Die kleine Liebe
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Die kleine Liebe

Roman

  1. 124 Seiten
  2. German
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Die kleine Liebe

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Das Leben einer Frau auf der Suche nach ihrer Biografie, nach einer Ordnung für die Dinge und auf dem Weg zu einer kleinen Liebe: L., eine Abkürzung für Laetizia, versucht zu erkunden, was die anderen offensichtlich längst auswendig kennen: das Alltägliche. Aus ihren Beobachtungen entsteht eine befremdende Beschreibung unserer Welt und der Spielregeln unseres Zusammenlebens. In einer Mischung von Heiterkeit und melancholischer Hintergründigkeit entwickelt Jürg Schubiger die Biografie dieser Frau.Er erzählt von den Eltern, die auch dann nicht das Gleiche meinen, wenn sie das Gleiche sagen; von Gian, den sie sich in ihre Träume wünscht; von Markus, der so lange ihr Freund ist, bis sie in ihm nicht nur keine grosse Liebe, sondern auch keine kleine mehr zu finden vermag; von Susann, die für fast jedes Problem gleich mehrere Lösungen bereithält; und von der Malerin Agnes Martin, deren Bilder L. manchmal richtiger erscheinen als die Wirklichkeit.Mit stilistischer Meisterschaft erzählt Jürg Schubiger L.s Geschichte in Szenen und Episoden, hinter deren Leichtfüssigkeit und Eleganz sich das ganze Gewicht eines Menschenlebens verbirgt.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783709975077
Wenn L. sich vorstellte, sagte sie: El, von Laetizia, El Punkt. Die so Angesprochenen antworteten nach einem Zögern: Aha. Manche verstanden gar nichts, was man an ihrer doppelten Freundlichkeit merkte.
Es musste Julius, der etwas ältere Bruder, gewesen sein, der die Abkürzung früh schon aufgebracht hatte. Schliesslich beharrte nur der Lehrer noch auf dem vollen Namen. Er wurde L. so fremd, dass sie sich innerlich nach dem Menschen umschaute, den man mit Laetizia ansprach. In ihrer Umgebung wusste man gerade noch, dass L. ein Anfang war, aber kaum mehr wovon. An einer Hochzeitstafel wurde ihr Platz scherzhaft oder ahnungslos mit „Elle“ angeschrieben.
Nach jenem Fest bekamen die Gäste eine kleine Auswahl von Fotos zugeschickt. Das Hochzeitspaar, sie in Rosa, er in Schwarz mit rosa Fliege, unter dem Portal der Kirche. Die Köpfe der Brautleute über vier Händen, die mit einem Ehering beschäftigt waren. Ein Bild von L. fand sich auch darunter. Sie hob ein Champagnerglas dem eines Mannes entgegen. Ein Lichtreflex sass ihr wie Vogeldreck auf dem Brillenrand. Der Cousin an ihrer Seite lehnte sich zurück, um ihrem Glas und ihrem Lächeln den Weg freizugeben. Das Bild lag lange herum. Als L. es schliesslich in ihrer Fotoschachtel versorgte, wusste sie nicht mehr, wer jener Mann mit den schönen Zähnen gewesen war.
L. sann über die Regeln für den Gebrauch des Lächelns nach.
Wenn eine Frau einem Mann mit ihrem Lächeln zuvorkam, war das verkehrt. Hatte der Mann sich der Frau aber zugewandt und zeigte er Interesse, so mochte ein Lächeln am Platz sein. L. wusste nicht, ob diese Regel noch galt, überhaupt oder nur in bestimmten Fällen. Und für wen sie noch galt.
Alte Personen und Kinder durften unbedenklich angelächelt werden, soviel war immerhin klar. Auch das konnte allerdings schieflaufen. In der Strassenbahn hatte L. eine alte Frau gesehen, mit dicken Fussgelenken und vermutlich auch dicken Füssen. Ihre gelblichen Schuhe standen dicht beisammen wie auf einem Schuhgestell. L. lächelte die Alte an. Ermutigend. Das Lächeln hatte keinen Erfolg. Die Frau starrte zurück, unter einem Hut hervor, der in sorgfältiger Pflege welk gewordenen war. Man hätte daraus schliessen können, das Lächeln sei ein Fehler gewesen. Doch das hätte sich genauso vom Starren der alten Frau sagen lassen.
Wenn weder Alte noch Kinder zugegen waren, suchte man für seinen Blick am besten eine Richtung, aus der kein anderer Blick entgegenkam. Man schaute in die Zeitung, auf den Boden, durch das Fenster oder allenfalls in das Gesicht eines Menschen, der sich mit der Zeitung, dem Boden, der Aussicht beschäftigte.
