Der Buchdrucker der Medici
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Der Buchdrucker der Medici

Eine Hommage an Michael Wagner

  1. 152 Seiten
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Der Buchdrucker der Medici

Eine Hommage an Michael Wagner

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Über dieses Buch

Inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges lässt sich der Buchdruckergeselle Michael Wagner in Innsbruck nieder. Wenig später hält Wagner einen Brief der Tiroler Landesfürstin Claudia de' Medici in Händen, in dem sie ihn zum Hofdrucker ernennt. Welche Zukunft liegt vor der Wagner'schen Hofdruckerei und Buchhandlung? Welche Bücher werden dort in den Regalen stehen, welche Menschen in den Geschäftsräumen ein und aus gehen?Christoph W. Bauer schickt Michael Wagner selbst auf die Reise. Er lässt ihn durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart streifen, voller Neugier, Erstaunen und auch Befremden über die Umbrüche, denen er begegnet. Seine Chronik eines Unternehmens wird so zugleich zu einem unterhaltsamen, leichtfüßigen Streifzug durch mehrere Jahrhunderte der Geschichte des Buches und des Büchermachens.Folgen Sie dem Hofbuchdrucker auf seiner mitreißenden Tour d'Horizon durch fast 400 Jahre Geschichte: Tauchen Sie ein in das Getümmel des barocken Innsbruck, erleben Sie die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, den Ausbruch der Pest, den Tiroler Volksaufstand 1809 und die unrühmlichen Irrwege des Ersten und Zweiten Weltkrieges aus der Sicht des Buchdruckers, der über seinem Geschäft und seinen Nachfahren wacht - und so manches Mal ungläubig den Kopf schüttelt, die Augen verschließt oder sich ärgert.Es ist eine lebendige, brillant recherchierte Alltagsgeschichte, der Christoph W. Bauer hier pulsierendes Leben einhaucht. Eine Erzählung, in der sich die großen Umbrüche und Herausforderungen der vergangenen Jahrhunderte spiegeln und nicht zuletzt ein großes Lesevergnügen, das mit spielerischer Leichtigkeit einige hundert Jahre Geschichte einfängt und erlebbar macht.***Leichtfüßiger Streifzug durch die Geschichte des gedruckten Buches - gut recherchiert, eindrucksvoll erzählt, ein kurzweiliges Lesevergnügen.***

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783709974520

1

Blättert Wagner im Buch, das ihm die Erinnerung in die Hand drückt, fallen ihm Glück wie Unglück gleichermaßen zu. Zuweilen ist ihm, als wüchsen aus den Sätzen Landschaften und Orte, Straßen und Häuser, selbst Stimmen vermeint er zu hören. Freilich, ab und an spielt ihm das Gedächtnis einen Streich; doch vierhundert Jahre füllen viele Seiten, da darf man sich schon einmal vertun. Auch bringt ihn der Marsch durch die Jahrhunderte ins Schwitzen, Schweiß perlt ihm von der Stirn in die Augen und die Bilder verschwimmen.
Deutlich sieht Wagner das vom Dullbach durchflossene Seitental der Schmutter. Dort verbringt er seine Kindheit, dort wird er geboren, in Deubach bei Augsburg im Jahr 1610.
Lesend kehrt er zurück ins Dorf grüner Tage, das eine Schlossanlage überragt, nur noch eine kleine Kirche zeugt heute von ihr, die einstige Schlosskapelle. Im Schloss wohnt die Familie Zech, deren Oberhaupt sich Ratskonsulent von Augsburg nennen darf.
Er hat es weit gebracht, der alte Zech, erzählt man sich im Dorf, er stamme aus Schwaz in Tirol, habe in Ingolstadt studiert, sei Stadtschreiber gewesen. Vor allem aber habe er vorzüglich geheiratet, seine Söhne und Enkel stünden ihm darin um nichts nach. Erst kürzlich sei Hans Wolf Zech mit Anna Corona Rehlinger vor den Traualtar getreten, einer Tochter aus bestem, ja führendem Augsburger Patrizierhaus.
Solcherart Reden prägen Wagner und schon früh ahnt er, worauf es im Leben ankommt.
