Stefan Oppitz
Myers-Briggs-Typenindikator® (MBTI®)
Selbst-Bewusstsein entfalten
»Woher wissen Sie das alles?« Diese erstaunte Frage ist das beste Kompliment und die schönste Empfehlung, wenn es um die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten und die überraschende inhaltliche Tiefe des Myers-Briggs-Typenindikators® (MBTI®) geht:
• Als Potenzialträger erkennen Sie im Rahmen eines Coachings, welche Aufgaben Ihnen in Ihrem aktuellen Job leichtfallen und welche mehr Kraft kosten. Sie bestimmen die Bereiche, die Ihnen eine höhere Arbeitszufriedenheit bringen, und definieren die Aufgaben, die Sie stressen.
• Als Teammitglied erleben Sie, warum Sie mit bestimmten Kollegen bei anstehenden Entscheidungen schneller auf einen »gemeinsamen Nenner« kommen und warum andere Kollegen Sie gerade zum Ende eines Projektes immer wieder nerven.
• Als Führungskraft wissen Sie, dass Sie sich Ihre Mitarbeiter nicht »malen« können, und nutzen den MBTI®, um den unterschiedlichen Persönlichkeiten in Ihrem Führungsstil gerecht zu werden – ohne sich jedoch selbst zu verbiegen.
Der MBTI® hilft dabei, die unterschiedlichen Persönlichkeiten in allen geschilderten Fällen wertschätzend zu beschreiben. So ist es möglich, die Unterschiede zu benennen und zu besprechen.
1. Allgemeine Darstellung
»Welcher MBTI®-Typ sind Sie?« Was genau ist mit dieser Frage gemeint – und vor allem: Wie lautet die Antwort darauf? Was verbirgt sich hinter dem Namen »MBTI®«? Der MBTI® (Myers-Briggs Type Indicator®) ist nach zwei Amerikanerinnen benannt: Katharine Briggs (1875–1968) und ihrer Tochter Isabel Myers (1897–1980), die sich mit den Persönlichkeitstheorien des renommierten Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung (1875–1961) beschäftigten.
Wer sich auf die inhaltliche Tiefe des Instrumentes und die dahinterliegende Persönlichkeitstheorie von C.G. Jung einlässt, wird für sich viel erkennen und Antworten auf folgende Fragen finden:
• Wo liegen meine persönlichen Stärken und Schwächen?
• Wie kann ich überzeugungsstark kommunizieren?
• Welche Aspekte sind mir bei Entscheidungen wichtig?
• Wie kann ich besser mit Belastungen und Stress umgehen?
• Was bedeutet meine Persönlichkeit für meine Partnerschaft, meine Karriere?
• Was passiert, wenn ich mich immer wieder so verhalten muss, wie es meiner eigenen Persönlichkeit gerade nicht entspricht?
• Wo liegen meine persönlichen Entwicklungsbereiche, wie kann ich wachsen, wie werde ich erfolgreich?
Dieser Beitrag kann nicht alle diese Fragen beantworten. Im besten Fall können Sie diese Darstellung nutzen, um für sich selbst ideenbezogen auf Ihre eigene Persönlichkeit zu reflektieren und neue Anstöße zu sammeln.
Anders als Persönlichkeitstests, die die Ausprägung bestimmter Eigenschaften messen und beschreiben, basiert der MBTI® auf dem Konzept der Präferenz. Präferenzen sind Ihnen aus dem Alltagsleben vertraut. Wenn Sie z.B. eine Jacke anziehen, schlüpfen Sie bevorzugt mit einem bestimmten Arm zuerst hinein. Welcher Arm ist das bei Ihnen? Es gibt auch eine kleine Übung, die das Thema »Präferenz« einleuchtend demonstriert. Sie geht folgendermaßen:
Schreiben Sie auf eine Linie Ihren Vor- und Zunamen, und das so schnell und so schön wie möglich.
Schreiben Sie nun noch einmal Ihren Vor- und Zunamen, aber nehmen Sie dafür den Stift in die andere Hand.
Wenn Sie Ihr Vorgehen und das Ergebnis dieser Übung betrachten, erkennen Sie sich sicherlich in einer oder mehreren der folgenden Aussagen wieder, die andere nach dieser Übung über die bevorzugte Hand (Präferenz) und die nicht bevorzugte Hand (Nichtpräferenz) gemacht haben:
Abb. 1: Unterschied Präferenz vs. Nichtpräferenz
Wenn Sie aber beides können, warum ist es dann wichtig zu wissen, wo Ihre Präferenz liegt? Nutzen wir zur Erklärung das Beispiel eines Fußballspielers. Auch hier gibt es Rechts- bzw. Linksfüßler. In den 90 Minuten eines Fußballspiels wird der Rechtsfüßler öfter mit dem rechten als mit dem linken Fuß schießen. Das ist ihm vertrauter, er fühlt sich sicherer, braucht weniger Energie und Aufmerksamkeit.
