Widerstand gegen das NS-Regime
Bernhard Gitschtaler & Daniel Jamritsch
Bisher gibt es keine Untersuchung, welche die unterschiedlichen Widerstandsformen gegen das NS-Regime im Gailtal wissenschaftlich fundiert kontextualisiert und zusammengefasst zugänglich macht. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einerseits herrschte sowohl im Tal selbst als auch darüber hinaus wenig Interesse daran, Widerstandskämpfer und deren Geschichten in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Diese Thematik ist nach wie vor von eklatanten Vorurteilen und Ressentiments geprägt. Damit steht in diesem Feld auch das Gailtal in der Kärntner Geschichtstradition, denjenigen Personen, Familien und Orten, die sich am Widerstand gegen den NS-Terror beteiligten, größten Argwohn entgegenzubringen, ja diese oft sogar noch über die Dauer des NS-Regimes hinaus wirtschaftlich zu benachteiligen und sie in die Ecke der vermeintlichen „Heimatverräter“ zu stellen. Selbes galt und gilt in Kärnten nach wie vor für Deserteure aus der Wehrmacht und den SS-Verbänden.
Sowohl Desertion als auch bewaffneter Widerstand wurden im ersten Nachkriegsjahrzehnt ausführlich verhandelt, wobei in sich widersprüchliche (Geschichts-)Bilder entstanden, die sich als äußerst zählebig erweisen sollten. Die sich ergebenden Widersprüche und die großen blinden Flecken – wo blieben die Ansprüche von NS-Opfern in einem „Land der Opfer“, was bedeutet „Widerstand“ in einem solchen Setting und welche Anerkennung konnte es dafür geben? – wurden nie aufgelöst. Es wurde jedoch genau darauf Bedacht genommen, der absoluten Mehrheit stets zu versichern, dass der Dienst in der Deutschen Wehrmacht eine richtige und legitime Entscheidung war. Spätestens ab 1955 stand moralisch wie legistisch die „Pflichterfüllung“ klar vor dem mit „Eidbruch“ verbundenen Widerstand. […].244
Wie drastisch sich der traumatisierende Umgang – bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr – mit jenen, die sich gegen das NS-Regime stellten, in der hiesigen Gesellschaft niederschlug und teilweise noch immer niederschlägt, ist in Maja Haderlaps preisgekröntem Werk Engel des Vergessens eindrucksvoll geschildert. Fest steht, dass Kärnten sich auch heute noch schwer tut, die eigenen Widerstandskämpfer und Deserteure zu würdigen und anzuerkennen, während im Gegensatz dazu 2014 am Wiener Ballhausplatz – also im Zentrum der Stadt – sogar ein Denkmal für die Deserteure aus Wehrmacht und SS-Verbänden unter Beisein des Bundespräsidenten eingeweiht wurde.
Die Marschrichtung für das deutschnationale Kärnten nach 1945, in dem Widerstand gegen das NS-Regime als Verrat gehandelt wurde und noch immer wird und in dem jede Art der Weltoffenheit, die über den devisenbringenden Sommer- und Wintertourismus hinausgeht, von vornherein verunmöglicht wurde, gab der einstige Kärntner NSDAP-Gauleiter, SS-Obergruppenführer und Kriegsverbrecher Friedrich Rainer bei dessen Rücktritt im Mai 1945 mit der Parole: „Paßt mir auf mein Kärnten auf“, aus.245 In die verbale Tradition des NS-Verbrechers Rainer stellten sich 1991 auch Jörg Haider und 2012 Uwe Scheuch, als sie sich in pathetischer Anlehnung an Rainer dessen Zitat bei ihren Abschieden aus der Politik bedienten.246 Diese Botschaft hat in Kärnten bisher immer ihre Adressaten gefunden.
