Juhu, wir werden alt und bauen ab!
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Juhu, wir werden alt und bauen ab!

Arbeiten und Leben in Zeiten des Klimawandels

  1. 320 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Juhu, wir werden alt und bauen ab!

Arbeiten und Leben in Zeiten des Klimawandels

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Über dieses Buch

Klimakrise, Eurokrise, Glaubenskrise … und dann auch noch der demographische Wandel! Welche Katastrophe. Oder? Eva Douma, Optimistin durch und durch, zeigt in ihrem kurzweiligen Buch vielmehr, welche Chancen in dieser Konstellation stecken. Lasst Deutschland wärmer werden und uns ärmer und älter. Das ist eine Perspektive, kein Horrorszenario. Douma hat ein "Anti-German-Angst-Buch" geschrieben. Das ist hier und da lustig, zeigt aber auch ganz ernsthaft, welche Chancen und Potenziale sich dem Einzelnen und der Gesellschaft bieten, wenn wir alle älter werden. Und wenn Wachstum vielleicht nicht mehr das alleralleroberste Ziel ist. Lebensqualität und Produktivität müssen in einer alternden Gesellschaft neu gedacht werden. Wie sichern wir Innovation und Weiterentwicklung auch ohne grotesken Ressourcenverbrauch? Welche Bedingungen brauchen wir, damit Menschen in jedem Alter in der Mitte der Gesellschaft stehen? Wie also lässt sich ein würdevolles Leben für möglichst viele Menschen dauerhaft sicherstellen? Lust auf außergewöhnliche Antworten? Antworten, die dabei durchaus für eine reale Zukunft taugen? Dann freuen Sie sich auf Eva Doumas "Juchu!"

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783945219072

1. Teil: Die Deutschen, eine alternde Gesellschaft, im Klimawandel – eine Bestandsaufnahme

In den folgenden Kapiteln wird der allgemeine Handlungsrahmen, in dem wir uns derzeit bewegen, dargestellt. Wie der Klimawandel und die Alterung der Gesellschaft sich in Zukunft voraussichtlich entwickeln und wie sie unser Leben künftig beeinflussen werden, wird skizziert. Unser derzeitiger auf Wachstum ausgerichteter Lebens- und Arbeitsstil wird einer kritischen Betrachtung unterzogen und es wird der Frage nachgegangen, warum bisher wenig geschehen ist, wiewohl die Probleme doch offensichtlich erscheinen.

