Abwegig, verrückt, schrecklich und komisch. Also alles ganz normal.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783956020919
1. OG Manu und Matthes
Der Kellnerin ist das Gespräch unangenehm. Es ist eigentlich auch gar kein Gespräch. Eher ein Monolog. Eine direkte Ansage. Wahrscheinlich hat der Kneipenchef, dieser unangenehme Mittfünfziger mit dem breiten Scheitel und den schmalen Schultern, sie dazu gedrängt, das zu sagen. Sie hat sich zu uns hinuntergebeugt, der Diskretion wegen. Ihr Ausschnitt hängt jetzt derangiert und tief, ich kann ihren billigen Sport-BH sehen. Sie sieht uns beim Sprechen direkt in die Augen, so als hätte sie sich fest vorgenommen, dass dieses Gespräch nicht peinlich wird. Es ist peinlich. Während sie spricht, errötet sie heftig.
»Ähem … hören Sie … Sie fallen hier unangenehm auf. Es haben sich schon mehrere Gäste über Sie beschwert. Dass Sie hier seit mehreren Wochen ständig sitzen und knutschen, also das geht einfach nicht. Sie sind hier schon als »Knutschpärchen« bekannt! Das hier ist ein Esslokal. Was Sie machen, ist unappetitlich. Kein schöner Anblick. Also, wenn Sie am Nachmittag kämen, wenn es leer ist … Aber jetzt möchten die Leute hier ungestört essen. Also, was ich damit sagen möchte: Entweder, Sie lassen das oder Sie müssen gehen.«
Matthes starrt zuerst die Kellnerin ungläubig an, dann mich. Dabei lässt er meinen Schenkel nicht los. Er bearbeitet ihn unter der verranzten Tischplatte gleichmäßig weiter.
Ich lasse meinen Blick durch die halbleere Kneipe schweifen. Die wenigen speisenden Gäste beachten uns gar nicht.
Es stimmt, wir waren oft hier. Wir haben unsere Zeit nicht mit Essen oder gepflegter Konversation verbracht. Ständig müssen wir uns anfassen. Wir kennen uns erst seit wenigen Wochen und die Anziehung ist enorm. Enorm schön. Und wo sollen wir denn hingehen? Wir sind verheiratet. Aber nicht miteinander.
»Aha«, sage ich schließlich und muss lachen. Wir sind also das Knutschpärchen. Klasse Name. Der gefällt mir.
»Dann gehen wir halt woanders hin. Was meinst du, Matthes?«
»Natürlich. Komm, lass uns gehen«, sagt Matthes.
Wir greifen gleichzeitig zu unseren unberührten Milchkaffees, die lauwarm darauf gewartet haben, endlich beachtet zu werden. Der Milchschaum ist schon ganz durchscheinend und dünn. In wenigen Minuten hätte er sich dazu entschlossen, nur noch Kaffeeweißer zu sein.
Jetzt schaut die Kellnerin uns nicht mehr an. Sie holt den groben Bleistift, der gemeinsam mit ihren langen dunklen Haaren hinter ihrem Ohr klemmt, hervor und kritzelt damit unsere Bestellung auf einen durchgeweichten Bierdeckel. Matthes zieht sein winziges Portemonnaie, in dem immer viel drin ist. Meines ist riesig und fast immer leer.
Er zählt der Bedienung den Betrag in kleinen Münzen passend in die schwitzende Hand. Der Kneipenbesitzer hinter dem Tresen hebt den Blick von dem Bierglas, an dem er herumreibt, und grient uns hinterher. In der Tür umfasst Matthes mich eng und küsst mich noch mal ausgiebig. Dann gehen wir.
Draußen vor der Tür umfängt uns lauwarmer Sommerregen. Wir rennen Hand in Hand zu meinem Auto, das nur ein paar Meter entfernt auf der Tußmannstraße steht.
Wir lassen uns regenfeucht in die durchgesessenen Sitze des Citroëns fallen. Die Scheiben beschlagen binnen Sekunden. Ratlosigkeit macht sich breit. Wir küssen uns nur kurz. Dann richten wir unsere Blicke auf die trübe Frontscheibe. Man kann gar nichts mehr sehen. Auch weil uns eine blöde Kellnerin aus nördlicher Richtung in die Sonne gelaufen ist.
