Der gute Deutsche
eBook - ePub

Der gute Deutsche

Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914

  1. 152 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Der gute Deutsche

Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

In der ruhmlosen deutschen Kolonialgeschichte dürfte das Kapitel über Kamerun eines der finstersten sein. In einträglicher Zusammenarbeit verleibten sich wilhelminische Kolonialbeamte und ehrbare Kaufleute das Land und seine Schätze ein und unterjochten die Bevölkerung. Einem Sohn des Häuptlings der Duala wurde dennoch gestattet, nach Deutschland zu reisen und sich dort zu bilden. Als Prinz Manga Bell allerdings von seinen Kenntnissen des deutschen Rechtssystems Gebrauch machte und gegen die nicht nur grausame, sondern auch vertragsbrüchige Kolonialregierung klagte, wurde er des Hochverrats bezichtigt und in Windeseile aufgehängt. Christian Bommarius, Publizist und Jurist, hat den Fall aufgerollt: Seine Geschichte eines infamen Justizmordes ist zugleich eine Fallstudie über Rassismus, Gier und abgrundtiefe politische Dummheit.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Der gute Deutsche von Christian Bommarius im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Architektur & Architekturgeschichte. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

X.

SPÄTESTENS SEIT MÄRZ 1914 war die deutsche Kolonialregierung in Kamerun entschlossen, Manga Bell aus dem Weg zu räumen. Hermann Röhm hatte vorgeschlagen, ihn wegen Beteiligung »an der gesetzwidrigen Auswanderung Dins« und »mit Rücksicht auf dessen allgemein oppositionelle Haltung« zu verurteilen und zu verbannen. Auch das Gouvernement war überzeugt, dass seine Entfernung aus Duala »die Eingeborenen veranlassen wird, sich in ihr Schicksal zu fügen und freiwillig aus der Altstadt in die Neusiedlungen zu gehen«. Doch solle mit der Aburteilung angesichts der »im Reichstag herrschenden Stimmung« bis zur Bewilligung des Etats für 1914 gewartet werden.
Mit ihrer anfänglichen Niederlage in der Budgetkommission hatte die Kolonialregierung den Widerstand Manga Bells auf unerwartete Weise zu spüren bekommen. Das Votum der Kommission war der Beweis, dass das Gouvernement auch ohne Waffen verwundbar war, und so wurde es auch von den Duala begriffen. Mit ihren klandestinen, von Spitzeln der Kolonialregierung durchsetzten Versammlungen war es schlagartig vorbei, sie fanden jetzt öffentlich, unter den Augen des Bezirksamtmanns statt. Selbstbewusst hatte Manga Bell in einem offiziellen Brief an Röhm sich und andere Duala-Häuptlinge, was die Ausreise Ngoso Dins betraf, der Lüge bezichtigt und sie sogleich mit dem Verhalten der Kolonialregierung verteidigt: »Da alle Versuche, im gesetzlichen Weg das erstrebte Ziel zu erreichen, fruchtlos blieben, hat man nach dem deutschen Sprichwort ›Not kennt kein Gebot‹ zu verfahren sich entschlossen. Ich habe die Ehre zu sein, Euer Hochwohlgeboren gehorsamster Dualla [sic] Manga-Rudolf Bell«. Sein Affront entsprach der Stimmung unter den Duala. Seit längerem drohte der Zorn der Bevölkerung in Gewalt umzuschlagen, nur mit Mühe hatten die Duala-Oberen Übergriffe verhindert. Das Votum der Budgetkommission beruhigte einerseits die Lage, andererseits bestätigte es Manga Bells Strategie und gab der Widerstandsbewegung neuen Auftrieb. Hatte sich der Widerstand bisher im Wesentlichen auf ihr Siedlungsgebiet beschränkt, verbreiteten die Duala, die in der gesamten Kolonie als Handwerker, Händler, Firmen- oder Kanzleiangestellte lebten, jetzt auf Geheiß Manga Bells im ganzen Land die Nachricht vom Triumph in Berlin. Damit sollten nicht nur Verbündete gegen die Deutschen gewonnen, sondern auch dringend benötigte Spenden herangeschafft werden. Ngoso Dins Reise nach Deutschland und Paul August Tilgs Reise nach Kamerun waren teuer, und Manga Bell war auf das Geld der Häuptlinge des Binnenlands angewiesen.
