Am Fuß des Kamels
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Am Fuß des Kamels

Geschichten & Zwischengeschichten

  1. 128 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Am Fuß des Kamels

Geschichten & Zwischengeschichten

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Klaus Merz ist ein Großmeister der kleinen Form wie es Günter Eich war (Beat Mazenauer) - in seinen Erzählungen und Prosaminiaturen entwirft er Szenerien, so vielfältig und poetisch, so bizarr und alltäglich wie das Leben selbst. Klaus Merz beherrscht wie kaum ein anderer die Kunst, Stimmungen einzufangen und Überraschungsmomente zu entwickeln, erzählt in einer dichten und zugleich reduzierten Sprache, die oft nur mit Andeutungen auskommt und dabei höchste Präzision erreicht - ein einzigartiges Leseerlebnis.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783709975251

Querfahrt 1. Puls

1

Hinter dem Rücken herrschte ein dunkles Vakuum, das nach Leder roch. Neben meinen spitzen, nackten Knien schossen Asphalt und Grasnarbe vorbei. Der Zweiundreißigjährige, der den Lenker des schweren Motorrades in den Händen hielt, war mein Vater.

2

Die Landschaft, in die wir hineinfuhren, pulsierte wie eine offene Fontanelle. Ihre Ränder leuchteten rot. Ein besoffener Bauer hielt mit seinem Ford auf uns zu. Vater fuhr in die Wiese hinaus. Aus dem offenen Kofferraum des Wagens, der im Zickzack weiterfuhr, schwappte Milch.
Jetzt wären wir beinahe davongekommen, sagte ich zu Vater. Etwas an diesem Satz dünkte ihn falsch, aber er korrigierte mich nicht. Vater hob mich vom Sozius und drückte mich an die Brust. Wir atmeten durch, setzten uns neben der laufenden Maschine ins kurze Gras.

3

Hydrozephalus. Ein rundes, behaartes, beinloses Insekt von der Größe eines beladenen Heuwagens kam uns von der Moräne her querfeldein entgegen. Wir fuhren wieder los.
Ich versuchte mir meinen neuen kleinen Bruder vorzustellen, dessen Kopf, wie es hieß, zu schnell wuchs. Durch diese Überdimension alarmiert, rasten wir weiter das Tal hinab. Panisch und titanisch zugleich, wuchsen wir viel zu schnell in die rasch herabfallende Dämmerung hinein.

4

Der Bruder schlief, als wir ankamen, sein modelliertes Köpfchen lag auf dem weißen Kissen und wußte nichts von sich selbst. Auch ich sah nicht, was ich wußte. Das Wort Wasserkopf hat uns das sachdienliche Leben erst später beigebracht. Ich wechselte mit meinem Gesicht zu Mutters Bett hinüber. Sie lag in einer Lache von Schmerz und suchte nach mir mit der Hand. Ich zog meine Lederhaube nicht aus.
Die Verzweiflung begann das Krankenzimmer mit Elektrizität zu füllen, unsere Augen leuchteten grün. Das Bündelchen erwachte:
Zusammen
wollten wir es tragen
quer
durch die Welt.

