Verlust der Mitte
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Verlust der Mitte

Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit

  1. 263 Seiten
  2. German
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Verlust der Mitte

Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Im ersten Teil behandelt Sedlmayr die >>Symptome >Gesamtaufgaben >der 'Befreiung' zum Ende der Kunst >als Ganzes gesehen, gerade auch im Chaotischen, den Charakter eines >geschlossenen< Zeitalters<< gewinnen kann. Vorläufig erweist sich als ihr einigendes Kriterium das Leiden an der Gottferne, die nirgends in gleicher Weise zum Ausdruck kommt wie in der Kunst.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783701355372
ERSTER TEIL
SYMPTOME
„........................
Fragmente dessen, was das Herz erschaut,
Sind unsre Städte mir, ein schwacher Schein.
Das große Babylon ist nur ein Scherz,
Will es im Ernst so groß und maßlos sein
Wie unser babylonisch Herz.“
(Aus „The heart“ von Francis Thompson)
ERSTES KAPITEL
NEUE FÜHRENDE AUFGABEN
„Denn die Aufgabe ist nichts anderes als das nach Gestalt verlangende Leben selbst.“ (H. Schrade)
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts treten neue führende Aufgaben auf, die es entweder überhaupt noch nie gegeben hat oder die doch noch niemals die Führung beansprucht hatten.
Die bisher führenden Aufgaben der Kunst – Kirche und Palast-Schloß – mehr und mehr zurückdrängend, lösen sie einander in rascher Folge in dem Anspruch auf Führung ab: von rund 1760 bis heute lassen sich sechs oder sieben solcher führender Aufgaben unterscheiden, die jedesmal für ganz Europa gültig sind: Landschaftsgarten, architektonisches Denkmal, Museum, Theater, Ausstellung, Fabrik. Keine von ihnen hat also die Führung länger als eine oder höchstens zwei Generationen lang behaupten können. Jede von ihnen ist Symptom.
In ihrer Abfolge ist ein deutlicher Riditungssinn erkennbar.
Der Verlauf im großen wird an den führenden Aufgaben deutlicher erkennbar als an jeder anderen Wandlung der Kunst, obwohl der Vorgang von anderen, ungeordneten Bewegungen verunklärt wird. Diese Betrachtung gibt den sichersten Faden, um sich durch das Labyrinth des 19. und 20. Jahrhunderts hindurchzufinden.
Doch kann man von führenden Aufgaben – diese Einschränkung muß sofort gemacht werden – nur in einem begrenzten Sinn sprechen. Denn nur der Schwerpunkt der Architektur liegt in diesem Bereich. Nur die Architekten und die großen Gartenkünstler sind noch von daher zu erfassen, alle ihre Namen kommen hier vor. Aber von der großen Malerei wird so nur der geringste Teil erfaßt. Ihre bedeutendsten Leistungen entstehen abseits von diesen Aufgaben und vielfach überhaupt nicht mehr für eine bestimmte Aufgabe, sondern als „freie“ Kunst, für sich, ohne öffentlichen Auftrag. Das hängt damit zusammen, daß zum Unterschied von den alten Gesamtaufgaben, Schloß und Kirche, die neuen nicht mehr Gesamtkunstwerke sind, die den bildenden Künsten einen festen Ort und feste Themen anweisen, sondern entweder reine Architektur, wie das architektonische Denkmal, oder bloß architektonischer Rahmen, wie Haus oder Museum, in die „freie“ Kunst zur beliebigen Füllung eintreten kann. Nur in der Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht in dem Theatergebäude eine Renaissance des Gesamtkunstwerks: es ist die einzige unter diesen Aufgaben, für die bedeutende Maler und Bildhauer in gebundenem Auftrag schaffen.
In welchem Sinn kann man aber dann überhaupt noch von führenden Aufgaben sprechen? Ist es nicht Willkür, aus der sehr großen Zahl neuer Aufgaben, die jetzt auf künstlerische Gestaltung Anspruch erheben, gerade diese wenigen herauszugreifen? Es gibt doch daneben Börse, Parlament, Universität; Hotels, Krankenhäuser, Bahnhöfe, Stadien usw.
Führend dürfen diese Aufgaben heißen:
1. weil sich ihnen die gestaltende Phantasie mit besonderer Vorliebe zuwendet;
2. weil hier die größte Sicherheit der Haltung erreicht wird und oft ein fester Typus entsteht;
3. ganz besonders, weil von ihnen, wenn auch in beschränktem Bereich, etwas wie stilbildende Kraft ausstrahlt, weil sich ihnen andere Aufgaben angleichen und unterordnen;
4. weil sie bewußt oder unbewußt mit dem Anspruch auftreten, die Stelle der alten großen, sakralen Architekturen einzunehmen und eine eigene Mitte zu bilden.
