Eine Antwort des Glaubens
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Eine Antwort des Glaubens

Im GesprÀch mit Paul M. Zulehner und Petra Steinmair-Pösel

  1. 104 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Eine Antwort des Glaubens

Im GesprÀch mit Paul M. Zulehner und Petra Steinmair-Pösel

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der Band greift aktuelle Fragen des epochalen Umbaus der christlichen Kirchen auf und bietet Anregung zu einem fundierten, aber zugleich auch allgemein verstĂ€ndlichen Nachdenken ĂŒber Themen wie "das Evangelium in der modernen Welt", "die Rolle von Frauen in der katholischen Kirche" oder "kirchlichen Gehorsam".Das Bestreben der Autoren ist es, die HintergrĂŒnde des gegenseitigen UnverstĂ€ndnisses zwischen den so genannten konservativen GlĂ€ubigen und ihrem progressiven GegenĂŒber aufzudecken und eine engagiert-gelassene, auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtete Diskussion anzustoßen.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783706557047

Vorwort

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer langen persönlichen wie diskursiven Entwicklung, die ihren Ausgang vor bald zwei Jahren genommen hat. Damals beendete ich gerade die Vorbereitungen zu dem Interviewband „Bildung ist ein Lebensprojekt“ mit dem Philosophen Prof. Konrad Paul Liessmann, als – zum wievielten Male eigentlich? – die Kritik an der römisch-katholischen Kirche laut an die breite Öffentlichkeit getragen wurde.
Nun war mein Interesse am Thema „Glaube“ schon immer groß und ich entschloss mich deshalb, jenen scheinbar offenen Fragen nachzugehen, die vordergrĂŒndig gestellt wurden und welche meiner Meinung nach die allgemeine Misslage mitverursacht hatten.
Bald wandte ich mich mit meinem Anliegen an Prof. Paul M. Zulehner, der mir durch seine vielen BĂŒcher und als meinungsbildender Pastoraltheologe bekannt war, und bat ihn um ein GesprĂ€ch, welches sich in den darauffolgenden Monaten wiederholte und mir auch Gelegenheit bot, mich mit der Theologin Dr. Petra Steinmair-Pösel auszutauschen und wertvolle Impulse von Seiten einer geschlechtersensiblen Theologie zu erhalten.
Im Rahmen dieser Diskussionen und des anschließenden Schriftverkehrs war es unser aller Wunsch und Bestreben, nicht nur die Fragen der Kirchengegner und die Antworten der Kirchenvertreter darzustellen, sondern auch die HintergrĂŒnde und die tradierten Quellen des gegenseitigen UnverstĂ€ndnisses zu entdecken und im besten aller FĂ€lle aufzuhellen. Ob dieser Ansatz schlussendlich gelungen ist, möge die interessierte Leserin/der interessierte Leser nun selbst beurteilen.
Martin Kolozs