1. Wir werden weniger und immer älter

Die demographischen Veränderungen, die wir in unserem Land in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten haben, zeigen sich schon jetzt hier und da. In den angesagten Bezirken von Berlin, Frankfurt am Main, Köln oder Hamburg mag einem unsere Gesellschaft noch recht jung oder zumindest altersgemischt erscheinen. Doch ein Spaziergang durch die Stadt Goslar im letzten Jahr führte es mir deutlich vor Augen: Unsere Gesellschaft altert. Die Cafés des schmucken Fachwerkortes waren gut besucht, die Gassen im Zentrum durchaus bevölkert, aber Menschen unter 30 Jahren waren an dem sonnigen Samstagnachmittag kaum unterwegs. Selbst mit Anfang 50 konnte man sich in dieser Stadt noch zu den Jüngeren zählen.
Es ist nicht nur ein subjektives Gefühl, dass sich in unserem Land ein demographischer Wandel vollzieht. Das Statistische Bundesamt prognostiziert auf seiner Webseite für das Jahr 2038, dass voraussichtlich von dann noch insgesamt 74,6 Millionen Bundesbürgern immerhin knapp 24 Millionen 65 Jahre und älter sein werden und jeder zweite das 50. Lebensjahr überschritten haben wird.
Die Alterung der Gesellschaft kommt weniger durch niedrige Geburtenraten als vielmehr durch die rasant steigende Lebenserwartung zustande. Diese nahm allein im 20. Jahrhundert in Deutschland um 30 Jahre zu, und sie steigt weiter: Ein Kind, das heute geboren wird, hat eine 50-prozentige Chance, 100 Jahre alt zu werden. Was individuell erstrebenswert ist – ein langes, gesundes Leben –, führt zu einer strukturellen Veränderung des Landes.i
Um die Bevölkerungszahl und vor allem das statistische Durchschnittsalter in Deutschland bis zum Jahr 2030 stabil zu halten, müssten jährlich 350.000 Menschen einwandern, schrieb Elisabeth Niejahr schon vor einigen Jahren in ihrem Buch „Alt sind nur die anderen“. Seit Mitte der 1990er Jahre sind diese Zahlen jedoch kaum erreicht worden. In den Jahren 2008 und 2009 war der Einwanderungssaldo Deutschlands sogar negativ: Mehr Menschen verließen das Land, als sich ansiedelten. Erst in den Jahren 2012 und 2013 kamen laut Statistischem Bundesamt wieder mehr als 350.000 Menschen nach Deutschland – bedingt durch die Wirtschaftskrisen in Südeuropa. Doch die unter hoher medialer Aufmerksamkeit zugewanderten jungen und qualifizierten Fachkräfte bleiben häufig nur kurz. So manche spanische Krankenschwester ist entsetzt über die Qualitätsstandards und Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern. Anstatt den Pflegenotstand und Fachkräftemangel in unserem Land langfristig zu mildern, kehrten einige dieser Einwanderer trotz hoher Arbeitslosigkeit in ihr Heimatland zurück oder zogen weiter.
Damit sich gut qualifizierte Ausländer dauerhaft bei uns ansiedeln und zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes beitragen, wäre eine langfristige Einwanderungs- und Integrationspolitik notwendig. Hierzu zählen die Überwindung von Sprachbarrieren, die Anerkennung von Abschlüssen, eine offene Arbeits-, Unternehmens- und Lebenskultur. Die deutsche Sprache ist jedoch kompliziert, der bürokratische Aufwand hoch, die Willkommenskultur nicht ausgeprägt.
Auch Aufenthalts- und Zuzugsbestimmungen für Arbeitnehmer und ihre Angehörigen werden in Deutschland restriktiv gehandhabt. Bisher existiert nur in wenigen deutschen Großstädten der Ansatz einer international geprägten kulturellen und sozialen Infrastruktur. Englischsprachige Studiengänge sind immer noch die Ausnahme. Fremdenfeindliche Kampagnen, wie die erst Anfang 2014 von der CSU gegen Bulgaren und Rumänen initiierte, schrecken nicht Armutsflüchtlinge, sondern insbesondere die so händeringend gesuchten Fachleute aus dem Ausland ab.
