Magdeburg
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Magdeburg

Kleine Stadtgeschichte

  1. 192 Seiten
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Magdeburg

Kleine Stadtgeschichte

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Über dieses Buch

Im Jahr 805 erstmalig erwähnt, stieg die Stadt an der Elbe im 10. Jahrhundert zu einer Metropole im Ottonischen Reich auf und wurde Sitz des neugeschaffenen Erzbistums. Magdeburg wurde Hansestadt, Sitz des Schöffenstuhls für alle Städte Magdeburger Rechts und im 16. Jahrhundert eine Hochburg des lutherischen Glaubens. Im Dreißigjährigen Krieg fast völlig zerstört, wurde es 1680 dem aufstrebenden Preußen eingegliedert und zu einer mächtigen Festungsstadt ausgebaut, bevor es eine starke Industrialisierung erlebte. 1945 versank die Innenstadt in Schutt und Asche. Als "Stadt des Schwermaschinenbaus" wieder aufgebaut, erhielt Magdeburg nach der Wiedervereinigung 1990 den Rang der Landeshauptstadt des neugegründeten Landes Sachsen-Anhalt. Heute definiert es sich als Stadt der Wissenschaft und neuer, zukunftsträchtiger Technologien. Die Kleine Stadtgeschichte ist ein Muss für alle Bewohner und Besucher!

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783791761411

Aufbruch ins Industriezeitalter 1815–1918

Der Wiener Kongress und seine Folgen

Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft beschloss der Wiener Kongress 1815 die Neuordnung Europas, v. a. aber Deutschlands. Es lag im Interesse weder Österreichs noch der europäischen Großmächte Russland, Frankreich und England, ein national geeintes Deutschland zu schaffen. Daher wurde mit der Unterzeichnung der Bundesakte vom 8. Juni 1815 nicht nur das Heilige Römische Reich Deutscher Nation für erloschen erklärt, sondern der Deutsche Bund geschaffen, der von 35 souveränen Staaten sowie den vier Reichsstädten Frankfurt, Hamburg, Bremen und Lübeck gebildet wurde.
Der mit Abstand größte Einzelstaat war das Königreich Preußen. Dort wurde neben sieben weiteren Provinzen die preußische Provinz Sachsen geschaffen, zu der auch Magdeburg gehörte. Die Stadt besaß 1815 mit knapp 30.000 Einwohnern in etwa wieder die Größe wie vor der Zerstörung von 1631. Der Versuch Preußens, sich im Wiener Kongress das gesamte Königreich Sachsen einzuverleiben, scheiterte. Stattdessen erhielt es nur den Nordteil des Königreichs, der mit den altpreußischen Teilen, der Altmark, dem Herzogtum Magdeburg und dem Fürstentum Halberstadt verbunden wurde und nun die preußische Provinz Sachsen bildete, während das Königreich Sachsen im Süden davon, aus dem später der heutige Freistaat Sachsen wurde, weiterbestand.
Nach einigem Hin und Her wurde Magdeburg Provinzhauptstadt. Zudem war hier der Sitz eines von drei Regierungspräsidien, die das Land verwalteten; die beiden anderen befanden sich in Erfurt und Merseburg. Immer noch war Magdeburg jedoch eine der wichtigsten Festungen in Preußen, was den ständigen Vorrang militärischer vor zivilen Erfordernissen zur Folge hatte. Nur ein Teil der Provinzialbehörden wurde hier untergebracht, der andere Teil über die ganze Provinz verteilt. Der Oberpräsident nahm aber in der Stadt seinen Sitz. Auch das neu geschaffene, einheitliche Konsistorium der staatskirchlichen Verwaltung für die preußische Provinz Sachsen wurde hier eingerichtet.
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Abb. 19: Modell des Raddampfers »Stadt Magdeburg«, der 1839 vom Stapel lief
Nach der Neugliederung des preußischen Militärwesens wurde Magdeburg ab 1815 auch Standort des Generalkommandos des IV. Armeekorps, womit es bis zum I. Weltkrieg seine Rolle als herausgehobene preußische Militärstadt behalten sollte. Die durch den mächtigen Festungsgürtel eingeengte Altstadt, die seit dem Mittelalter nicht mehr erweitert worden war, mit den Funktionen eines Verwaltungs- und Militärzentrums im allmählich heraufdämmernden Industriealter zu verbinden und die Stadt unter diesen Bedingungen weiterzuentwickeln, wurde zur entscheidenden Herausforderung nach der »Franzosenzeit«. Die in vielen deutschen Städten im Laufe des 19. Jhs. notwendig werdende »Entfestung«, um mehr Raum für die Stadtentwicklung zu schaffen, stellte sich in Magdeburg als ein besonders schwieriges Aufgabenfeld dar.
Als eine glückliche Entscheidung erwies sich die Ernennung August Wilhelm Franckes im Jahr 1817 zum Oberbürgermeister von Magdeburg durch den preußischen König. Diese Berufung war auf Bitten des Gemeinderates erfolgt. Francke hatte bereits als Generalsekretär des Elbedepartements im Königreich Westphalen umfangreiche administrative Erfahrungen erworben. Von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, blieb er bis 1848 in diesem Amt und wurde in einer Stadtgeschichte Magdeburgs von 1901 sogar als ein »zweiter Otto von Guericke« (Wolter, S. 241) bezeichnet.
Zunächst galt noch bis 1831 die kommunale Verfassung aus der Zeit des Königreichs Westphalen. 1831 wurde die revidierte preußische Städteordnung eingeführt. Die Gewerbefreiheit blieb bestehen, so dass zusammen mit der Gründung des Deutschen Bundes 1815 und des Deutschen Zollvereins 1834 günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen für einen Aufschwung gegeben waren.