Von Kindheit an begleitet Wagner seinen Vater nach Augsburg. Allein die Ausmaße der Stadt imponieren ihm, beinahe 50.000 Einwohner zählt sie. Schon von Weitem sind die Türme des Doms und der Basilika St. Ulrich und Afra zu erblicken. Gerade ist ein neuer Prachtbau im Entstehen, das Rathaus, seine Eleganz weist nach Florenz, mit dem sich die Reichsstadt gerne misst.
Über den Weinmarkt, vorbei an den Fuggerhäusern. Ein Palast reiht sich an den nächsten. Selbst wohlhabende Kaufleute und reiche Handwerker residieren wie Bischöfe und Fürsten. Und in den Straßen und Gassen herrscht ein Trubel, dass kaum ein Durchkommen ist. Augsburg ist der bedeutendste Umschlagplatz für Handelsgüter aller Art im Süden des Reichs.
In der Osterzeit und zu St. Michael im September finden die Dulten statt. Zur Zeit der Jahrmärkte platzt die Stadt aus allen Nähten. Von überallher kommen Händler und Kaufleute. Eine Branche hat es Wagner besonders angetan. Immer wieder drängt es ihn zu den Budeln jener Trödler, die mit Büchern und Drucken handeln. Er ist fasziniert von den mannshohen Stößen von Papier, den feilgebotenen Folianten, von Titelbordüren, Letternzügen und Schnörkeln. Und erst die Buchmalereien, sie lassen sein Herz höher schlagen. Neben dicken Wälzern macht er Bücher im Quart- und Oktavformat aus. Volkstümlichen Inhalts seien sie, erklärt der Vater. Auch verschiedene Schrifttypen erkennt Wagner, die Fraktur, die Antiqua und – die Schwabacher, die gefällt ihm bei Weitem am besten.
Ein Name ist bei den Krämern in aller Munde: Georg Willer, ein Augsburger Verleger. Schon sein Vater habe den Buchmarkt revolutioniert und den ersten Messkatalog drucken lassen, hört Wagner. Zweimal jährlich erscheint der Katalog bereits, enthält einen ersten Teil mit lateinischen, griechischen und orientalischen Büchern, einen zweiten mit deutschsprachigen Novitäten. Damit sei man Kollegen aus anderen Zweigen weit voraus, jubeln die Verkäufer.
Bald weiß Wagner, die Händler nennen sich Buchführer. Mit einem Fass, in dem sie ihre Waren verstauen, reisen sie landauf, landab, von einer Messe zur nächsten. Die Messreisen seien allerdings beschwerlich und lang. Von Augsburg nach Frankfurt am Main habe man zu Pferd gut sieben Tage zu veranschlagen. Doch nach Frankfurt müsse man eben. Es sei neben Leipzig das Buchzentrum schlechthin. Wagner malt sich die Städte aus, fest entschlossen, sie einmal aufzusuchen.
Früh lernt Wagner, was goldenen Boden hat. In seiner Kindheit gibt es in Augsburg noch über hundert registrierte Verleger. Ferner Buchführer, Buchbinder, Formschneider und Kupferstecher in großer Zahl. Hinzu kommen die Drucker und deren Konkurrenten, die Briefmaler.
Briefmaler sei ein schöner Beruf, bekundet Wagner seinem Vater gegenüber. Ob er denn in ärmlichen Verhältnissen enden wolle, bekommt er als Antwort, das sei doch eine aussterbende Zunft. Die meisten Briefmaler würden ja jetzt schon im Barfüßlerviertel wohnen oder in der Jakobervorstadt zwischen Ross-, Sau- und Rindermärkten.
Aber Schultes –
Schultes sei eine Ausnahme und befinde sich außerdem stets mit den Druckern im Streit. Er hätte Schachtelmacher bleiben sollen, donnert der Vater.
Johannes Schultes ist eine stadtbekannte Persönlichkeit. Durch Heirat Bürger von Augsburg geworden, verdient er seinen Lebensunterhalt zunächst mit der Herstellung von Papierschachteln. In Dillingen hat er sich aber auch zum Buchdrucker ausbilden lassen. Nun druckt er Kalender, Andachtsbücher und Musikalien – gegen den hartnäckigen Widerstand der Buchdrucker, die eine Konkurrenz aus der Briefmalerzunft nicht dulden wollen und ihn in langjährige Prozesse verwickeln.
