Bergbauern im Nationalsozialismus
eBook - ePub

Bergbauern im Nationalsozialismus

Die Berglandwirtschaft zwischen Agrarideologie und Kriegswirtschaft

  1. 340 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Bergbauern im Nationalsozialismus

Die Berglandwirtschaft zwischen Agrarideologie und Kriegswirtschaft

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Mit dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 wurde ein "österreichisches Problem" (zeitgenössisches Zitat), nämlich jenes der Berglandwirtschaft, zu einem deutschen. Was mit den Bergbauern geschehen sollte, war nicht von Beginn an klar. Einige Stimmen forderten aufgrund der schwachen Wirtschaftsleistung ihre Absiedlung. Es sollte anders kommen: Das Bergland erfuhr eine wirtschaftliche Förderung und eine politische Anerkennung bisher unbekannten Ausmaßes. Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe dafür werden in diesem Band erörtert. Breiten Platz nimmt dabei die Behandlung der weltanschaulichen Vereinnahmung der Bergbauern im Rahmen der "Blut-und-Boden"-Ideologie ein. Als Ergebnis wird unter anderem gezeigt, dass diese wirkmächtiger als bislang dargestellt war und zahlreiche bergbäuerliche Betriebe und Gemeinden zumindest materiell von der NS-Zeit profitierten.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Bergbauern im Nationalsozialismus von Gerhard Siegl im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Geschichte & Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

