Tagebuch eines Gefangenen
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Tagebuch eines Gefangenen

Erinnerungen eines Jahrhundertzeugen

  1. 607 Seiten
  2. German
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Tagebuch eines Gefangenen

Erinnerungen eines Jahrhundertzeugen

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Über dieses Buch

DER ZUSAMMENBRUCH DES DRITTEN REICHES PACKEND ERZÄHLT VON EINEM JAHRHUNDERTZEUGEN 27. August 1943: André François-Poncet sitzt mit seiner Familie unweit von Grenoble zu Tisch, als SS-Leute mit Maschinengewehr im Anschlag das Haus stürmen und ihn ohne Angabe von Gründen verhaften. Dieses Datum markiert den Beginn der wohl dunkelsten Zeit im Leben des erfolgsverwöhnten Botschafters, Schriftstellers und Humanisten André François-Poncet. Eineinhalb lange Jahre verbringt der "hellsichtigste Beurteiler Nazi-Deutschlands" als sogenannter Ehrengefangener – so der zynische Begriff der Nazis – im mondänen Ifen Hotel im Kleinwalsertal. Dort teilen zwei Dutzend weitere Persönlichkeiten aus aller Herren Länder sein aberwitziges Schicksal: abgeschottet in einem entlegenen Hochgebirgstal und in ständiger unerträglicher Ungewissheit, ob sie den nächsten Tag noch erleben werden. In seinem faszinierenden Tagebuch Carnets d'un Captif (Tagebuch eines Gefangenen) hält der "Grandseigneur" der europäischen Diplomatie seine paradoxen wie erschreckenden und gegen Kriegsende höchst dramatischen Lebensumstände in einer scheinbaren "Gebirgsidylle" fest. Anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes erscheint das Tagebuch François-Poncets nun erstmals in deutscher Sprache.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783944305868

TEIL 4
DAS ZWEITE JAHR

Samstag, 1. Januar

Der Silvesterabend war ruhig verlaufen. Die Kirchhoffs in einer Ecke, die Polizisten in den beiden anderen; wir saßen in der vierten Ecke, spielten Bridge und warteten auf das Läuten der Mitternachtsglocken. Wir hatten Nitti eingeladen, mit den zwei anderen Italienern bei uns Platz zu nehmen und mit uns den mittelmäßigen Schaumwein zu teilen. Diese Italiener, vor allem Senise und Rosa, sind wahre Leergewichte. Sie sagen nichts; sie gehen kaum aus; sie bringen uns keinerlei Anregung. Wir hatten sie herangewinkt, aus Solidarität und Nittis wegen, der oft langweilig und rechthaberisch, aber intelligent und lebendig ist. Und sie schienen glücklich darüber, aufgenommen worden zu sein. Um Mitternacht brannte das Feuer im Kamin in der Halle; die Anwesenden erhoben sich mit dem Glas in der Hand, und nun begannen die allgemeinen »Prosit Neujahr«-Sprüche und das gegenseitige Händeschütteln.
Die Polizisten, mit denen wir nur stumm feindselige Blicke getauscht hatten, wollten uns auch die Finger drücken, als ob sie plötzlich gerührt und uns gegenüber freundschaftlich gesinnt gewesen wären. Kirchhoff ließ danach Glühwein und Krapfen servieren.
Um 1 Uhr nachts gingen wir auf unsere Zimmer, und auch die Kirchhoffs zogen sich zurück. Nach unserem Weggang sollen sich die Polizisten ein wildes Gelage geliefert haben, das bis 5 Uhr früh gedauert haben soll. Die Serviererinnen waren empört, und Kirchhoff bedauerte, dass man ihm solch vulgäre Gäste ins Hotel geschickt hatte. Den ganzen Tag über versammelten sich die Dorfkinder vor dem Hotel und sangen ihre Neujahrswünsche: Gesundheit, Glück und schließlich das »Himmelreich«! Man dankte es ihnen mit Zehn-Pfennig-Münzen, und sie setzten ihre Runde fort. Als ich die Fensterläden schließe, zerbreche ich meinen Handspiegel: Ein schlechtes Vorzeichen, doppelt schwerwiegend an einem 1. Januar!