Die Agitation war erfolgreich. Besorgt meldete Bezirksamtmann Röhm in einem Geheimbericht, »daß die Bewegung sich über die Stadt hinaus auf die benachbarten Landschaften, als welche vornehmlich Bassa, Wuri, Abo und Pongo in Betracht kämen, ausdehne, und dass besonders die Abos zu den Dualas neigen.« Innerhalb weniger Monate hatte sich die Stimmung in der Kolonie spürbar geändert. Es häuften sich Berichte aus den Missionsschulen über eine »gewisse Unruhe« und »Aufsässigkeit«, ein Pater klagte, seine Schüler hätten ihn gefragt: »Die Weißen sagen doch auch oft, sie würden black men töten; warum dürfen wir nicht sagen, wir töten white men?« Zwar war das Gouvernement davon überzeugt, dass angesichts der »Feigheit, Waffenunkenntnis und Waffenlosigkeit der Duala« kein Aufstand zu befürchten sei, doch die Autorität der Kolonialregierung bröckelte zusehends, nicht zuletzt wegen der Entscheidung der Budgetkommission zugunsten der Duala.
Aus dieser Bedrängnis erlöst die Deutschen jenes Telegramm aus Buea, das am 9. Mai 1914 um 8.15 Uhr in Berlin eingeht, unmittelbar vor Beginn der entscheidenden zweiten Sitzung der Budgetkommission. Nicht nur das Timing ist perfekt, auch die Botschaft stimmt Kolonialamtsleiter Solf euphorisch. Allerdings heißt es im Original zurückhaltend, Manga Bell habe Njoya aufgefordert, »sich mit den Duala solidarisch zu erklären und sich gegen die deutsche Regierung zu verbünden«, was zwar nach Widerstand, aber nicht nach Hochverrat und Aufruhr klingt, weshalb Solf der Kommission eine etwas andere Version vorträgt: Manga Bell habe Njoya »ersucht, mit den Dualas gemeinschaftliche Sache zu machen und ein Bündnis zum Sturze der deutschen Herrschaft abzuschließen«. Das klingt schon besser, ein klarer Fall von Hochverrat. Der Kolonialstaatssekretär und das Gouvernement in Kamerun haben freie Bahn.
Zwar protestieren Gerlach, Halpert und Hansen öffentlich gegen den Beschluss der Kommission und die drohende Verhaftung Manga Bells. Auch die Sozialdemokraten wenden sich im Plenum des Reichstags gegen die Verfolgung Manga Bells als Hochverräter. Aber sie haben nicht nur fast die gesamte Presse gegen sich, die das »scharfe« Vorgehen gegen die Duala und den »aufsässigen Nigger Bell« lebhaft begrüßt: »Und das ist auch nötig, soll die Autorität der Weißen dort nicht zum Teufel gehen. Fälle wie der des ›Prinzen‹ Akwa haben uns gerade genug geschadet.« (Leipziger Neueste Nachrichten). Solf gelingt es, selbst die letzten Zweifler unter den Zentrumsabgeordneten im Reichstag mit der Versicherung hinter sich zu bringen, die Enteignungen in Duala seien der Auftakt »zur Gründung eines großen, für den Weltverkehr geeigneten Hafens mit einer Europäerstadt«, des »größten Welthafens an der Westküste« Afrikas: »Und über diesem Hafen wird die deutsche Flagge wehen, die uns die Dualas nicht herunterholen sollen.« Grandiose Aussichten also. Ihrem Garanten Hermann Röhm verleiht Kaiser Wilhelm II. in Anerkennung seiner Verdienste und um die »schwierige Stellung des Bezirksamtmannes in Duala nach außen zu heben und zu befestigen«, die Krone zum Roten-Adler-Orden.