Was man durch das Fenster sah, war oft von Plakaten verstellt. Manche offerierten ausgerechnet den Blickdialog, den man vermeiden wollte. Eine Frau, eindringlich und lebensgross, empfahl ein Feinwaschmittel. Mit schrägem Kopf schaute sie L. in die Augen, hielt sich dabei etwas rotes Wollenes an die Wange.
Auf der Flucht vor weiteren Angeboten entdeckte L. schliesslich Randsteine, Rinnsteine, Treppenstufen und, nach einer überwachsenen Mauer, die das ganze Fenster füllte, plötzlich den Fluss, sein Flimmern zwischen Geländerstäben. Sie seufzte verwundert. Der Dunst vor den Fassaden am anderen Ufer war zugleich dicht und transparent. Die bis in Ritzen und Nischen verstreute Helligkeit sammelte sich unvermittelt in einem Fensterflügel, in ein paar Wellenrippen zu starker Glut.
Ein Mann, der ihr schräg gegenüber sass, in der Weste eines Kämpfers, in Hosen, die überall, auch den Schenkeln entlang, mit Taschen versehen waren, schien das Lächeln, das L. nun irritiert auf ihren Wangen spürte, auf sich zu beziehen. Er machte ein aufgeheitertes Gesicht. Sein Mund verzog sich, die Lippen sahen aus wie schlecht aufeinander genäht. Sicher gab es Dinge, die er besser konnte als das Freundlichsein. L. dachte an Handwerkliches, an Verletzungen auch, die dieser Mensch sich bei der Arbeit zuzog. Er hatte zwar noch alle Finger, stellte sie fest, je fünf an jeder der kartoffelhäutigen Hände, aber wie lange noch? Der Mann beobachtete sie von unten herauf, während er im Innern der Weste nach einem Gegenstand grub. Er zerrte ein gefaltetes Papier hervor, stiess dabei mit dem Ellenbogen gegen die Wagenwand. Er schaute L. weiterhin an. Dann starrte er auf das Papier, ohne es zu entfalten.
L. war ausgestiegen. In einer wegen Bauarbeiten verengten Gasse stauten sich die Passanten. L. bemerkte, wie ein Bauarbeiter und ein kleines Mädchen sich in die Gesichter blickten, einen Moment lang: er mit zwei staubigen Brauen, sie mit zwei Kinderaugen, ohne ein Lächeln, mehr oder weniger ohne alles, was sonst dazu gehört, und das war, dachte L., auch eine Möglichkeit.
Unter dem dunklen Laub von Kastanienbäumen sah L. eine Frau, die einen angenagten Apfel in der Hand hielt. Er gehörte offensichtlich dem Kind, dem sie den Kinderwagen überlassen hatte. Mit seinen ausgestreckten Armen erreichte es nur knapp die aufsteigenden Bügel des Lenkers. Es schob mit ganzer Kraft. Das Trottoir neigte sich auf eine Kante zu. Ohne den Griff loszulassen, stolperte das Kind hinter dem Wagen her und dann Kopf voran in seine Polster hinein, als das Gefährt über den Randstein kippte. Das Ganze sah aus wie ein Spiel, das „Verkehrsunfall“ hiess und zu dem auch der krachende Flügelschlag der erschrockenen Tauben gehörte. Die Frau streckte dem schreienden Kind eine Hand entgegen, mit der anderen, die zwischen Zeigefinger und Daumen weiterhin den angebissenen Apfel hielt, manövrierte sie den Wagen auf das Trottoir zurück. Da das Kind die Hand der Frau brüllend verweigerte, nahm sie es mit einem Ruck auf den Arm. Den Blick zur Bremsvorrichtung gesenkt, trat sie auf den Arretierungshebel, während das Kind sie mit gespreizten kleinen Fingern auf den Hinterkopf schlug. Die Frau hielt ihm den angebissenen Apfel vor den Mund. Das Kind stiess ihn weg, er fiel zu Boden und rollte ein Stück.
L. war stehengeblieben. Sie hob den Apfel auf und reichte ihn der Frau, die ihn, ohne den Kopf zu wenden, mit einem hastigen Dank ablehnte. Da das Kind nun aber beide Händchen nach dem Apfel ausstreckte, wusste L. nicht, was tun. Sie versteckte den Apfel einstweilen hinter dem Rücken. Das erneute Aufbrüllen bedeutete wohl, dass das Kind sich betrogen fühlte. L. liess den Apfel fallen. Das sollte unbemerkt geschehen, doch es wurde sofort registriert. Der Apfel war unübersehbar an der leersten Stelle des Platzes liegengeblieben.