An diesen Aufgaben ist noch etwas von der kollektiven Macht der Kunst zu spüren, die dem 19. und 20. Jahrhundert in seinem maßlosen Individualismus sonst weithin verlorengegangen ist. Wenn auch weniger mächtig, sind sie in dieser Hinsicht doch die Erben der großen Gesamtkuristwerke der Vergangenheit.
In der Frühzeit des Abendlandes war die führende Aufgabe das Gebäude der Kirche. Es ist die Gesamtaufgabe für alle Künste, und was es daneben an anderen Aufgaben gibt, kann sich an Bedeutung mit ihm nicht vergleichen und steht stilistisch und motivisch ganz unter seinem Einfluß.
Seit dem späten 13. und dem 14. Jahrhundert kommen neue Aufgaben auf: von diesen hat das Rathaus nur in vereinzelten Gegenden Europas und für kurze Zeit gleiches Gewicht mit dem Kirchengebäude erlangen und eine eigene Bilderwelt entwickeln können. Die Zukunft gehört zwei anderen Aufgaben, die gewissermaßen nur zwei Ausprägungen derselben Aufgabe sind: dem Schloß und dem Palast. Im 14. Jahrhundert geschaffen, bekommen sie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gleiches Gewicht mit dem Kirchengebäude und übertreffen es zeitweise sogar; sie werden gleichsam Sakralgebäude, Kultstätten des großen, des divinen Menschen, und bilden eine eigene Bilderwelt, eine eigene „Ikonologie“ aus. Neben den kirchlichen stehen jetzt weltliche Gesamtkunstwerke oft sicherer in der Haltung als jene.
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Abb. 1
AUS DEM PARK VON MUSKAU (Seite 19)
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Abb. 2
LENNÉ, PARK UM SCHLOS CHARLOTTENHOF (Seite 94)
Die alten Gesamtaufgaben „welken“
Diese Aufgaben verlieren ihre Führung im Laufe des 19. Jahrhunderts vollkommen. Nicht als ob nicht viele und oft sehr kostspielige Schlösser, Stadtpaläste und Kirchen gebaut worden wären. Aber die Sicherheit der Haltung ist dahin, und stilbildende Kraft geht von ihnen nicht mehr aus.
Die Kirche ist nicht mehr imstande, einen festen neuen Typus des Kirchengebäudes hervorzubringen. Sie tastet unentschieden nach leeren Gehäusen, um in ihnen Halt zu finden: nach altchristlichen, byzantinischen, romanischen, gotischen und Renaissance-Formen. Vorübergehend verbirgt sie sich sogar in der Außenschale eines griechischen Tempels. Wie oberflächlich dieses ganze Formenwesen ist, zeigen in erschreckender Deutlichkeit Schinkels Entwürfe für die Werdersche Kirche in Berlin. Die vollkommen unverändert bleibende, kubische Grundform wird „zur Wahl“ einmal romanisch, dann gotisch, dann antikisch „verkleidet“, maskiert (Abb. 17, 18). Dieses Auseinanderklaffen von Grundform und Kleinform, die man als bloße Dekoration auffaßt, wird nun Schicksal der europäischen Kunst überhaupt. Nirgends aber ist es so schroff sichtbar geworden wie gerade an der Gelegenheit des Kirchengebäudes, was zweifellos tiefere Gründe hat. Die Konzeption des Kirchengebäudes selbst ist eben und nicht nur im protestantischen Raum – im Grunde eine „massive“, „kahle“, aufklärerische. Das religiöse Element an ihr ist nicht sakramental und mythisch, sondern nur poetisch, nicht organisch, sondern „Gewand“, bloßer ideologischer Mantel, entliehen der Vergangenheit.
Nur ein einziges Mal in diesem ganzen Ablauf von 1760 bis heute hatte es den Anschein, als ob die Aufgabe des Kirchengebäudes wieder die Führung übernehmen könnte: zur Zeit der Heiligen Allianz. Damals zeichnete Schinkel seine Entwürfe für einen deutschen Nationaldom in gotischen Formen, es erscheint 1815 die Flugschrift „Die neue Kirche“, bald darauf geht man mit Begeisterung daran, den Kölner Dom auszubauen. Aber wieder verraten alle diese Pläne, daß der Gedanke etwas Ausgehöhltes hat. Und auch später im Jahrhundert, wenn die neugotischen Kirchenbauten sich getreuer an die historischen Vorbilder halten, spricht aus der Gestaltung der Einzelformen das Wesenlose einer Geisterbeschwörung. Immerhin ist im Kirchenbau die neugotische Kirchenform diejenige gewesen, die sich am durchgehendsten und längsten gehalten hat, wobei freilich hinter den gotischen Einzelformen ganz verschiedene geistige Haltungen stehen. Noch bis in die Gegenwart wurden Kirchen in neugotischen Formen gebaut.