Röhm lässt Manga Bell verhaften und liefert Kolonialstaatssekretär Solf in Berlin den am 15. Mai bestellten Haftbefehl wegen »Hochverrats, Fluchtverdachts und Kollusionsgefahr« samt Auslieferungsantrag gegen Ngoso Din. Noch am selben Abend schließt sich hinter Ngoso Din eine Zellentür in der »Roten Burg«, dem Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Zwar protestiert Rechtsanwalt Halpert gegen die geplante Auslieferung, während der sozialdemokratische Abgeordnete Ludwig Frank im Reichstag die Behauptung, Din sei nach Berlin gekommen, um für die Abtretung Kameruns an England zu werben, im Namen des gesunden Menschenverstands zurückweist: »Es ist festgestellt, daß der Mann auf seiner Reise nach Berlin England nie berührt hat, es ist festgestellt, daß er über Antwerpen hierher nach Berlin gekommen ist; und nun behauptet der Herr Bezirksamtmann Röhm, daß durch diese Reise nach Berlin der Mann die Absicht betätigt habe, für die Abtrennung des Kolonialgebiets Kamerun und für die Angliederung an England zu wirken. Ich glaube, solche Behauptungen verfallen doch von vornherein dem Fluch der Lächerlichkeit, wenn man nicht etwas Schlimmeres annehmen will.« Aber weder Halperts Protest noch Franks Polemik können die Auslieferung Ngoso Dins verhindern. In seiner Erwiderung konfrontiert Solf die Sozialdemokraten gelassen mit einem unbestreitbaren Prinzip der Kolonialpolitik: »Meine Herren, wenn ich von dem Grundsatze aus die Neger behandeln wollte, den Sie aufstellen, daß alle Menschen gleich sind, dann würde ich die Kolonialverwaltung aufgeben.« Wenige Tage später, am 23. Mai 1914, wird Ngoso Din nach Hamburg überführt, und die Professor Woermann bringt ihn schließlich zurück nach Kamerun. Für die Passage des »Strafgefangenen Din (Arrestzelle)« berechnet die Agentur Gustav Pahl (Berlin) – ein Namensvetter des Aalener Finanzrats, der seinerzeit Manga Bell nach Deutschland begleitet hatte – 275 Mark.
Wer ist König Njoya, der mit seiner fristgerechten Aussage Manga Bell und Ngoso Din in die Gewalt der deutschen Kolonialregierung gebracht und damit für den Zusammenbruch des Widerstands der Duala gesorgt hat? Hellmut von Gerlach bezeichnet ihn als »deutsches Reptil«, als »eine Kreatur der deutschen Regierung«. Das ist überspitzt formuliert, trifft aber den Kern der Sache. Der König der Bamun im Nordwesten Kameruns ist einer der intelligentesten und gebildetsten Herrscher Afrikas. Er hat für die Sprache der Bamun eine eigene Schrift erfunden – ein Alphabet mit siebzig Buchstaben – und gilt als großer Förderer der Künstler seines Reichs, deren Werke bei europäischen Sammlern sehr begehrt sind. Von Anfang an hat er besonderen Wert auf gute Beziehungen zu den Deutschen gelegt. Nicht nur seinen Hof in der Residenzstadt Fumban hat er für die deutsche Kultur geöffnet, auch an den Schulen wird neben der eigenen Schrift die deutsche Sprache gelehrt. Politisch hat sich Njoya mit den Deutschen ebenfalls problemlos arrangiert, ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Er stellt seine Soldaten für Strafexpeditionen zur Verfügung, die Deutschen ernennen ihn zum Statthalter des Gouvernements. Als der Reiseschriftsteller und Landschaftsmaler Ernst Vollbehr – er wird in den dreißiger Jahren zu einem der populärsten deutschen Maler, seine Aufnahme in die NSDAP im Jahr 1933 genehmigt Adolf Hitler persönlich – König Njoya besucht, mokiert er sich über dessen »aus vielen Sprachen zusammengestoppelte Volapüksprache« und die »425 Weiber« Njoyas, dann aber staunt er über die Zeichen der deutschen Kultur, die er überall am