Ikarus
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Ikarus

Roman

  1. 130 Seiten
  2. German
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Ikarus

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In seinem "Logbuch"-Roman erzählt der Schweizer Autor Jürg Amann die grandiose und zugleich tragisch-lächerliche Geschichte der menschlichen Flugversuche. Genau wie im Mythos von Dädalus und Ikarus gibt es zwei Figuren: Vater und Sohn. Beide begleiten wir auf ihrer weiten Reise durch Zeiten und Räume - von der mythischen Frühzeit bis in unsere von der Technik beherrschte Gegenwar

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783709973165

HÖHENFLUG

Am frühen Morgen des zweiundzwanzigsten Juli stieg ich wieder auf. Was heißt steigen? Fuhr ich auf, fuhr ich auf zum Himmel! Kaum hatten wir die irdischen Fesseln abgelegt, ich und mein Gefährt, das nun mein einziger Gefährte war, wurden wir vom mächtigen Auftrieb der rund vierzehn Tonnen unter den Flügeln gepackt, bildlich gesprochen, und weit in die Höhe geworfen, in die Höhe geschleudert, steil in die Luft hinauf geradezu katapultiert.
Um den Störeinflüssen querströmender Bodenwinde vorzubeugen, die in dieser Jahreszeit kurz vor Sonnenaufgang leicht aufkamen und deren Vorboten sich bereits bemerkbar gemacht hatten, hatte ich die Traghülle, entgegen der ursprünglichen Absicht, schon beim Start ganz, das heißt bis zur Kugelform aufgefüllt. So daß ich, während ich in den Himmel hinaufschoß, in meiner Kapsel von der Beschleunigung sicherlich zu Boden geworfen worden wäre, wenn mich nicht der Sitz, in den ich gepreßt wurde und der mir dabei im Weg war, davor bewahrt hätte. Erst als nach einigen Sekunden das beschleunigte, weil vorher sozusagen zurückgehaltene und nun von der Sehne gelassene pfeilschnelle Steigen sich etwas beruhigt hatte und in einen gleichförmigen Steigflug übergegangen war, vermochte ich mich darin wieder aufzurichten.
Gut Land! hörte ich meinen Vater sagen, von ganz nah.
Gut Land! antwortete ich, leise. Es war eine Gewohnheit aus früheren Tagen.
Schau, die Sonne, sagte ich zum Vater, der natürlich gar nicht mehr dabei war.
Tatsächlich, da unten war sie jetzt aufgegangen. Wir waren jetzt in der Sonne. Ich sah sein Gesicht in ihrem Licht an einem der Fenster. Wie hätte er sie jetzt geliebt.
Dort wollte ich hin. Kaum vorstellbar, wenn sie da über dem Rand unserer Erde stand. Aber sie stieg ja auch. In dem Maße, in dem ich mich von der Erde entfernte, tat dies die Sonne auch. Nur schneller als ich. In der wievielten Potenz? Wir hatten es einmal probehalber errechnet. Wie lang war das her! Strahlend, gleißend. Bald stand sie neben, bald stand sie über mir. Da, wo der Mond schon stand, seit ich die Erde verlassen hatte, nur daß er inzwischen verblaßt war.
Unter mir, weit entfernt, kleiner und kleiner werdend, war noch die Erde und drehte sich mit einer langsamen Gebärde von mir weg. Den kleinen Schatten, den ich mit meinem Gefährt auf sie hinunterwarf und den ich mit dem Fernglas verfolgte, verlor ich bald aus den Augen. Wie mit dem Kamm gezogene helle und dunkle Furchenstrukturen, in Wirklichkeit von großen Rechen in Äckern und Feldern zurückgelassen oder von Traktor und Pflug beigefügt, braun und grün, schnurgerade, rechtwinklig zueinander oder in Mäandern um schwarze Waldflecken herum, machte ich anfangs noch aus. Buckelstrukturen von gigantischem Ausmaß, grün, braun und grau, an denen die Felder und Wälder hinaufleckten, um dann plötzlich abzureißen oder sich in ausgefransten, schroffen und weichen Rändern aufzulösen, die ich schon kaum mehr erkannte.
