Leben und Tod in der Europäischen Union
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Leben und Tod in der Europäischen Union

  1. 128 Seiten
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Leben und Tod in der Europäischen Union

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Über dieses Buch

Was verbindet die Bürgerinnen und Bürger Europas mit der Europäischen Union? Was kennzeichnet ihr alltägliches Leben als Leben in Zeiten der Krise? Wie wird die Union zur Trägerin von Hoffnungen, Ängsten und Identifikationen? Dies sind einige der Kernfragen, die das vorliegende Buch in den Fokus der Reflexionen stellt. Die europäische Integration stellt einen der am öftesten bearbeiteten Aspekte der zeithistorischen Forschung dar. Peter Pichler greift im vorliegenden Essay den philosophischen Existenzialismus auf und verbindet ihn mit einer Diskurs- und Kulturgeschichte der Europäischen Union. Ergebnis der Reflexionen ist eine Einpassung der menschlichen Grunderlebnisse - Leben und Tod - in den Diskurs der europäischen Integration.

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1. Zur Einführung: Ein Aufriss der untersuchten Problematik

Als Prozess des Zusammenwachsens unseres Kontinents hat die europäische Integration vieles hervorgebracht. Ein ganzes Netzwerk von Institutionen und Organen formt die Europäische Union, wie wir sie heute kennen.1 Es entstand ein Netzwerk, das sich zunehmend über den gesamten Kontinent spannt.2 Dieses „Rhizom“ ist in hohem Maße dynamisch und erfordert eine eigene, spezifische historiographische Perspektive.3 Es ist in der Betrachtung der Geschichte der europäischen Integration vonnöten, eine Perspektive einzunehmen, welche den Prozess der europäischen Vereinigung als einen „multiplexen“ Vereinigungs- und Kooperationsprozess erzählt.4 Damit ist es für die Historiographie dieses Prozesses notwendig, eine ontologische Wende des Erzählens einzuleiten. Eine lineare Geschichte, welche in einer „schnurgeraden“ Linie die europäische Integration von ihren Anfängen bis in die Gegenwart erzählt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht; angebrachter ist es, die Geschichte der europäischen Integration im Diskurs der Historiographie als ein postmodernes Tableau von verschiedenen Erzählsträngen zu konzipieren.5 Dieses Tableau der Erzählstränge kann durch ein episodisches historiographisches Erzählen entstehen. Was bedeutet dies? Es heißt, dass sich die Historiographen der europäischen Einigung als „Konzertmeister“ im polyphonen Nebeneinander der verschiedenen Teilerzählungen über die europäische Integration begreifen müssen, welche diesen Prozess in ihrer Arbeit episodisch rekonstruieren.6 Die Historiographen der europäischen Vereinigung nehmen damit eine Aufgabe auf sich, die darin gipfelt, die verschiedenen Episoden der europäischen Einigung narrativ aneinander heranzuführen. Ich habe in einem früheren Buch versucht, eine solche Perspektive grundzulegen – die Kernkompetenz, welche eine solche neue Sicht auf die Einigung Europas einfordert, lässt sich als transnarrative Kompetenz bezeichnen.7
Die Vermutungen und Reflexionsgänge, die ich im vorliegenden Essay anstelle, bauen auf diesem Konzept des episodischen historiographischen Erzählens auf. Es ist für ein Weitergehen im Diskurs und in der Reflexion notwendig, sich gleichsam auf diesen Hügel an Gedanken zu stellen, um den Blick etwas in die Ferne schweifen zu lassen. Stellt man sich in der Reflexion der europäischen Unifikation an diesen Punkt, wird der Blick wieder weit und existenzielle Themen werden zum Mittelpunkt des Nachdenkens.
