HEKTOR HAARKÖTTER
COMPUTER ASSISTED REPORTING (CAR): WIE DER COMPUTER DEM JOURNALISMUS HILFT
KURZZUSAMMENFASSUNG
Der Computer regiert heute als wichtigstes Arbeitsgerät die journalistische Produktion auf allen Ebenen. Ob Recherche, Auswertung von Informationen und Daten, ob »Storytelling« oder »Publishing«: alles total digital. »Computer Assisted Reporting« ist nicht einfach eine neue Teildisziplin des Journalismus, sondern schlichtweg unverzichtbar im heutigen Journalismus. Haben im Layout, in der Druckstufe oder beim Fernsehen die digitalen Arbeitstechniken die hergebrachten analogen ersetzt, so sind mit dem Datenjournalismus oder der Multimediareportage gänzlich neue Arbeits- und Darstellungsformen entstanden.
LERNZIELE
Einen Überblick über die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten des Computers im journalistischen Alltag gewinnen.
Den Prozess der Datenrecherche und Datenverarbeitung erfassen.
Verstehen, wie sich mit »Computer Assisted Reporting« Geschichten auf neuartige Weise erzählen lassen.
1. JOURNALISMUS IST MEHR ALS GOOGELN
Der deutsche Fernsehjournalist Wolf von Lojewski traut dem Computer nicht mehr über den Weg. Der ehemalige ARD-Auslandskorrespondent und Moderator des ZDF Heute Journals sieht durch die Entwicklung der Kommunikationstechnik und der Social Media sogar den Journalistenberuf bedroht. Heute müssten Journalisten ständig twittern oder über Handy und Internet erreichbar sein, sodass es theoretisch sein könne, »dass der Journalist irgendwann keine Zeit mehr hat, seinen Platz am Computer zu verlassen«, bedauerte der Moderator (Lojewski 2012).
Nicht für alle Journalistinnen ist von Lojewskis Vision eine negative Utopie. Progressive Onlinejournalisten, Kommunikationsnerds und Multimediarebellinnen fühlen sich nirgends wohler als hinter ihren »Flatscreens«. Aber auch für Journalisten, die nach wie vor für klassische journalistische Publikationen arbeiten, sind nicht mehr Reporterblock und Kugelschreiber die wichtigsten Arbeitsmittel. Dabei steht der Computer heute gerade bei der Internetrecherche im Mittelpunkt. Er ist aber auch in anderer Hinsicht das mit Abstand wichtigste Arbeitsgerät im Journalismus geworden, und zwar auf allen Ebenen der journalistischen Produktion. Von der Themenfindung über die Recherche und das »Fact Checking«, das Schreiben und Prüfen des Texts oder die Herstellung eines Bewegtbildbeitrags, über Layout und Design, Druckvorstufe und Druck bis hin zur Publikation oder zur Ausgabe auf einem (digitalen) Endgerät geht ohne Computer heute nichts mehr. Dieser Umstand hat das Berufsbild und das Anforderungsprofil von Journalisten massiv verändert.
Die Entwicklung begann bereits mit den technischen Umbrüchen Anfang der 1970er-Jahre, als Zeitungen vom Bleisatz zum Fotosatz übergingen; damit einhergehend wurden aus den Redaktionsschreibtischen Bildschirmarbeitsplätze. Die Nachrichtenagenturen AP und dpa führten bereits 1973 elektronische Redaktionssysteme ein (Wilke 2004, 87). Als der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Johannes Binkowski, im Verbandsblatt Die Zeitung wegen dieser Elektronisierung die Frage stellte, ob der Redakteur künftig ein »Redaktroniker« sei, war das dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel noch eine satirische Meldung in seiner Satirespalte »Hohlspiegel« wert (Spiegel 1977). Mit der Einführung des Desktop-Publishing 1985 und des ersten grafikfähigen Internetbrowsers Mosaic 1993 war denjenigen Journalisten, die noch der Gutenberg-Galaxis verhaftet waren, wohl endgültig das Lachen vergangen. Journalismus jenseits des Computers ist seitdem nicht mehr denkbar. Wie der »Assistent Computer« die Art und Weise, wie man journalistisch Geschichten findet und erzählt, verändert hat, darum soll es in den folgenden Zeilen gehen.
2. FALLBEISPIEL: DER »ZUGMONITOR« AUF SUEDDEUTSCHE.DE
Pfeile rasen über eine Deutschlandkarte, grün, gelb oder rot hinterlegt. Ein Klick auf solch einen Pfeil, und man erfährt: Er steht für einen Fernzug im Schienenverkehr der Deutschen Bahn. Die grünen Pfeile werden ihre Ziele pünktlich erreichen, die roten dagegen haben Verspätung. Pünktlichkeit ist in Deutschland ähnlich wie in der Schweiz ein Mythos. Und die Eisenbahn steht immer noch für diese Pünktlichkeit, immerhin wurde ja eine einheitliche Weltzeit im 19. Jahrhundert auf Betreiben der Eisenbahner eingeführt (Kinnebrock 2012, 34). Die Mitarbeiter von OpenDataCity, ein Zusammenschluss von Journalisten, Programmierern und Grafikern, haben sich im Auftrag der Süddeutschen Zeitung darangemacht, den Mythos zu überprüfen: Wie pünktlich ist denn die Deutsche Bahn?
In monatelanger Arbeit haben sie im Internet frei zugängliche Daten gesammelt, in einer Datenbank gesammelt und ausgewertet. Aus Fahrplanverbindungen, wie jeder Bahnkunde sie heute am Computer abfragen kann, und den dort angegebenen verspäteten Abfahrtzeiten hat das Team errechnet, wie die Züge sich du...