Die Frau verstaute das Kind, die strampelnden Füsse voran, im Kinderwagen. Das gelang ihr fast mühelos, da das Kind sich für L. zu interessieren begann. L. lächelte ihm einen Abschiedsgruss zu.
Die Zweige der Kastanien nickten. L. sah dunkle Wolkenschnüre.
Manchmal glaubte sie, nicht richtig begriffen zu haben, wie man leben soll, Tag um Tag, mit anderen und mit sich selbst. Was wann zu tun, zu unterlassen und zu sagen war.
L. hätte nicht erklären können, wie sie zu dieser Vorstellung kam. Ihre Eltern hatten über das Nötige stets Bescheid gewusst. Was der Vater wusste, wich allerdings ab von dem, oder wich dem aus, was die Mutter wusste. Wenn sie behauptete, der Wagen, in dem der Nachbar mit seiner neuen Freundin eben vors Haus gefahren war, sei gemietet, stellte der Vater fest: ein Ford.
Bei der Neuen, sagte die Mutter, handle es sich um eine der Töchter aus dem roten Haus.
Beer, sagte der Vater.
Fehr, berichtigte die Mutter.
Seit wann heissen die Fehr?
Schon immer.
L. kannte die Neue, von der die Rede war. Sie sei, erklärte sie, Lehrmädchen im Büro der Glühlampenfabrik. Der Vater und die Mutter, nebeneinander auf dem frisch bezogenen Sofa, drehten L. ihre Köpfe zu. Sie hätte sich nicht einmischen sollen, merkte L. und verstummte. Die Blicke der Eltern blieben auf die Tochter gerichtet. Ihre Eintracht hatte etwas Schönes.
Der frische Sofabezug war weinrot. Der alte war mehr orientalisch und weniger heikel gewesen. Auf dem orientalischen hatte der Vater der Mutter etwas an den Hals geflüstert, wohl eine Art Liebeserklärung.
Die Mutter schien nicht zu wissen, ob sie sich freuen wollte.
Er legte seine Hand wie ein Beweisstück auf ihr Knie, nicht ganz passend vielleicht, denn sie schob sie lachend beiseite.
Auf einem Foto aus jener Zeit trug L. einen Rock mit Blütenmuster. Der Gummizug, der den Rock um die Hüften raffte, war nach einer Seite verrutscht, ihr Gesicht war verdunkelt und halb verdeckt von einer Banane, die sie vor dem Mund hielt. Am Bildrand Hose und Kittel eines Mannes, des Vaters wahrscheinlich. Von seiner Hand, die in der Kitteltasche steckte, sah man nur den Daumen, die übrigen Finger formten eine Beule im Stoff.
L. musste vier oder fünf gewesen sein, als sie versuchte, ihr Spiegelbild nachzuahmen. Sie wollte mit dem Spiegel das tun, was er mit ihr selber machte. Sie schnitt Grimassen, der Spiegel auch. Sie drückte sich die flachen Hände vor die Augen und spähte zwischen den Fingern hindurch in der Hoffnung, die Spiegelfigur bei etwas zu ertappen, das gegen die Regel war. Wie sie die Nase rümpfte zum Beispiel, während L.s Nase ungerümpft blieb. Dieses Spiel machte L. so benommen, dass sie sich selbst und die Spiegelfigur am Ende nicht mehr auseinanderhalten konnte. Doch wer dabei gewonnen hatte, stand fest, sie nämlich, und fest stand auch, wer „sie“ war.
Als kleines Mädchen war L. sich sicher gewesen, dass sie keusch bleiben würde ihr Leben lang. Diesen Gedanken musste sie von der Grossmutter väterlicherseits, die ihre Stube in eine Andachtsgrotte umgebaut hatte, mitgebracht haben. Die Grossmutter starb, der Gedanke blieb.
Wenn L. mit dem Bruder „Doktor“ spielte, litt sie an Halsoder Kopfweh oder an Hühneraugen. Sie sass auf ihrem Bett, unter dem Bild der Himmelskönigin, die in einen Mantel mit komplizierten Falten gehüllt war. Die gründliche Untersuchung, die der Bruder dringend empfahl, lehnte L. ab.
Einmal behauptete er: Ihr Kopfweh, Frau Ehrensperger, hat stark mit ihrem Bauch zu tun.
Ich spüre nichts, sagte L.