Reliefstrukturen, von kleinen und großen Bächen und Flüssen in riesige Gesteinsplatten geschnitten, von Schneeflecken, die leicht wie Puder auf den Gipfeln und Graten obenauf saßen, von Schneedecken, die schwer an den Flanken der Täler klebten und in den Gründen und auf den Felskuppen unter der Sonne lagen, übergroß und überdeutlich herausmoduliert. Wilde, zerklüftete, zerrissene Strukturen von Eiswüsten und Eismeeren, in welche die Schneefelder allmählich übergingen, mit jenen verbunden durch breite, rauhe, am Gestein zerriebene Geröll- und Gletscherzungen, die sich weit in sie hinein und hinaus vorschoben, um sich am Ende in unendlich vielen Armen von Wasserläufen und Rinnsalen zu verlieren. Auf der anderen Seite Terrassenstrukturen unermeßlicher Hoch- und Tiefebenen, auf denen sich das Wasser aus Tausenden von Seitenzweigen und Verästelungen zu Flußästen und schließlich Strombäumen sammelte, um auf bald geraden, bald verschnörkelten Wegen und Umwegen den Wüsten und Meeren zuzufließen und entweder plötzlich oder allmählich darin zu versanden oder in sie deltaförmig oder aber tentakelartig auszuufern. Gelbe, braune, violette, rote Dünenstrukturen, parallel, wellenförmig, gekräuselt, über endlose Flächen, von den Küstenstrichen her von den Winden weit ins Landesinnere bis an die Füße der Berge herangetrieben, von den Hügeln herab bis an die sanft und hell auslaufenden oder schroff und dunkel abfallenden Küsten. Die weißen Wellenstrukturen der wie zur Mauer erstarrten Brandung. Die blendende, spiegelnde Fläche des die Erdteile umfließenden, verbindenden Ozeans.
Dann sah ich nur noch das Blau des Wassers, durch das an ein paar Stellen ein Rest von fester Materie durchschien, und darüber oder darin die Schlieren und Wirbel der Wolken.
Von den Winden und Stürmen, die die Erde umtobten, spürte ich hier oben nichts. Klein, preziös, leuchtend, golden und blau, nur durch ein paar Einsprengsel getrübt, lag der Erdball wie ein Edelstein, in den schwarzen Samt des Weltalls gebettet, tief unter mir, unerreichbar weit von mir weg.
Der Himmel war ein schwarzer Abgrund geworden. Ohne Maß, ohne Grenze. Die blaue Kuppel des Himmels, die immer schützend über allem gewesen war, hier oben war nichts von ihr übriggeblieben. Der Himmel hatte sich aufgelöst, war vernichtet, war zunichte geworden. Alles Licht, alle Farbe war aufgesaugt von einem tiefen, von Minute zu Minute noch schwärzer werdenden Schwarz. So kam es mir vor. Und dies, obwohl doch die Sonne schien, obwohl doch die Sonne schräg über mir stand. Es war nichts mehr da, so weit draußen, das mir ihr Licht hätte zurückwerfen können. Jedenfalls nicht in meiner Nähe. Und wie zum Hohn wurden mitten am Tag und neben der Sonne, die das Schwarz nicht erhellte, alle Sterne sichtbar, traten aus diesem Schwarz heraus als winzige, ohnmächtige, schwindsüchtig flirrende oder blinkende Punkte, trostlos, verloren, wie kurz vor dem Verlöschen, wie zufällig in die Leere des Raums gestreut, und ich war einer von ihnen.
In der Kabine schneite es. Draußen trieb die Temperatur auf den absoluten Nullpunkt zu. Die Luftfeuchtigkeit in meinem Biotop, die Atemluft, die ich als sichtbaren Hauch aus meinen Lungen stieß, kristallisierte, kaum daß sie mit der kalten Kabinenwand in Berührung kam, und fiel in Form von Flocken und Eisnadeln zu Boden. Eisblumen hatten sich auf den Fensterscheiben gebildet, zumindest auf der von der Sonne abgewandten Seite, die ich immer wieder mit den Fingernägeln von den Glasflächen wegkratzen mußte, um überhaupt noch etwas zu sehen.
Ich drehte die Kapsel in die Sonne. Das heißt, in der Sonne war sie ja ohnehin, aber ich richtete sie mit Hilfe des Rückstrahlventils an der Gashülle so nach der Sonne aus, daß ihre dunkle Seite die Strahlen fing. In der Kabine begann es zu tauen, der Schnee ging in Schneeregen, der Schneeregen schließlich in Regen über, das Kondenswasser, mit dem sich meine kleine Welt von innen beschlug, tropfte von der Decke und von den Wänden auf die Bodenbretter herunter, wo es liegenblieb und verdampfte.
Ich stieg höher und höher. Den Mond, hinter dessen Rand die Erde für ein paar Augenblicke untergegangen war, um auf der anderen Seite gleich wieder aufzugehen, hatte ich hinter mir. Schon näherte ich mich der Sonne.