Hofe findet. Die Schüler singen die deutsche Nationalhymne, wenn auch zum Missvergnügen Vollbehrs mit leicht verändertem Text: »Fumban, Fumban über alles«, in der Schule hängt eine Schwarzwälder Uhr an der Wand, ein Bild des Kaisers und eins der Kaiserin. In einem Klassenzimmer entdeckt der deutsche Besucher schließlich ein »leider längst entzweigetrocknetes Orchestrion, welches der deutsche Kaiser vor einigen Jahren Njoya neben anderen Geschenken übersandte als Gegengabe für den alten Perlthronsessel seiner Vorfahren, von dem sich Njoya damals sehr schwer trennte, hatten doch nicht weniger als 14 Vorfahren auf ihm gesessen.« 1908 war König Njoya mit Gefolge 350 Kilometer zum Sitz der deutschen Kolonialregierung nach Buea gereist und hatte dem damaligen Gouverneur Theodor Seitz den kostbaren Perlenthron als Geschenk für den deutschen Kaiser überreicht. Den Spitznamen der Deutschen »Unser Wilhelm in Kamerun« trägt König Njoya also ohne Zweifel zu Recht. Und unter allen Häuptlingen Kameruns soll Manga Bell ausgerechnet den loyalsten Gefolgsmann des deutschen Kaisers zum gemeinsamen Widerstand gegen die Kolonialregierung aufgerufen haben?
Das behaupten das deutsche Gouvernement in Buea und Bezirksamtmann Röhm in Duala, nicht aber König Njoya selbst. Er berichtet lediglich, am 26. April sei in Fumban ein Bote namens Ndame eingetroffen, ein gebürtiger Bamun und ehemaliger Sklave. Ndame habe gesagt, Manga Bell persönlich schicke ihn mit der Botschaft, die Zeit, über die 1884 der Vertrag mit den Deutschen geschlossen wurde, sei verstrichen. Er, Manga Bell, wolle »den Schwarzen heraushelfen aus der Grube, in die sie geraten sind« und bitte König Njoya um Hilfe. Bekämen sie in England Recht, sei er bereit, an Stelle der deutschen die englische Oberhoheit anzuerkennen: »Die Deutschen sind ungerecht, sie lieben die Häuptlinge der Schwarzen nicht, sondern plagen sie sehr und nehmen den Schwarzen sehr viel Geld ab […] Die Engländer dagegen machen es nicht so.« Für sein Vorgehen benötige er, Manga Bell, die Unterstützung angesehener Häuptlinge. Wenn Njoya einverstanden sei, möge er einen Boten nach Duala schicken. Zwei Tage später habe Ndame, sagt Njoya, seine Aussage in einem Punkt korrigiert. Njoya habe ihn gefangen nehmen lassen, und als er ihn am 28. April zur deutschen Versuchsstation Kuti abführen ließ, habe Ndame sich erinnert, nicht von Manga Bell, sondern von »dessen Bruder« nach Fumban geschickt worden zu sein.
Da Manga Bells Vater polygam war, hat Manga Bell viele Geschwister, aber nur mit einem Bruder – Henri Lobe – teilt er die Mutter. Da Manga Bell allerdings auch die anderen Söhne seines Vaters als Brüder betrachtet, läge es nahe, nach dem Namen zu fragen. Doch erweist sich auch das schnell als entbehrlich, denn als der Leiter der Versuchsstation Kuti Ndame am Abend des 28. April verhört, ist weder von Manga Bell noch von einem seiner Brüder die Rede, vielmehr behauptet Ndame jetzt, der Schneider Ekand’a Ngongi habe ihn beauftragt, der wiederum sei ein Verwandter Manga Bells. Er habe kurze Zeit bei ihm in Duala gewohnt und sei von ihm ins Vertrauen gezogen worden: »Den Duala Manga habe ich selbst nicht gesprochen. Als ich mit Njoya sprach, habe ich gesagt, dass Duala Manga ihm diese Botschaft schicke, ich glaubte mich dazu berechtigt, da Ekanda mir gesagt hatte, dass er, Ekanda, im Namen von Rudolf Bell mir diese Botschaft mitgebe.« Teil der Nachricht sei auch gewesen, dass Ngoso Din von Manga Bell nach Deutschland geschickt worden sei, um »Rechtsgelehrte« für die Sache der Duala zu gewinnen, doch solle er auf seiner Reise »auch in England, Frankreich, Spanien und Portugal für die Dualasache werben«. Im Übrigen habe Ekand’a sich geweigert, ihm einen Brief an Njoya mitzugeben: »Er sagte, ich, Ndame, sei mehr als ein Brief.« Auch Reisegeld habe er nicht bekommen: »Ekanda versprach mir aber, nach meiner Rückkehr ›alles Gute zu schenken‹.«