Beginn der Industrialisierung 1823

Motor der bald einsetzenden Industrialisierung in Magdeburg war der Anbau der Zuckerrübe in der überaus fruchtbaren Magdeburger Börde. Die Feldfrucht musste verarbeitet werden, und das förderte den Apparate- und Maschinenbau im nahen Magdeburg, das verkehrsgünstig an der Elbe gelegen war und gute Handelsbedingungen bot. 1823 wurde durch den Engländer Samuel Aston die erste Magdeburger Maschinenfabrik gegründet. 1837 entstand die Buckauer Maschinenfabrik als Werkstatt der »Magdeburger Dampfschiffahrts-Compagnie« und erlangte später Weltruhm. 1839 lief der erste vollständige Schiffsneubau dort vom Stapel: der Raddampfer »Stadt Magdeburg«. Die nun entstehenden Unternehmen siedelten sich außerhalb der festungsumschlossenen Altstadt vorzugsweise an der Elbe und an anderen Verkehrswegen an.
Nach dem Ende der französischen Herrschaft belebte sich der Schiffsverkehr auf der Elbe nach Hamburg erheblich und warf entsprechende Gewinne für den Handel ab. Vor allem die Produkte aus dem landwirtschaftlichen Hinterland wurden nach Hamburg verkauft und die Gewinne in die Gründung von Fabriken angelegt. 1825 gründete sich eine »Korporation der Kaufmannschaft zu Magdeburg« als Interessenvertretung der Wirtschaft. Zum allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung nach 1815 gesellte sich noch die entstehende Eisenbahntechnik. Obwohl die Eisenbahn in Magdeburg nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß, trat 1835 unter der Leitung des Oberbürgermeisters Francke das Komitee zum Bau der Eisenbahn Magdeburg–Leipzig zusammen. 1840 war die Trasse fertig, die Strecken nach Halberstadt und Braunschweig 1843, nach Berlin 1846 und Richtung Norden 1849.
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Abb. 20: Oberbürgermeister August Wilhelm Francke, Ölbild v. Ferdinand Hartmann, 1839. Vor ihm ausgebreitet der Plan vom Klosterbergegarten, entworfen von Peter Joseph Lenné

Modernisierung der Stadt unter Oberbürgermeister Francke

Franckes Bemühungen, Magdeburg zu einer modernen Großstadt in der Epoche der Frühindustriealisierung zu machen, waren vielfältig und erfolgreich. In seiner Zeit entstand eine neuartige städtische Wasserversorgung, die Straßen der Stadt wurden befestigt, ein neues Schulsystem unter der Leitung Karl Christoph Gottlieb Zerrenners, des letzten Propstes des Klosters Unser Lieben Frauen, entwickelt. Soziale und medizinische Einrichtungen entstanden, Gärten und Parkanlagen wurden angelegt. Francke verpflichtete den Potsdamer General-Gartendirektor der königlich-preußischen Gärten, Peter Joseph Lenné, der den ersten städtischen Friedhof außerhalb der Befestigung schuf, den Nordfriedhof, heute Nordpark, und v. a. den Klosterbergegarten im Süden der Altstadt anlegte. Bereits 1818 hatte Francke den Herrenkrugpark anlegen lassen. 1823 wurde die städtische Sparkasse gegründet, die gerade auch für die Bürger die Möglichkeit bieten sollte, wirtschaftliche Sicherheit zu erlangen und Vorsorge zu treffen.
Im Rahmen der Anlage des Klosterbergegartens erwarb die Stadt auch das Gelände des ehemaligen Klosters Berge. Schinkel wurde beauftragt, auf dessen Fundamenten ein Gesellschaftshaus zu entwerfen. 1828 wurde dessen erster Teil fertiggestellt, 1896 kam der südliche Anbau dazu, der zusammen mit dem Schinkelbau das heutige architektonische Gesamtbild ausmacht.
HINTERGRUND