Trotzdem wird er auch das Schießen mit dem linken Fuß trainieren, da es immer wieder Situationen im Spiel geben wird, in denen es sinnvoller ist, nicht mit dem präferierten rechten, sondern mit dem linken Fuß zu schießen, um das Tor zu treffen. Kommt es aber zum Elfmeterschießen und steigt der Druck auf den Spieler, wird er nicht mit links, sondern mit rechts schießen. Dieses Beispiel illustriert eine wichtige Erkenntnis: Eine Präferenz beschreibt, was Sie bevorzugen, nicht, was Sie können.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die folgenden Punkte:
• Präferenzen sagen nichts über Fähigkeiten aus. Sie können sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand schreiben. Als Rechtshänder fällt es Ihnen nur schwerer, mit der nicht präferierten linken Hand zu schreiben (was umgekehrt natürlich auch für Linkshänder gilt).
• Wenn wir unseren Präferenzen folgen, empfinden wir das meist als leicht, schnell und angenehm – wir nutzen dann unseren eigenen »Energiespargang«. Meist geschieht dies aber unbewusst und so erachten wir auch unsere Stärken in diesen Bereichen vielleicht einfach als selbstverständlich. Die Selbsterkenntnis, die wir mithilfe des MBTI® über unsere Präferenzen gewinnen, ist äußerst hilfreich, um mit begrenzten persönlichen Ressourcen optimal umzugehen.
• Sie können sich bewusst dafür entscheiden, nicht Ihrer präferierten Seite zu folgen. Das kostet in der Regel mehr Kraft und Energie. Vielleicht ist es auch ungewohnt für Sie, aber mit etwas Übung wird es Ihnen nach und nach leichterfallen. Dabei sollte man eines nicht vergessen: In einer Belastungssituation werden wir vermutlich wieder in die von uns präferierten Verhaltensmuster zurückfallen, da sie uns Sicherheit geben und eine Quelle der Motivation sind.
• Es gibt keine »besseren« oder »schlechteren« Typen. Jeder Typ hat seine Stärken und Schwächen – wobei die Schwächen oft erst durch das Übertreiben der eigenen Stärken entstehen. Es ist also nachvollziehbar, dass der MBTI® nicht als Selektions- oder Einstellungsinstrument benutzt werden kann (siehe dazu auch weiter unten); er entfaltet seine Stärke vielmehr in der Individual- und Teamentwicklung.
2. Entstehungsgeschichte
C.G. Jung selbst setzte sich intensiv mit der Frage der Typologie auseinander und damit, wie wir Menschen unsere Umwelt wahrnehmen und wie wir Entscheidungen treffen (Jung, 2011). Wahrnehmen und entscheiden sind nach Jung die beiden zentralen mentalen Prozesse, die wir nutzen, um uns in der Welt um uns herum zu positionieren. Wir nutzen diese Prozesse permanent: Morgens beim Aufstehen nehmen wir wahr, wie warm oder kalt es ist, und entscheiden dann, was wir anziehen. Auf der Fahrt zur Arbeit nehmen wir die gelbe Ampel wahr und müssen uns entscheiden, ob wir anhalten oder nicht. Die aktuelle Hirnforschung stützt die Aussagen Jungs und belegt eindrucksvoll, wie die mentalen Prozesse im Gehirn je nach Persönlichkeit zu unterschiedlichen Hirnaktivitäten führen.
Jung selbst ließ sich von dem Ansatz leiten, dass Menschen sich mit der ihnen zur Verfügung stehenden psychischen Energie zum Besten ihres Typs – ihrer Persönlichkeit – entwickeln wollen. Diese Idee griffen Isabel Myers und Katharine Briggs auf, angetrieben von dem Wunsch, das Persönlichkeitsmodell Jungs möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Sie entwickelten ab 1940 den MBTI®, um Menschen zu helfen, sich selbst in ihrer Persönlichkeit zu positionieren und die eigene Entwicklung zu gestalten.
Dies ist auch heute noch der Anspruch, den Anwender auf der ganzen Welt an das Instrument stellen: die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit und die damit verbundene Reife zu beschreiben und erlebba...