1. „Geistliche“

In „Salz der Erde“ umreißt Kardinal Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. – den Pfarrerberuf folgendermaßen: „[
] ein Pfarrer, ein einfacher Landpfarrer, ist sehr tief gefordert, indem er die Menschen verstehen und ihnen in Krankheit, Leid, Freude, bei der Hochzeit wie bei den BegrĂ€bnissen, in Krisen und in Freuden beistehen muss. Er muss versuchen, mit ihnen zu glauben und das Schiff der Kirche am Fahren zu halten.“ (SdE, S. 11) Erkennen Sie darin noch den Auftrag an die Geistlichen von heute, gerade im Hinblick auf die hartnĂ€ckige Weigerung der Amtskirche, sich der lauten Kritik von Seiten der GlĂ€ubigen auszusetzen bzw. dieser nachzugeben?
Petra Steinmair-Pösel:
In seinem Buch „Nimm sein Bild in dein Herz“ deutet der große geistliche Schriftsteller Henri Nouwen Rembrandts GemĂ€lde vom barmherzigen Vater und seinen zwei (verlorenen) Söhnen und zeichnet dabei gleichzeitig seinen eigenen geistlichen Weg nach. Seine Einsicht: Es geht darum, nicht in der Position des jĂŒngeren oder Ă€lteren Sohnes stehenzubleiben, sondern wie der Vater zu werden: bedingungslos segnend, vergebend, Versöhnung, Heilung, Geborgenheit, Ruhe, Daheimsein ermöglichend und schenkend. Damit zeichnet er ein wunderbares Bild dessen, was geistliche Vater- und Mutterschaft heute bedeuten könnte.
Wichtig scheint mir, dass die geistlichen (spirituellen) MĂŒtter und VĂ€ter selbst einen geistlichen Weg gegangen sind: ohne billige AbkĂŒrzungen. Sie mĂŒssen gelernt haben, ihre eigenen dunklen Seiten und Schatten zu sehen, auszuhalten und anzunehmen. Nur dann können sie kundige BegleiterInnen sein. Sie sollen Erfahrene sein, die die Wege, auch die Umwege und Abwege des Lebens aus eigener Erfahrung kennen und auf diesem Weg Barmherzigkeit und Warmherzigkeit, Mitleiden und Mitfreude gelernt haben, die der des Vaters in Jesu Gleichnis nahekommen. Solche Erfahrene, solch spirituelle Meisterinnen und Meister, sind auch heute (vielleicht mehr denn je) sehr gefragt und können modernen Menschen seelsorglich gute Ratgeber sein. Mit ihrem authentischen Zeugnis und ihrer Ausstrahlung gewinnen sie zunehmend an Bedeutung in einer Zeit, in der die großen Institutionen mit ihren immer auch bĂŒrokratischen Strukturen unter Generalverdacht geraten sind, mehr fĂŒr ihren Bestand zu sorgen denn auf der Seite der Menschen zu sein.
Nicht jeder Priester ist freilich automatisch mit der Weihe schon ein spirituell gereifter Mensch, wie auch Eheleute nicht allein durch ihre Hochzeit schon wirklich beziehungsfĂ€hige Menschen sein mĂŒssen. Dazu muss vielmehr ein Weg gegangen werden, der nicht selten ĂŒber Um- und Abwege fĂŒhrt, auch BrĂŒche und Erfahrungen des Scheiterns miteinschließt. Spirituelle Meister wie Johannes vom Kreuz haben diese Erfahrung als „dunkle Nacht“ bezeichnet, die durchlitten werden muss. Auf diesem Weg kann sich niemand vertreten lassen. Es ist ein Weg, der erst im Gehen entsteht. Erfahrene, mutige und ermutigende Begleiterinnen und Begleiter auf dem spirituellen Weg – und dieser ist ja nichts anderes als der ganz „normale“ Lebensweg, der in seiner Tiefendimension erkannt und gedeutet wird – zu sein, scheint mir gegenwĂ€rtig eine der wichtigsten und vielleicht am meisten vernachlĂ€ssigten Aufgaben der „Geistlichen“ heute.