Die große Domreparatur 1826–1834

In diese Zeit fiel auch die große Reparatur des Magdeburger Doms, des Wahrzeichens und wichtigsten Bauwerks der Stadt, das sich Anfang des 19. Jhs. in einem beklagenswerten Zustand befand. Von Karl Friedrich Schinkel, dem preußischen Oberbaudirektor, energisch befürwortet, fanden die Generalinstandsetzungsarbeiten zwischen 1826 und 1834 statt. Die Kosten wurden vom preußischen Staat übernommen. Im Rahmen dieser umfangreichen Reparaturarbeiten wurden auch einige Veränderungen vorgenommen, das »Himmlische Brautpaar« an die Stelle gerückt, wo es sich noch heute befindet, Gräber versetzt, Sandsteinplatten verlegt, etwas später das Grab Ottos des Großen geöffnet und dokumentiert. Die Gesamtkosten der Sanierung betrugen 221.012,12 Taler.

Kulturleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Bereits gegen Ende des 18. Jhs. war in vorwiegend kaufmännischen Kreisen der Wunsch nach einem stehenden Theater in Magdeburg aufgekommen, da das Netz von deutschen Städten, die über ein festes Theater verfügten, in dieser Zeit immer dichter wurde und die Wanderbühnen, die gerne auch in Magdeburg gastierten, die guten Schauspieler an die festen Theater verloren. 1794 war daher eine Aktiengesellschaft mit dem Ziel gegründet worden, ein Schauspielhaus zu errichten. Am 21. Februar 1795 wurde ein solches am Breiten Weg im Herzen der Altstadt, das auch als Konzertsaal zu verwenden sein sollte, mit Mozarts »Zauberflöte« eröffnet. 1200 Besuchern bot das Haus Platz; die Bausumme hatte sich gegenüber den Planungen mehr als verdoppelt.
Das damit gegründete Magdeburger Nationaltheater sollte bis 1879 hindurch bestehen. Friedrich Ludwig Schmidt wurde als erster Direktor ernannt, ging allerdings 1805, aufgerieben vom Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Erfolgsdruck, nach Hamburg. Kritische Stimmen über die geistige Atmosphäre in Magdeburg gibt es in diesen Jahren mehrere. Schiller schrieb an Goethe: »Die Magdeburger Herren sind Lumpenhunde.« Der in Magdeburg geborene Karl Leberecht Immermann beklagte sich im März 1824: »Hier steht es schrecklich mit dem Theater … nicht sowohl mit dem Personal, was wirklich mittelmäßig genug ist, sondern mit dem Publico, welches kalt wie Eis sich nimmt und nur am Sonntag – wenn das Haus voller Schüler, Handlungsdiener und Handwerksgesellen steckt, warm wird.« Elisabeth von Nathusius urteilte über die Situation: »So wohlhabend und finanziell bedeutend der Magdeburger Kaufmannsstand auch war, so stand er doch damals in dem Ruf, sehr einseitig auf Erwerb und behaglichen Genuß gerichtet zu sein, im Gegensatz zu Hamburg und Leipzig, wo man andere und höhere Interessen pflegte.«
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Abb. 21: Der Magdeburger Dom nach der Restaurierung 1826 bis 1834, Ölbild von Carl Hasenpflug
Immerhin war zwischen 1834 und 1837 der junge Richard Wagner musikalischer Leiter des Theaters Magdeburg; doch auch er äußerte sich nicht sehr freundlich über die Stadt. Wahrscheinlich lag die Ursache für die kritischen Stimmen aus dem Kulturleben in der für das 18. und weite Strecken des 19. Jhs. spezifischen Zusammensetzung des Bürgertums: »Wo in Leipzig großbürgerlicher Geist und potente Geschäftigkeit die Buch- und Messestadt durchpulsen, bevölkern in Magdeburg Offiziere, Krämer und Beamte das provinzielle Szenario. Alle Kunst wird ihnen nur dann wirklich wichtig, wenn sie Aussicht auf finanziellen Gewinn verspricht« (Krusche, Bd. 1, S. 89).