Wenig zuträglich erwies sich in diesem Zusammenhang auch der nach 1945 aufkommende Kalte Krieg. Dieser führte u.a. dazu, dass die britische Verwaltung in Kärnten nach 1945 die Zusammenarbeit mit belasteten NS-Sympathisanten, die ihre antikommunistische Haltung ja zur Genüge bewiesen hatten, zumeist bevorzugte. Umgekehrt wurde vor allem die slowenischsprachige Bevölkerung Kärntens aufgrund des kommunistisch orientierten Jugoslawiens in den Augen der britischen Verwaltung pauschal als mit dem Kommunismus sympathisierend gehandelt. „Linke“ Politik war in Kärnten unter anderem vor dem Hintergrund des Blockkonfliktes nicht möglich, und tatsächliche Entnazifizierung konnte aus den genannten Gründen ebenfalls nicht stattfinden. Bestehende informelle NS-Strukturen, vor allem aber deutschnationale, rassistische und antislawische Vorurteile und Denkmuster konnten sich so während der Jahre der britischen Verwaltung fortsetzen und die Politik im Lande Kärnten und natürlich auch im Gailtal über Jahrzehnte weiter bestimmen.247
Auch auf der familiären Ebene führte diese Politik zu Spannungen und Zerwürfnissen die, so konnten wir in einigen Gesprächen feststellen, oftmals noch heute nicht auf- und verarbeitet sind. Nicht selten meldete sich der eine Sohn zur SS, während andere Brüder oder Schwestern sich dem Widerstand anschlossen. Die unversöhnliche und kompromisslose deutschnationale Politik im Nachkriegskärnten perpetuierte diese familiären Gräben. Auf der anderen Seite konnte in persönlichen Gesprächen in Erfahrung gebracht werden, dass in manchen Familien das Andenken an Widerstandskämpfer und Deserteure aus dem Verwandtenkreis hochgehalten wird – heimlich und abgeschirmt vor der oft bedrohlichen Kärntner Außenwelt und den Nachbarn.
Im Folgenden soll ein Überblick über die Widerstandstätigkeiten im Gailtal in den Jahren 1938 bis 1945 gegeben werden, um so zumindest einige Mythen, aber auch Vorurteile den damaligen Widerständigen gegenüber aus dem Weg zu räumen. Das Gailtal wird dabei nicht isoliert, sondern im Rahmen der unterschiedlichen Widerstandsbewegungen im Alpen-Adria-Raum und dem Küstenland betrachtet. Dies ist deshalb wichtig, da eine Untersuchung des antifaschistischen Widerstandes im Rahmen heutiger staatlicher Grenzen (Österreich, Italien, Slowenien) immer eine unvollständige Untersuchung bleiben müsste, welche es nicht vermag, die umfassenden Bestrebungen gegen das NS-Regime sowie lokale, regionale und transnationale Verankerung und Organisation der Widerstandsgruppen zu verstehen geschweige denn nachzeichnen zu können.248
Widerstandsformen im Gailtal
Zuallererst stellt sich natürlich die Frage, was Widerstand ist und wann überhaupt von Widerstand gegen das NS-Regime gesprochen werden kann. Aktiver politischer Widerstand ist von weltanschaulicher Dissidenz oder (temporärer) gesellschaftlicher Verweigerung einem bestimmten Herrschafts regime gegenüber zu unterscheiden. Dennoch wird versucht, möglichst alle Spektren des Handelns und Verweigerns in Bezug auf das NS-Regime im Gailtal im Folgenden zu thematisieren.
Einleitend kann, um die Ausgangslage der Widerständigen zu skizzieren, festgestellt werden, dass die Zustimmung zum Nationalsozialismus im Gailtal, wie in weiten Teilen Kärntens überhaupt, sehr hoch war.249 Nichtsdestotrotz sind wir im Zuge der Forschung auf Widerstandsaktivitäten gestoßen, die anschließend Erwähnung finden sollen. Denn die mir immer wieder vorgetragene Behauptung, wonach es im Gailtal gar keine Opposition gegeben habe, ist nicht haltbar.