Überhaupt sind sich die einzelnen Sparten spinnefeind. Der Buchdrucker druckt, was der Buchführer zu den Messen und Märkten führt, der Buchbinder bindet die Bücher ein. Klingt logisch und sorgt doch immer wieder für Streit. Denn die Drucker und Buchführer verlegen sich vermehrt auf den Handel mit Büchern, obwohl das eigentlich nur den Buchbindern zusteht.
Lieber wolle er ohnehin Buchführer werden, fährt Wagner fort. Dieser Idee kann sein Vater noch weniger abgewinnen. Er nennt die Buchkrämer Studienabbrecher, schon ein altes Sprichwort besage: Ein verdorbener Student gebe einen guten Buchführer oder Landsknecht. Er habe ein rechtschaffenes Handwerk zu erlernen! Und wenn es schon die Buchbranche sein müsse, solle er Drucker werden, denen gehöre die Zukunft.
Seit einigen Jahren erst gibt es die wöchentlich erscheinende Ordinari-Zeitung. Zudem gilt die Stadt als ein bedeutender Druckort für Flugschriften. Nicht schwer also, hier eine Offizin zu finden, in der man eine Lehre absolvieren kann.
Gemurmel in Deubach, hektisches Treiben. Die Alten schlagen ein Kreuz, starren verängstigt zum Himmel. Auch Wagner wirft den Kopf in den Nacken, dort oben, deutlich zu sehen – ein Komet. Unheil künde er, das Weltengericht stehe bevor, dessen sind sich die Dorfbewohner sicher. Und sehen ihre Reden bestätigt, als ein Jahr später italienische und Tiroler Soldaten an Augsburg vorbei Richtung Böhmen marschieren.
Ein Krieg nimmt seinen Anfang, dreißig Jahre wird er dauern. Dass den religiösen Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken andere Interessen überlagern, versteht Wagner so wenig wie seine Deubacher Nachbarn. Aber er und seine Familie wissen, auf welcher Seite sie stehen. Sie sind katholisch durch und durch.
Wagner ist neun Jahre alt, für ihn und die Dorfkinder ist der Krieg Anlass zum Spiel. In Gruppen teilen sie sich auf, fallen übereinander her. Keine Notiz nehmen sie davon, dass in der nahen Residenzstadt erste Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Über tausend Mann Fußvolk werden angeworben, dazu eine Hundertschaft von Reitern.
Besucht Wagner allerdings mit seinem Vater die Dulten, wundert er sich über die Verstärkung der Wachen an den Toren. Auch die Tumulte vor den Bäckerläden verwirren ihn. Ablenkung findet er stets bei den Bücherständen. Als er aber einmal sieht, wie sich zwei Buchführer an der Plünderung eines Brotgeschäftes beteiligen, drängt er sich verängstigt an seinen Vater.
Die Versorgungslage spitzt sich zu. Missernten lassen die Getreidepreise in die Höhe schnellen. Zudem setzt eine enorme Münzentwertung ein. Oft hört Wagner seine Eltern vom „schlechten Geld“ reden. Kein guter Zeitpunkt, ihnen mit einem Berufswunsch in den Ohren zu liegen. Außerdem, das Druckergewerbe ist fest in protestantischer Hand. Erst vor wenigen Jahren hat sich endlich wieder ein katholischer Drucker in Augsburg niedergelassen. Und überhaupt: Um Buchdrucker werden zu können, bedarf es einer soliden schulischen Ausbildung und der Kenntnisse in Latein. Solche sind in Deubach nicht zu erlangen.
Neidisch blickt Wagner hinüber zum Schloss, er weiß, die Kinder des Hans Wolf Zech dürfen eine Lateinschule besuchen. Und er fasst sich ein Herz, fleht seinen Vater so lange an, bis der endlich des lieben Feierabendfriedens willen grünes Licht gibt. Wagner darf in die Schule nach Augsburg. So groß seine Freude ist, die besorgten Blicke seiner Eltern –
Erste Berichte von marodierenden Truppen kursieren, verbreiten sich wie ein Lauffeuer.
In der Schule herrscht eiserne Disziplin. Nach einem grundlegenden Unterricht in Latein, Musik und Religion stehen in den höheren Klassen die Fächer Mathematik, Rhetorik, Poesie und Griechisch auf dem Programm.
