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Kleine Stadtgeschichte

  1. 216 Seiten
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Kleine Stadtgeschichte

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Über dieses Buch

"Führt präzise und unterhaltsam durch tausend Jahre Marburger Geschichte"STUDIER MAL MARBURG, MAGAZIN DER UNIVERSITÄT"Faktenreich und anekdotengewürzt fürrlt das Bändchen eine Lücke" MARBURGER MAGAZIN EXPRESSAls Wirkungsort und Grablege der hl. Elisabeth erreichte Marburg bereits im hohen Mittelalter als viel besuchtes Pilgerziel weitreichende Bedeutung. Von hier aus legten die Nachfahren Elisabeths als Landgrafen den Grundstein für das Land Hessen. Hier gründete Philipp der Großmütige 1527 die erste protestantische Universität und moderierte im Schloss das Marburger Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli.Das Landgrafenschloss hoch über der Stadt diente in seiner bewegten Geschichte als Residenz, Festung, Garnison, Gefängnis, Staatsarchiv und 1945 u. a. als Collecting Point der Amerikaner für Beutekunst. Marburg überstand den Zweiten Weltkrieg fast unzerstört und wurde in den 1970er-Jahren zum Musterbeispiel einer gelungenen Altstadtsanierung.Über all das und vieles mehr berichtet diese Kleine Stadtgeschichte - knapp, präzise und unterhaltsam.

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Information

Verlag
Pustet, F
Jahr
2015
ISBN
9783791760568

Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert

Am Ende der »guten, alten« Zeit: 1900–1914

Das Ergebnis der Reichstagswahl von 1903 mit dem Stichwahlentscheid zugunsten des nationalsozialen Kandidaten Hellmut von Gerlach war ähnlich überraschend wie das des Antisemiten Böckel von 1887. Gerlach, der 1896 mit Friedrich Naumann zu den Gründern des Nationalsozialen Vereins gehörte und 1898 die Hessische Landeszeitung in Marburg gekauft hatte, um besser seine Vorstellungen von einem demokratischen und sozialen Kaisertum verbreiten zu können, siegte knapp über den konservativen Kandidaten. Gerlach, der sich selbst »als Mann der Linken« einstufte und aus der Professorenschaft – besonders von dem Theologen Martin Rade und dem Völkerrechtler Walther Schücking – unterstützt wurde, verdankte diesen knappen Vorsprung wohl nicht zuletzt jenen Wählern, die im 1. Wahlgang der SPD zu 20,5 % verholfen hatten. Für die Stichwahl hatte die lokale Parteiführung der SPD zwar Stimmenthaltung empfohlen, aber durch ein noch kurz vor dem Wahlgang verbreitetes Flugblatt hatte Gerlach über einen Artikel des »Vorwärts« informiert, in dem sich Kurt Eisner, der bei Cohen in Marburg studiert hatte, für Gerlach aussprach. Gerlachs Reichstagsmandat war und blieb das einzige, das die Nationalsozialen im Reich erringen konnten. Marburg war also wieder einmal der »komischste und verrückteste Wahlkreis«, wie eine Zeitung später schrieb. Das Ergebnis zeigte, dass hier in einer konservativen Hochburg das politische Pendel nicht nur nach weit rechts (Böckel), sondern auch deutlich nach links ausschlagen konnte, zum Schrecken der Konservativen, die daraufhin bei der nächsten Wahl alle Reserven mobilisierten und tatsächlich ihr gestörtes Weltbild wieder zurechtrücken konnten.