1. Einleitung

„Deutschland mit oder ohne Bergbauern?“, diese Frage stellte Anton Reinthaller im Jahr 1944, zu dieser Zeit Unterstaatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Landesbauernführer in Niederdonau und Leiter der Berglandabteilung. Seine Frage war die Überschrift für einen Aufsatz in der Zeitschrift „Deutsche Agrarpolitik“, die vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herbert Backe, herausgegeben wurde. Backe bat Reinthaller durch einen Beamten des Reichsamts für das Landvolk, einen Beitrag über „die biologische Bedeutung des Bergbauerntums“ zu verfassen.1 Das kommende Heft der Zeitschrift sollte „revolutionäre Forderungen erheben“ und die Bergbauernfrage als „Menschenproblem ersten Ranges“ ansprechen. Für das Schreiben des Manuskripts in der Länge von vier bis sechs Seiten wurden Reinthaller zwei Monate Zeit gewährt. Sein offensichtlich rechtzeitig eingelangter Text von sechseinhalb Seiten Länge mit dem oben genannten Titel wurde für den Druck jedoch deutlich verkürzt und sprachlich stark verändert. In der Maiausgabe 1944 erschien Reinthallers Beitrag dann auch unter einer anderen Überschrift: „Bauern auf kargen Böden“.2 Ob die vorgenommenen Modifikationen mit Reinthaller besprochen wurden, ist nicht überliefert. Die konkreten Änderungen interessieren hier wenig – das Manuskript wurde von Zahlenmaterial und Details befreit, es wurde pathetischer formuliert und mit mehr Imperativen versetzt. Da wie dort jedoch führte Reinthallers Grundsatzfrage zu einer positiven Antwort im Sinne der Bergbauern: Der Nationalsozialismus brauche die Bergbauern erstens aus ökonomischer Sicht, weil sie einerseits großes und durch steigende Marktleistung bereits bewiesenes Steigerungspotential in der Milch- und Viehwirtschaft besäßen und andererseits, weil die Produkte der Berglandwirtschaft angeblich eine „qualitativ höhere Wertigkeit“ hervorgebracht hätten als jene der Landwirtschaft im Flachland. Zweitens wäre die Berglandwirtschaft auch durch ihre „biologische Leistung“, also aufgrund des den Bergbauernfamilien nachgesagten angeblichen Kinderreichtums, wertvoll für das Deutsche Reich. Damit seien die Unterstützungsleistungen des Reichs an die Bergbauern gerechtfertigt, denn sie wären, wie der unbekannte Überarbeiter von Reinthallers Beitrag formulierte, die „besten Blutspender der Nation“ und ein „nicht unbeachtliche[r] Wirtschaftsfaktor“ – und somit „ein nationales Heiligtum“!3
Wenige Jahre zuvor – kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich – wurde der „Bergbauer“ noch als „nicht zu übersehendes“ „österreichisches Problem“ bezeichnet.4 Wie der Autor ausführte, wären die Almflächen „zum größten Teil in schlechter Verfassung“, manche bergbäuerliche Arbeiten „oft mit Lebensgefahr verbunden“, sei die Verschuldung der Betriebe stark und das Getreide stehe oft im Schnee oder müsse grün geerntet werden. Die Problemlage der Berglandwirtschaft wurde auf die allgemeine Krise der Landwirtschaft seit Mitte der 1920er Jahre, aber auch auf die österreichische „Systemzeit“ zurückgeführt, denn die österreichische Verwaltung der 1930er Jahre habe es laut reichsdeutscher Diktion verabsäumt, die Bergbauernwirtschaft besser zu unterstützen.5 Erst mit dem „Anschluss“ Österreichs sei das „Bergbauernproblem“ für das Deutsche Reich „akut“ geworden.6
Der Weg vom „österreichischen Problem“ zum „nationalen Heiligtum“ war dann doch überraschend kurz. Kritische Stimmen in Berlin, die meinten, eine Förderung der österreichischen Berglandwirtschaft wäre unwirtschaftlich, setzten sich nicht durch und verstummten noch im Jahr der Machtübernahme. Die „Blut-und-Boden“-Proponenten fanden mit ihrer rassisch aufgeladenen Argumentation für die Erhaltung der Berglandwirtschaft vor allem in der NSDAP Gehör und es gelang ihnen, größere Summen zur finanziellen Förderung der Bergbauern zu lukrieren. Aber auch die Ideologen konnten ihre Pläne nicht vollständig zur Ausführung bringen. Denn die Kriegswirtschaft und -lage schuf schließlich Fakten, die von niemandem übergangen werden konnten. Und so war die Berglandwirtschaft während der NS-Zeit von der Kriegswirtschaft auf der einen und der „Blut-und-Boden“-Ideologie auf der anderen Seite geprägt und gleichzeitig zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen. Wie diese Aussage im Detail zu verstehen ist, möchte dieser Band unter anderem darlegen.