Montag, 3., bis Mittwoch, 5. Januar

Normale Tage, monoton, in der Nacht von Montag auf Dienstag und den ganzen Vormittag durch starke Schneefälle gekennzeichnet. Kurze Spaziergänge – Bridge – Langeweile. Die Radionachrichten verkünden ein neues Bombardement auf Berlin. Die Polizisten scheinen konsterniert. Ich plaudere mit einem von ihnen, er ist Vater von zwei Jungen; seine Frau, die früher einmal meinen Freund Pelet-Narbonne kannte, musste plötzlich in die Klinik von Sonthofen eingeliefert werden, wo sie wegen Darmverschluss notoperiert werden muss.
Er wirkt niedergeschlagen. Er erzählt mir, dass man ihm den Aufenthalt im Hotel Ifen für seinen selbstlosen Einsatz spendiert habe und wegen seiner unermüdlichen Anstrengungen, um jenen Berlinern zu Hilfe zu eilen, die unter den bombardierten Gebäuden eingeschlossen waren. Er beschreibt mir das Grauen der Brände, der Explosionen, der Ruinen, der Leichen. Er glaubte, diesen Unglücksvisionen entkommen zu sein, und nun ist das Leben seiner Frau in Gefahr, genau an dem Ort, an dem er ein wenig Ruhe finden wollte!

Donnerstag, 6., und Freitag, 7. Januar

Nichts Nennenswertes. Neue Polizistenpaare sind zu den anderen hinzugekommen, allesamt hässlich und vulgär, die einen wie die anderen. Wir sind in einem »Polizistenhotel«! Das ist nicht unbedingt die feine Gesellschaft aus internationalen Diplomaten, die mir Höhner seinerzeit angekündigt hatte. Der scheint übrigens keinerlei Autorität zu besitzen; er hat noch nichts von dem realisiert, was er uns versprochen hatte: keine Zeitungen, keine Seife, keine Pakete, keine Briefe – oder herrscht vielleicht in Deutschland ein größeres Chaos, als wir glauben?
Hardy war in Kempten, um dort einen Augenarzt aufzusuchen; er wurde von einem der Polizisten begleitet, die auf Erholung in unserem Hotel weilten und von dem sich Wagner hatte vertreten lassen; er erwies sich im Übrigen als sehr freundlich. Hardy war nicht nur über das mittelmäßige Mahl schockiert, das er mit seinem Aufseher im besten Lokal der Unterpräfektur einnahm, sondern auch über die gefügige, disziplinierte Haltung der Bevölkerung erstaunt.

Samstag, 8. Januar

Unser Aufseher Wagner, ganz auf Linie gebracht und seine Bewachung auf ein Minimum reduzierend, muss sich nach Prag begeben, wo er irgendeine Prüfung abzulegen hat. Er wirkt gelangweilt und besorgt. Eine Woche wird er abwesend sein: Aus München kam Ersatz: ein Deutscher mit grob rasiertem Gesicht, noch ungehobelter, noch vulgärer und noch schwergewichtiger als alle anderen um uns herum. Diese deutschen Polizisten-Exemplare, die uns zur Bewachung geliefert werden, sind wahrlich nicht dazu geeignet, den Hitlerismus attraktiv zu machen!

Montag, 10. Januar

Das Wetter wird nach acht sehr schönen Tagen schlechter. Der Föhn weht. Das Thermometer klettert auf über null Grad Celsius. Der Schnee fällt wie Regen.
Ich gehe den ganzen Tag nicht aus dem Haus. Der Ersatz für Wagner hat gestern Abend dessen Frau intensiv den Hof gemacht. Heute Morgen ist sie mit ihrer Tochter abgereist. Dabei hat sie sich wohl klüger als ihr Mann verhalten. Sie kehrte nach Augsburg zurück, wo sie wie alle Frauen, deren Kinder in die Schule gehen, genötigt ist, einem Beruf nachzugehen. Was den Stellvertreter betrifft – er heißt Grabinger –, so kam ihn heute seine hochschwangere und immerzu auf ihren Bauch schielende Ehefrau besuchen. Für beide ist dieser Gratisaufenthalt in den Bergen ein wahrer Glücksfall! Es gibt ein Polizistenpaar mehr im Haus. Der Mann ist Hauptsturmführer der SS und trennt sich nie von seiner Uniform. Das ergibt 18 bis 20 Polizisten; wir ertrinken inmitten der Gestapo und deren Satelliten.