HINTERGRUND
Die »Museumsgesellschaft«
»Marburgs Bürgerschaft gliederte sich in zwei Kasten: in die Gesellschaft und in das, was nicht zur Gesellschaft gehörte. Ob der einzelne Mensch, die einzelne Familie in die eine oder andere Klasse zu rechnen sei, darüber entschied ein sehr einfaches Unterscheidungsmerkmal: die Mitglieder des Vereins ›Museum‹ bildeten die Gesellschaft; wer diesem Kreise nicht angehörte, war ein unqualifiziertes Lebewesen. Die Mitglieder der Behörden, der Universität, der städtischen Verwaltungskörperschaften, das Offizierskorps des Jägerbataillions, ferner auch sämtliche private Akademiker und die wohlhabenden Kaufleute gehörten dem Verein an. Die Studenten konnten um ein Geringes die außerordentliche Mitgliedschaft erwerben, und so waren die Angehörigen der Korps, Burschenschaften, Landsmannschaften, akademischen Turnvereine ohne Ausnahme museumsberechtigt. Aber auch innerhalb der Gesellschaft gab es noch zahlreiche engere Zirkel, die, wenn auch in Einzelheiten rivalisierend, doch im ganzen und großen noch eine innere gesellschaftliche Hierarchie in zuerst jäh, dann langsamer absteigendem Aufbau bildeten.« So beschreibt, vielleicht etwas überspitzt, der Erfolgsautor Walter Bloem in seinem ab 1905 in vielen Auflagen erschienenen Roman-Bestseller Der krasse Fuchs jene Institution, die in der Tradition der seit dem Ende des 18. Jhs. bestehenden Lesegesellschaften stand, die durch ihr reichhaltiges Angebot von Zeitungen, Zeitschriften und aktueller Literatur den Gedankenaustausch im Bildungsbürgertum förderten.
In Marburg hatte das 1832 gegründete Akademische Lese-Museum aller Verfolgung durch Polizei und Regierung zum Trotz unter dem Einfluss von Jordan, Bayrhofer und Hildebrand die obrigkeitskritische Einstellung vor und im Revolutionsjahr 1848 gefördert. Davon war in der wilhelminischen Zeit nichts mehr zu spüren. Nach wie vor erfüllte das Museum zwar den Zweck, den es von Anfang an neben dem Lektüreangebot auch gehabt hatte: die Zusammenführung von Professoren und Studenten mit dem gehobenen Bürgertum bei Geselligkeiten verschiedener Art, aber nun war man kaisertreu und konservativ, allenfalls gemäßigt liberal. 1888 errichtete die Museums-Gesellschaft ein repräsentatives Gebäude, günstig gelegen an der Ecke Universitäts-/Kasernenstraße, mit Lesezimmern, Sälen für Konzerte, Theater und Bälle und einem Restaurant, in dem der Museums-Wirt »Norddeutsche Küche« anbot und ein »vorzügliches Weinlager sorgfältig gepflegter Weine« unterhielt. In diesem Ambiente wurden so manches Mal die Kandidaten für den »Rathauszettel«, das Abgeordnetenhaus oder den Reichstag besprochen, Zweckbündnisse vereinbart, politische Strategien zur Durchsetzung von kommunalen oder universitären Zielen entworfen. Nach der Jahrhundertwende jedoch machten sich gesellschaftliche Veränderungen auch im Museum bemerkbar. Als Erste zogen sich die Studentenverbindungen, deren Zahl von 25 auf 49 angewachsen war, auf ihre neuen, oft sehr feudalen Häuser zurück. Die stärkere Politisierung des öffentlichen Lebens ließ bisherige Gemeinsamkeiten in den Hintergrund treten und verstärkte die Gegensätze. »Innerlich völlig zerklüftet« und durch Mitgliederschwund finanziell geschwächt, löste sich die Museums-Gesellschaft 1906 auf. Ihr Gebäude übernahm eine von der Stadt gestützte Aktiengesellschaft. In den Stadtsälen fanden weiterhin gesellschaftliche und kulturelle Veranstaltungen statt. Hinzu kamen politische Versammlungen, in denen es oft hoch herging. Hier warb 1926 die staatstreue Vereinigung Reichsbanner für die Republik, hier agitierte schon 1930 der demagogische Roland Freisler für die NSDAP. 1945 richteten die Amerikaner hier ihr Casino ein und 1952 inszenierte Erwin Piscator hier mit dem Marburger Schauspiel Lessings Nathan der Weise. 1973 wurden die völlig heruntergekommenen Stadtsäle abgerissen, um einem Kaufhaus Platz zu machen.
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Abb. 26: Das Universitätsgebäude in einer historischen Photographie von 1894.