Paul M. Zulehner:
Nicht wenige Menschen suchen bei einem Priester, einer Pastorin oder einem Pastor oder einem Iman Rat. Es sind nahezu 39 %, die in religiösen Fragen, 38 % in persönlicher Verzweiflung, 32 % in Gewissensnot gern die Möglichkeit einer Beratung durch einen AmtstrĂ€ger ihrer Religionsgemeinschaft haben möchten. Diese wĂ€ren heillos ĂŒberfordert, wĂŒrden alle diesen Wunsch auch praktisch realisieren. Dazu kommen die Dienste der Religionsgemeinschaften, wenn ein Angehöriger stirbt, ein Kind geboren wird, eine Hochzeit gefeiert werden will.
Das erklĂ€rt auch, warum die AmtstrĂ€gerinnen und AmtstrĂ€ger ein wenngleich sinkendes, aber dennoch beachtliches Ansehen bei den Menschen genießen.
Die Menschen wĂŒnschen sich, das zeigen diese Daten auch nachdrĂŒcklich, AmtstrĂ€ger in „Ruf- und Reichweite“. Erwartet wird von ihnen „Seelsorge“ im besten Sinn dieses Wortes, auch wenn sie diese heute mit professionell gut ausgebildeten Therapeuten teilen und die Besten aus beiden Berufsgruppen auch eng zusammenarbeiten.
Pfarrer wurden in den letzten Jahrzehnten auch dazu gut ausgebildet: im seelsorglichen GesprÀch, in der ars celebrandi und praedicandi, also der Kunst des Predigens und Gottesdiensten vorzustehen. Bei allen diesen Aufgaben lassen sie sich vom anvertrauten Evangelium oder Imame vom Koran leiten. Das macht sie zu Personen, die sich in heiligen Belangen gut auskennen und den Horizont des Lebens der Ratsuchenden unter den offenen Himmel stellen und auf diese Weise den Horizont weiten und nicht zuletzt Leid ertrÀglicher und SolidaritÀt belastbarer machen.
Die katholische Kirche leidet just in einer Zeit, in der die Menschen bei der Kirche vor allem bergende Rituale und heilende Beratung suchen, unter einem dramatischen Mangel an Priestern. Zwar stehen in geldstarken Kirchen den Priestern bestausgebildete nicht ordinierte Seelsorgerinnen und Seelsorger zu Seite: in KrankenhĂ€usern, in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Aber die Nachfrage vieler Menschen, vor allem derer, die mit dem kirchlichen Leben und dessen Entwicklung nicht eng verbunden sind, richtet sich auf den Priester. Und dies vielleicht auch deshalb, weil er am ehesten als „Mann Gottes“ gilt, als der „heilige Außenseiter“, wie Adolf Holl ihn einmal charakterisiert hatte. Priester haben die Rolle der christlichen Gurus, der ostkirchlichen „Starzen“, was ihnen hinsichtlich ihrer eigenen SpiritualitĂ€t viel abverlangt.
Die weniger werdenden Priester erfahren nun sehr schmerzlich, dass sie fĂŒr solche lebensnahe Seelsorge immer weniger Zeit und Kraft haben. Durch die laufenden Strukturreformen geraten sie in immer grĂ¶ĂŸere Distanz zu den alltĂ€glichen Leiden und Freuden der Menschen. Sie hören damit auf, unmittelbar Seelsorger zu sein. Sie sind, bildlich gesprochen, nicht mehr „Automechaniker“, sondern werden zu „Leitenden einer Großwerkstatt“. DafĂŒr mĂŒssen sie nachtrĂ€glich ausgebildet werden, wĂ€hrend sie fĂŒr jene Aufgabe, fĂŒr die sie gut ausbildet wurden und in die sie ihr pastorales Herzblut investieren, immer weniger Zeit finden.