Dienstag, 11., und Mittwoch, 12. Januar

Die Radionachrichten vom Dienstagabend und vom Mittwochmorgen melden uns die Verurteilung zum Tode und die Exekution des Grafen Ciano, des Marschalls De Bono und von drei anderen unbedeutenden ehemaligen Ministern des Großen Faschistischen Rates.
Um den wahren Charakter dieses Aktes zu begreifen, muss man wissen, dass Ciano und seine Komparsen nichts anderes getan hatten, als vor dem Großen Rat, den Mussolini einen Tag nach der Unterredung von Verona einberufen hatte, um die Meinung seiner Kollaborateure einzuholen, eine gegensätzliche These – die im Übrigen von Grandi vorgebracht und verfochten worden war – zu jener des Duce zu vertreten. Man muss wissen, dass Grandi selbst Mussolini vor der Sitzung an gekündigt hatte, er werde ihn bekämpfen, und dass er ihm den Text seines Antrags übermittelt hatte; man muss wissen – Senise und Rosa haben es mir bestätigt –, dass Ciano weder mit dem König noch mit Badoglio, mit dem er sogar auf schlechtem Fuß stand, gemeinsame Sache machte; dass Badoglio, als er an die Macht kam, Order gegeben hatte, ihn festzunehmen; dass er daraufhin in die Deutsche Botschaft geflüchtet war, von wo er mitsamt seiner Frau und seinen Kindern nach München gebracht wurde.
Ciano hat also den Duce nicht verraten; er hat einfach die den Ratsmitgliedern zustehende Freiheit dazu genutzt, gegen seinen Schwiegervater auszusagen und gegen ihn zu stimmen, der eine absolut untergebene Haltung gegenüber Deutschland und seinem Militärkommandanten befürwortete. Daraus kann man legitimerweise den Schluss ziehen, dass Italiens Verräter nicht der Schwiegersohn, sondern vielmehr der Schwiegervater war. Nichtsdestoweniger wurde Ciano vom Duce eingefordert, von der Reichsregierung ausgeliefert, vor ein Gericht nach Verona geschleppt, zum Tode verurteilt und exekutiert.
Dies ist ein entsetzliches, geradezu Shakespeare’sches Verbrechen; es zeigt, dass Mussolini ein wahrhaftes, von Groll, Stolz, Rachsucht und unter dem Einfluss der Nazis stehendes Monster geworden war … Denkt man auch nur daran, dass Kinder erfahren müssen, ihr Vater wurde von ihrem Großvater getötet, und dass sie für sich entscheiden müssen, ob ihr Vater ein Verräter oder ob ihr Großvater ein Mörder war? Warum kommen die ärgsten Tyrannen, die blutrünstigsten, die machtverblendetsten, immer direkt aus dem Volk?
Ich kannte Ciano gut; ich habe ihn immer irgendwie geschätzt. Man hat ihm keine Gerechtigkeit widerfahren lassen; er war intelligent, gewissenhaft; er arbeitete korrekt und methodisch. Seine private Haltung schadete ihm. Er war deswegen kein schlechter Minister, der seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen wäre.
Mir gegenüber verhielt er sich nach monatelangen Feindseligkeiten schließlich ehrlich und loyal. Es stimmt wohl, dass er die Exzesse der Faschisten und der Diktatur missbilligte, dass er ein humaneres, weniger gestenreiches, höflicheres Regime wünschte, dass er die Farinacci, die Starace und andere Bestien verabscheute. Wahr ist auch, dass er den maßlosen Einfluss verurteilte, den Deutschland ausübte, und die Politik, die mehr und mehr das Schicksal Italiens mit jenem des Reiches verband.
Dies alles gereicht ihm zur Ehre. Die Ereignisse werden ihn rehabilitieren. Ich jedenfalls werde eine milde Erinnerung an ihn bewahren. Sein Tod wird jenen kein Glück bringen, die dieses Ende beschlossen hatten. Er war ein tapferer Mann, und ich wäre verwundert, wäre er nicht als ein solcher gestorben. Und was soll man zur Exekution von Bono sagen, einem Greis von 84 Jahren! Wir erleben schreckliche Zeiten, die uns um mehrere Jahrhunderte zurückwerfen! Aber die Herausforderung dieses zerstörerischen Krieges besteht eben darin, zu erfahren, ob Europa sich wirklich einer unerbittlichen Doktrin unterwerfen muss, welche die Menschen zertritt, nur das Gesetz von Macht, Eisen und Feuer kennt und den uneingeschränkten Zynismus zur Maxime und Staatsräson erhebt!