Das episodische historiographische Erzählen stellte den Versuch dar, die Anforderungen, welche der integrationshistorische Diskurs an die Historiker stellt, auf innovative Weise zu bewältigen – im Zentrum stand dabei die Annahme, dass die Identität der Historiker selbst, ihr professioneller Zugang zum Gegenstand stabil und unverändert bleibt.8 Die erarbeitete Perspektive baute in ihren grundsätzlichen Annahmen darauf auf, dass sich die professionelle Identität der Historiographen als Schreiber der Geschichte nicht nur nicht ändert, sondern es wurde quasi die gesamte individuelle Person und Existenz der Historiographen als Erzähler der Geschichte „links liegen gelassen“. Das Sein, die Existenz der Historiographen als individuelle Persönlichkeiten, welche gleichsam ihren „intellektuellen Körper“, ihren Geist und ihr Engagement in die diskursive Bewältigung der europäischen Integration einbringen, blieb unbeachtet. Dieses Sein der Historiker stellt den Ausgangspunkt dar, von welchem aus ich in unbekanntes Terrain vordringen möchte. Es handelt sich um eine „Probebohrung“ in massivem diskursiven Gestein, wobei so gar nicht klar ist, welchen Gesteinskern die „Probebohrung“ zu Tage fördern wird.
Im vorliegenden Essay geht es um das Leben und den Tod. Es geht also um die menschliche Existenz schlechthin. Es dreht sich um die beiden Größen, welche die conditio humana einrahmen und als solche erkennbar machen. Das Leben beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Hier folgt nun der essenzielle Denkschritt, der im Fokus der vorliegenden kurzen Arbeit steht – das Leben und der Tod werden als diskursive Formationen und Ereignisse in die Prozessstruktur der europäischen Integration eingepasst. Was bedeutet diese scheinbar so abstrakte Zielsetzung? Es heißt, dass Leben und Tod nicht im Niemandsland stattfinden, sondern als diskursive Ereignisse immer auf einen bestimmten Kontext, auf bestimmte, vom lebenden Menschen nicht kontrollierbare Strukturen zurückzuführen sind. Ein Beispiel: die Soldaten der beiden Weltkriege wurden im neunzehnten oder zwanzigsten Jahrhundert geboren und viele von ihnen starben in den Jahren 1914 bis 1918 sowie 1939 bis 1945. Ihre Geburt und ihr Sterben fanden nicht im diskursiven Niemandsland statt, sondern wurden durch die Strukturen, in welche sie das Leben „warf“9, angeleitet und geformt. Ihre Geburt und ihr Leben wurden durch die Staatsformen, in welche sie hineingeboren wurden, geformt; so entwickelte sich ihr Leben etwa so, dass sie zu Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee wurden. Die Strukturen formten in diesem Sinne ihren Lebensdiskurs und ihr Leben selbst. Sie lebten als Soldaten. Ähnlich verhielt es sich mit ihrem Tod: ihr Tod entfaltete nur Sinn als diskursives Ereignis, wenn man ihn auf den Staatsapparat, für welchen sie in den Krieg gezogen waren, rückbezog. So starben die Männer im Ersten Weltkrieg etwa als österreichisch-ungarische Soldaten. Was hier auf den ersten Blick als Randnotiz der Geschichte erscheint, nur die Rolle bezeichnet, welche diese Männer spielten, ist bei näherer Betrachtung ein existenzielles Grundphänomen der Geschichte. Die Männer starben nicht nur als Soldaten, sondern ihr Leben und ihr Tod leiteten sich stringent aus den Strukturen der Staatsapparate und Kollektive ab, in welchen sie lebten und starben. Ihre Identität, ihr Sein war unmittelbar mit dem Staat und dem Kollektiv verknüpft. Dieses Sein aufgrund des Staates und der Institutionen ist es, was wir betrachten wollen. Das Sein, das Leben und der Tod der Menschen sind nicht zufällig oder undeterminiert, sondern lassen sich stringent aus den jeweiligen kollektiven, institutionellen und staatlichen Kontexten herleiten. Es ergibt sich somit – bleiben wir beim Beispiel der Soldaten der beiden Weltkriege – eine Sicht der Dinge, in welcher die Menschen in ihrem Leben und in ihrem Tod zu Bedeutungsträgern für das Kollektiv werden. Ihr Tod – man mag hier an die Trauer der zurückbleibenden Angehörigen denken – ist nicht nur im Sinne einer traurig machenden Sinnstiftung von individueller Bedeutung, sondern stellt immer auch einen kollektiven Akt und Aspekt dar; erst durch das Sterben der Soldaten als Soldaten wird etwa das österreichisch-ungarische Staatsbekenntnis nochmals abgelegt. Aus der Perspektive der Transgression, der Sicht derjenigen, die den Krieg als fundamentales Ereignis überleben, wird der Tod der Gefallenen zur unmittelbaren Erfahrung, die dazu beiträgt, die kollektive Identität zu stiften und den Staat zu stützen. Leben und Tod tragen dazu bei, als Ereignisse die jeweilige staatliche oder staatsähnliche Konstruktion zu stützen und weiterzutragen.