Die seelsorgliche NĂ€he zu den Menschen bringt zumal den katholischen Pfarrern nicht nur berufliche Freuden. Je mehr sie sich auf Zeitgenossinnen und Zeitgenossen einlassen, umso eher geraten sie in eine Spannung zur kirchlichen Gemeinschaft, deren amtliche ReprĂ€sentanten sie sind. Pfarrer sind so etwas wie das Auge und das Ohr der Kirche am Puls des Lebens der Zeitgenossen. Weil sie mitfĂŒhlend das Leben der Menschen wahrnehmen, geraten sie in erhebliche Spannung. Diese erwĂ€chst daraus, dass es fĂŒr moderne Menschen nicht immer leicht ist – und es ja auch in der Vergangenheit nicht immer leicht war –, das Evangelium konsequent zu leben und auf dem Weg der Heiligkeit zu bleiben. Ein Teil dieser Spannung zwischen Evangelium und moderner Kultur ist unvermeidlich. Denn die moderne Kultur entspricht bei allen bewundernswerten StĂ€rken keineswegs immer den AnsprĂŒchen des Evangeliums. In der Kultur findet sich seit Menschengedenken ein Hang zur Gewalt, zur Gier und zur LĂŒge, wĂ€hrend Jesus fĂŒr Gewaltlosigkeit, Armut und Wahr(haftig)heit steht. Zugleich aber kennen die Evangelien in manchen konkreten Fragen eine gewisse Bandbreite. So haben keineswegs – bei aller Gemeinsamkeit hinsichtlich des Ideals – alle Evangelien die gleiche Position hinsichtlich der Frage, wie der glĂ€ubige Weg eines Menschen, dessen Ehe aus einem unentflechtbaren Gemenge von Schuld und Tragik scheitert, vor Gott und in dessen Kirche weitergehen kann. WĂ€hrend die ostkirchliche Tradition im Anschluss an das MatthĂ€usevangelium akribische Treue zum Wort Jesu und das Erbarmen des bischöflichen „Hausvaters“ – die orthodoxe Theologie spricht daher von Akribia und Oikonomia – zu verbinden sucht, ist die westkirchliche Tradition rigoroser und schließt vor allem jene Geschiedenen, die wieder heiraten, von der vollen Kommunion mit der Kirche aus.
Nicht wenige Seelsorgerinnen und Seelsorger, darunter Pfarrer und auch Bischöfe, bringt das in einen Konflikt. WĂ€re es nicht möglich, von den orthodoxen Kirchen zu lernen? Dabei meinen jene, die das fordern und vielfach auch faktisch tun, dass sich auf diesem Weg die Kirche nicht dem verdorbenen Zeitgeist anpasse – was ihr ja laut Röm 12,2 verwehrt ist. Vielmehr möchten sie den Betroffenen nicht mehr Lasten auflasten, als auf dem Boden des Evangeliums unbedingt erforderlich ist.
Ein anderes SpannungsverhĂ€ltnis, in welches Pfarrer heute immer mehr geraten und wo nicht wenige zur Selbsthilfe greifen, ist die Sprache: in der VerkĂŒndigung des Glaubens oder auch in der Feier der Liturgie. Die Sprache stammt aus dem Mittelalter und dessen Weltbild. Das betrifft etwa das VerhĂ€ltnis von Evolutionstheorie und Schöpfungstheologie. Ebenso sensibel ist die Theologie in der Frage, wie Gott es schafft, dass die Schöpfung, die „auf ihn hin“ (den „auferstandenen Christus“ geschaffen ist (Kol 1,15), diese Vollendung gegen alle dĂ€monischen KrĂ€fte in der Menschheit (wie Gewalt, Gier und LĂŒge eben) auch erreicht, sodass am Ende Gott „alles in allem“ sein kann (1 Kor 15,28). Es ist gut, dass die Kirchenleitung die Pfarrer gewinnen will, nicht mehr – wie von der AufklĂ€rung belehrt – vor allem zu moralisieren oder gar nur an den Irritationen gegenĂŒber der eigenen Kirche zu arbeiten, sondern sich vorrangig um jenes „PĂŒnktlein“ zu kĂŒmmern, um das sich alles in den Religionen der Menschheit dreht: das Geheimnis, das wir stammelnd und allzu oft vielwisserisch Gott nennen.