Die lange an der Einwanderung gehinderten Polen, für die in Deutschland erst seit 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, sind nicht, wie insbesondere von den Konservativen befürchtet, in Scharen nach Deutschland gekommen. Nach der EU-Osterweiterung sind sie nach Großbritannien abgewandert, das sich offener zeigte. Qualifizierte, junge und mobile Menschen zieht es nicht unbedingt nach „Good Old Germany“. Schweden, Österreich, Großbritannien und Belgien sind für sie attraktiver, so das Ergebnis einer McKinsey-Studie aus dem Jahr 2011. Und die in Deutschland aufgewachsenen, hier gut ausgebildeten Nachkommen der älteren Arbeitsmigranten verlassen zum Teil unser Land. Istanbul und Warschau bieten ihnen derzeit bessere Perspektiven als Berlin.
Und selbst wenn wir künftig eine attraktivere Einwanderungspolitik gestalten sollten, bleibt es schon aufgrund globaler demographischer Entwicklungen fraglich, ob die erwarteten Fachkräfte nach Deutschland kommen werden. Mehr oder minder gut qualifizierte Arbeitskräfte werden auch in anderen Staaten dringend benötigt.
Die Alterung der Gesellschaft ist kein deutsches Phänomen. Nicht nur Japans Bevölkerung altert rapide, auch der Aufstieg ehemals armer Staaten wie Malaysia und Thailand – und unter etwas anderen Vorzeichen auch China – geht mit einem Geburtenrückgang einher. In den urbanen Zentren der Zweiten und Dritten Welt wird die Fruchtbarkeit, wie schon in den Industrieländern, mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahrzehnten ebenfalls abnehmen.ii Weltweit hat sich von 1970 bis heute die Geburtenrate von 4,7 Geburten auf 2,5 pro Frau nahezu halbiert. Der Club of Rome erwartet, dass sich das weltweite Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2040 abschwächen und die Menschheit auf maximal 8,1 Milliarden anwachsen wird.
Und selbst wenn es Deutschland im globalen „Kampf um die besten Köpfe“, wie McKinsey die Suche nach qualifizierten, leistungsfähigen Menschen nennt, wider Erwarten gelingen sollte, sich erfolgreich durchzusetzen, gehen damit auch ökonomische Risiken einher. Diese bestehen weniger darin, dass die deutschen Sozialkassen belastet werden. Sie profitierten bisher von den Migranten. Die ökonomischen Risiken sind globaler und weitreichender.
Was im Einzelfall als Lösung erscheinen mag, kann gesamtwirtschaftlich durchaus zu einem Minusgeschäft werden. Wo die gut Qualifizierten weggelockt werden, fehlen sie für die dortige Entwicklung. Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis 2050 die Bevölkerung zum Beispiel in Bulgarien um 43 Prozent, in Rumänien um 20 und in Ungarn um 25 Prozent schrumpfen wird.iii Der Brain-Drain ist aber nicht nur ein Problem der Entwicklungsländer. Auch Absatzmärkte für den „Exportweltmeister“ Deutschland bauen sich auf diese Weise nicht auf.
Dementsprechend empfahl die OECD in ihrer Skills Strategy 2012, nicht nur auf die Zuwanderung gut qualifizierter Fachkräfte zu setzen, sondern auch in die Kompetenzentwicklung im Ausland zu investieren. Mittelbar werde es für gut Qualifizierte so attraktiver, in der Heimat zu bleiben, was wiederum der Landesentwicklung und auch deutschen Tochterfirmen in diesen Ländern zugutekommen könnte.
Stellen wir uns darauf ein, dass es mit der „Frischzellenkur“ aus dem Ausland langfristig wahrscheinlich nichts wird. Rechnen wir damit, dass viele alte Menschen künftig unser Land bevölkern werden und nicht genügend Fremde aus der Ferne kommen, um uns zu helfen, weiterhin so zu wirtschaften, wie wir es bisher gewohnt sind. Aber ist Deutschland beziehungsweise die deutsche Wirtschaft deshalb dem Untergang geweiht?

