Nationalsozialismus in Wien
eBook - ePub

Nationalsozialismus in Wien

Opfer. Täter. Gegner.

  1. 448 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Nationalsozialismus in Wien

Opfer. Täter. Gegner.

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Was wird dargestellt?"Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reiches melde ich vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich." Mit diesen Worten beschließt Adolf Hitler am 15. März 1938 seine Rede am Wiener Heldenplatz. 250.000 Menschen, die auch aus den umliegenden Bundesländern eingetroffen sind, jubeln ihm zu. Im nunmehr 8. Band der Reihe "Nationalsozialismus in den Bundesländern" beschäftigen sich die Autoren unter anderem mit folgenden Fragen: Wie kommt es zum Aufstieg der Nationalsozialisten? Was begeistert die Wienerinnen und Wiener daran? Wie erleben junge Menschen diese Zeit und wie ergeht es den Wiener Jüdinnen und Juden? Was passiert am "Spiegelgrund"? Wie verläuft der Bombenkrieg in Wien? An wen richtet sich der BandDas Buch adressiert eine interessierte LeserInnenschaft und wird daher in einer leicht verständlichen Sprache ohne komplexe wissenschaftliche Terminologie und weitgehend ohne wissenschaftlichen Apparat geschrieben. Es fasst die Erkenntnisse der (lokalen) Geschichtswissenschaft somit für einen breiten Kreis an Interessierten zusammen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Nationalsozialismus in Wien von Martin Krist, Albert Lichtblau im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus History & World War II. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2017
ISBN
9783706558808
Nationalsozialismus in Wien

Wien 1918–1938

illustration

Welche Auswirkungen hat der Erste Weltkrieg?