Zum Weltbild der Marburger Honoratioren gehörte auch, dass die Stadt sich nicht um die Ansiedlung von Industrie bemühte, obwohl der städtische Haushalt zusätzliche Steuereinnahmen dringend gebraucht hätte, denn Marburg hatte alle größeren Projekte wie Kanalisation, Wasserversorgung, Elektrizitätswerk, Straßenbau, Brücken und Schulen nur durch Anleihen finanziert und gehörte dadurch, gemessen an der Einwohnerzahl, zu den am höchsten verschuldeten Städten in Preußen. Aber »Groschenmänner«, wie Oberbürgermeister Schüler Arbeiter einmal abfällig nannte, wollte man in der Universitätsstadt nicht in größerer Zahl haben, wo das Dreiklassenwahlrecht den gut situierten Bürgern die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung sicherte. Das schloss allerdings Meinungsunterschiede in Grundsatzfragen der Stadtentwicklung nicht aus. Das zeigte z. B. die heftige Kritik an den »Mietskasernen« im Biegenviertel, an der Abholzung zur Begradigung der Schwanallee oder der Protest gegen die Pläne für eine Aufstockung oder gar einen neugotischen Neubau des Rathauses. Wortführer des Protests waren Professoren, der Geschichtsverein, der Konservator Ludwig Bickell und engagierte Bürger, die in dem schon 1868 gegründeten Verschönerungsverein oder in dem 1891 gegründeten Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs aktiv waren.
Zu großflächigen Fabrikanlagen durch neue Industrien kam es nicht. Es blieb bei einigen mittleren Betrieben, wie der Tabak- und Zigarrenfabrik Niderehe, der Schäferschen Tapetenfabrik, der Holzhauerschen Fabrik für medizinische Instrumente oder der Metallwarenfabrik Seidel, die aus Handwerksbetrieben hervorgegangen waren und maximal 100 bis 200 Arbeiter beschäftigten. Wer von den alteingesessenen Handwerkern sich nicht auf neue Fertigungsmethoden oder veränderte Nachfrage einstellen konnte, musste aufgeben. Hutmacher, Wollen- und Leinweber gab es schon 1889 nicht mehr. Die Zahl der Lohgerber verringerte sich in den 25 Jahren bis 1914 von 20 auf sieben, die der Schuhmacher von 122 auf 96, die der Schneider von 70 auf 53 und Töpfereien gab es nur noch neun. Dagegen stieg die Zahl der Barbiere und Frisöre von 15 auf 25.
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Abb. 27: Am Rudolphsplatz um 1900 (Postkarte).
Zu den Errungenschaften der neuen Zeit gehörten Telefon, Elektrizität und öffentlicher Nahverkehr. Den Anfang machte der neue Schlachthof, der schon 1884 für den Eigenbedarf Generatoren zur Stromerzeugung anschaffte. 1898 erhielten die neue Medizinische und Chirurgische Klinik eine gemeinsame Stromzentrale. 1905 endlich baute die Stadt in der Herrenmühle am Rudolphsplatz ein Elektrizitätswerk, das zunächst 130 Stromabnehmer versorgte, aber ab 1907 auch Strom für die Beleuchtung der Hauptstraßen lieferte, während es in den angrenzenden Straßen und Gässchen bis 1919 bei den billigeren Gaslaternen blieb. 1893 eröffnete die Post den innerstädtischen Telefonverkehr mit 46 Teilnehmern. 1896 wurde Marburg an das überörtliche Telefonnetz angeschlossen und 1907 gab es 341 Teilnehmer. Ab 1893 verband ein privater Pferdeomnibus den weit draußen liegenden Hauptbahnhof mit der Innenstadt. Obwohl zu dieser Zeit schon seit zehn Jahren eine elektrische Straßenbahn zwischen Frankfurt und Offenbach fuhr, mussten die Marburger noch bis zum 1. November 1911 auf dieses moderne Verkehrsmittel warten – zwei Jahre nach dem Bau des neuen Bahnhofsgebäudes. Immerhin hatte seit 1903 der Fuhrunternehmer Heppe mit einem städtischen Jahreszuschuss von 1000 Mark eine schienengebundene Pferdebahn betrieben. Die sechs Wagen mit jeweils 16 Sitz- und 14 Stehplätzen verkehrten alle 20 Minuten zwischen Hauptbahnhof und Wilhelmsplatz. Dafür waren zwölf Pferde, die alle drei Stunden ausgewechselt wurden, und sechs Schaffner im Einsatz. Die Fahrt kostete zehn Pfennig – genau so viel wie noch nach dem 2. Weltkrieg bis zur Währungsreform.
»Dies ist eine Kleinstadt, aber wie Kleinstädte in Deutschland manchmal so sind, mehr Miniaturausgabe einer echten Stadt als Kleinstadt, denn es gibt sehr gute Geschäfte und eine pfiffige kleine Straßenbahn, die in der Stadt auf einem Gleis umherfährt«, berichtete der spätere amerikanische Literaturnobelpreisträger T.S. Eliot, der zu einem internationalen Ferienkurs der Universität nach Marburg gekommen war. Für diesen Kurs hatten sich auch Engländer, Russen, Franzosen und ein Ire eingeschrieben – ein deutliches Zeichen, dass die Universitätsstadt an der Lahn auch für Ausländer attraktiv geworden war. Sei es, um hier zu studieren, wie der Spanier Ortega y Gasset 1906/07 und der Russe Boris Pasternak 1912/14, oder auch einfach nur, um deutsche Kultur kennenzulernen, wie der Engländer Aldous Huxley 1912 oder T.S. Eliot 1914.