Wann immer es die Zeit erlaubt, sucht Wagner die Buchkrämer auf, ihre Geschäfte gleichen Lagerräumen voller Ballen und Pakete. Regale erblickt er, die sich unter der Last verschnürter Stöße von Rohbögen und Unmengen von bedrucktem Papier gefährlich biegen. Spärlich der Bestand an gebundenen Büchern. Dafür aber nennt jeder Händler ein wuchtiges Holzfass sein Eigen –
Als Laufbursche sammelt Wagner erste Erfahrungen im Buchhandel. Seine Wege führen ihn bei den Buchbindern vorbei, die er beim Falzen und Heften beobachtet. Vor ihren Geschäften haben sie Anschläge angebracht, werben mit Titelblättern diverser Novitäten. Oft begegnen ihm Kunden, die er kurz zuvor noch in den Gewölben der Buchkrämer angetroffen hat. Nun kommen sie mit den erstandenen Druckbögen und lassen sie zu Büchern binden.
Am liebsten begibt sich Wagner in die Offizinen der Drucker. Dort sieht er die Setzer mit Winkelhaken hantieren, um jeder Zeile die gleiche Länge zu geben. Eine Zeile um die andere fertigen sie damit an, heben sie auf eine rechteckige Metallplatte, das Setzschiff. Dann wird der Text angedruckt, korrigiert und endlich mit dem Schließzeug in die Druckform gebracht. Das Papier müsse feucht sein, damit es die Farbe besser annehme, hört Wagner. Daher werde der Papierstapel bereits am Vorabend gewässert, üblicherweise in Mengen zu 250 Bögen. Hernach sind die Drucker am Zug. In größeren Offizinen arbeiten sie meist im Gespann. Einer verreibt Farbe zwischen zwei Ballen, die mit Hundeleder bezogen sind, der andere richtet unterdessen die Presse ein und schiebt den Karren unter den Tiegel der Druckpresse. Dann zieht er kräftig an einer herausstehenden Stange, dem Bengel, um den Druck durchzuführen. Anschließend wird der bedruckte Bogen zum Trocknen aufgehängt.
Mehr als einmal steht Wagner den Druckergesellen im Weg. Unter wilden Flüchen jagen sie ihn aus der Offizin. Wieder auf der Straße, bekreuzigt sich Wagner rasch.
Tuet Buße und betet, um die göttliche Strafe abzuwenden, rufen die Stadtoberen die Menschen auf. Kurz schließt Wagner die Augen. Doch die Bilder sind im Kopf, lassen sich nicht verdrängen. Leichenberge sieht er, hört die Totengräber stöhnen. 1628 wütet die Pest in Augsburg und fordert über 9.000 Todesopfer. Soldaten hätten die Seuche eingeschleppt, heißt es.
Kaum lässt die Pestilenz etwas nach, erfasst der Krieg die Stadt. Sie wird zum Exerzierplatz der Rekatholisierung. Die protestantische Religionsausübung wird untersagt, ein rein katholischer Stadtrat bestellt. Beamte, die nicht zur Konversion bereit sind, werden entlassen.
Im Buchgewerbe hat der konfessionelle Gegensatz bisher keine große Rolle gespielt. Jetzt kommt die Tätigkeit der protestantischen Drucker beinahe zum Erliegen. Ganz zur Freude des einzigen katholischen Druckers der Stadt. Wagner kennt ihn, Andreas Aperger, unzählige Male geht er in dessen Offizin am Frauentor aus und ein.
Aperger hat das Amt des Stadtbuchdruckers inne. Er druckt für einen durch kaiserliches Privileg geschützten Verlag. Und auf Privilegien kommt es an, das lernt Wagner rasch. Wer über keine Druckbefugnis verfügt, dem nützt der beste Umgang mit dem Winkelhaken nichts. Censores durchstreifen die Stadt, einen von ihnen kennt Wagner seit Kindheitstagen – Hans Wolf Zech.
Und noch etwas begreift Wagner früh: Gutes Einvernehmen mit den Jesuiten ist der Karriere förderlich. Aperger verfügt über hervorragende Kontakte zu den Ordensmännern. Der Jubel seiner Gegner im protestantischen Lager ist dementsprechend groß, als die Katholischen im nahen Rain am Lech eine verheerende Niederlage erleiden. Bald darauf muss Aperger die Stadt verlassen.
Mit brennenden Lunten ziehen auch die bayerischen Besatzer ab. Augsburg wird kampflos den schwedischen Truppen übergeben. Vier Tage nach deren Einmarsch kommt der Schwedenkönig selbst, Löwe aus Mitternacht nennen sie ihn.