a. Szenarien einer alternden Gesellschaft

Die Altersdebatte in Deutschland ist auch von Extremen bestimmt. Filme wie „2030 – Aufstand der Alten“, der im Jahr 2007 im ZDF lief, suggerieren: Alte überschwemmen das Land, das Geld reicht nicht mehr für die Versorgung.iv In diesen oder ähnlichen Szenarien fristen die alten Menschen ein trostloses Leben und werden von den wenigen verbliebenen Jungen in den Tod gemobbt. Dass es zu derartigen Konflikten zwischen Alt und Jung kommen könnte, dafür gibt es, obwohl wir schon fleißig altern, derzeit allerdings keine Anzeichen. Den Älteren geht es so gut wie selten zuvor. Größere Generationenkonflikte sind momentan kaum erkennbar.
Andere Katastrophen-Szenarien sehen ab 2020, wenn die Generation der Babyboomer langsam ins Rentenalter kommt, die Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme gefährdet. Die Verfechter dieser Szenarien unterstellen, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die Alten alles dominieren, Investitionen in die Zukunft nicht interessieren und sämtliche gesellschaftlichen Ressourcen für die Rentenzahlung und Gesundheitsversorgung der Alten verbraucht werden, sodass kein Geld mehr für Bildung, Forschung und die weitere gesamtgesellschaftliche Entwicklung bleibt. Doch 70 Prozent der Gesundheitskosten, die ein Mensch im Durchschnitt in seinem Leben verursacht, fallen erst in den letzten zwei Lebensjahren an – unabhängig davon, ob die Lebenserwartung bei 60 oder 80 Jahren liegt. Die Alterung der Bevölkerung gefährdet zumindest das Gesundheitssystem nicht.
Anders sieht es natürlich bei der Rentenkasse aus. Hier macht es schon einen Unterschied, ob jemand 65 oder 85 Jahre alt wird und mehr oder minder lange Rentenzahlungen erhält. Wer im Jahr 1960 in den Ruhestand ging, konnte im statistischen Mittel damit rechnen, zehn Jahre lang Zahlungen der Rentenkasse zu bekommen, bevor Gevatter Tod sich seiner annahm. Heute dauert ein Rentnerdasein im Durchschnitt fast 20 Jahre.v
Steigt die Lebenserwartung der Rentenbezieher weiter an, bleibt das Renteneintrittsalter konstant und entwickelt sich die Bevölkerung wie derzeit prognostiziert, dann werden unter diesen Voraussetzungen im Jahr 2060 durchschnittlich 1,5 Beitragszahler für den Unterhalt eines Rentners aufkommen – oder anders ausgedrückt 100 Beitragszahler für etwa 67 Rentner. Heute sichern immerhin noch drei Arbeitnehmer den Lebensabend eines Ruheständlers, wie Björn Schwentker und James W. Vaupel, Bevölkerungswissenschaftler am Max-Planck-Institut für demographische Forschung, in ihrem Artikel „Eine neue Kultur des Wandels“ erläutern.
Der mögliche Kollaps des gesetzlichen Rentensystems wird jedoch zumeist unter der Prämisse diskutiert, dass das Renteneintrittsalter starr bei 65 Jahren bleibt und lediglich die Lebenserwartung steigt. Gestaltet man die Altersgrenze flexibel und passt sie der demographischen Entwicklung an, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Schon eine konsequente Umsetzung der Rente mit 67 könnte dazu führen, dass im Jahr 2060 die 100 Beitragszahler nur noch für 60 Rentner aufkommen müssen. Stiege die Rentenaltersgrenze proportional zur Lebenserwartung, so müssten die 100 Einzahler sogar nur 40 Rentner finanzieren.
Ein Blick auf die deutsche Alterspyramide auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes zeigt zudem, dass sich nach 2050 die Lage langsam wieder entspannen wird.vi Sind die Babyboomer erst einmal tot und werden die ihnen nachfolgenden Alterskohorten alt – die Generation Pillenknick –, wird sich das Zahlenverhältnis von Jüngeren zu Älteren voraussichtlich wieder zugunsten der Jüngeren verschieben. Am Ende des 21. Jahrhunderts könnten mehr Junge für einen Alten aufkommen als zu Beginn, prognostizieren Schwentker und Vaupel. Die Überalterung der deutschen Gesellschaft ist, falls überhaupt, vor allem ein Problem der Babyboomer-Generation. Auf längere Sicht könnte es sich um ein Übergangsphänomen handeln.