Erster Weltkrieg: 1914–1918 – Begeisterung und Ablehnung, Not und Verlust

Am 1. August 1914 sollte der übliche internationale Ferienkurs an der Philipps-Universität anfangen, aber an diesem Tag begann mit der deutschen Kriegserklärung an Russland der 1. Weltkrieg. Der amerikanische Kursteilnehmer Eliot, dem als Bürger eines noch neutralen Landes nach zwei bangen Wochen der Ungewissheit die Heimreise und Überfahrt nach England gelang, schrieb, unbeeindruckt von der überschwänglichen Begeisterung, die er erlebt hatte, am 23. August aus London: »Deutschland ist von einem ungeheuren Willen beseelt, aber ich sehe nicht, wie es möglicherweise obsiegen kann.«
Das sah man in Deutschland ganz anders. Die Basis für die allgemeine Begeisterung bei Kriegsbeginn hatten auch in Marburg nicht zuletzt die vaterländischen, oft martialischen Reden aus Anlässen wie Kaisergeburtstag oder Sedanfeier gelegt. Wenn ein Marburger Professor bei der Immatrikulationsfeier für das Wintersemester 1913/14 seiner Überzeugung Ausdruck gab, »daß der Kampf mit unserem Erzfeind doch einmal unausbleiblich« sei und dann die Welt »widerhallen (werde) von Waffentaten deutscher Söhne«, dann konnte er der Zustimmung seiner akademischen Zuhörer sicher sein. In den Augusttagen 1914 schrieb selbst die linksliberale Hessische Landeszeitung, die Marburger seien erfüllt von einem »Gemeinschaftsgefühl, wie es wohl seit den Tagen von 1870/71 nicht mehr empfunden worden ist. Alle Gegensätze sind verschwunden und jeder ist mit dem stolzen Bewußtsein erfüllt, auch ich gehöre zu dem mächtigen Volke, dessen Wille schließlich die Welt regiert.«