Njoyas Aussage, Manga Bell habe ihn als Verbündeten gegen die deutsche Kolonialmacht gewinnen wollen, existiert folglich nicht, es gibt nur seine Aussage über Ndames Erzählung. Doch auch dessen Darstellung, wonach Manga Bell (erste Version), einer seiner Brüder (zweite Version) oder ein Verwandter Manga Bells (dritte Version) ihn zu Njoya gesandt habe, könnte Manga Bell kaum belasten. Sie ist nicht viel mehr als wirres Gerede, Rechtsanwalt Halpert bezeichnet es als »Küstenklatsch«. Und Bezirksamtmann Röhm kennt noch nicht die vierte Version, als er und ein anderer Kolonialbeamter, Assessor Dr. Böttcher »als Richter«, am 10. Mai mit der Vernehmung »des Dualamanns Ekande Epanya, auch Ekande Ngongi genannt« beginnen. Der gibt zu Protokoll, »zu den Leuten« zu gehören, »welche Duala Manga folgen, wenn es zum Bezirksamt geht«. Bis vor kurzem habe er »hinter dem alten Hause des Duala Manga« gelebt, im Übrigen sei er mit Manga Bell weder verwandt noch verschwägert. Auch habe ein Bamun-Mann namens Ndame bei ihm weder gearbeitet noch gewohnt: »Einen Bamun-Mann namens Ndame kenne ich überhaupt nicht.« Er kenne gar keinen Bamun-Mann: »Dem Beschuldigten wurde darauf eröffnet, dass er auf Grund der ihn schwer belastenden Aussagen des Häuptlings Njoya und des Ndame in Untersuchungshaft käme.«
Die Verfahren gegen Manga Bell und Ngoso Din folgen keinen rechtlichen Prinzipien, sondern ausschließlich politischen Absichten der Kolonialregierung. Offenkundig geht es in dieser Inszenierung nicht darum, die beiden tatsächlich des Hochverrats zu überführen; Ziel ist es, sie auszuschalten. Aber selbst eine Schmierentragödie, wie sie Gouverneur Ebermaier und Bezirksamtmann Röhm in Duala geben, verlangt ein Minimum an Plausibilität. Wenn sich die unfreiwilligen Darsteller der Halunken-Rollen weigern, ihren Text zu sprechen, und sich mit keiner Silbe als Hochverräter zu erkennen geben, dann sollte tunlichst ein Stück Papier gefunden werden, aus dem die Schuld der Verbrecher vermeintlich schwarz auf weiß hervorgeht. Doch das ist nicht so einfach. Schon in ihrer an den Gouverneur gerichteten Beschwerde vom 20. Februar hatten Manga Bell und die anderen Duala-Oberen zwar angedroht, »in Erwägung zu ziehen, ob nicht nach dem Geschehenen von dem Vertrage zurückzutreten und der Vertrag mit einer anderen Macht abzuschließen wäre«. Aber diese Drohung steht in Einklang mit dem Recht: Rücktritt vom Vertrag wegen Vertragsbruchs. Hochverrat lässt sich darin beim besten Willen nicht erkennen.
In den beschlagnahmten Unterlagen Manga Bells haben die Kolonialbeamten immerhin die Abschrift des Briefes an Gerlach gefunden mit dem bereits zitierten Satzfragment: »Wenn nicht die öffentliche Meinung in Deutschland eingreift, desgleichen der Reichstag, so sind wir verloren und um zu retten, was zu retten ist, wird man wohl in der Ferne suchen müssen und sich bei den Engländern bzw. Franzosen, die dem Gedanken der Enteignung nie in ihren Kolonien näher treten können.« Dieser unverständliche Satz erscheint dem Gouvernement als ein so wichtiges Beweismittel, dass in Berlin darum gebeten wird, Gerlachs Wohnung durchsuchen zu lassen und ihn »zur völlig einwandfreien Klarstellung der unvollendeten Sätze« zu vernehmen.