Das primäre Anliegen dieser Arbeit ist es, den Zeitabschnitt des Nationalsozialismus in Österreich von März 1938 bis Mai 1945 mit speziellem Augenmerk auf die in der Berglandwirtschaft tätigen Menschen zu rekonstruieren und zu interpretieren. Diese kurze Epoche hat eine Unzahl von Veränderungen und Neuerungen, auch für die alpine Landwirtschaft, hervorgebracht. Der Nationalsozialismus wollte in alle Bereiche des Lebens eindringen und setzte den gesamten Staatsapparat wie auch die Bevölkerung für die Erreichung seiner ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Ziele in Bewegung. Die Auflösung oder Gleichschaltung alter Strukturen und die Etablierung des Führerprinzips auf allen Ebenen wurde von der Einführung neuer, reichsdeutscher Strukturen und Gesetze begleitet.
Die Landwirtschaft gehörte zu den ersten Bereichen, die unmittelbar von der neuen Gesetzgebungswelle betroffen waren. Mit dem Reichsnährstand und der Marktordnung wurden die straff organisierten reichsdeutschen Agrarstrukturen schon bald nach der Machtübernahme eingeführt. Gleichzeitig partizipierte die nunmehr „ostmärkische“ Landwirtschaft an staatlichen Fördergeldern, die es unter österreichischer Verwaltung nicht oder nur in Form von nicht ausreichend dotierten Unterstützungsleistungen gegeben hatte. Die wirtschaftliche Komponente machte aber nur einen Teil der Veränderungen aus. Auch sozialpolitisch kam mit der Erweiterung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen und der Einführung von Sozialleistungen einiges Neues für die Bewohner des alpinen ländlichen Raumes. Im Bereich der fiskalischen Neuerungen war beispielsweise die Einführung des Einheitswertsystems für die Landwirtschaft von Bedeutung. Alle Veränderungen bzw. Neuerungen zu nennen und zu behandeln, wäre unmöglich. Die Auswahl der zu bearbeitenden Themen war daher von zwei Faktoren abhängig: Zum einen von der Relevanz in der zeitgenössischen landwirtschaftlichen Praxis, zum anderen vom Grad der Nichtbeachtung durch die bisherige Forschung. Aus diesem Grund findet beispielsweise die für die landwirtschaftliche Praxis zwar wichtige, aber sehr gut erforschte Marktordnung mit ihren weiter reichenden Zusatzfragen nach den Anpassungsstrategien und Handlungsspielräumen der betroffenen Akteure hier wenig Erwähnung, ebenso wird das Reichserbhofgesetz nur gestreift. Breiten Raum nehmen hingegen jene Aktivitäten des NS-Regimes ein, die sich mit der Berglandwirtschaft auseinandersetzten. Institutionell steht hier die Schaffung der Berglandabteilung im Blickpunkt, die nach der Auflösung des österreichischen Landwirtschaftsministeriums ins Leben gerufen wurde. Als Unterabteilung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (RMfEL) eingerichtet, wurde die Berglandabteilung vom vormaligen österreichischen Landwirtschaftsminister Anton Reinthaller geleitet. Weiters wird der ideologische Stellenwert der Bergbauern sowie die auf den ländlichen Raum ausgerichtete Sozialpolitik untersucht. Auf wirtschaftlich-praktischem Gebiet stehen der „Gemeinschaftsaufbau im Bergland“ und die „Entschuldungs- und Aufbauaktion“ im Fokus. In diesen „Aktionen“, die direkt vor Ort umgesetzt wurden bzw. werden sollten, prallten die widersprüchlichen Zielsetzungen des Reichs in Form der „Blut-und-Boden“-Ideologie auf der einen und den kriegs- und ernährungswirtschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft auf der anderen Seite auf die reale Lebenswelt der Bauernhöfe. Dieses Spannungsfeld führt zur forschungsleitenden Fragestellung: Wie wirkte sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Landbevölkerung in den bergbäuerlichen Regionen Österreichs aus?