b. Das Alter vor dem Alter – Altern als langfristiger Prozess

Die meisten Altersszenarien unterstellen, dass die Phase des Alters vor allem durch Defizite geprägt ist. Die Perspektiven einer alternden Gesellschaft werden immer noch vor allem anhand von Pflegebedürftigkeit, Demenz und Unterstützungsbedarf thematisiert. „Es gibt aber ein Alter vor dem Alter“, wie es Frank Junghänel in seinem Artikel „Die Ungehorsamen“ so schön formulierte.
Im Alltag sind die heutigen Alten längst weiter, als es die zum Teil hysterisch geführte Debatte zur Alterung der Gesellschaft suggeriert. Sie fühlen sich nicht nur jünger als die Generation vor ihnen, sie verhalten sich auch so. 1985 probierte nur jeder fünfte 65- bis 74-Jährige gern Neues aus. Heute ist es jeder dritte. Die derzeit 80- bis 85-Jährigen fühlen sich im Durchschnitt knapp zehn Jahre jünger, als sie es tatsächlich sind, und ein Drittel von ihnen würde sich selbst auch nicht als alt bezeichnen. Im Vergleich zu den 1980er Jahren sind die Alten heute wesentlich mobiler, gesünder und reiselustiger, so die Ergebnisse der Generali Altersstudie 2013.
Die Angehörigen der Generation 50 plus sind zudem in ihrem Habitus vielfach jugendlicher als ihre eigenen Kinder. Familie, Eigenheim und sicherer Job waren die Werte der Eltern der Babyboomer. Heute sind es die Werte ihrer Kinder. Die Babyboomer selbst brettern derweil mit dem Mountainbike durch den Wald, gehen weiterhin auf Anti-AKW-Demonstrationen und wehren sich gegen Großbauprojekte. Hat das seit einiger Zeit in den deutschen Medien so verbreitete Thema der vergreisenden Gesellschaft unter Umständen nur deshalb Konjunktur, weil die Babyboomer, die derzeit gesellschaftlich tonangebende Generation, selbst nicht alt werden wollen? Tote Hosen und Stones. Forever young. So viel Jugend über 50 war nie. Alles eher eine Frage des Bewusstseins denn des gesellschaftlichen Seins?

c. Die Lebenszufriedenheit wächst mit den Jahren

„Das Altwerden ist aus der Mode geraten“, schreibt Judith von Sternburg im Frühjahr 2014 in der Frankfurter Rundschau. Trotzdem altern wir letztendlich alle, und zu altern heißt auch abzubauen. Für die meisten Menschen ist ab dem 50. Lebensjahr die „wartungsfreie“ Zeit vorbei. Die krankheits- und verschleißbedingten Einschränkungen nehmen zu. Der Meniskus zwickt, die Bandscheibe drückt. Jede durchgemachte Nacht hinterlässt deutliche Spuren. Der Regenerierungsaufwand steigt und die Lesebrille wird zum steten Alltagsbegleiter. Die Bewegungen werden langsamer und mühsamer, der Aktionsradius schrumpft.
Doch längst nicht jeder Alte wird automatisch zum Pflegefall. Eine Studie des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg aus dem Jahr 2013 ergab, dass selbst Hundertjährige sich vielfach selbst helfen. 88 Prozent von ihnen leiden zwar unter Seh- und Hörstörungen, doch immerhin 21 Prozent beziehen keine Leistungen der Pflegeversicherung. 59 Prozent der Hundertjährigen leben noch zu Hause, ein Drittel sogar allein. Unterstützung wird insbesondere im Alltag beim Putzen und der Haushaltsführung benötigt. Pflegedienste werden nur selten und erst dann in Anspruch genommen, wenn gar nichts mehr geht. Wer pflegerische Unterstützung braucht, erhält sie meist von seinen Kindern, die dann allerdings oft auch schon jenseits der 70 sind.vii
Selbst wenn die körperlichen und geistigen Einschränkungen mit dem Alter objektiv zunehmen, senkt dies nicht automatisch die allgemeine Lebenszufriedenheit und Aktivität der älteren Generation, so die Ergebnisse der Generali Altersstudie 2013. Zwar gibt es vielfältige Formen der Demenz, doch nicht jeder von dieser Krankheit Betroffene erscheint unglücklich. Auch Trauer und Rückzug erfolgen nicht zwangsläufig. Stärker als das biologische Alter beeinflussen Schulbildung, Einkommen und familiäre Beziehungen die Lebenszufriedenheit.
Ob ein Mensch zufrieden ist, hängt auch von individuellen Wertvorstellungen und dem eigenen Anspruchsniveau ab. Und im Alter verändern sich für zentral erachtete Werte, Ziele und Vorhaben sowie die Zeitperspektive für das eigene Leben. Persönlicher Erfolg und Leistung verlieren an Bedeutung. Das Schicksal anderer Menschen, die Erhaltung der Selbstständigkeit und Selbstverantwortung rücken in den Vordergrund. Intensiver wird die Verbundenheit mit nachfolgenden Generationen empfunden. Die Todesfurcht sinkt und die mystische Dimension des Lebens wächst. Ein beachtlicher Anteil der Alten empfindet das eigene Altern durchaus als positiv. Nichts mehr leisten zu müssen, aber durchaus zu können, weniger Verantwortung für andere tragen zu müssen, aber zu dürfen, bringt eine „späte Freiheit“, die durchaus genossen wird. So werden die späteren Lebensphasen eher von jungen als von alten Menschen als problembehaftet angesehen; Alte sind in der Regel zufriedener als Junge.