Es geht sogar noch weiter: die kollektiven Institutionen und Zusammenschlüsse der Gesellschaften instrumentalisieren das Leben und Sterben der Gefallenen als Mittel, um sich selbst zu konstituieren und den Weg in die Zukunft zu denken. Man braucht hier nur an die nationalen Denkmalkulturen denken, welche sich um Kriegerdenkmäler und Soldatenfriedhöfe mit Bezug auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg entwickelt haben. So ist etwa in Österreich die Konstruktion von Kriegerdenkmälern der konsensuell bekräftigte Impuls um im Sinne eines „Nie wieder!“ die Zweite Republik als Antithese zum Austrofaschismus und Nationalsozialismus zu begründen. Das Leben und das Sterben der Männer als Soldaten trugen in der Sinnstiftung dazu bei, die Zweite Republik überhaupt erst bilden zu können. Die Zweite Republik Österreichs ruht in diesem Sinne (und nur in diesem Sinne!) auf den Schultern der Gefallenen.
Was folgert sich hieraus? Es folgt, dass man in der Entwicklung von Staaten oder staatsähnlichen Gebilden diskursive Techniken und Instrumente anwenden muss, welche dazu dienen, das Leben und den Tod der Gefallenen oder Verstorbenen für das Gemeinwohl der zu begründenden Gemeinschaft sinnstiftend erfassen zu können. Aufgabe derjenigen, die an der Konstruktion einer neuen Gemeinschaft beteiligt sind, ist es, das Leben und den Tod der Verblichenen so zu erzählen, dass beide für das Neue Sinn machen. Es ist in diesem Sinne das Sprechen über Leben und Tod der Gefallenen und Ermordeten, das dazu beiträgt, neue Staaten und staatsähnliche Gebilde zu begründen. Aufgabe der Begründer von neuen Kollektiven ist es, ein Sprechen über das Leben und Sterben der Verblichenen zu erfinden, das dies ermöglicht. Diese (Er)Findung eines Konsenses über Leben und Tod der Gefallenen ist für die Nationalstaaten nach 1945 gut belegt.10 So ist etwa für Österreich die Gedenkkultur ein Anlass dazu, Österreich als neutrales Land nach 1945 zu begründen.11 Hieraus folgt eine weitreichende Konsequenz: Der Staat hat nicht nur die Deutungshoheit über das Leben und den Tod der Opfer der vergangenen Gräuel inne, sondern wird gleichsam zum Techniker des Lebens und des Todes, welcher das Bild des Lebens und des Sterbens der Verblichenen formt. Der Staat und staatsähnliche Gebilde erzählen uns, wie wir leben und sterben sollten. Im Ringen um Legitimation und Anerkennung sind die Staaten und staatsähnlichen Gebilde darauf angewiesen, Leben und Tod der Gefallenen und Ermordeten mit Sinn ausstatten zu können. Staaten und staatsähnliche Gebilde beziehen ihre Lebensenergie zu gutem Teil aus dem Sterben der Altvorderen. Dies ist für den Nationalstaat keine neue Erkenntnis – Legitimität und Demokratiepotenzial der Nationalstaaten nach 1945 erwachsen aus der Vergangenheit und Geschichte vor 1945.12
Ich möchte – diese Gedanken im Hinterkopf behaltend – diese Zusammenhänge für den Prozess der europäischen Integration untersuchen. Auch die europäische Integration hat inzwischen eine lange Entwicklungszeit hinter sich und brachte verschiedenste Organe und diskursive Instanzen hervor. Wir wissen gut über diesen Prozess Bescheid.13 Über die „hard facts“ der europäischen Unifikation sind wir gut informiert.14 Es fehlt jedoch an Studien und Arbeiten oder auch programmatischen Es...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1. Zur Einführung: Ein Aufriss der untersuchten Problematik
  6. 2. Das Leben in der Europäischen Union
  7. 3. Der Tod in der Europäischen Union
  8. 4. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union aus Sicht des Existenzialismus
  9. 5. Das Legitimationsdefizit der Europäischen Union aus Sicht des Existenzialismus
  10. 6. Fazit: Identitätssuche in EU-Europa auf allen Wegen
  11. 7. Literaturverzeichnis