Erinnern Sie sich an den letzten Vortrag, den Sie gehalten oder gehört haben? Obwohl ich nicht dabei war, werde ich versuchen, Ihnen die Bühnensituation zu schildern: in der Wand- oder Bühnenmitte die Leinwand für die Präsentation, aus Sicht der Zuhörer rechter Hand das Rednerpult, und falls ein Verband der Veranstalter war, dann stand links ein Tisch mit mehreren Stühlen für einen »Vorstand«. Nun meine Frage: Wen oder was hat diese Architektur bei diesem Bühnenaufbau in den Mittelpunkt gestellt? Richtig: die Leinwand. Wer muss kämpfen? Der Redner – auch noch gegen ein Präsidium!
Deshalb gilt für die perfekte Rede: Stellen Sie sich niemals an ein Rednerpult – das ist der perfekte Sarg für jeden Redner. Die Mitte der Bühne gehört immer Ihnen und sollte immer frei sein. Niemals dürfen andere Menschen neben oder hinter Ihnen sitzen. Einzige Ausnahme hiervon: der Elferrat in einer Karnevalssitzung. Projektionsflächen, wenn sie erforderlich sind, sollten in doppelter Ausführung – links und rechts von Ihnen – angeordnet sein. Entscheiden Sie wie ein Theaterregisseur! Auf die Bühne gehört nur das, was zu Ihrem Stück passt. Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie wollten über die Entwicklung von Kupferpreisen reden, um Kapitalgeber für einen Grubenbau zu gewinnen, und um Sie herum stünden Blumengestecke! Ein No-go, da gehören Bagger hin!
Die folgenden beiden Beispiele zeigen Unterschiede der Bühnenpräsentation deutlich. Zum einen Pater Leppich: Dieser Jesuit, genannt das »Maschinengewehr Gottes«, kümmerte sich weder um die Technik noch um die Ausstattung seiner Bühne – aber er ging dorthin, wo er seine Zuhörer treffen konnte. So kletterte er zum Beispiel vor Fußballstadien auf die Pritsche seines VW-Busses und hielt von dort seine Rede. Stellen Sie sich das einmal bildlich vor: Auf dem Weg ins Stadion, angefüllt mit der Euphorie eines sportlichen Großereignisses, emotional angesiedelt zwischen dem Hoffen auf den Sieg und dem Bangen um die Niederlage, treffen die Menschen unerwartet auf Gottes Wort!
Auch der amerikanische Fernsehprediger Dr. Robert Schuller sprach zu Beginn seiner Karriere von Lkw-Pritschen herunter oder vom Dach des Vorführhäuschens eines Autokinos. Und heute? Heute ist seine »Bühne« eine komplett inszenierte Kirche: Crystal Cathedral, ein Festspielort mit Platzanweisern, Orgel, Chor und Orchester in beeindruckender Größe. Das Gebäude selbst hat mehr als 10 000 verspiegelte und bewegliche Glasscheiben, die den Blick in den kalifornischen Himmel freigeben.
Hier ein kleines Negativbeispiel: Auf einem Kongress mit über 1500 Teilnehmern wird als nächster Programmpunkt ein Vortrag angekündigt. Zwei Redner – ein Ehepaar – sollen zum Thema »Führung von Mitarbeitern« referieren. Und so präsentierte sich das Bühnenbild: in der Mitte die Leinwand, davor ein Overheadprojektor und links und rechts davon zwei Stühle. Die beiden Vortragenden betraten die Bühne und – setzten sich rechts und links auf die beiden Stühle. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatten sie den Kontakt zum Saal verloren und zelebrierten eine private Veranstaltung. Das Ergebnis war erschreckend: Publikum verloren, nie wieder von diesem Konzern eingeladen – von der Bildfläche verschwunden.
Wenn der Vortragsort zur Falle wird
Es ist natürlich immer großartig, wenn sich der Inhalt Ihrer Rede mit dem Ort der Veranstaltung in Einklang bringen lässt. Ihr Thema »Auf dem Weg zum Mars« kann keinen besseren Ort finden als das Raumfahrtzentrum Oberpfaffenhofen. Über Geldanlagen lässt sich hervorragend an der Frankfurter Börse parlieren. Wenn Sie Schiffsbeteiligungen verkaufen wollen, dann auf dem ehemaligen Großsegler Rickmer Rickmers im Hamburger Hafen. So weit zur idealen Situation.
Aber Ihre Rede muss auch unter weniger idealen bis widrigen Umständen funktionieren. Kaltes Neonlicht, PVC-Möbel, einfachste Stühle, Kantinenatmosphäre inklusive des Geruchs von abgestandenem Essen, Gehämmer am Gebäude oder Gesangsmikrofon mit schwerem Kabel.
Hierzu drei Erlebnisse, die Köhler hinter sich hat: Im Odenwald musste ich in einem Weinkeller sprechen – dabei saßen die Zuhörer in einer einzigen langen Reihe links und rechts an Tischen – und das bei einem immer dunkler werdenden Kellergewölbe. Und dieser Kellergang war richtig lang. Keine Chance bei drei Viertel der Zuhörer für Blickkontakt mit dem Redner und umgekehrt.
In St. Moritz hatte man die 200 Gäste in drei verschiedenen Räumen platziert. Wirkung: Jeweils zwei Drittel der Zuhörer sahen vom Redner nur die Seite oder den Rücken.
Das Schlimmste aber, was man Ihnen als Redner zumuten kann, sind Säulen! Es ist absolut unglaublich, was sich Architekten manchmal erlauben. Es ist wirklich überraschend, wie oft man in Hotels Konferenzräume mit Säulen vorfindet. Die stehen da einfach im Raum herum! Jeder Architekt wird sich herausreden und darauf hinweisen, dass aus statischen Gründen die Säule notwendig sei, was oft einfach heißt, dass der Bauherr kein Geld ausgeben wollte – schließlich ist eine säulenfreie Konstruktion teurer. In Stuttgart jedenfalls waren die Säulen so positioniert, dass die Trennung ein Drittel des Saales ausmachte. Trotzdem hatten die Mitarbeiter des Hotels auch in diesen Teil Zuhörerstühle gestellt, die den dort sitzenden Teilnehmern einen Blick auf den Referenten einfach unmöglich machten. Nur durch einen trotzig verlangten Stuhlumbau konnte Schlimmeres verhindert werden.
Wenn Sie eine Veranstaltung planen, dann achten Sie auf solche Details – und suchen Sie sich einen anderen Ort. Wenn Sie als Redner keine Wahl haben, dann lassen Sie Ihre Zuhörer Ihre Verzweiflung nicht merken. Machen Sie Ihren Frieden mit solchen Orten: Hier werden Sie eben keine perfekte Rede halten können.
Falls Sie Wissenschaftler oder Ingenieur sind, dann werden Sie vermutlich gerne ins Detail gehen. Das ist prinz...