Bochum
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Bochum

Kleine Stadtgeschichte

  1. 168 Seiten
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Bochum

Kleine Stadtgeschichte

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Über dieses Buch

Noch vor wenigen Jahrzehnten sang Herbert Grönemeyer, die Stadt sei "vor Arbeit ganz grau" und habe einen "Pulsschlag aus Stahl". Heute ist sie eine grüne Stadt, die sich als zukünftige Gigabit-City mit hoher Lebensqualität positioniert. Außerdem ist Bochum so alt, wie ein Ort im Ruhrgebiet nur sein kann: Hervorgegangen aus einem Königshof Karls des Großen wurde die Ackerbürgerstadt im Laufe der Zeit zu einem der führenden Kohle- und Stahlstandorte sowie zu einer modernen Groß- und Universitätsstadt. 2010 wurde das Ruhrgebiet als Region sogar zur "Europäischen Kulturhauptstadt" ernannt. Friedliche Jahrzehnte hat Bochum ebenso erlebt wie Phasen tiefgreifenden Wandels, etwa während der Industrialisierung, oder die Leiden der Nazi-Diktatur. Stefan Pätzold liefert eine spannende und lebendig erzählte Kleine Stadtgeschichte!

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783791761206

Franzosenzeit und Biedermeier: Die Landstadt in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts

Die Folgen von Revolution und Krieg

Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jhs. herrschte in Frankreich Umbruchsstimmung, ja zeitweilig sogar Chaos. In der Grafschaft Mark erfuhr man anfangs davon freilich nur wenig, auch wenn zahlreiche Auswanderer aus Frankreich und den 1795 von den Franzosen erworbenen linksrheinischen Gebieten dorthin und nach Bochum kamen. Die Forderung nach Freiheit verfing bei den Bochumerinnen und Bochumern offenbar nicht. Eine intellektuelle oder politische Auseinandersetzung mit den revolutionären Ideen unterblieb. Kortum erwähnte die umwälzenden Ereignisse in seinen Schriften mit keinem Wort. Erst der Beginn des – später als 1. Koalitionskrieg bekannt gewordenen – österreichisch-preußischen Feldzugs gegen die Revolutionsregierung im Jahr 1792 ließ auch Bochum Auswirkungen des europäischen Geschehens unmittelbar spüren.
Es war freilich nicht umstürzlerisches Gedankengut, das die Einwohnerinnen und Einwohner des Orts in seinen Bann zog, sondern es waren die praktischen Begleiterscheinungen eines vormodernen Kriegs, die sie, wie schon in früheren Zeiten, belasteten: Immer wieder zogen Truppen durch den Ort, die einquartiert und verpflegt werden mussten. Kriegsgefangene, die meisten von ihnen ausgezehrt und manche krank, kamen in großer Zahl und wurden bei Privatleuten, in Scheunen, Kirchen und im Rathaus untergebracht: Allein im Juli 1794 führte man an einem Tag rund 1400 gefangene Franzosen durch Bochum. Hinzu kamen die ungeliebten Gestellungsbefehle: Am 12. Mai 1792 hatte Bochum an das preußische Heer 12 Rekruten und vier Packknechte zu entsenden, das nur sechs Tage später vier weitere Rekruten anforderte.
Mit dem am 5. April 1795 zwischen Frankreich und Preußen geschlossenen Frieden von Basel änderte sich die Lage zunächst nur wenig: Denn nun kehrten – in jeweils umgekehrter Richtung – die preußischen Truppen bzw. die vormals französischen Kriegsgefangenen zurück, die sich auf der Heimkehr befanden und wiederum Verpflegung benötigten. Hinzu kamen zahlreiche Emigranten aus den an Frankreich abgetretenen linksrheinischen Gebieten, darunter weiten Teilen Kleves. Fast jedes Bürgerhaus beherbergte damals solche Flüchtlinge, von denen die allermeisten jedoch weiterzogen. Die Bochumer Bevölkerung litt – wie jedes Mal – unter den Folgen des Kriegs; sie litt aber auch an schlechten Ernten, etwa derjenigen des Jahres 1793, welche die Grafschaft Mark an den Rand einer Hungerkatastrophe führte; oder sie litt an staatlichen Interventionen, wie Handels- und Exportverboten für Getreide und Kartoffeln.
Von 1795 bis 1806 herrschte angespannter Frieden. Preußen hielt sich zwar von den europäischen Koalitionen gegen Frankreich fern. Aber Deutschland veränderte sich dennoch: 1806 wurden Napoleons Schwager Murat Großherzog von Berg, der Rheinbund unter Bonapartes Protektorat errichtet und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als Verfassungskonstrukt beendet. Im Herbst desselben Jahres erklärte Preußen Frankreich den Krieg, erlitt aber im Oktober bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage. Die Grafschaft Mark wurde besetzt; französische Truppen marschierten am 25. Oktober 1806 unter dem Kommando von Generalmajor Armand Louis Debroc in Bochum ein. 2000 Mann mussten versorgt werden. Bochum gehörte nunmehr zum französischen Kaiserreich.