ZEITZEUGE
Sorgenvoller Blick eines Professors auf seine kriegsbegeisterten Studenten
Unter dem Eindruck des Abschieds von seinen Studenten, die sich freiwillig gemeldet hatten, notierte der Altphilologe Theodor Birt, der später als begeisterter Kriegsredner und Befürworter der Annexionspolitik auftrat, nachdenklich in sein Tagebuch: »Zum Teil wundervoll hochgewachsene Gestalten sind unsere Deutschen jungen Männer, wie sie so … durch die Straßen ziehen. Aber was nützt die Kraft, der stolze Wuchs … bei den jetzigen zerstörenden Feindeswaffen! Jeder dieser Menschen eine kleine junge schöne Welt für sich. Aber sie sind nichts als Zahlen, kleine Bruchzahlen in der modernen Schlacht, und das Maschinengewehr legt hundert auf einmal nieder. So ist es: Das Individuum, jeder Einzelne, wird von der Idee verzehrt, für die er lebt und stirbt.«
Die Musterungsstellen hatten Mühe, den Ansturm der Kriegsfreiwilligen zu bewältigen, die sich einerseits aus patriotischem Pflichtgefühl zur Verteidigung der vermeintlich bedrohten Heimat meldeten, andererseits aber auch, getragen von der Woge überschäumender Begeisterung, unter dem Druck der öffentlichen Meinung standen, dass kein waffenfähiger Mann abseitsstehen dürfe. Am 4. August wurde das aktive Kurhessische Jäger-Bataillon Nr. 11 auf dem Bahnhof verabschiedet. Von ihnen und den folgenden Einheiten der »Marburger Jäger« fielen in den 51 Monaten bis zum November 1918 109 Offiziere, 349 Oberjäger und 3331 Jäger – weitaus mehr als im August 1914 so siegesgewiss ausgerückt waren. Darunter waren im Oktober 1914 auch jene kriegsfreiwilligen Studenten und Schüler, von denen es in der Geschichtsschreibung heroisierend heißt, sie seien »vor Langemark mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in den Tod gestürmt.« 36 von ihnen hatten sich zusammen mit 30 Kameraden und ihren Lehrern noch am 21. September in Marburg vor dem Einrücken ins Feld aufgestellt zum Abschiedsfoto vor dem Portal der Städtischen Oberrealschule.
Nachdem die Professoren den einrückenden älteren Semestern auf ministerielle Anordnung nach »abgekürzten Prüfungen nach pflichtgemäßem Ermessen … zum Abschied ein gutes Zeugnis in den Tornister« gesteckt hatten und die Hörsäle »ruhmvoll verödet« waren, stellten sich die Zurückgebliebenen in Universität und Stadt auf den Alltag unter den Bedingungen des Krieges ein. Im Wintersemester 1914/15 galten zwar 2078 Studierende als immatrikuliert, tatsächlich aber hatten nur 629, darunter 151 Studentinnen, Vorlesungen bele...

Inhaltsverzeichnis

  1. Buchinfo
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Berg und Burg über der Lahn – Die Anfänge (9.–12. Jahrhundert)
  6. Das Jahrhundert der Heiligen (13. Jahrhundert)
  7. Stadtherr und Stadtgemeinde – Politik und Wirtschaft (13.–15. Jahrhundert)
  8. Das große Jahrhundert (1504–1604)
  9. Das gefahrvolle Jahrhundert (1605–1700)
  10. Das gelehrte Jahrhundert (1700–1800)
  11. Das bürgerliche Jahrhundert (1800–1900)
  12. Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert
  13. Vom 20. zum 21. Jahrhundert
  14. Zeittafel
  15. Literatur (eine Auswahl)
  16. Marburg in Kürze
  17. Stammtafel der Landgrafen
  18. Stadtplan
  19. Bildnachweis