Querfahrt 2. Hochzeit

Die Nacht hindurch seist du sehr unruhig gewesen, sagte man mir. Aber als ich kam, sahst du gelassen aus. Du wissest nun, wer deine Braut sei, nanntest einen schönen, wohlklingenden Namen. Und dabei hast du einen Augenblick lang ein Lächeln auf deinem Gesicht gehabt, das niemandem von uns gegolten haben konnte, auch nicht der Mutter, die weinend im Türrahmen des Wohnblocks stand und froh gewesen wäre, wenn du noch einmal zu ihr zurückgeschaut hättest.
Wir luden dich ein. Du hast über Vaters gebeugten Rücken hinweggeblickt und bist mir schwer in den Armen gelegen. Vater hatte dich unter den Knien gefaßt. Wir trugen dich sorgfältig über das ausgetrocknete Rasenstück, waren froh, dich hinsetzen zu können. Ich legte dir die Sicherheitsgurte um.
Vom Haus weg hast du, wie an Jahrmarktstagen der Mann am Glücksrad, unablässig Zahlen in die Luft gerufen. Aber niemand wollte sich auf deine Nummern hin melden. Die Nachbarn waren an der Arbeit oder blieben hinter den Vorhängen. Es war ein gewöhnlicher Werktag.
Die Windrichtungen beobachten, sagtest du, als ich mich neben dich ans Steuer setzte, die Wagentür zuschlug.
Vater hatte hinten Platz genommen. Er saß ganz vorne auf dem Polster. Den Kopf zwischen unsere beiden Köpfe geschoben, hielt er dich mit seinem rechten Arm um die Schulter. Es störte dich nicht.
Ich muß kreisen, sagtest du, Windböen ausgleichen, ließest deine linke Hand in weiten Bogen rotieren. Ich sah im Rückspiegel, wie dich Vater von der Seite her unruhig beobachtete. Er machte mit den Augen deine runden Armbewegungen mit, und zuweilen schienen seine großen geweiteten Nasenflügel zu zittern.
Vom Hintersitz aus gab er dir immer wieder Antworten auf Fragen, die du gar nicht gestellt hattest. An seinen grauen Schläfen glitten die Straßenränder vorbei. Verbrannte Grasnarbe, Stellriemen, Schächte.
Als ich den vierten Gang einlegte, spürte ich deine Hand auf meinem rechten Arm.
Wie alt bist du? fragtest du.
Dreißig, sagte ich, wieso?
Weil ich mein Alter verdoppeln möchte, der Schaltjahre wegen, damit diese nicht umsonst sind. – Man muß ja auch aufhören können.
Wir fuhren auf eine Kreuzung zu. Du warst wieder mit deinem Nummernrad unterwegs. Ich schaltete in den zweiten Gang zurück. Der Motor heulte auf. Vater meinte ein Klingeln in den Ventilen wahrgenommen zu haben. Ich sah ihn die Augen zusammenkneifen und sich konzentrieren.
Ferrari gewinnt, sagtest du.
Wir versuchten zusammen ein Gespräch über Autos, redeten von Hubräumen und Schiebedach, schwitzten. Von Zeit zu Zeit fuhren wir uns mit den Taschentüchern über die feuchten Stirnen. Vater tat es für dich. Er rieb dir dein Gesicht so langsam und sorgfältig trocken, daß mir vom Zusehen noch heißer wurde und das Steuerrad zwischen meinen Fingern davonzuschwimmen begann.
Ich versuchte mich wieder auf die Straße zu konzentrieren, die unter uns hineinfuhr und im Rückspiegel als graues Band zum Horizont lief. Vor einer fensterlosen Fabrikhalle am rechten Straßenrand wurden Fertigbetonteile mit einem Wassersprüher befeuchtet. Ein feiner Tropfenschleier legte sich beim Vorbeifahren auf unsere Windschutzscheibe. Du atmetest tief ein, als ich den Scheibenwischer betätigte.
Jetzt muß ich aufhören, sonst platzt es, sagtest du, setztest dein Roulette jedoch von neuem in Bewegung.
Les jeux sont faits! riefst du aus. Aber deine Mitspieler wollten nicht aufhören mit Setzen. Sie warfen ihre Jetons sogar auf vierstellige Zahlen, setzten ihr ganzes Vermögen auf Geburts- und Todesdaten berühmter Persönlichkeiten:
Madame Curie
Beethoven
Else Lasker-Schüler
Martin Luther-King
Jack London