»Hör mal«, sagt Matthes schließlich und reißt seinen Blick von dem milchigen Trüb. »Ich hatte da eben eine Art Vision. Man hätte uns wegen Knutschens aus der ollen Kneipe da drüben rausgeschmissen. Aber das muss ich ja wohl geträumt haben, denke ich mal …«
Er lacht.
»Ja, und ich habe dasselbe geträumt. Ich denke, es ist wahr …«
»Ich glaub’s nicht. Das stimmt doch nicht mal, wenn es wahr ist!«
Wir lachen und kneten unsere Hände. Das machen wir schon seit Wochen. Ständiges Lachen und Händekneten. Aber wir sind auch sauer, irritiert und beleidigt.
»Wie kann das sein, dass die uns als störend empfinden?«, überlege ich. »Ich war neulich mit Sandra in dem gleichen Laden und am Nebentisch war ein grölender Ü-50-Damen-Kegelklub. Alle hackedicht. Zehn Amazonen jenseits der Menopause, die lauthals eine Zote nach der anderen gerissen haben. Die haben echt gestört. Und die haben sie nicht rausgeschmissen.«
»Na ja, die Damen sind gut fürs Geschäft. Die haben wahrscheinlich kräftig konsumiert. Wir haben jedes Mal zwei Stunden vor nur einem Kaffee gesessen.«
»O.k., aber wir sind angeblich anstößig! Man hat sich über uns beschwert! Wir sind das Knutschpärchen!«
»Genau. Bist du darauf auch so stolz wie ich?«, sagt Matthes und beugt sich zu mir herüber. Wir küssen uns lang und tief. In jede erdenkliche Richtung. Matthes küsst umwerfend. Es haut mich tatsächlich jedes Mal um. Wie kann etwas nur so gut passen, in jedem Detail, inklusive Geruch, Geschmack und Temperatur. Ein bisschen fordernd und gierig, das mag ich. Offenen Auges. Wir schließen nie die Augen. Unsere Augen knutschen mit, vielleicht machen sie sogar mehr als das.
»Glaubst du, dass sich wirklich irgendwelche Leute über uns beschwert haben?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Kann ich mir nicht gut vorstellen. Wahrscheinlich hat sich einfach nur der Kneipenbesitzer daran gestört. Vielleicht hat er Liebeskummer, der Arme. Vielleicht ist er auch einfach nur ein Arschloch. Eigentlich sieht er eher wie ein Arschloch als ein Kneipenbesitzer mit Liebeskummer aus. Es gibt diese Leute, die sich an der offensichtlichen Freude anderer stören. Das missfällt denen weit mehr als Volltrunkenheit. Wir sollten ab heute vielleicht jeden Tag dort hingehen und uns rausschmeißen lassen.«
»Nein, viel besser. Wir bestellen noch andere Paare da hin, die gerne knutschen!«, sage ich.
»Ja! Was meinst du: Wir organisieren einen Flashmob. An einem bestimmten Tag sollen zu einer bestimmten Uhrzeit alle Knutschpärchen aus Düsseldorf und Umgebung in diese Kneipe kommen und knutschen. Sieben Minuten oder so. Dann muss sich das Ganze blitzartig auflösen.«
»Nur so lange, dass alle schon wieder weg sind, wenn die Bullen … also, die Kollegen kommen«, sage ich und habe sofort grelle Bilder vor Augen. Das ist genau mein Ding. Es ist unser Ding. Wir sind Feuer und Flamme. Mattes holt sein uraltes Smartphone raus und googelt www.flashmob.de. Dann organisiert er unseren Flashmob bei Facebook. Alle, die gerne knutschen wollen, übermorgen ins Ab der Fisch in Düsseldorf Derendorf kommen und knutschen. Nicht mittags zur Essenszeit. Sondern abends zur Essenszeit. Da sind mehr Gäste da. 19.30 Uhr, Primetime.
Wir sind total aufgekratzt und albern, knutschen und lachen vor uns hin, in dem Citroën, von dessen Scheiben das Dunstwasser jetzt langsam in dünnen Rinnsalen abperlt und wieder ein paar Streifen Außenwelt erkennbar macht.