Eben, sagte er. Sie haben da nämlich eine Krankheit, die man gar nicht oder am falschen Ort spürt. Behandeln muss man sie aber am richtigen Ort.
Das klang so gut und streng, dass sie sich schliesslich behandeln liess. Behandeln oder untersuchen, beides schien ungefähr dasselbe zu sein. Sie empfand kein Vergnügen dabei. Aber auch keine Gewissensbisse, nicht während der Behandlung, nicht danach. Das Leben ging weiter, als sei nichts geschehen. Also, schloss L., ist am Ende auch nichts geschehen.
Das Wort „Gewissensbisse“ ging ihr im Kopf herum. Sie erforschte ihre Gefühle, fand aber nichts Passendes. Probeweise stellte sie sich einen Biss in ihr Gewissen vor, in ein handgrosses, helles Gespinst, das elastisch und zäh war. Sie spürte nichts Auffälliges, nur ein wenig Enttäuschung. Womöglich gehörte sie zu den Gewissenlosen. Wie sollte sie feststellen, ob sie überhaupt ein Gewissen besass?
Viele Wörter waren blosse Geräusche gewesen, als Sprache erkennbar, da sie aus Mündern kamen. „Im Frühtau zu Berge wir gehn, fallera.“ L. hätte gern gewusst, was „fallera“ hiess, dachte aber nicht daran zu fragen. Manche der unverstandenen Wörter blinkten bedeutungsvoll. „Gebenedeit sei die Frucht Deines Leibes“, hiess es im alten „Ave Maria“. Die Kirche sagte längst: Gesegnet sei ... L. blieb beim alten Wort, weil es umständlich und schön war und weil es aus Grossmutters Grotte kam. Es roch wie ein fremdländisches Gebäck.
Vielleicht hatte auch „Keuschheit“ einmal so angefangen, als kostbarer und komischer Klang, wurde erst später zum Namen für eine Art Organ, das die Frauen besassen, das sie behalten oder hergeben konnten und das die Männer ihnen zu rauben versuchten. Die Frauen konnten seinetwegen heilig werden.
L. ging davon aus, ein keusches Leben sei ein kurzes Leben. Sie würde keine alte Jungfer werden. Die heiligen Frauen, die ihre Jungfräulichkeit verteidigt hatten, waren alle blutjung gestorben. Agathe war vierzehn gewesen, als sie an den Folgen der Folter starb. Da L. sich für das Leben der vornehmen Sizilianerin interessierte, lieh ihr der Pfarrer ein älteres Legendenbuch aus der Bibliothek seines Vorgängers, das er selber vermutlich nie geöffnet hatte. L. fand hier die Szenen eines grossen Martyriums beschrieben. Agathe mit abgeschnittenen Brüsten im Kerker kniend, besucht vom Apostel Paulus, der ihre Wunden heilte und ihr neue, schönere Brüste schenkte. Agathe, entkleidet auf glühenden Kohlen. Und so weiter.
Das Buch des Pfarrers enthielt schwarz-weisse Abbildungen religiöser Malereien. Sie zeigten, was mit den heiligen Menschen unternommen wurde. Man stach, man schnitt und sägte an ihren schönen, bleichen Leibern herum, man benützte Zangen, Seile, Stöcke, zugespitzte Äste, glühende Eisen. Das Foltern war ein hartes Handwerk. Es verzerrte die Gesichter der Folternden. Die Märtyrer sahen fröhlich aus, wie bei einer Feier. Ihre geschundenen Leiber trugen ein Lächeln auf dem emporgewandten Gesicht. Das hiess: Den Heiligen war nicht beizukommen. L. hatte Mitleid mit den erfolglosen Henkersknechten, den dunklen und sehnigen Kerlen, und sie fragte sich gleichzeitig, ob es richtig sei, hier Mitleid zu haben.
Was die Mutter von der religiösen Begeisterung der Tochter mitbekam, war, beim Gutenachtkuss, eine fiebrige Stirn. Vom Übrigen ahnte sie wenig. Sie hätte L.s Leidenschaft dem Ungesunden zugerechnet, das man besser vermied.
Der Pfarrer wunderte sich über das Mädchen, seine klaren, altmodischen Äusserungen. Er selber zählte sich zu den Modernen. Es fiel ihm leicht, den Kindern seine warme Hand auf den Scheitel oder auf die Schulter zu legen. Dort liess er sie länger ruhen, als L. angenehm war. Mehr als einmal erkundigte sich der Pfarrer freundlich und väterlich nach Sünden, die sie weder begangen hatte noch je begehen wollte.
Die Mut...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Die kleine Liebe