Von einem geplanten Bündnis mit England ist in dem Brief jedenfalls keine Rede. Doch auf nichts anderes wollen Böttcher und Röhm hinaus, als sie Manga Bell am 10. Mai zum Verhör vorführen lassen: »Es erscheint vorgeführt der frühere Oberhäuptling Duala Manga Rudolf Bell. Duala Manga wird zum Vorwurf gemacht, dass er beschuldigt ist, ein Schriftstück an die englische Regierung entworfen zu haben, in dem England die Oberhoheit über die deutsche Kolonie Kamerun angeboten wird.« Weder Ndame noch König Njoya hatten die Existenz dieses Schriftstücks behauptet. Auch Manga Bell beteuert, nichts davon zu wissen. Er habe auch niemanden zu König Njoya geschickt oder schicken lassen, schon gar nicht Ndame, den er nicht kenne. Ekande Epanya sei ihm zwar bekannt, aber »ich verkehre wenig mit ihm« – er sei ein »Bellmann«, jedoch nicht sein Verwandter. An dieser Stelle des bis dahin für sie unergiebigen Verhörs täuschen Böttcher und Röhm den Beschuldigten mit einer Lüge, auf die sich – bis heute – der Hochverratsvorwurf gegen Manga Bell stützt: »Es wurde Duala Manga nochmals vorgehalten, dass der Bamun-Häuptling Njoya selbst ihn dieser strafbaren Handlung beschuldigt habe.« Manga Bell erwidert: »Ich kann mir nicht erklären, wie der Bamun-Häuptling zu seiner Anzeige gekommen sein kann, wir sind nicht verfeindet.« Daraufhin wird, wie das Protokoll vermerkt, Manga Bell »nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass es ganz unwahrscheinlich und ausgeschlossen sei, dass der Bamun-Häuptling Njoya diese ausführliche Anzeige gemacht und erfunden und der Ndame die Botschaft überbracht haben soll, ohne dass dies tatsächlich in seinem (Duala Manga’s) Auftrage oder auf seine Veranlassung geschehen sei.«
Wäre die Behauptung der Kolonialregierung richtig, dann hätte der intelligente, diplomatisch versierte Manga Bell ausgerechnet in dem Augenblick, in dem die Sache der Duala im Reichstag so günstig stand wie nie zuvor, keinen anderen als den engsten Verbündeten der Deutschen in Kamerun zum Abfall aufgefordert. Mit der lebensgefährlichen Mission in das 350 Kilometer entfernte Bamun hätte er – ohne ihn mit Reisegeld auszustatten – ausgerechnet einen Boten beauftragt, der nicht nur kein Vertrauter, sondern ein ihm unbekannter Bamun-Mann ist, der sich nicht erinnern kann, ob ihn Manga Bell persönlich geschickt hat, einer von dessen Brüdern oder ein anderer Verwandter. Das ist, wie selbst die deutschen Kolonialbeamten wissen sollten, »ganz unwahrscheinlich und ausgeschlossen«. Bis heute ist ungeklärt, wie die Aussagen Ndames und König Njoyas zustande kamen, aber klar ist, dass sie zum einen offenkundig unglaubwürdig sind und zum anderen von der Kolonialregierung dringend benötigt wurden. Darüber hinaus beschreibt Manga Bell in der Vernehmung präzise, was er von den »Engländern bzw. Franzosen« erwartet haben könnte. Die Mächte hätten vor einigen Jahren im belgischen Kongo – der damaligen Privatkolonie Leopolds II. – »Ordnung« geschaffen, »um die belgische Regierung zu verhindern, die Schwarzen zu quälen«, und so hätten sie auch der deutschen Regierung »untersagen« sollen, »mit der Enteignung fortzufahren«. Manga Bell hatte also offenbar eine internationale Untersuchungskommission oder eine Konferenz der europäischen Mächte im Sinn, um die Reichsregierung zum Einlenken zu bewegen. Das war vielleicht naiv, aber es klingt plausibel und keinesfalls nach Hochverrat. Ende des Protokolls: »Es wurde dem Duala Manga eröffnet, dass er auf Grund der Aussagen des Häuptlings Njoya und des Boten Ndame im dringenden Verdacht steht, sich des Verbrechens des Hochverrats schuldig gemacht zu haben.«