Als zusätzlichen Grund für die vermeintliche oder tatsächlich fehlende Kulturaffinität der bürgerlichen Kreise in Magdeburg kann man das Fehlen kultureller Traditionen und Institutionen wie etwa Universitäten anführen, die sich in anderen Städten, v. a. in den Residenzstädten, in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gebildet hatten. Trotzdem intensivierte sich in der Zeit des Vormärz (1815–1848) das kulturelle Leben in nicht unerheblicher Weise: 1835 wurde der Magdeburgische Kunstverein gegründet, in dem bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vertreten waren. Er wurde schnell zu einem bedeutenden Motor des gesellschaftlichen, kulturellen Lebens. Zwei Generationen später wurde das 1906 eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum, das spätere Kulturhistorische Museum, auf den Sammlungen des Kunstvereins aufgebaut.
Auch eine Persönlichkeit wie der französische Revolutionsgeneral, Politiker, Festungsbaumeister, Ingenieur und Mathematiker Lazare Carnot lebte von 1815 bis zu seinem Tod 1823 in Magdeburg. Er war nach Napoleons Rückkehr von der Insel Elba für 100 Tage dessen Innenminister geworden und konnte als Repräsentant der napoleonischen Herrschaft nicht mehr nach Frankreich zurückkehren, ohne Gefahr zu laufen, unter Anklage gestellt zu werden. Er stand mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit wie z. B. dem Philosophen Hegel oder dem preußischen Staatskanzler von Hardenberg in Verbindung.
Städtebaulich hatte sich Magdeburg von seiner Zerstörung 1631 längst erholt und bot in der ersten Hälfte des 19. Jhs. ein barock-biedermeierliches Stadtbild mit noch immer vorhandener mächtiger Stadtbefestigung. Die Bilder dieser Zeit lassen durch rauchende Schlote im Hintergrund das heraufziehende Industriezeitalter nur dezent erahnen.
Im Ganzen gesehen setzte sich in Magdeburg die Aufwärtsbewegung des 18. Jhs. auch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhs. fort. In diesem Geiste erinnerte man am feierlich begangenen 200. Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs am 10. Mai 1831 an diesen schweren Schicksalsschlag. Für die Zukunft entwarf Oberbürgermeister Francke ein optimistisches Bild, das besonders mit der Zugehörigkeit zu Preußen begründet wurde. So hatte sich die Identität Magdeburgs, das sich jahrhundertelang als quasi freie Stadt empfand und noch weit über den 10. Mai 1631 hinaus um Reichsfreiheit rang, gewandelt. Aus der Stadt Ottos des Großen und der Metropole des Erzbistums, der Hansestadt und Quasi-Reichsstadt, aus »Unseres Herrgotts Kanzlei« war eine überzeugte preußische Provinzhauptstadt geworden, was nach den vorhandenen staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Zeit einer realistischen Einschätzung entsprang, zumal sich auch die wirtschaftlichen Bedingungen durch das beginnende Maschinenzeitalter in fundamentaler Weise geändert hatten.

Vormärz (1815–1848)