Die Schriftstellerin Gina Kaus beschreibt eine Demonstration Ende des Ersten Weltkriegs in der Herrengasse: „Bataillone der Arbeiterschaft“ kommen aus den Außenbezirken ins Zentrum. Von Euphorie ist bei ihnen, so Kaus, wenig zu spüren. „Müde und schmutzig, in elende Lumpen gekleidet, mit bleichen, abgezehrten Gesichtern kamen sie. Sie kamen schweigend. Sie trugen Plakate, auf denen stand: ‚Wir wollen Frieden und Brot.‘“1
Ein Bekannter von Kaus, der Schriftsteller Franz Werfel, fühlt sich dennoch in revolutionäre Stimmung versetzt und ruft lauthals: „Nieder mit Habsburg! Es lebe die Republik!“2 Die Ernüchterung erfolgt sofort, denn der deutschnationale Parlamentsabgeordnete Karl Hermann Wolf konfrontiert Werfel mit der Frage: „Sind Sie ein Deutscher?“3 Werfel ist Jude, und damit kein „Deutscher“ in den Augen eines Rassisten wie Wolf.
Dass Kaiser Karl I. im November 1918 angesichts der Niederlage im Ersten Weltkrieg zurücktritt, Wien verlässt und den Weg zur Gründung einer Republik frei macht, erscheint bis dahin unvorstellbar. Doch es geschieht: Nach 700 Jahren Regentschaft danken die Habsburger ab und hinterlassen Wien als eine europäische Metropole mit einem monströsen Apparat von Bürokratie, Adel und Militär. Über Nacht wird aus dem riesigen Reich des Vielvölkerstaates der Habsburgermonarchie mit seinen mehr als 51 Millionen Menschen ein Ministaat mit nur mehr 6,5 Millionen Menschen: Deutsch-Österreich. Vom imperialen Glanz bleibt Wien der Schatten der Vergangenheit.
Die Stimmung im Land ist dementsprechend gedrückt. Die Republik Deutsch-Österreich ist nicht das Ergebnis eines breiten politischen Willens, sondern das Ergebnis einer militärischen Niederlage, ein Staat wider Willen. Wie soll dieses kleine Land überleben, das einem Wurmfortsatz der Habsburgermonarchie ähnelt? Die Friedensverträge werden in Österreich wie in Deutschland als aufgezwungene Knebelverträge wahrgenommen, als eine Art zweite Niederlage nach der militärischen Katastrophe. Die deutschnationalen Kräfte sinnen auf Rache, sehnen sich nach einer Wiederherstellung der verletzten Ehre der „Deutschen“ und trachten nach Abschaffung der Friedensverträge. Selbst die Konservativen haben für die neugegründete Republik nicht viel übrig, noch im Monat der Ausrufung verunglimpfen sie diese abfällig als „Judenrepublik“.4 Das alles lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen. Heute wissen wir: Der brüchige Frieden sollte nur 21 Jahre lang dauern.
Für die Mehrheit der Wienerinnen und Wiener sind die angeblich „wilden Zwanziger Jahre“ alles andere als wild oder gar faszinierend. Sie sind mit vielerlei Mühsal und Ängsten konfrontiert, mit der Sorge ums tägliche Überleben, mit der katastrophalen Unterversorgung an Lebensmitteln, einer drückenden Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, schließlich auch mit einer hohen Kindersterblichkeit. Ende 1918 wütet eine Pandemie in der Stadt, die „Spanische Grippe“. Sie rafft nicht nur die Armen und Unterernährten dahin, sondern auch berühmte Persönlichkeiten wie den expressionistischen Maler Egon Schiele und dessen schwangere Ehefrau Edith.5 Schwer traumatisierte Soldaten und Verwundete mit amputierten Gliedmaßen prägen das Stadtbild Wiens. Revolutionen wie im benachbarten Ungarn und Bayern können jederzeit auch in Österreich ausbrechen, letztlich bleibt die Revolution aber aus.
illustration
Die 1893 in Wien geborene Schriftstellerin Gina Kaus beschreibt in ihren Erinnerungen die unruhige Zeit rund um das Ende des Ersten Weltkriegs.
(Foto: ÖNB)
illustration
Der 1890 in Prag geborene Franz Werfel wird einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. Die revolutionäre Stimmung zu Kriegsende 1918 reißt ihn mit. Sein „Revolutions-Aufruf“ gilt der Befreiung vom Leid: „Brüllend verbrenne im Wasser und Feuer – Leid! Renne, renne, renne gegen die alte, die elende Zeit!“
(Foto: ÖNB)
illustration
Der Erste Weltkrieg hinterlässt tausende Menschen, denen Beine oder Arme fehlen, die blind sind oder aufgrund traumatischer Kriegserfahrungen pausenlos zittern. Bei der Rede von Adolf Hitler am Heldenplatz erhalten sie einen Ehrenplatz. Bis zum Ausbruch des nächsten Krieges dauert es nur mehr eineinhalb Jahre.
(Foto: ÖNB)

Deutsch-Österreich – ein Teil Deutschlands?

Während die aus der Habsburgermonarchie hervorgegangenen Staaten wie Ungarn oder die Tschechoslowakische Republik sich ihrer von national gesinnten Kräften herbeigesehnten Selbstständigkeit erfreuen, fehlt dieses befreiende Gefühl einer eigenen Nationalstaatlichkeit in der neugegründeten Republik Deutsch-Österreich völlig. Weder die politischen Parteien noch die Mehrheit der Bevölkerung glauben an die Überlebensfähigkeit des neuen Staates. Es gibt eine große Bereitschaft, die Eigenstaatlichkeit Deutsch-Österreichs aufzugeben und das Land an Deutschland anzuschließen. Abstimmungen in Salzburg und Tirol enden mit der Zustimmung einer überwältigenden Mehrheit für eine Angliederung an Deutschland. Doch die Siegermächte verbieten das in dem mit Österreich ausverhandelten Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye. Ein Grund für das Anschluss-Verbot ist die durchaus berechtigte Sorge, dass Deutschland ansonsten zu mächtig werden könnte. Auch der Staatsname Deutsch-Österreich muss abgeändert werden. Am 21. Oktober 1919 beschließt das Parlament, den Staat fortan „Republik Österreich“ zu nennen.
illustration
Der „Kikeriki“ ist ein radikales antisemitisches Witzblatt. Was immer in der Gesellschaft als Problem vorliegt: Hinter allem Unglück stecken die Juden, so die simple Botschaft. Für Antisemiten sind die Juden sogar Schuld am „Anschlussverbot“. In den 1930er Jahren sympathisiert die Satirezeitschrift offen mit dem Nationalsozialismus und wird deswegen 1933 verboten.
(Abbildung: „Kikeriki“, 3.5.1921, ANNO/ÖNB)