Jack Kerouac
Jack Nicholson
Jack The Ripper
Du rezitiertest die Namen wie ein Gedicht.
Über den Eisenbahngeleisen, die dem rechten Straßenbord entlang mit uns fuhren, zitterte die Luft. Ein Möwenschwarm fiel in ein abgeerntetes Weizenfeld ein. Du begannst die Titelmelodie aus „High Noon“ vor dich hinzuträllern:
Do not forsake me, oh my Darling,
on this my weddingday.
Es war wieder dasselbe Lächeln auf deinem Gesicht wie vor der Abfahrt. Eine Weile lang summte Vater die Melodie mit. Dann ließt ihr es beide bleiben.
Ich nahm Gas weg, bremste ab. Eine Radfahrerin war uns aus einer Seitenstraße quer vor den Wagen geraten. Sie schaute über die linke Schulter zurück und lachte mit errötetem Gesicht in unser Auto hinein. Ich hob meine Hand und nickte, bog wieder in die Normalspur ein. Beim Beschleunigen vergaß ich für Augenblicke den Zweck unserer Fahrt.
Ich komme je länger je mehr in Verzug, sagtest du ärgerlich, ihr habt schon Mittag, und ich muß erst noch Morgen bekommen.
Ich fuhr wieder schneller, als eigentlich erlaubt gewesen wäre. Vaters Gesicht stand angespannt im Rückspiegel. Er schaute zwischen meinen Händen hindurch gebannt auf den Kilometerzähler, der die zurückgelegte Distanz in sich hineindrehte.
Du fliegst tiefer. Jetzt schwimmst du nur noch.
Vater hörte wortlos zu, dann fuhr er dir wieder mit dem Taschentuch über die Stirn.
Durch die Sitzlehne hindurch spürte ich in meinem Rücken Vaters Knie, hörte sein trockenes Schlucken.
Ferrari gewinnt, sagtest du wieder, als der Motor leicht aufheulte.
Wir näherten uns dem Ziel.
Ich konzentrierte mich aufs Abbiegen, legte den Blinker eine Straße zu früh ein, spurte ein zweites Mal korrekt ein und bog in den ehemaligen Klosterbezirk ein. Die breiten Eisentore an der Umfassungsmauer sind ausgehängt, die Angeln abgesägt. Das Pförtnerhaus ist jetzt ein gewöhnliches Haus mit auffallend roten Geranien vor den tüllverhängten Fenstern.
Wahrscheinlich wäre niemand erstaunt, wenn die Biberschwanzziegel des kleinen Hauses tatsächlich aus Lebkuchen wären. Vielleicht kamst du deshalb auf dein neues Lied:
Hänsel und Gretel sind alt und kahl und kalt.
Wir sind so einsam und wohnen tief im Wald.
Aus dem schattigen Park mit den hohen Bäumen strömte kühle Luft in den langsam fahrenden Wagen. Wir hielten auf das Hauptgebäude zu. Eine Reisegruppe kam uns entgegen. Du meintest eine der Frauen zu kennen, winktest. Sie winkte zurück, ein Bündel farbiger Ansichtskarten mit den berühmten Glasmalereien der Klosterkirche in der Hand.
Wir hielten vor dem Haupteingang an. Vater räusperte sich. Wir standen mit unserem Wagen allein auf dem asphaltierten Vorplatz in der Sonne, lehnten uns unschlüssig in die Polster zurück, warteten.
Du schautest mich an. Vater schluckte. Dann fiel dein Blick durch die Frontscheibe auf das große Gebäude. Im ersten Stock stand ein junger Mann, der seine wulstigen Lippen von innen her ans Fensterglas preßte, er schien seinen Kopf aufblasen zu wollen.
Eine Kampfflugzeu...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Widmung
  5. Mein Werkzeug
  6. Am Fuß des Kamels
  7. Lokaltermin
  8. Fährdienst
  9. Der fiebernde Holländer
  10. Insektenbelustigung
  11. Hydranten
  12. Lokale Erwärmung
  13. Halali. Für M.
  14. Gottfried
  15. Open air
  16. Die Angst der Männer vor dem Wort
  17. Zimmer im Wald
  18. Siegerehrung
  19. Drohende Turbulenz oder Meine Suche nach H.
  20. Sichtwechsel
  21. Aus Schwarzhäusern. Ein Porträt
  22. Das Ende der Fertigkeiten
  23. Querfahrt 1. Puls
  24. Querfahrt 2. Hochzeit
  25. Von den Sorgen des Mittelstandes
  26. Im Schläfengebiet
  27. Inhalt