Wagner ist Zeuge, wie Gustav Adolf von einem Fenster des Fuggerpalastes aus die Huldigung der Bürgerschaft entgegennimmt. Er hat mittlerweile seine Lehre als Buchdrucker abgeschlossen. Nichts mehr hält ihn in der Stadt – doch wohin?
Dillingen hat Wagner schon mit seinem Lehrherren besucht. Die Stadt genießt großes Ansehen unter den Druckern, namhafte Meister bringt sie hervor. Doch Dillingen ist von den Schweden besetzt. Ebenso Ulm, Memmingen, Kempten. Nach Ingolstadt? Hier seien Gustav Adolfs Truppen nach einwöchiger Belagerung unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Auch könnte er in der Stadt auf die Unterstützung der Jesuiten hoffen. Oder doch nach München? Bereits drei Offizinen gibt es dort, in denen Zeitungen gedruckt werden.
Fest steht, Wagner muss weg, allein der Konfession halber. Noch ein letztes Mal am Dullbach entlang nach Deubach. Der Abschied von der Familie herzlich, aber kurz. Die Wanderschaft gehört zur Ausbildung. Wenn nur der Krieg nicht wäre.
Ein Fremdgeschriebener ist Wagner jetzt, ein Handwerker auf der Walz. Mit einem Fass, in dem er seine Druckerutensilien, ein paar Werkproben und einige Bücher verstaut, macht er sich auf den Weg. Richtung Süden, rät ihm die Angst vor dem Löwen aus Mitternacht. Doch wo Wagner auch hinkommt, ist der Krieg schon vor ihm gewesen. Und was sich der Krieg nicht krallt, fällt der Pest zum Opfer. Immer noch tobt die Seuche in großen Teilen Süddeutschlands.
Schreckensbilder im Raum München. Ismaning, Bogenhausen in Schutt und Asche gelegt. Andere Gemeinden bis auf den Kirchturm abgebrannt. Viele Bewohner fliehen hinter die Mauern Münchens. Die Residenzstadt ist zum Bersten voll. Wagner sieht, wie die Schweden ihre Beute auf dem Markt feilbieten. Die Städter selbst bleiben von Plünderungen verschont. Nun können sie das bei ihren Nachbarn geraubte Hab und Gut zu Spottpreisen erstehen. Das Angebot ist übergroß, die Preise fallen ins Bodenlose. Eine Kuh, konstatiert Wagner, kostet gerade einmal einen Gulden – so viel wie vor dem Schwedeneinzug ein Pfund Schmalz.
Als er München verlässt, sucht er Schutz in den Wäldern. Dort trifft er auf zahlreiche Dorfbewohner, die aus ihren Ortschaften geflohen sind. Als Fremder wird er mit Argwohn bedacht.
Mager sind die Einkünfte. Abgerechnet wird nach des Herren Gelegenheit. Und die lässt manchmal lange auf sich warten. Da die Lohnhöhe zudem erst nach einer Probezeit vereinbart wird, darf Wagner sich von Anfang an keine Fehler leisten. Er verdingt sich mal hier, mal dort als Druckergehilfe. Ab und zu erhält er vom Prinzipal Kost und Bett, manchmal muss er sich selbst eine Unterkunft mieten. Letzteres gestaltet sich oft schwierig, da viele Städte Quartiere für durchziehende Soldaten bereitstellen müssen. Arbeitet er übers Tagwerk hinaus, steigert das seine Einnahmen. Steht er allein an der Presse, muss er statt der täglich geforderten 3.000 Drucke 1.200 abliefern. Stets hofft Wagner auf große Auflagen. Sie kommen ihm bei der Arbeit im Stücklohn entgegen, da für jedes Werk neu zugerichtet werden muss.
Immer öfter betätigt er sich als Buchführer für diverse Druckerherren. Zwar ist denen ausschließlich der Verkauf von eigenen Erzeugnissen gestattet, aber sie halten sich so gut wie nirgendwo daran. Mit einem Repertoire aus Gebet- und Erbauungsbüchern, Kalendern, Schwanksammlungen sowie Hochzeits- und Leichencarmina reist Wagner landauf, landab, besucht Dulten und Wochenmärkte. Gerade die Kalender erweisen sich als begehrte Artikel. Vor allem in den kleineren Städten, die ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
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