Die Pantherfrau greift ein
Nichts geht schnell genug, nichts ist gut genug. So sah sie das, unsere Königin. Die Fortschritte bis Anfang April waren ihr einfach nicht gut genug, und so bat sie Tobias, ihr eine Ansprache an die brasilianischen Bauarbeiter zu arrangieren.
»Wenn es uns gelingt, Campo Bahia zu dem zu machen, was wir uns erträumt haben, dann wird sich auch für euch sehr viel verändern. Die ganze Gegend wird davon profitieren. Neue Baustellen werden entstehen und neue Jobs. Die Welt schaut auf Campo Bahia. Ihr habt sicher die vielen Berichte im Fernsehen gesehen und in den Zeitungen. Viele davon sind negativ, neidisch auf uns und was wir in dieser kurzen Zeit geschaffen haben. Sie lachen über uns, wenn wir es das Wunder von Santo André nennen, aber lasst sie nur lachen, denn wer zuletzt lacht, lacht am besten! Wir lassen uns nicht von unserem Ziel abbringen, und gemeinsam werden wir es schaffen. Ich bitte euch daher um eure Hilfe, eure Mitarbeit. Ich brauche von jedem von euch noch diesen kleinen extra Funken, der alles zum so heiß ersehnten Erfolg bringen wird. Und ihr werdet garantiert belohnt werden, ihr alle und eure Kollegen da draußen irgendwo in Bahia, die auf den nächsten Job warten, denn er wird kommen, Bahia wird eine Erfolgsgeschichte sein, denkt an meine Worte. Ich danke euch!«
Mit den Geistern von Bahia muss man sich gut stellen, um nicht unterzugehen. Christiane Hirmer wusste das, sie verstand es.
Ich stelle mir ihre Welt so vor wie eine Liste im Time Magazine der 100 Most Beautiful People in the World.
Christianes Shit List:
Leute, die klein denken.
Menschen, die Angst haben.
Unternehmer, die nichts wagen.
Männer, die Frauen verachten.
Männer, die Frauen als Sexobjekte benutzen.
Christianes Winner List:
Nehmen, geben und gewinnen.
Christianes Loser List:
Zaghaft sein, Zweifel haben, negativ denken.
Christianes Hope List:
Die Welt verändern.
Brasilien verändern.
Nicht mehr und nicht weniger.
Christianes Dream List:
Den Kindern von Santo André ein besseres Leben ermöglichen.
Freiheit durch Kunst.
Nachhaltigkeit.
Christianes Nightmare List:
Campo Bahia wird nicht rechtzeitig fertig.
Es war alles umsonst.
Deutschland scheidet in der Vorrunde aus.
Wenn ich an Christiane Hirmer denke, dann habe ich eine Vision, einen Traum.
Das Jahr heißt 2514. In den Geschichtsbüchern steht geschrieben, dass Bahia im Jahre 2014 während der Fußballweltmeisterschaft neu entdeckt wurde, neue Schulen, neue Häfen, umweltfreundliche Dynamik, nachhaltige Investitionen, Kinder, die rechnen und schreiben können und in einer globalen – wie auch in einer auf die Besiedelung von Mond und Mars ausgerichteten – Gesellschaft überleben können, all das geht auf Christian und Christiane Hirmer zurück, deren Namen dafür stehen, diese Welt verändert zu haben vor 500 Jahren.
Das IT-Problem und Gouverneur Wagner waren nicht die einzigen Krisen im Frühjahr 2014 in Campo Bahia. Königin Christiane wird in São Paulo im Shop von Adriana Degreas überfallen, als sie gerade dabei ist, fürs Camp einzukaufen. Ein Gangster war ihr vom Hotel gefolgt, und es gelang ihm, in das sonst so streng bewachte Geschäft einzudringen. Er hält ihr seine Knarre ins Gesicht. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, denkt sie, schließt die Augen und gibt ihm bereitwillig alles, was sie bei sich trägt. Als sie ein paar Sekunden später die Augen wieder öffnet, ist er schon verschwunden.
Ein Albtraum. Everyday life in Brasil.