Als Untersuchungszeitraum dient im Wesentlichen die Zeit von 1938 bis 1945. Für die Einbettung in größere Zusammenhänge ist es fallweise notwendig, über die Zäsur der NS-Herrschaft hinwegzuschauen. Etwas schwieriger ist die Verortung des geografischen Rahmens. Bereits in den 1930er Jahren hat die österreichische Verwaltung die Zonen des Bergbauerngebiets festgelegt (siehe Kapitel 4.b.). Diese erste taxative Auflistung aller Gemeinden, die ins Bergbauerngebiet fielen, wurde in der NS-Zeit geringfügig erweitert. Zunächst einmal war die Zugehörigkeit zum Bergbauerngebiet ein Indiz für eine naturräumliche Ungunstlage. Diese Ungunstlage war Basis für die unterschiedliche wirtschaftliche Förderung von landwirtschaftlichen Betrieben. Wer innerhalb dieser Zone seinen Betrieb führte, profitierte in größerem Ausmaß von staatlichen Unterstützungsleistungen. Das betraf die Förderprogramme sowohl der österreichischen als auch der reichsdeutschen Agrargesetzgebung. Grundsätzlich nahmen die alpinen bergbäuerlichen Regionen in der nationalsozialistischen Agrarpolitik schon allein wegen ihrer Topografie eine Sonderstellung ein. In Deutschland hatte man mit solchen Lagen wenig Erfahrung. Zwar gab es auch im südbayerischen Raum und in Baden-Württemberg Bergbauerngebiete, die allerdings mit jenen im zentralalpinen Raum kaum vergleichbar waren. Erst mit dem Hinzukommen der umfangreichen österreichischen Bergbauerngebiete nach dem März 1938 wurde eine reichsweite administrative Herauslösung des Berglandgebietes und eine Sonderstellung innerhalb der Agrarwirtschaft angedacht. Dabei machten die ehemals österreichischen Bergbauerngebiete den geografischen Löwenanteil der neuen Unterabteilung Berglandwirtschaft (Dienststelle des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft) aus. Deshalb liegt auch der Fokus dieses Buches auf den österreichischen Bergbauern. Die Berglandgebiete im „Altreich“ und in einigen eroberten Gebieten werden nur gestreift.
War der alpine Raum eine neue Herausforderung für die deutsche Agrarverwaltung, so war umgekehrt die auf rassischen Überlegungen basierende ideologische Überhöhung der Bauern ein neues Phänomen für die ehemals österreichischen Bergbauern. Die reichsdeutsche „Blut-und-Boden“-Ideologie versuchte, das Sozialprestige der Bauern als vermeintlicher „Blutsquell des deutschen Volkes“ (siehe Fußnote 758) zu heben. Allerdings ließ die Realität der Kriegswirtschaft mit Fortschreiten der NS-Herrschaft immer weniger Raum für die Verfolgung utopisch-ideologischer Modelle.
Aus der Schnittmenge dieser zentralen Topoi – der Topografie des Zentralalpenraumes und damit einhergehende agrarwirtschaftliche Besonderheiten für die reichsdeutsche Agrarverwaltung, der „Blut-und-Boden“-Ideologie und den kriegs- und ernährungswirtschaftlichen Anforderungen – geht der Kern der hier angestellten Überlegungen hervor. Die Interessenlagen der Einzelbereiche waren durchaus unterschiedlich, zum Teil sogar diametral entgegengesetzt, und brachen in dieser heterogenen Form auf die ländliche Bevölkerung des Alpenraums herein. In der Schnittmenge dieser Interessenlagen hat sich der ökonomische und soziale Alltag der betroffenen Bevölkerung abgespielt.
Methodisch basiert diese Arbeit auf drei Säulen: Erstens auf der historischen Methode mit ihrer klassischen Dreiteilung in Heuristik, Kritik und Interpretation7, zweitens auf der Quantifizierung zur Bewältigung des in den Quellen vorgefundenen Zahlenmaterials und drittens auf der Methode des historischen Vergleichs, der sowohl synchron (Österreich–Deutschland) wie auch diachron (Zwischenkriegszeit–NS-Zeit–Nachkriegszeit) zur Anwendung kommt. Auf dem Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (Heuristik) wurde zum einen die seit Ende des Zweiten Weltkriegs erschienene geschichtswissenschaftliche Sekundärliteratur ausgewertet und zum anderen die zeitgenössische Literatur konsultiert. Zudem wurde das umfangreiche Archivmaterial herangezogen. Die wichtigsten Archivalien für die zu behandelnden Themenfelder lagern in Berlin im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde bzw. in der Zweigstelle Hoppegarten (hier vor allem die Bestände des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, des Reichsnährstands, des Reichsamts für Agrarpolitik und des Reichsfinanzministeriums) und im Österreichischen Staatsarchiv in Wien, wo im Archiv der Republik die Bestände der Unterabteilung Bergland verwa...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Title
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. 1. Einleitung
  8. 2. Forschungsstand
  9. 3. Strukturelle Bedingungen der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert
  10. 4. Die Vereinnahmung der Landwirtschaft durch die „Blut-und-Boden“-Ideologie
  11. 5. Sozialversicherung und neue Sozialleistungen
  12. 6. Entschuldung und Aufbau
  13. 7. Gemeinschaftsaufbau im Bergland
  14. 8. Resümee
  15. 9. Anhang