Donnerstag, 20. Januar

Zum Abendessen erscheint ein neues Paar: ein SS-Sturmbannführer, ein großer Kerl in Stiefeln mit einem Wolfsgesicht, flankiert von einer Frau mit vulgären Zügen. Wir empfinden ihn als neues Exemplar dieser Polizistenspezies, die man hierher zur Erholung schickt, wenn sie bombardiert wurden und brave Untertanen sind. Nach dem Abendessen erfahre ich aber von Kirchhoff, dass Wagner seiner Funktionen enthoben und durch den Neuankömmling ersetzt worden war. Theaterdonner! Außerdem sollen in wenigen Tagen zwei Generäle kommen, um unsere magere Kolonie zu verstärken. Noch ein Theaterdonner! Wer könnten diese beiden Generäle sein und woher könnten sie kommen? Sind es ehemalige Internierte oder frische Gefangene? Ein Ratespiel …

Freitag, 21. Januar

Nach dem Frühstück mache ich die Bekanntschaft des neuen Kerkermeisters. Er versichert mich seines guten Willens und seines Wunsches, alles zu tun, um uns den Aufenthalt in Hirschegg angenehm zu gestalten. Er bringt Rasierseife und Rasierklingen … Seine Frau, die als seine Sekretärin fungiert, verstehe Französisch, sagt er, ohne es fließend zu sprechen; sie wird unsere Briefe vor dem Versenden zensurieren, was eine Zeitersparnis bedeutet; er kommuniziert direkt mit General Kaltenbrunner; dieser wird die Hindernisse beseitigen, die sich der Weiterleitung der Korrespondenzen entgegenstellen … Nun denn! Wir werden sehen. Nitti wirkt begeistert, Wagner ist kleinlaut.

Samstag, 22., und Sonntag, 23. Januar

Der neue Aufseher heißt John – ein komischer Name für einen Deutschen, obwohl die Aussprache nicht auf englischen Ursprung schließen lässt. Wir taufen ihn sofort Johnny. Nach dem ersten Kontakt hält er sich ziemlich abseits, unterhält sich vor allem mit Wagner. Er ist ein alter Mann. Er ist 60 und färbt sich die Haare. Auch er und seine Frau sind große Liebhaber von Schach, das offensichtlich und wahrscheinlich von höherer Stelle aus das Bildungsspiel der deutschen Polizei darstellt.

Dienstag, 25. Januar

Wagner verlässt heute das Hotel. Johnny gesteht mir, dass es ihm recht wäre, würde ich seiner Frau helfen, unsere Briefe zu übersetzen. Es wird deutlich, dass sie kein Französisch kann, und mit ihrer Behauptung, es zu können, hat sie sich wohl die Möglichkeit verschafft, ihren Mann zu begleiten, und sich damit wahrscheinlich auch ein kleines Einkommen gesichert. Johnnys Idee ist, die Übersetzung gleich mit den Briefen mitzuschicken, um so seine Sprachkenntnisse unter Beweis zu stellen und späterhin die Erlaubnis zu erhalten, diese Briefe unter seiner Kontrolle direkt an Paris zu senden, ohne den Umweg über Berlin. Wird ihm das gelingen?