Bochum als Munizipalität des Napoleonischen Kaiserreichs

Mit dem Frieden von Tilsit (9. Juli 1807) trat Preußen seine Gebiete westlich der Elbe an Frankreich ab; die Grafschaft Mark – und damit auch Bochum – wurde 1808 in das Großherzogtum Berg eingegliedert. Die Verwaltungsstrukturen gestaltete man nach französischen Vorbild um: Die Grafschaft wurde Teil des bergischen »Département Ruhr« mit Sitz in Dortmund. Das Département war in die Verwaltungsbezirke (arrondissements) Dortmund, Hamm und Hagen sowie 70 Gemeinden (municipalités) unterteilt. Die Munizipalität Bochum umfasste neben Bochum selbst sowie Wattenscheid, Lütgendortmund und Herne noch zahlreiche kleinere Gemeinden und Gutsbezirke wie etwa Querenburg, Laer und Altenbochum. Ihr Vorsteher (maire) wurde der bisherige Bochumer Bürgermeister Dr. Georg Friedrich Jacobi, dem man eine Reihe angesehener Bürger als Beigeordnete zur Seite stellte. Bedeutende Reformen veränderten Leben und Gesellschaft: Leibeigenschaft und Lehnsherrschaft wurden Anfang 1808 aufgehoben, ein Jahr später auch die Heiratsverbote, die zwischen Menschen unterschiedlicher Stände herrschten, und ab dem 1. Januar 1810 galt auch in Bochum das französische Zivilgesetzbuch (Code civil). Rechtlich gesehen erlebte die Stadt damit grundsätzlich eine bedeutsame Modernisierung, selbst wenn die französischen Verhältnisse, an denen sich der Code civil orientierte, in mancherlei Hinsicht nicht denen an der Ruhr entsprachen.
Im Jahr 1811 war Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Doch bald begann sein Stern zu sinken: Er musste noch im selben Jahr den Rückzug aus Russland antreten, seine europäischen Gegner, darunter das noch besetzte Preußen, verbündeten sich gegen ihn – und besiegten im Oktober 1813 sein Heer in der Völkerschlacht von Leipzig. Bald darauf löste sich der Rheinbund auf, und die Sieger ritten im April 1814 in Paris ein. Napoleon wurde nach Elba verbannt. In Bochum endete die französische Herrschaft am 11. November 1813, als Kosaken des Generals Czernikoff, die fliehenden Franzosen verfolgend, den Ort erreichten, sich aber nicht lange dort aufhielten. Nur wenige Stunden später folgten ihnen elf pommersche Husaren unter dem Kommando des Oberleutnants Grolmann, der Bochum offiziell im Namen des Königs für Preußen in Besitz nahm. Grolmann blieb nur eine Nacht. Am 12. November zog der Kommandeur der Vorhut des Bülowschen Korps, Major von Arnim, mit weiteren pommerschen Husaren in die Stadt ein. Die Menschen feierten ihre Befreiung. Der Jubel war groß; drei Tage lang wurden die Glocken geläutet. Am 13. November enthob man Maire Jacobi und alle Beamten zunächst ihrer Ämter, beauftragte sie aber umgehend in ihren Funktionen als Bürgermeister bzw. Gemeinderäte mit der Fortführung der Amtsgeschäfte. Aus Furcht vor weiteren Kämpfen begann man sofort mit der Aushebung Freiwilliger als Landjäger. Napoleons Soldaten kehrten allerdings nicht mehr zurück.