Aber die geistige Erneuerung der gotischen Kirche ist – wie auch die Erneuerung der Scholastik – nicht gelungen. Am schärfsten kommt das darin zum Ausdruck, daß der Erneuerung der architektonischen Gotik keine Erneuerung ihrer Bilderwelt entspricht. Die Architektur und die schwächliche religiöse Bildkunst können nicht mehr zusammenfinden. Die Kirche des 19. Jahrhunderts besitzt keine „Ikonologie“ mehr; was an Bildern in ihr erscheint, ist theologisch von seltener Einfallslosigkeit, subjektiv und ohne Zusammenhang. Die Geschichte des Verfalls der christlichen Ikonologie – ihr geht parallel der Verfall der antiken Mythologie – wird einmal noch geschrieben werden müssen, um zu zeigen, was der Kirche im 19. Jahrhundert geschehen ist. Auch kommt es zu keinem gültigen Kultbild mehr. Die Ästhetisierung des Religiösen hat es unmöglich gemacht.
Versuche, die „modernen“ Richtungen des Bauens für das Kirchcngebäude fruchtbar zu machen, haben erst spät eingesetzt und sind trotz achtenswerter Leistungen bedeutender Künstler im großen und ganzen ebenso erfolglos geblieben wie die Versuche, den Arbeiter für das Christentum zu gewinnen. Weder der Arbeiter noch die neue technische Architektur ist christianisiert worden. Dabei möchte es den Anschein haben, als ob die Visionen riesenhafter Gebäude aus Glas und Eisen sehr wohl ein geheimes transzendentes Element enthalten hätten, das die Möglichkeit bot, aus diesen neuen und zukunftsreichen Gebilden die Gestalt einer neuen Kirche zu entwickeln, so wie einst am Ausgang der Antike gerade aus Formen des Profanbaues die neue Form der christlichen Kultgebäude gewachsen war. Diese Gelegenheit ist nicht erkannt oder nicht genützt worden.
Nicht anders steht es mit Schloß und Palast. Das Schloß bewahrt noch bis gegen die Mitte des Jahrhunderts, konservativer als die Kirche, seine traditionellen Formen, wenn auch oft schon ins Museale entwertet. Aber von 1830 an beginnt auch hier alles unsicher zu werden. Ein neuer gültiger Schloßtypus ist nicht mehr entstanden und konnte auch nicht mehr entstehen. Die Schlösser Ludwigs II. von Bayern zeigen dann wie in Übertreibung den allgemeinen Zustand: das Schloß wird zu einem bloßen „Theater“ im schlechten Sinn. Nirgends ist das deutlicher als an der Versailles-Kopie von Herrenchiemsee, deren Bedeutung man vergeblich aufzuwerten versucht hat.1 Dort stehen die Räume, in denen der am Rande des Wahnsinns lebende Monarch die Rolle eines neuen Roi soleil spielen wollte, in dem Entwurf zwischen solchen, deren Bestimmung offengelassen ist: also buchstäblich im Leeren. Das ist Symptom und Symbol der geistigen Lage des Schlosses. Und ebenso leer und steril ist seine kopierte „Ikonologie“.
Die Entwertung des Stadtpalastes aber wird allein schon daran offenbar, daß der Zinshausbau des 19. Jahrhunderts sich der Formen der feudalen Stadtpaläste bemächtigt und sie in „Zinspaläste“ verwandelt.
Gerade an der Unsicherheit dieser alten Aufgaben erkennt man, daß die wirklichen Ansätze zu einer neuen Stilbildung von ganz anderen Themen ausgehen, von Aufgaben, die weder die älteren Epochen der abendländischen Kunst noch andere Kulturen der Weltgeschichte bisher gekannt hatten.
Der Landschaftsgarlen
Der Landschaftsgarten entsteht um 1720 in England als bewußter Widerspruch gegen den französischen architektonischen Garten, dessen geometrische Formen in Gelände und Vegetation man jetzt als „Unnatur“ ablehnt. Seit 1760 erobert der „englische Garten“ in einem Siegeslauf ohnegleichen den ganzen Kontinent. Seine unsicheren Frühformen werden von bedeutenden Künstlern zu immer großartigeren Gestaltungen entfaltet; überall werden die französischen Parks, oft unter gewaltigen Kosten, in englische umgewandelt, gegen Schluß der Epoche – um 1830 – werden ganze Landstriche in Naturparks umgelegt (Abb. 1, 3, 4). Der Enthusiasmus für die neue Kunst ergreift weiteste Kreise. Noch am Ende der Epoch...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. Erster Teil: Symptome
  7. Zweiter Teil: Diagnose und Verlauf
  8. Dritter Teil: Zur Prognose und Entsdieidung
  9. Schluß: Hetoimasia
  10. Nachwort
  11. Verzeichnis und Quellennachweis der Abbildungen
  12. Namenregister