Ich greife nach der Zeichnung, die auf dem Armaturenbrett liegt. Sie ist schon ein bisschen feucht geworden. Meine Tochter hat sie mir heute Morgen in die Hand gedrückt. Eine Frau und zwei Männer hat sie gezeichnet. Sie kann wunderbar zeichnen, sie hat Talent. Die Frau mit den langen dunklen Haaren bin ich. Matthes erkennt man sofort an der Polizeiuniform. Dabei trägt er sie selten, er ist Kommissar. Der andere Mann trägt Brille. Das ist ihr Papa, Ringo. Mein zukünftiger Exmann.
Sofia nimmt die Trennung am schwersten. Meine beiden Jungs, Vincent und Leo, scheinen sich schnell mit der Situation arrangiert zu haben. Der siebenjährige Leo findet es cool, dass Matthes Bulle ist. Er verschlingt Die drei Fragezeichen-Bände und hält ihn für eine Art Kommissar Reynolds.
»Hast du schon mal jemanden abgeknallt?«, platzte er bei der ersten Begegnung mit aufgerissenen braunen Knopfaugen heraus.
»Nein, nur einmal beinahe. Willst du mal meine Dienstwaffe sehen?«, fragte Matthes. Die beiden mochten sich sofort.
Vincent hält sich bedeckt. Keine Fragen, keine Vorwürfe. Er ist wahrscheinlich auch viel zu sehr mit seinem ständig größer werdenden Körper und all seinen Hormonen beschäftigt. Ob hinter der Fassade des pubertären Sechzehnjährigen Ängste und Zweifel schlummern, weiß nur er selbst, wenn überhaupt. Nur Sofia schießt ständig kleine Giftpfeile auf mich ab. Mit ihren zwölf Jahren hat sie noch keine klare Vorstellung von diesen Phänomenen. Von Liebe, Laster, Lust und Leid, die so eng miteinander verknüpft sind.
»Wieso schickst du diesen Matthes nicht einfach weg und bleibst beim Papa, dann wird alles so wie früher! Ich will, dass es so wird wie früher! Wieso musst du jetzt diesen Matthes so toll finden?«
Ich habe in den letzten Wochen oft versucht, ihr zu erklären, dass Liebe genauso bindend wie flüchtig ist und selten für die Ewigkeit. Dass es verschiedene Formen gibt und ich Ringo auch liebe, aber nicht auf die gleiche Weise wie Matthes. Sie hat mir angestrengt zugehört und dabei die Augen nach links oben verdreht, so als suchte sie im Inneren ihres Kopfes nach einem Bild, das ihr die Sache verständlich macht. Sie hat es nicht gefunden. Für sie bin ich ganz einfach eine Mutter, die ihre Aufgabe erfüllen muss. Gleichbleibend zuverlässig. Und vor allem in vertrauter Besetzung gemeinsam mit Ringo. Immerhin konnte ich ihr vermitteln, dass meine Beziehung zu ihr und ihren Brüdern verlässlich ist. Dass ich sie nicht verlassen werde. Das hat sie verstanden. Aber nicht, dass ich mehr vom Leben möchte, als Mutter zu sein. Das ich mit Ringo schon länger nicht mehr glücklich war. Sie muss es auch nicht verstehen. Sie muss es nur akzeptieren. Ich habe ihr nicht erzählt, dass sich unsere Liebe irgendwann zwischen Windeln und unbezahlten Rechnungen verkrochen hat. Wir sind beide freie Fotografen, kein festes Einkommen, kein sicherer Boden, kein Fallnetz. Zwei beinahe brotlose Künstler, die sich im Familienallerlei und den ständigen Verpflichtungen zunehmend gefangen fühlten. Die Familie wurde zum Abenteuer Überleben, das Abenteuer Leben haben wir schließlich beide anderswo gesucht. Irgendwann waren wir so etwas wie Freunde, die im gleic...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Ulrike Reinker - Brehm 46
  3. Motto
  4. Prolog
  5. 5. OG, Nadja
  6. 4. OG, Enis c/o Paul
  7. 3. OG, Rote Ute
  8. 2. OG, Frau Althaus
  9. 1. OG Manu und Matthes
  10. Erdgeschoss, Claudia Havelmann
  11. Epilog
  12. Die Autorin
  13. Danksagung
  14. Impressum
  15. Lesetipps