Dienstag, 1., bis Samstag, 5. Februar

Ich habe die Gelegenheit, mich mit John und seiner Frau ganz familiär zu unterhalten. Diese ist intelligenter, als ihr Äußeres zunächst vermuten lässt. Johnny erinnert sich gut an ihre Kontakte zur französischen Polizei in Bordeaux! Sie war exzellent gegen die Kommunisten, meint er, nicht operativ und im tiefsten Inneren aber gegen die Nationalisten und die Gaullisten. Seiner Meinung nach wurde die ganze antideutsche Unruhe in Frankreich durch die englische Propaganda verursacht, die lange Zeit durch die Demarkationslinie begünstigt wurde. Er erzählt mir, dass eine geheime Armee unter der Führung von entlassenen Offizieren zusammengestellt werden sollte. In kleine geheime Gruppen aufgeteilt, sollen sie ausreichend Waffen gehabt haben; die Kommunisten drangen jedoch zuhauf ein, bewaffneten sich auf diese Weise und verwandelten ihre Truppen in bolschewistische Einheiten.

Sonntag, 13., bis Donnerstag, 17. Februar

In der letzten Zeit einen rumänischen Roman von Rebreanu gelesen: Die Erde, die trunken macht, solide und lebendig; einen anderen von R. Herzog: Die Wiskottens in der guten Tradition von G. Freytag, dem Darsteller des industriellen Lebens in Barmen und im Tal der Wupper; ein Buch von Nitti: Der Niedergang Europas, eher ein polemisches Werk, ein virulentes Pamphlet als das Werk eines Wissenschaftlers und Professors. In diesem Buch – wie auch in seiner Konversation – verleiht dieser kleine Mann allen Personen, die ihm nicht gefallen, vernichtende Attribute: Marx ist ein verrückter Visionär, Gobineau ein Esel, George Bernard Shaw ein Hanswurst, Spengler ein erbärmlicher Langweiler usw.
Seine Argumentation ist übrigens richtig; allerdings predigt Nitti die Rückkehr zu Demokratie und Freiheit, ohne hervorzuheben, dass der falsche Umgang damit, gegen den man sich schützen müsse, es war, der den Marxismus, den Rassismus und die totalitären Gewaltherrschaften hervorgerufen hat!

Montag, 21., bis Freitag, 25. Februar

John hat mir berichtet, dass die zehn internierten Franzosen, deren Ankunft seit einiger Zeit angekündigt wird, in den ersten Märztagen ankommen würden; ihnen würden zwei SS-Paare vorangehen. Ich konnte ihm unter der Hand einige Namen der erwarteten Franzosen entlocken; unter ihnen General de La Porte du Theil, dem ich mehrmals begegnet bin, als er die Jugendlager und den Arbeitsdienst leitete, und der mich bis zu jenem Tag interessierte, als er sich besann, seine Anstrengung nunmehr auf die Verschickung der Jugendlichen aus den Jugendlagern in die deutschen Arbeitslager zu konzentrieren. Guy La Chambre, ein freundlicher und charmanter Typ; Escallier, ehemaliger Finanzchef und Gouverneur der Banque d’Algérie, und General Duchemin, beide zur gleichen Zeit in Plansee wie La Grange und Hardy, die sie sehr schätzten. Und schließlich die Frau von General Trémeau und seine Tochter, die, wie ich meine, als Geiseln gehalten wurden, um den General wegen seines Überlaufens zu den Dissidenten zu bestrafen. Wie werden sich die Neuankömmlinge verhalten und jene, deren Namen ich noch nicht kenne? Wie werden sie sich mit uns verstehen? …
Am Freitag, dem 25. Februar, habe ich von Jacqueline einen Brief vom 4. Februar erhalten. Das ist, glaube ich, der bisher erreichte Schnelligkeitsrekord unserer Post! Hoffentlich hält dies an! Im selben Umschlag war ein Brief des tapferen Borotra von Ende Januar, der wiederum meinen Brief beantwortete: Er ließ mich wissen, dass jene Bewohner des Schlosses Itter, die meinen Platz und den von Nitti eingenommen hatten, nicht die waren, die Daladier, Jouhaux, Reynaud, Gamelin sich als Gefährten gewünscht hätten. Es habe im Gegenteil unter den Neuen und den Alten eine etwas dornige Kontaktaufnahme und einige ungute Szenen gegeben.
Vermutlich wollten die Deutschen genau das erreichen, denn sie kannten sehr wohl die gegenseitigen Beziehungen der bewussten Personen. Doch schließlich hätte die Sorge um die nationale Solidarität und um die Haltung vor dem Gegner den Frieden und eine annehmbare Lebensweise wiederhergestellt. Um wen kann es wohl gehen? Um General Weygand? Wir werden unsererseits versuchen, solche Gewitterstürme zu vermeiden.