In der preußischen Provinz Westfalen

Ende 1813 war die Grafschaft Mark wiederhergestellt und im April 1815 der neugeschaffenen preußischen Provinz Westfalen eingegliedert worden. Westfalen war seit 1816 in die Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg unterteilt. Preußen seinerseits gehörte seit dem 8. Juni 1815 dem auf dem Wiener Kongress ins Leben gerufenen Deutschen Bund an, zu dem sich 35 souveräne Fürsten und vier freie Städte Deutschlands mit Einschluss des Kaisers von Österreich und der Könige von Dänemark und der Niederlande vereinigt hatten. Die französischen Gesetze waren bereits am 15. Januar 1815 aufgehoben worden. Stattdessen hatten die preußischen Rechtsvorschriften Geltung erlangt. Dazu zählten auch jene, die in den Jahren von 1807 bis 1814 durch die Freiherren vom und zum Stein sowie von Hardenberg eingeführt worden waren, wie etwa die »Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion« (kürzer: »Städteordnung für die preußischen Staaten«) vom 19. November 1808.
Dieser Ordnung zufolge wurde die Stadtverordnetenversammlung nicht nach Ständen oder Klassen, sondern nach Bezirken gewählt. Dabei bevorzugte man Honoratioren, wobei die Angehörigen gewerblicher Berufe überwogen. Vertreter der Bildungsschicht spielten eine geringere Rolle. Die Wahl erfolgte für drei Jahre. Die Stadtverordnetenversammlung, das zentrale Organ der städtischen Selbstverwaltung, war Trägerin der kommunalen Rechtsetzung wie Verwaltung und wählte die Mitglieder des Magistrats. Sie mussten von der staatlichen Aufsichtsbehörde bestätigt werden. Der so gebildete Magistrat war ein von der Stadtverordnetenversammlung abhängiges Vollzugsorgan, nicht Inhaber einer selbstständigen Exekutivgewalt. Das gilt auch für den Bürgermeister, der nicht als Stadtoberhaupt zu verstehen ist. Es galt das Prinzip einer Einheit der Gemeindegewalt, nicht der Gewaltentrennung. Die Geschäftsführung des Magistrats wurde unterstützt von Deputationen und Kommissionen, bestehend aus Mitgliedern des Magistrats selbst, der Stadtverordnetenversammlung und sonstigen Bürgern. Den Kommunen gewährte die Städteordnung ein hohes Maß an Autonomie, insbesondere beim Budget- und Steuerbewilligungsrecht.
Bald nach der Eingliederung Bochums in die preußische Provinz Westfalen wurde es, wie schon in den Jahrhunderten zuvor, Mittelpunkt eines größeren Verwaltungsbezirks. Der Kreis Bochum entstand 1817. Er umfasste neben der Stadt Bochum auch die Orte und Gemeinden Bladenhorst, Blankenstein, Castrop, Crange, Dahlhausen, Eickel, Gelsenkirchen, Hattingen, Herbede, Herne, Langenberg, Langendreer, Lütgendortmund, Steele, Ümmingen, Wattenscheid, Weitmar, Wenigern und Witten. Der Kreis Bochum bildete zusammen mit 13 weiteren Kreisen den Regierungsbezirk Arnsberg und unterstand einem Landrat. Die Verwaltung des Kreises war mit derjenigen Bochums verbunden: Dem gemeinsamen Bürgermeister und seinem Stellvertreter wurden zehn Gemeinderäte beigegeben. So blieb es bis 1843. Bis 1817 übte der schon hochbetagte Dr. Jacobi das Bürgermeisteramt aus; ihm folgten der aus Eickel stammende Caspar Heinrich Steelmann (1817–35) sowie Heinrich von Lüdemann (1835–43). Neben der Stadt- und Kreisverwaltung tagte im Bochumer Rathaus seit 1815 auch das königliche Stadt- und Landgericht.