2. Gesellschaftliche Bedeutung

Auf die Frage zur Kirchenkrise des Journalisten Peter Seewald, der die Kirche mit einem havarierten Schiff vergleicht, antwortet Kardinal Ratzinger vor rund anderthalb Dekaden: „[
] Gerade die Diagnose der Gegenwart macht es umso deutlicher, dass man es braucht. Man muss sich dieses Schiff nur einmal aus dem KrĂ€fteparallelogramm unserer Gegenwart herausdenken, dann sieht man, welch ein Einsturz das wĂ€re, welch ein Absturz an seelischer Kraft.“ (SdE, S. 17) Teilen Sie diese EinschĂ€tzung? Hat die römisch-katholische Kirche der Gegenwart tatsĂ€chlich noch diese fundamentale Bedeutung fĂŒr die Gesellschaft, oder belegt die Zahl der Kirchenaustritte zum Beispiel nicht das Gegenteil?
Paul M. Zulehner:
Die Kirchen in den einst „christentĂŒmlichen“ Kulturen stecken, wie auch die Kirchenaustritte zeigen, in einer spannenden Umbauzeit. Die Konstantinische Ära in ihrer nachreformatorischen Gestalt ist definitiv zu Ende. In dieser Zeit war dank der engen Verflechtung von Kirche-Staat-Gesellschaft Religion, nĂ€herhin die Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession, „Schicksal“. Man konnte nur Protestant oder Katholik sein oder riskierte, ins Jenseits oder ins Ausland ausgewiesen zu werden. Heute ist hingegen die Weltanschauung wie alle anderen Deutungen und Handlungsmuster des Lebens wĂ€hlbar geworden. Dieser Wandel vom „Schicksal zur Wahl“ (Peter L. Berger) berĂŒhrt natĂŒrlich die Sozialgestalt und die Handlungsweise der Kirchen. Auch die Deutung der Entwicklung (wie der Kirchenaustritte) wandelt sich. Wir mĂŒssen uns verabschieden von der Deutung, welche die Benchmark bei 100 % setzt und jede neue Zahl als „nur noch“ interpretiert. Man kann sagen: „nur noch“ 12 % der katholischen Kirchenmitglieder „besuchen“ am Sonntag die Kirche. Richtiger wĂ€re es aber zu sagen: 750000 Menschen „feiern“ Sonntag um Sonntag die Messe. Sie begeben sich gleichsam in „Gottesgefahr“, weil der gemeinsam herabgerufene Geist Gottes die Versammelten hineinverwandelt in einen „Leib hingegeben“, also eine Gemeinschaft der Fußwaschung, der belastbaren persönlichen wie politischen SolidaritĂ€t. Allein dadurch wĂ€re dann am Montag das Land anders, solidarischer.
Eben das schĂ€tzen die Menschen an den christlichen Kirchen. Menschen tauchen gleichsam in ihren Feiern und Gebeten in Gott ein, um solidarisch an der Seite der Armen aufzutauchen. Menschen, die 2010 aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, wĂŒrden eventuell wieder eintreten, wenn die Kirche ein guter Ort fĂŒr ihre spirituelle Sehnsucht und eine verlĂ€ssliche AnwĂ€ltin der Armen wĂ€re.
Das beantwortet auch schon die Teilfrage nach der gesellschaftlichen Bedeutung der christlichen Kirche heute. Diakonie und Caritas sind in aller Welt tĂ€tig, und das gewiss im Verein mit anderen guten Hilfswerken, in denen Menschen sich privat engagieren. Kirchen sind auch – nach einer jahrzehntelangen spirituellen Erschöpfung – eine gute Adresse fĂŒr die wachsende Zahl der spirituellen „Pilger“ und kosmischen Vagabunden, auch jener, die das GefĂŒhl haben, dass in der Enge unserer hastigen, angestrengten, angstbesetzten und egomanen Kultur etwas nicht stimmt und dass sich ein spiritueller Aufstand gegen dieses Lifedesign lohnt. Viele machen das jenseits der Kirchen, aber auch die christlichen Kirchen haben immer mehr „Gurus“ und spirituelle Zentren. Da spielen auch die Orden und BildungshĂ€user eine ĂŒberaus wertvolle Rolle. Aber auch die sonntĂ€glichen Gottesdienste gewinnen derzeit an spiritueller Tiefe und Kraft. Sie hören auf, Menschen in den KirchenbĂ€nken zu belehren, sondern machen mit ihnen eine spirituelle Reise, suchen das Erleben des Heiligen, eine Gotteserfahrung aus erster Hand gleichsam.
Kurzum, die moderne Kultur wĂ€re ohne die christlichen Kirchen spirituell wie sozial kĂŒhler und Ă€rmer. Dabei nimmt niemand an, dass die Kirchen die einzige Quelle fĂŒr SpiritualitĂ€t und SolidaritĂ€t sind. Denn die Kirchen sind davon ĂŒberzeugt, dass beides ein Geschenk jenes Gottesgeistes ist, der weht, wo er will. Manchmal spuren die Kirchen vor (wie in Europa in der Bildung oder in der Sorge um die Kranken), aber manchmal sind die „Kinder der Welt klĂŒger“ (Lk 16,8) u...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Schmutztitel
  3. Impressum
  4. Eingangszitat
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Eine Antwort des Glaubens