Ist Wien multikulturell?

Die Antwort ist einfach und unmissverständlich: Ja. In Wien leben 1918 Menschen aus allen Teilen der früheren Habsburgermonarchie mit unterschiedlichen Erstsprachen wie Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Jiddisch, Ukrainisch, Rumänisch, Polnisch, Romanes, Slowenisch, Kroatisch oder Italienisch.6 Sie alle prägen den Alltag in Wien: die Speiseeishändler aus Italien genauso wie die tschechischen Schuster, Schneider, Ziegelarbeiter und Ziegelarbeiterinnen, Ammen, Dienstmädchen und Köchinnen. Sie prägen nicht nur den Alltag, sondern hinterlassen auch Spuren im Wienerischen. Strawanzen, Gspusi, Techtelmechtel sind einige der von den italienisch Sprechenden übernommenen Wörter, barabern, pomali, Strizzi von den tschechisch Sprechenden. Beisl, Masen, Pofel und Reibach stammen aus dem Jiddischen.7
Wien bleibt bis zum Ersten Weltkrieg ein Magnet für Menschen aus der gesamten Habsburgermonarchie, die Arbeit und neue Lebensperspektiven suchen oder die aus der geistigen Enge des Dorfes und der Kleinstadt ausbrechen wollen. Vor dem Ersten Weltkrieg ist deutlich mehr als die Hälft e der Bevölkerung Wiens nicht in dieser Stadt geboren. Der Zusammenbruch der Monarchie veranlasst jedoch Tausende, aus Wien abzuwandern, etwa weil die Lebensmittelversorgung in ihrem Herkunft sland besser ist. Der Anteil der Menschen, die in Wien leben, aber anderswo zur Welt gekommen sind, geht daraufh in markant zurück. Bei der Volkszählung 1923 leben in Wien aber immer noch knapp 30 Prozent, die in einem anderen Land als Österreich geboren wurden.
illustration
Tabelle 1: Geburtsländer der Wiener Bevölkerung 1910–19348