Streit um die Revidierte Städteordnung

Es zeigte sich jedoch bald, dass die Städteordnung von 1808 einiger Modifikationen bedurfte. So erließ König Friedrich Wilhelm IV. (1840–61) 1835 die »Revidirte Städteordnung für die Preußische Monarchie« vom 17. März 1831. Sie stieß jedoch auf Widerstand: Die städtischen Gemeinderäte lehnten ihre Einführung ab. Die in der Revidierten Städteordnung vorgesehene Trennung der städtischen Verwaltung von derjenigen des Kreises wurde als nicht finanzierbar abgelehnt – und weil man fürchtete, dass nach der Abkopplung der Landgemeinden nicht mehr genügend Mittel bei der Stadt verbleiben würden. Hinzu kamen weitere Aspekte. Die Städteordnung von 1831 setzte das Mindesteinkommen für das Bürger- und das aktive wie passive Wahlrecht höher an als die Ordnung von 1808. Stadtverordneter konnte seitdem nur noch werden, wer über ein Grundvermögen von 1500 Talern oder ein regelmäßiges Einkommen von 500 Talern verfügte. Sodann wurde der Vorrang der Stadtverordnetenversammlung vor dem Magistrat beseitigt: Der Magistrat sollte nunmehr die Stadtobrigkeit bilden. Und schließlich wurde die Staatsaufsicht genauer geregelt. Alles dies empfanden die Bochumer als unerwünschte Last – und sträubten sich dagegen. Sie taten dies vorläufig mit Erfolg, so dass die Sache bis 1842 ruhte.
Dann aber duldete der mit der Einführung der Revidierten Städteordnung beauftragte Landrat Graf von der Recke-Volmarstein keinen Aufschub mehr. Er ließ ein Verzeichnis aller stimmfähigen Einwohner anlegen, worin diese entsprechend ihrem Einkommen bzw. Vermögen drei Klassen zugeordnet wurden. Diese 293 Männer sollten, sofern sie das Bürgerrecht besaßen oder zu erwerben bereit waren, in einer öffentlichen Versammlung ihr aktives Wahlrecht ausüben und 12 Stadtverordnete sowie 12 Stellvertreter bestimmen, die über das von der Städteordnung vorgeschriebene Grundvermögen verfügten. Die Wahl der neuen Stadtverordneten fand am 17. Mai 1842 statt. Die Versammlung war ein Gremium von Honoratioren und bestand aus Kleingewerbetreibenden, Handwerkern, Gastwirten und Beamten, die die »kleinbürgerlich-kleinstädtische Grundstruktur« der Stadt einigermaßen treffend widerspiegelten. Ende Juli traten sie erstmals im Rathaus zusammen und wählten den Magistrat. Der Rechtsreferendar Maximilian Greve aus Castrop wurde, obgleich erst 28-jährig, zum Bürgermeister bestellt und am 14. Mai 1843 feierlich in sein Amt eingeführt. Damit hatte die Revidierte Städteordnung nun auch in Bochum Geltung erlangt.
Städtische Verwaltung erschöpfte sich freilich nicht allein im Streit um Wahlmodalitäten oder in der Wahl und Einführung eines neuen Magistrats. Es musste natürlich auch eine Reihe von alltäglichen Problemen bewältigt werden, etwa die jährliche Aufstellung und Abrechnung des Haushalts sowie die Abzahlung der Schuldenlast. Sie belief sich 1842 immerhin auf 10.500 Taler, denen städtische Steuereinnahmen von lediglich rund 2000 Talern gegenüberstanden. Davon musste nicht nur das städtische Personal, etwa ein Polizeidiener, zwei Nachtwächter und zwei Gendarmen, bezahlt werden, sondern z. B. auch die 1835 eingeführte Straßenbeleuchtung; 1842 verfügte Bochum immerhin über elf Laternen, die ein schwaches Licht spendeten.

HINTERGRUND
Beschauliches Bochum
»An den engen Gassen«, so schrieb Karl Brinkmann 1950, »standen noch recht unregelmäßig die kleinen Fachwerkhäuser. Vor den Häusern dampften die Misthaufen, und an jedem Morgen ließ der städtische Kuhhirt sein Blechhorn ertönen, das die vierbeinigen Schutzbefohlenen zur Vöde rief. Die Straßen waren schlecht, ungepflastert oder mit holprigem Kopfsteinpflaster versehen. Bei Regenwetter waren sie ein einziger Morast, denn die Abwasserrinnen liefen meist noch nach alter Vätersitte in der Mitte der Straße und waren rasch verstopft. Man lebte einfach und stand früh auf und ging an sein Handwerk oder auf den Acker. Mit anbrechender Dunkelheit kroch alles wieder in die Federn. Punkt 10 war Polizeistunde«.

Verkehrsprobleme: Die Abkopplung der Eisenbahn

Zukunftsträchtige Entwicklungen nahmen allerdings allmählich auch in Bochums näherer Umgebung Fahrt auf: Neben die Kohlenförderung und -verarbeitung (etwa die Kokserzeugung) trat die Erzeugung von Roheisen und Stahl aus Eisenerz in Hüttenwerken. Die Steinkohlebergwerke trugen klingende, bisweilen aber auch sonderbare Namen: Zeche »Friederika«, »Bonifacius«, »Kirschbaum« und »Neuemark«, »Vollmond«, aber auch »Glücksburg« oder »Neue Mißgunst«. Die dort zutage geförderte Kohle wurde dringend benötigt, denn der Bedarf der Kohlen verbrauchenden Industrie, z. B. bei der Eisenproduktion, wuchs in den 30er-Jahren ebenso wie der Verbrauch in den privaten Haushalten oder der Export, etwa nach Holland. Nicht zuletzt deshalb wurde der Ruf nach der Anbindung Bochums an die entstehenden Eisenbahnstrecken lauter. In den 1830er-Jahren gab es Planungen zu einer Bahnstrecke von Köln nach Minden, die aber nicht verwirklicht wurde, weil der preußische König nach längerem Zögern 1845 beschloss, dass die Bahngleise nicht durch Bochum, sondern durch das Emschertal geführt werden sollten. Damit war die Stadt zunächst von den geplanten Eisenbahnlinien abgekoppelt.
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Abb. 14: Bochum um 1830/40 in einer farbigen Lithographie eines Künstlers namens Risse. Der Betrachter schaut ungefähr aus der Richtung des heutigen Stadtparks auf Bochum.