Noch größer ist die Herausforderung für die Kolonialregierung, Ngoso Din als Hochverräter darzustellen. Er ist nie in England gewesen, und in den Spitzelberichten der Berliner Polizei ist kein Kontakt mit Engländern oder anderen Ausländern vermerkt. Zwar wurde seine Verhaftung und seine Ausweisung nach Kamerun mit dem Verdacht des Hochverrats begründet, aber noch am 21. Juli räumt Otto Wieneke ein, der Stellvertreter des nach Deutschland in den Urlaub abgereisten Hermann Röhm, dass gegen Ngoso Din in Sachen Hochverrat »nur (ziemlich vage) Indizien« vorlägen. Immerhin seien gegen ihn »so zahlreiche Momente der Beteiligung an ›Geheimbündelei‹ (§ 129 StGB) gegeben, dass mit einer Verurteilung auf Grund des § 129 StGB gerechnet werden kann«. Das ist keine gute Nachricht für die Kolonialregierung, denn Geheimbündelei ist nach dem Reichstrafgesetzbuch keine besonders schwere Straftat: »Die Theilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu einem Jahre […] zu bestrafen.« Selbst wenn – wie üblich – der Afrikaner die doppelte oder dreifache Maximalstrafe bekäme, wäre das zu wenig, um Ngoso Din auf Dauer kaltzustellen. Also werden Manga Bell und Ngoso Din gemeinsam wegen Hochverrats angeklagt – beide auf Grund der Aussagen des vermeintlichen Boten Ndame und König Njoyas.
Unmittelbar nach Manga Bells Verhaftung setzt die Kolonialregierung eine Welle von Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Festnahmen in Gang. Häuptling Mfomu von Bodiman, der Prediger Mbodi und etliche andere Duala werden ins Gefängnis geworfen, gegen den noch immer inhaftierten Mpondo Akwa, bei dem angeblich belastendes Material gefunden wird – unter anderem ein Pamphlet gegen den verstorbenen Kolonialoffizier Hans Dominik –, wird von Gouverneur Ebermaier ein weiteres Verfahren geplant mit dem Ziel, ihn »in die Südsee« zu verbannen: »Die gleichen Gründe würden auch bei Duala Manga dafür sprechen, ihn zur Strafverbüßung außerhalb des Schutzgebietes unterzubringen«. Zwar würden, klagt der mit der Führung der Ermittlungen beauftragte Assessor Eberhard Niedermeyer, viele Schriftstücke in »Eingeborenen-Häusern« sichergestellt, aber zweifellos hätten die Duala die wichtigsten Unterlagen beim Redakteur Paul August Tilg in Sicherheit gebracht – woraufhin am 10. Mai Beschlagnahme auch bei Tilg angeordnet wird. Natürlich könnten die Duala, jedenfalls aber der Europäer Tilg versuchen, sich mit Hilfe der drei Anwälte zur Wehr zu setzen, die 1914 in Duala vom Gouverneur zugelassen sind: Dr. Etscheit, Kern und Fricker. Doch stehen Etscheit und Kern in Diensten der Pflanzerverbände, die die Enteignungspläne des Gouvernements unterstützen, und Frick...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Prolog
  4. Kapitel I
  5. Kapitel II
  6. Kapitel III
  7. Kapitel IV
  8. Kapitel V
  9. Kapitel VI
  10. Kapitel VII
  11. Kapitel VIII
  12. Kapitel IX
  13. Kapitel X
  14. Epilog
  15. Literatur (Auswahl)
  16. Danksagung
  17. Impressum