Die tschechische und slowakische Bevölkerung

Obwohl zwischen 1918 und 1923 rund 150.000 Personen aus Wien in die Tschechoslowakei zurückwandern, bleiben die im Gebiet der Tschechoslowakei Geborenen weiterhin die wichtigste Zuwanderungsgruppe. 1934 umfasst diese Gruppe 292.880 Menschen, unter ihnen sind aber auch viele, die in deutschen Familien aufgewachsen sind. Nicht ohne Grund wird um die Jahrhundertwende vom „Česká Víden“ gesprochen, dem tschechischen Wien. Wie wichtig diese Menschen für das Gedeihen der Stadt sind, besingt ein Lied, in dem es heißt: „Wien ist Wien, aber ohne Tschechen wär’s hin“.9
Der tschechischen und slowakischen Minderheit in Wien kommt zugute, dass sie mit der 1918 neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik eine staatliche „Schutzmacht“ hat und Österreich sich sowohl im Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye als auch im Brünner Vertrag dazu verpflichtet, Minderheitenrechte zu achten und auch Schulen für tschechischsprachige Kinder zu betreiben.
Wie für jede ethnische Minderheit gilt: Die „Wiener Tschechen“ gibt es nicht. Über 300 tschechische und slowakische Vereine „bilden das Rückgrat der Minderheit“10 und sind Abbild ihrer Vielfältigkeit. Um ein Beispiel zu geben: Mitte der 1920er Jahre zählen die tschechischen Sportvereine in Wien mehr als 10.000 Mitglieder. Sie unterscheiden sich durch ihre politische Orientierung und sind tschechisch-national, sozialdemokratisch, kommunistisch oder katholisch wie der Sportverein Orel.11 Der Fußballklub Slovan spielt bis 1930 in der höchsten österreichischen Liga und ist der Stolz der tschechischen Gemeinde.
illustration
Zugewanderte aus Böhmen und Mähren prägen das Wiener Stadt- und Berufsleben als Schneider und Schneiderinnen, als Ammen und Köchinnen, als Arbeiterinnen und Arbeiter in den Ziegelwerken am Stadtrand oder auch als Schuster. Sie alle sind für das Wirtschaftsleben unentbehrlich, viele tschechische Namen erinnern noch heute an diese wichtige Gruppe.
(Foto: ÖNB)
illustration
Der Tormann von Slovan verteidigt gegen den legendären Rapid-Mittelstürmer Richard „Rigo“ Kuthan. Slovan schlägt Rapid 5:4. Der Sportovni Klub Slovan ve Vídni wird 1902 in Favoriten gegründet. Zwischen 1923 und 1950 spielt Slovan neun Mal in der obersten Liga, 1924 erreicht die Mannschaft das Pokalfinale.
(Abbildung: „Illustriertes Sportblatt“, 17.10.1925, ANNO/ÖNB)
In den tschechischen und slowakischen Vereinen kommen die Menschen zusammen, die ihre Sprache und Herkunftskultur bewusst pflegen und an ihre Kinder weitergeben wollen. Aber der Anpassungsdruck ist groß. Das Zusammenleben bleibt von vielen Widerwärtigkeiten und eigenartigen Formen des Wiener Schmähs geprägt. Wer etwa in der Straßenbahn tschechisch spricht, läuft Gefahr, angepöbelt und nachdrücklich aufgefordert zu werden, gefälligst deutsch zu sprechen. Es gibt eine Kultur der Abwertung von Zugewanderten, des sich Lustig-Machens über die anderen, die ärmer sind, die die Sprache nicht beherrschen und nicht verstanden werden. Meist handelt es sich um eine bösartige Witzelei, bei Kindern führt dies immer wieder zu Raufereien, etwa wenn die tschechischen Schulkinder als „falsche Behm“ beschimpft werden.12 Der Druck der Mehrheitsgesellschaft führt auch zum Phänomen der Überanpassung, die den Makel der Herkunft beseitigen soll. Um Anerkennung in einer deutsch geprägten Umwelt buhlend, überbetonen viele ihre deutschnationale Gesinnung. „Was ist den Herrn Stipany, Bolek, Sedlaczek, Busek, Krobot, Kaschka, Turek, Trepesch, Hora, Hryak, Matula, Ceremuga, Hawlitschek, Grzesicki, Kuna, Knotek, Walny, Abrahamsberg, Maurek, Luchesi, Stano, Bedra, Holuska, Jurda, Wanek, (…), Kusicka, Marschalek und Takacs gemeinsam? Sie alle haben bei den Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen vom 24. April 1932 für die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) kandidiert.“13 Obwohl bereits die Namen die multiethnische Herkunft der Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei verraten, bekämpft sie dennoch das „slawische Blut“ in Wien. Die Realität steht quer zur nationalsozialistischen Phantasie von einer „reinen“, „deutsch-arischen Herrenrasse“. Für Adolf Hitler und se...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Editorial
  5. Nationalsozialismus in Wien
  6. Anhang
  7. Impressum