Christen, Kirchen, Schulen

Dessen ungeachtet hatte mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem anwachsenden Arbeitskräftebedarf die Einwohnerzahl stetig zugenommen: Im Jahr 1815 lebten in Bochum 2102 Personen; 1835 waren es bereits 3402 und 1842 schließlich 3859 Menschen. Von den Bochumerinnen und Bochumern waren 1815 1109 Katholiken, 737 Lutheraner, 182 Reformierte und 74 Juden. Die Gläubigen lebten friedlich zusammen. Selten nur kam es zu Konflikten, wie z. B. jener Auseinandersetzung um die Kosten für die Erneuerung des gemeinsam genutzten Turms der Peter-und-Paul-Kirche, die von 1828 bis 1835 zu einem langwierigen Rechtsstreit zwischen der katholischen und der lutherischen Kirchengemeinde führte. Der katholische Friedhof im Schatten der Peter-und-Paul-Kirche wurde von allen drei christlichen Gemeinden gemeinsam genutzt, erwies sich aber um 1817 als zu klein, so dass man nach einem neuen Gelände außerhalb der Stadt suchte. Man entschied sich für ein Areal vor dem Butenbergtor an der Chaussee nach Altenbochum und Witten (dem heutigen Kortumpark); es wurde 1819 von den drei Gemeindepfarrern geweiht.
Gelegentlich mussten die Christen auch organisatorische Veränderungen hinnehmen: So wurde das katholische Bochum im Sommer 1821 aufgrund einer Vereinbarung zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl über die Neuordnung der preußischen Bistümer und durch die Bulle »De salute animarum« Papst Pius’ VII. aus der Erzdiözese Köln herausgelöst und dem Bistum Paderborn zugewiesen. Innerhalb der Paderborner Diözese bildeten Bochum und Hagen 1832 gemeinsam ein Dekanat mit elf Pfarreien. Auch bei den Evangelischen waren Veränderungen im Gang: Seit 1829 gab es Bestrebungen, die lutherische und die reformierte Gemeinde zu vereinigen. Die Trennung zwischen den evangelisch-reformierten und den evangelisch-lutherischen Christen galt vielen als unzeitgemäß; die Unterschiede der Lehrauffassungen verloren an Bedeutung. 1817 erließ deshalb der preußische König Friedrich Wilhelm III. einen Aufruf zur Vereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer unierten Kirche. In Bochum freilich fand der Beitritt der Gemeinden zur Union, nicht zuletzt auch wegen des hartnäckigen Widerstands des reformierten Pfarrers Gottfried Brinkmann, erst am 31. Juli 1843 statt. Die lutherische wie die reformierte Gemeinde legten ihre jeweilige Konfessionsbezeichnung ab, sie wurden stattdessen zur großen bzw. kleinen evangelischen Gemeinde. Allerdings bli...

Inhaltsverzeichnis

  1. Buchinfo
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Der Ausgangspunkt: Die Verortung einer Stadt
  5. Menschen und Siedlungen ohne Namen: Ur- und frühgeschichtliche Spuren
  6. Viele Höfe und ein Gotteshaus: Der Ort im frühen und hohen Mittelalter
  7. Das Werden der märkischen Minderstadt im späten Mittelalter
  8. Materielle Not und kirchlicher Umbruch: Bochum im 16. und 17. Jahrhundert
  9. Wie das Leben so spielte: Verfassung und Alltag eines frühneuzeitlichen Landstädtchens
  10. Kortums Bochum: Die preußische Ackerbürgerstadt im 18. Jahrhundert
  11. Franzosenzeit und Biedermeier: Die Landstadt in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts
  12. Vom Deutschen Bund zum Kaiserreich: Die Industriestadt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
  13. Wilhelminisches Reich, Weimarer Republik und Nazidiktatur: Die Großstadt im Ruhrgebiet
  14. Bergbau-, Industrie-, Universitäts- und Kulturstadt: Nachkriegs-Bochum im Wandel
  15. Stadtplan
  16. Zeittafel
  17. Auswahl stadtgeschichtlicher Literatur
  18. Internetadressen
  19. Bildnachweis
  20. Eigenanzeige