Ich versuchte Christiane anzurufen, aber ihr Telefon war abgestellt. So schrieb ich ihr eine E-Mail:
Liebe Christiane,
gestern sprach ich mit K., der Frau von M., Präsident und CEO eines der erfolgreichsten Studios von Hollywood, und glücklich verheiratet mit einer Tochter (J.). Ich kenne M. ziemlich gut, er ist ein richtig guter Mann, eine Seltenheit in Hollywood, ebenso seine Frau, die vor drei Jahren ein ähnliches Erlebnis hatte wie du.
K. war shoppen in Beverly Hills, einem Teil von L.A., der allgemein als very safe betrachtet wird. Als sie wieder in ihr Auto stieg, wurde sie von zwei schwarzen Männern überfallen und ausgeraubt, at gun point. Sie erlitt ein heftiges Trauma. Ihr wurden Sachen im Wert von über einer halben Million Dollar weggenommen inklusive Ehering. Einer der Gangster verletzte sie am Arm. Aber sie hatte wie du Glück, dass ihr nichts Gravierendes zugestoßen ist.
Zwei Wochen später wurden die Täter gefasst, und K. ging zur Therapie, weil sie Albträume hatte. Der Psychologe war Leiter einer Support Group für traumatisierte Frauen, und sie lernte, loszulassen und zu vergeben und auch zu verstehen, dass es nicht um sie persönlich ging, dass sie nur stellvertretend für eine nicht perfekte Gesellschaft leiden musste.
Als ich ihr von deinem São-Paulo-Erlebnis berichtete, sagte sie: Tell Christiane to thank God that she is alright and to try to let go and forgive. Ein paar Monate nach K.‘s Raubüberfall gründete sie zusammen mit zwei anderen Opfern aus Beverly Hills eine Foundation for Inner-City-Kids, schwarze Kinder, die eigentlich sonst keine Chance hätten und vielleicht eines Tages auch kriminell geworden wären, so wie die beiden Gangster in Beverly Hills.
K. sagt, sie hat Frieden und Freude gefunden, obwohl sie natürlich auch genau weiß, dass diese Gesellschaft nie ideal sein wird, egal, was sie oder andere dafür tun. Ich hoffe, dass dieser kleine Report aus L.A. dir ein wenig Mut macht.
Liebe Grüße aus einem Land im Umbruch ... aber auch einem Land der Hoffnung ... unserem Brasilien.
Dein Ulli
Es verging eine Woche, bevor ich von Christiane hörte. Auch sie schrieb mir.
Lieber Ulli,
nun finde ich endlich die Zeit und die nötige Gelassenheit zu antworten. Ich danke dir von ganzem Herzen für deinen Beistand und die lieben Worte.
Die letzten Tage waren ein Wechselbad der Gefühle, der Zweifel und des inneren Widerstands. Die Erlebnisse kommen unverhofft zurück und stiften Verwirrung. Ich möchte nicht sagen, ich sei völlig aus der Bahn, nein, die Termine fragen nicht nach Befindlichkeiten.
Daily work must go on – gerade jetzt.
Die Zeit drängt, hier ist kein Platz für emotionale Störungen. Und dennoch überfällt mich immer wieder, meist nachts oder in stillen Momenten, die Angst, Zweifel, ob ich dieses Projekt mit meiner bisher bestehenden Begeisterung und Leidenschaft weiterführen kann oder möchte. Es ist mir ganz klar, dass der Überfall nicht gegen mich persönlich gerichtet war, vielleicht nur ein Einzelfall. Hoffentlich nicht mein Leben und meine Familie betreffend. Vielleicht aber auch ein Warnschuss? Viele offene Fragen ...
Ich weiß, ich bin stark genug, das Erlebte ohne Therapeuten zu bewältigen. Es ist ja nichts passiert ... Fast nichts. Ich bin so froh, wieder bei meinen Kindern zu sein. Ich umarme sie fester und inniger als zuvor und genieße jeden Moment mit ihnen sehr bewusst. Ein schönes Gefühl der Dankbarkeit.
Wir hatten heute ein gutes Interview mit der Zeitschrift Bunte. Ich hatte gemischte Gefühle, da ich stets authentisch agieren möchte und eine Verfechterin der offenen Worte bin. Ich habe ständig reflektiert und immer wieder das Gefühl, nicht mehr echt zu sein. Natürli...