Die eindeutigste Widerstandsform, von der hier die Rede sein kann, ist der organisierte, bewaffnete Widerstand. Dieser blieb im Gailtal allerdings die Ausnahme und entwickelte sich ab 1943 hauptsächlich im unteren Teil des Tales rund um Arnoldstein/Podklošter, wo sich eine Gruppe von Frauen und Männern zu den sogenannten „Schütt-Partisanen“ zusammenschloss. Später mehr dazu.
Wie aus den Opferbiographien im Anschluss ersichtlich wird, kam es im Verlaufe des Krieges auch zu vereinzelten Sabotageakten vor allem entlang der Bahnstrecke im Gailtal, allerdings blieben auch diese die Ausnahme. Manche Gailtaler führte ihre berufliche Tätigkeit aus dem Tal heraus und sie schlossen sich in den jeweiligen Orten kleineren oder größeren Widerstandsgruppen an. Dies ist eine Entwicklung, die im Rahmen der Opferbiographien besonders oft auffällt, was wiederum auf die Wichtigkeit des entsprechenden Umfeldes der Einzelpersonen verweist. Was im Gailtal oft nicht möglich schien, konnte in anderen Regionen sehr wohl zu handfesten Widerstandsakten führen. Auf jeden Fall war über alle Regionen hinweg die Eisenbahn (Reichsbahn) ein Tätigkeitsfeld der aktiven politischen Opposition. Auch dies wird durch die Biographien im Anschluss deutlich.
Die von Peter Pirker hier verfasste Biographie von Rudolf Moser wiederum zeigt, dass auch der britische Geheimdienst „Special Operations Executive“ (SOE) darum bemüht war, den antifaschistischen Widerstand im Gailtal zu organisieren. Dazu wurde mit Privatpersonen im oberen Gailtal, in Osttirol und Oberitalien zusammengearbeitet.250 Manche Aktivisten wurden verraten und in Konzentrationslager deportiert.251 Die Bemühungen im Gailtal, einen breiten bewaffneten Widerstand auf die Beine zu stellen, sollten allerdings scheitern.
Offenkundig wurde in unserer Arbeit, dass im Laufe der NS-Herrschaft die Überwachung und damit auch die Denunziation von Nachbarn, Bekannten und Verwandten immer mehr zunahm. Darüber hinaus sollten viele Gailtaler alleine aufgrund ihrer vormaligen Zugehörigkeit zur Kommunistischen oder Sozialistischen Partei zumindest zeitweise inhaftiert werden. (Siehe das Kapitel „Die NS-Aktion ‚Gitter‘ im Sommer 1944, S. 314).
Ein häufiges Motiv für die Übertretung von NS-Gesetzen war der religiöse Glaube, wenngleich diese Opposition in der Wirkung anders zu bewerten ist als die zuvor genannten bewaffneten und organisierten Formen. Besonders glaubenstreu erwiesen sich im Gailtal wie auch sonstwo die „Zeugen Jehovas“, was sie zu einer besonders stark verfolgten Gruppe machte. (Siehe das Kapitel „Jehovas Zeugen – Christliche Glaubensmenschen im Visier des NS-Regimes“, S. 185.)
Trotz strenger Vorgaben und Verbote unterschiedlicher christlicher Feiertage durch das NS-Regime ließen sich auch Zugehörige katholischer und evangelischer Glaubensgemeinschaften nicht immer davon abhalten, an Osterprozessionen oder Wallfahrten teilzunehmen. Die lokalen SS- und SD-Kollaborateure sorgten dann ihrerseits dafür, dass die Teilnehmer an die Parteileitung gemeldet, also denunziert wurden. Zeitzeugen berichteten uns, dass SS-Führer im Tal immer wieder direkt vor den Kircheneingängen standen und die Kirchenbesucher notierten, um sie zu melden. Nach der Befreiung vom NS-Regime waren es nicht selten die Kolla bora teure und De...