d. Politisches Engagement im Alter

Die Babyboomer sind seit ihrer Jugend kampf- und demonstrationserprobt. Als es gegen Wackersdorf und die Startbahn West ging, waren sie jung, sägten Strommasten ab und bauten Hüttendörfer. Heute sind sie etabliert und kämpfen, gut vernetzt als Bürgermeister, PR-Berater, Ingenieure, Rechtsanwälte und Oberstudienräte, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die für schädlich gehaltenen gesellschaftlichen Entwicklungen und Großprojekte. Kreative Demonstrationsformen mischen sich mit verwaltungsgerichtlichen Verfahren und Schadensersatzforderungen. Im Ergebnis machten immer höhere Sicherheitsauflagen schon so manches Großprojekt unwirtschaftlich und ließen es scheitern.
Auch die schon in die Rentenjahre gekommene Generation der Alt-68er verfügt vielfach über wirtschaftliche und soziale Ressourcen, weiß, wie politische Erfolge gestaltet werden können, und ist nicht bereit, sich mit einer verordneten Funktionslosigkeit abzufinden. So besetzten im Sommer 2012 einige Rentner im Alter zwischen 67 und 76 Jahren über mehrere Monate eine Begegnungsstätte in Berlin-Pankow, die wegen fehlender Finanzmittel des Bezirks geschlossen werden sollte. Sie erreichten, dass die soziale Einrichtung nun langfristig gesichert ist und nicht wie ursprünglich geplant verkauft wurde. Die Aktion der Pankower Rentner erfuhr hohe internationale Aufmerksamkeit, weil Hausbesetzungen immer noch eher mit 20- als mit 70-Jährigen assoziiert werden.viii Dies könnte sich in den nächsten Jahren jedoch ändern. Der demographische Wandel lässt erwarten, dass die „renitenten Alten“, die effizient Formen des Protestes nutzen, um sich für ihres Erachtens gesellschaftlich notwendige Veränderungen zu engagieren, in Zukunft mehr werden. Die im Herbst 2011 gestarteten Montagsdemonstrationen gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens finden auch 2014 weiterhin wöchentlich statt. Die dort vorherrschende Haarfarbe ist grau und nicht mehr (henna-)rot.
Deutlich erkennbar sind die Älteren an einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung der Gesellschaft über ihr eigenes Leben hinaus interessiert, fand das Allensbach-Institut in seiner Generali Altersstudie 2013 heraus. Im statistischen Mittel sind die derzeitigen Rentner gut abgesichert, und so ist nur für ein Fünftel der über 65-Jährigen materieller Wohlstand erstrebenswert...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einführung
  6. 1. Teil: Die Deutschen, eine alternde Gesellschaft, im Klimawandel – eine Bestandsaufnahme
  7. 2. Teil: Fröhlicher Aufbruch ins Weniger
  8. 3. Teil: Vom Wachstums- in den Schrumpfmodus schalten – wie wir uns fit machen für eine altersgerechte, klimaneutrale Zukunft
  9. Fazit: Keine Angst vorm Schrumpfen
  10. Danksagung
  11. Literatur
  12. Endnoten