Schritt 1: Werte reflektieren
»Richtung weisen kann nur, wer selbst Richtung hat.«
PETER ZüRN, MANAGER (*1933)
Beispiele
Vor einiger Zeit moderierte ich einen Führungskräfte-Workshop, in dem die Qualitätspolitik des Unternehmens festgeschrieben wurde. Auf die Frage: »Wie werden Sie diesen Qualitätsanspruch zukünftig an Mitarbeiter und Kunden kommunizieren?«, wurde es plötzlich ganz still. Schließlich wagte sich ein Abteilungsleiter vor: »Das ist doch einfach, wir stellen die Qualitätspolitik ins Internet und machen an der Rezeption einen Aufsteller, der über unser Qualitätsverständnis informiert.« Damit löste er eine hitzige Diskussion aus: So ginge das nicht! Ob er wolle, dass einem dauernd die Thesen im Aufsteller vorgehalten würden? Innerhalb der Leitungsrunde konnte man sich nicht auf den Vorschlag einigen. Offensichtlich fürchtete man sich vor der Konfrontation mit dem eigenen Anspruch. Doch wozu Werte, zu denen man im Ernstfall nicht steht? Gut (gemeint) ist nicht genug! Immer mehr Hotels und Veranstalter schreiben sich Werte wie Nachhaltigkeit und schonenden Umgang mit Ressourcen auf die Fahnen. Und sicherlich ist es gut, wenn Handtücher nach Gästewunsch und nicht automatisch jeden Tag gewechselt werden und man Einwegverpackungen am Frühstückbuffet vermeidet. Wie passt es dazu, wenn argentinisches Rinderfilet im Menü steht und bei der Abendveranstaltung eine energiefressende Lichtshow zelebriert wird? Gut ist nicht genug! Die meisten Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass zufriedene Mitarbeiter eine Voraussetzung für zufriedene Kunden sind. In Leitbildern und auf Websites werden daher Werte wie »Wertschätzung«, »Fairness« oder »Offenheit« propagiert. Dennoch kann es passieren, dass an der Unternehmenspforte, an der Garderobe oder im Service sogenannte Springer oder Zeitarbeitskräfte arbeiten, die deutlich weniger als ihre fest angestellten Kollegen verdienen. Dabei wird übersehen, dass eine unfreundliche oder gehetzte Garderobiere das Image des Unternehmens beim Kunden stärker prägen kann als jede Hochglanzbroschüre. Gut ist auch hier – nicht genug! Damit ist die Werte-Diskussion eröffnet. Sie haben es natürlich längst bemerkt: Alle Beispiele kreisen um Anspruch und Wirklichkeit, um die Frage gelebter Werte und um ihren Nutzen im Unternehmensalltag.
Warum Werte? Und welche?
»Werte« beziehen sich nicht nur auf Geld.
Fast traut man sich nicht, diese Fragen zu stellen, so präsent ist die Wertediskussion in Medien und Öffentlichkeit. Gern werden Werte (oder der Mangel daran) beschworen, wenn Topmanager Millionengehälter beziehen, wenn Investmentbanker ihre Arbeitgeber in Schieflage bringen und bald darauf wieder hohe Boni beziehen oder wenn Konzerne gegen eigene Compliance-Regeln verstoßen und Auslandsaufträgen mit Schmiergeldern nachhelfen. Erstaunlich häufig geht es beim Thema »Wirtschaft und Werte« um Geld. Doch was haben Werte mit Qualität und Service zu tun?
Gelebte Werte = positive Atmosphäre
Der Zusammenhang ist ebenso schlicht wie durchschlagend: Gelebte (positive) Werte prägen ein positives Arbeitsumfeld, sorgen dafür, dass Mitarbeiter sich wohlfühlen. Zufriedene Mitarbeiter wiederum sind die beste Voraussetzung für zufriedene Kunden. Wem das nicht spontan einleuchtet, der möge sich an eine Servicesituation erinnern, in der ein barscher Chef oder ein unfreundlicher Kollege anwesend war. Selbst wenn die Servicekraft, die Sie anschließend bediente, sich sehr um Freundlichkeit bemühte, empfanden Sie ihr Lächeln als Fassade. Und selbst wenn Sie gar nicht persönlich Zeuge einer internen Unfreundlichkeit wurden, spüren Sie es schon beim Betreten eines Geschäftes, eines Hotels oder einer Arztpraxis, wenn eine Atmosphäre der Anspannung oder gar Angst herrscht. Die meisten Menschen haben feine Antennen für »dicke Luft«. Und die meisten Menschen lassen sich davon anstecken und fühlen sich unbehaglich. Keine gute Voraussetzung für ein Serviceerlebnis!
Gelebte Werte Können Emotionen auslösen.
Rosabeth Moss Kanter, Soziologin und renommierte Wirtschaftsprofessorin an der Harvard Business School, schreibt dazu: »Unternehmensergebnisse und das Verhalten von Organisationen werden nicht nur von Zweckrationalismus bestimmt. Auch Emotionen spielen eine wichtige Rolle. Stimmungen sind ansteckend. Sie haben Einfluss auf Fehlquoten, Gesundheit, Engagement und Energie. Die Mitarbeiter beeinflussen sich gegenseitig. Und meine Untersuchungen von Teams und Organisationen zeigen, dass sie ihr Leistungsniveau gegenseitig anheben oder drücken können. Richtig verstandene Werte und Prinzipien können positive Emotionen auslösen und dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter stärker engagieren.«14
Musterbeispiel: Southwest Airlines
Es gibt dazu auch andere Meinungen. Reinhard K. Sprenger etwa spricht sich in seinem Buch »Radikal führen« gegen einen expliziten Wertekanon im Unternehmen aus, weil dieser im Einzelfall schwer zu leben sei und Verstöße Zynismus im Unternehmen beförderten.15 Anders als er bin ich mit Moss Kanter der Auffassung, dass es sich lohnt, die Grundprinzipien der Zusammenarbeit zu thematisieren, deutlich zu machen, welchen Umgang miteinander man sich wünscht, und dies auch zu leben. Ein Positivbeispiel gibt die Fluggesellschaft Southwest Airlines, die als besonders »fürsorglicher Arbeitgeber« gilt und sicher auch deswegen einer Studie des US-Ministeriums für Transport zufolge »die niedrigste Beschwerderate pro beförderten Passagier« aufweist.16
Werte gewinnen an Bedeutung.
Verantwortlich dafür, welche Werte in einem Unternehmen propagiert und hoffentlich auch gelebt werden, ist die Führungsebene. Vertreter dieser Ebene werden seit 2006 in Deutschland durch die »Wertekommission – Initiative Werte bewusste Führung e. V.« regelmäßig befragt. Ergebnis: Die Zahl der Führungskräfte, die Werten einen erheblichen Beitrag zum Unternehmenserfolg beimisst, wächst stetig. In der vierten Erhebung 2012 sagten über 90 Prozent der Befragten, dieser Einfluss sei »hoch« oder »sehr hoch«.17 Als wichtigste Werte betrachteten die Führungskräfte dabei die klassischen Tugenden »Verantwortung« und »Vertrauen«, gefolgt von »Integrität« und »Nachhaltigkeit«.
Die Wichtigkeit weicher Faktoren
Das klingt nach einer Rückbesinnung auf das Wesentliche in Krisenzeiten, deckt sich jedoch mit Erkenntnissen anderer Institutionen zu einem produkti...