Samstag, 26., bis Dienstag, 29. Februar

Die Lektüre von Balzac, von dem ich gerade Eine Episode aus der Zeit der Schreckensherrschaft. Der Abgeordnete von Arcis [Le Député d’Arcis] und Die Muse des Departements ausgelesen habe, hat mich tief beeindruckt und einmal mehr erstaunt. Der erste dieser beiden Romane enthält Briefe allererster Güte. Die Darstellung der Gefühle von Madame de Lestorade in diesen Briefen ist vom Edelsten. Um wie viel besser als die lockeren Zweideutigkeiten der Gefährlichen Liebschaften! Die Beschreibung des kleinen Ortes und die Aufregung, welche die bevorstehenden Wahlen mit sich bringen, sind Ausdruck intensiven Lebens, von perfekter, altersloser Natürlichkeit. Entweder ist Balzacs Fantasie so außergewöhnlich oder aber seine Beobachtungsgabe so herausragend. Wahrscheinlicher ist, dass er Bilder von Menschen vor den Augen hat, die er einmal kannte und die ihm als Vorlage dienten. Wie sonst könnten sie so lebendig sein?
Die Muse des Departements, ein Werk, das nicht zu den besten zählt, das aber ein vorzügliches Bild einer Frau mit ländlicher Geisteshaltung bietet, die dem Charme eines Pariser Literaten (Lousteau) und des Pariser Lebens erliegt und sich in ein heikles Liebesabenteuer stürzt, in dem plötzlich wieder ihre moralische Einstellung die Oberhand gewinnt. Diese Geschichte gehört wohl zu jenen, die Alphonse Daudet in Erstaunen versetzt hätten. Daudets Romane haben hier ihren Ursprung. Es gibt in der Muse des Departements ein erwähnenswertes Kapitel über Stendhal.
»Die Liebe dieser Frau vereint letztlich alle Schattierungen, die unser analytischer Geist entdeckt haben mag und die moderne Gesellschaft geschaffen hat. Einer der bemerkenswertesten Männer der Zeit, dessen kürzlicher Verlust immer noch in manchen Schriften mit Bedauern erwähnt wird, hat sie als Erster perfekt charakterisiert: Beyle (Stendhal) … Die wahre Liebe enthält alle Nuancen: die Herzensliebe, die geistige Liebe, die leidenschaftliche Liebe, die Liebelei, nach der Definition von Beyle.«
Der Satz »einer der bemerkenswertesten Männer dieser Zeit« wird von Léon Blum in seinem Buch Stendhal et le Beylisme Taine zugeschrieben. Ich habe ihn bei Tain...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Geleitwort
  6. Einführung
  7. Vorrede
  8. 1943
  9. 1944
  10. 1945
  11. Danksagung
  12. Personen
  13. Literatur
  14. Karte
  15. Index
  16. Bildteil
  17. Anmerkungen