Je näher ich der Sonne kam, um so heißer wurde es in der Kapsel, da ihre Strahlen zu sehr auf die dunkle Seite brannten. Ich versuchte, die Kabine wieder etwas aus der Sonne zu drehen, die helle und die dunkle Seite ihrer Strahlung gleichmäßiger auszusetzen, ein Gleichgewicht zwischen Kälte und Hitze zu schaffen. Aber da sprang, beim Versuch, sie zu bewegen, in ihrem U-förmigen Rohr, das sie von draußen nach drinnen führte, in dem das Dichtungsöl offensichtlich eingefroren war, die Ventilleine wie dünnes Glas und zerbrach. Ich hörte es als kurzes, feines Geräusch. Die Schleuse hatte auf der sonnenabgewandten Seite der Kabine im Ballonschatten gelegen. Obwohl es auf der einen Seite, da wo die Sonne auftraf, sehr heiß war, war es auf der anderen Seite, da wo sie nicht hinreichte, sehr kalt. Und ohne Ventilleine war die Kapsel nicht mehr zu drehen.
Kehr um, hörte ich den Vater sagen, von ganz weit weg, nimm deinen Flug nicht zu hoch, du kommst der Sonne zu nahe.
Aber da war es schon zu spät. Ein leises Zischen war plötzlich zu vernehmen, das sich verstärkte, an einer, an zwei, an mehreren Stellen, das nichts Gutes verhieß. Auf der einen, der Sonnenseite hatte der Kautschuk, der die Fensterluken abdichtete, zu sieden begonnen und schmolz jetzt wie Wachs; während auf der andern, der Schattenseite die Scheiben in der Kälte Risse und Sprünge bekommen hatten. So daß die Kapsel, durch meine irgendwo ins Nichts hinausströmende Atemluft angetrieben, zuerst ins Zittern, dann doch noch in Drehung geriet. Die ich aber nicht mehr aufhalten konnte. Und plötzlich ging über meinem Kopf der Gasball in Flammen auf. Da war es schon gar nicht mehr wichtig, daß beim Versuch, sie zu ziehen, auch die Reißleine in tausend Scherben zersplitterte.
Ich war mit meiner Kugel ins Trudeln geraten. Ich stürzte. Am Mond wieder vorbei. Durch die schwarze Leere des Raums. Auf die blaue, leuchtende Erde zu. Auf die weißen Schlieren und Wirbel der Wolken zu. Auf eine graue Betondecke aus Wolken zu, auf der ich meinen Schatten von weitem wieder erkannte. In eine Schafherde aus Wolken hinein, in der mein Schatten unruhig mitlief. Als ich aus den Wolken herausfiel, stürzte der Schatten mit mir über Berggipfel und Bergwände hinunter, die sich um mich zusammenschlossen, und auf das Eis eines Gletschers hinab, der mir seinen zerschundenen Rücken entgegenwölbte. Als ich mit meinem Schatten zusammenfiel, schlug ich auf.
Jürg Amann, geboren 1947 in Winterthur. Studium der Germanistik in Zürich und Berlin, Dissertation über Franz Kafka. Zunächst Literaturkritiker und Dramaturg. Lebt heute als freier Schriftsteller in Zürich. Amann hat inzwischen ein umfangreiches Œuvre (Prosa, Lyrik, Essays, Theaterstücke, Hörspiele) aufzuweisen. Bei Arche sind erschienen: Robert Walser. Eine Biographie in Texten und Bildern (1995); Rondo und andere Erzählungen (1996); Engadin. Ein Lesebuch. Hg. von Anna Kurth und Jürg Amann; Luisa Famos, Poesias Gedichte. Aus dem Rätoromanischen von Jürg Amann und Anna Kurth. Im Haymon Verlag sind erschienen: Zwei oder drei Dinge. Novelle (1993); Uber die Jahre. Roman (1994); Und über die Liebe wäre wieder zu sprechen. Gedicht (1994); Schöne Aussicht. Prosastücke (1997). Zahlreiche Auszeichnungen: Ingeborg-Bachmann-Preis (1982 für die Erzählung Rondo), Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis (1983), Preis der Schweizer Schillerstiftung (1989) und Kunstpreis der Stadt Winterthur (ebenfalls 1989).

INHALT

Vögel
Federlesen
Märchen
Traum
Levitationen
Drachen
Feuer
Gas
Vogelflug und Fliegekunst
Die Überwindung der Schwerkraft
Flügel
Hals- und Beinbruch
Die Röcke der Mutter
Hinauf
Hammel, Hahn und Ente
Wasserstoff
Aus allen Wolken
Himmelsbekanntmachung
Mutter Erde
Reise in die Kälte
Ankern
Der Bau der Kapsel
Höhenflug

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Vögel
  6. Federlesen
  7. Märchen
  8. Traum
  9. Levitationen
  10. Drachen
  11. Feuer
  12. Gas
  13. Vogelflug und Fliegekunst
  14. Die Überwindung der Schwerkraft
  15. Flügel
  16. Hals- und Beinbruch
  17. Die Röcke der Mutter
  18. Hinauf
  19. Hammel, Hahn und Ente
  20. Wasserstoff
  21. Aus Allen Wolken
  22. Himmelsbekanntmachung
  23. Mutter Erde
  24. Reise in die Kälte
  25. Ankern
  26. Der Bau der Kapsel
  27. Höhenflug
  28. Inhalt