Magdeburg nutzte die Chancen der Zugehörigkeit zu Preußen und seiner zentralen Lage in den frühen Jahren der Industrialisierung. Zwischen 1815 und 1848 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von 29.300 auf fast 56.000 »… keine mitteleuropäische Stadt ist zwischen 1815 und 1849 schon so schnell gewachsen wie das preußische Handels- und Industriezentrum Magdeburg« (Wehler, zit. nach Tullner 2005, S. 567). »Dieser überraschende Befund lässt sich zunächst darauf zurückführen, dass die Stadt erheblich von der preußischen Zollpolitik nach 1818, der Elbschifffahrtsakte (die Elbschifffahrtsakte von 1821 hatte die alten Stapel- und Umschlagsrechte sowie die überkommenen Privilegien der Elbschiffer beseitigt und den Handel dadurch erheblich entlastet und belebt) und der Gründung des Deutschen Zollvereins als Handelsstadt profitierte und eine führende Handelsstellung im mitteldeutschen Raum erreichte« (Tullner 2005, S. 567). Um diese handelspolitische Situation möglichst optimal zu nutzen, wurden der neue Packhof und andere Anlagen errichtet, womit Magdeburg vor 1848 über die größten Speicheranlagen im Gebiet des Deutschen Zollvereins verfügte.
Auch wenn die örtlichen Fabrikanten in der ersten Hälfte des 19. Jhs. wirtschaftlich sehr erfolgreich waren, dominierte weiterhin das Handelsbürgertum, das auch die Gründung einer eigenen Handelskammer der Fabrikanten verhinderte. Letztere könnten ja der Kooperation der Kaufmannschaft, gegründet 1825, beitreten, so argumentierten die Kaufleute.
Trotz starker konservativer Strömungen in der Magdeburger Stadtgesellschaft, die v. a. in der Beamtenschaft und in Militärkreisen sowie in der orthodox-protestantischen Amtskirche vorherrschten, wurde Magdeburg eines der Zentren der Revolution von 1848/49 in Preußen. Wie so oft in der Geschichte der Stadt spielten dabei religiös-theologische Auseinandersetzungen eine große Rolle. Die eher konservativen Kreise aus Staat, Kirche und Militärführung hatten sich in vielen Vereinen und Gesellschaften organisiert und besaßen im Vormärz zunächst die Meinungsführerschaft in der Stadt. Sie verstanden sich »vorwiegend als staatstragend-elitär« und waren »meist an neupietistisch-erweckungsbewegtem Gedankengut« orientiert (Tullner 2005, S. 568). Sie organisierten sich in der 1831 gegründeten Gesellschaft »Die Abendsprache«, die mit dem 1839 beigefügten Namen »Vespertina« bis 1945 Bestand hatte, in der »Donnerstag-Gesellschaft« und der »Magdeburger Bibelgesellschaft«. Hinzu kamen Traditionsvereine und Kriegervereine. Diesen konservativ ausgerichteten Zusammenschlüssen standen die bürgerlich-aufklärerischen Freimauererlogen und die Gesellschaft »Harmonie« gegenüber.
Insgesamt war die gesellschaftliche Situation in der Zeit des Vormärz, insbesondere von 1815 bis 1840, von einer starken konservativen Grundströmung geprägt. In Magdeburg »waren in der ›königtreuesten Stadt der ganzen Monarchie‹, in der ›ersten preußischen Stadt, preußischer noch als Berlin‹ die Gesinnung und die Haltung der meisten Bürger und Einwohner zugleich geprägt von einer unterwürfigen Verherrlichung des Hohenzollernregimes, voran des Königs und der königlichen Familie. Die monarchistische Erziehung und Beeinflussung durch Staatskirche, Schule und Zeitung, nicht zuletzt auch durch das Elternhaus dominierte die öffentliche und private Meinung« (Asmus, Bd. 3, S. 11).
1840 kam es zum Thronwechsel in Preußen, auf Friedrich Wilhelm III. folgte Friedrich Wilhelm IV., mit dem das liberal und national gesinnte Bürgertum große Hoffnungen verband. Dessen Enttäuschungen richteten sich hauptsächlich auf die nicht hergestellte nationale Einheit Deutschlands im Wiener Kongress, das nicht erfüllte Versprechen einer Verfassung und die Existenz einer strengen Zensur.
Die mit dem Thronwechsel verbundenen Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht, wodurch sich die Konflikte in Preußen, aber auch im Deutschen Bund insgesamt erheblich verstärkten. In Magdeburg erhielten diese politischen Spannungen zudem eine s...

Inhaltsverzeichnis

  1. Buchinfo
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Frühgeschichte bis zur Ersterwähnung Magdeburgs 805
  6. Handelsplatz und Kaiserstadt Ottos des Großen 805–1024
  7. Metropole des Erzbistums Magdeburg 1024–1240
  8. Hansestadt zwischen Ratsherrschaft und Bischofsmacht 1240–1524
  9. Hochburg der Reformation 1524–1618
  10. Zerstörung und Neubeginn: Der Dreißigjährige Krieg und die Folgen 1618–1680
  11. Brandenburgisch-preußische Festungsstadt 1680–1815
  12. Aufbruch ins Industriezeitalter 1815–1918
  13. Reformstadt und »Zentrum Mitteldeutschlands« 1918–1933
  14. Magdeburg unter dem Hakenkreuz 1933–1945
  15. Sozialistische Industriestadt in der DDR 1945–1990
  16. Als Landeshauptstadt ins neue Jahrtausend
  17. Zeittafel
  18. Bildnachweis
  19. Stadtplan
  20. Literatur (eine Auswahl)