Die Wahrheit über Braunschweig
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Die Wahrheit über Braunschweig

  1. 160 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Wahrheit über Braunschweig

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In Braunschweig, zwischen Harz und Heideland, leben rund eine Viertelmillion Menschen. Welche Geschichten verbergen sich hinter dieser nackten Einwohnerzahl vom Joker an der Oker? Warum leben alle diese Menschen so gerne in der Löwenstadt? Liegt es an ihrem Charme, der sich irgendwo zwischen gemütlichem Nest und rastloser Metropole einpendelt? Wie fühlt es sich an, hier aufzuwachsen? Einmal Braunschweiger, immer Braunschweiger - stimmt das? Und wie wirkt Brunswiek auf Neuankömmlinge und Zugezogene? Kommen sie gerne, bleiben sie gerne?Rund 15 Kulturschaffende aus der Region, darunter Lesebühnenautoren, Popliteraten, Journalisten und Poetry Slammer, begeben sich auf urbane Spurensuche und präsentieren dem Leser ihre schonungslos subjektiven Ergebnisse in Form von Texten der verschiedensten Gattungen. Jeder von ihnen hat eine ganz besondere Beziehung zur Stadt und ihren Bewohnern, jeder von ihnen kennt ein paar ihrer Geheimnisse. Und alle Schlüsselerlebnisse zusammen können sie vielleicht endlich verkünden, die »Wahrheit über Braunschweig«.Mit Texten von Dominik Bartels, Till Burgwächter, Hardy Crueger, Jan-Heie Erchinger, Gerald Fricke, Bianca Höltje, Axel Klingenberg, Ronja Linke, Marcel Pollex, Wiebke Saathoff, Frank Schäfer, Peter Schanz, Kuno Schmürz und Tom Wunram.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783945715314

Die Wahrheit über Braunschweig

Andreas Reiffer (Hg.)
Verlag Andreas Reiffer
Edition The Punchliner


Umschlaggestaltung: Meike Töpperwien
Lektorat: Lektorat-Lupenrein.de

1. Auflage 2015
© Verlag Andreas Reiffer

ISBN 978-3-945715-31-4 (Ebook), identisch mit der Printversion

Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine
www.verlag-reiffer.de
www.facebook.com/verlagreiffer


Für Alina


Nichts als die Wahrheit, oder?


Mit der Wahrheit ist das ja immer so eine Sache – auch in Braunschweig. Kann ein Buch überhaupt die eine Wahrheit verkünden? Wahrscheinlich nicht – aber vielleicht genügt es schon, sich der Wahrheit ein Stück weit anzunähern. Ganz gleich, ob Sie zu Besuch in der Stadt sind oder als frisch Hinzugezogener gerade auf Entdeckungsreise gehen; ja selbst, wenn Sie schon Ihr ganzes Leben lang in Rühme, Wenden oder Veltenhof wohnen und glauben, alles über Ihre Heimat zu wissen – als Herausgeber bin ich mir sicher, Sie werden in irgendeiner der vorliegenden Geschichten mindestens ein neues Körnchen Wahrheit über Braunschweig finden. Und wenn Sie sich zwischendurch am Kopf kratzen und sich fragen: »Kann das wirklich wahr sein?«, blättern Sie einfach um und trösten sich mit den Worten von Sigmund Freud: »Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.«

Für den einen liegt die Wahrheit im samstäglichen Run auf die neuesten Errungenschaften unserer schönen Warenwelt hinter der vielzitierten Schlossfassade oder im blau-gelben Möbelhaus in der Hansestraße. Einige Autoren des Buches dürften ihre so gefärbte Wahrheit eher wenige Kilometer weiter Richtung Innenstadt suchen, im Stadion an der Hamburger Straße. Zumindest alle zwei Wochen. Vielleicht findet sich Erleuchtung auch in der Kombination aus der großen Liebe zur Stadt und der Liebe zu einem Mädchen, von der Jan-Heie Erchinger in »West End Girl« so beschwingt erzählt. Und wie ist das überhaupt, als Zugezogener in die ostfälische Metropole zu kommen? Viele praktische Fragen sind zu klären, Abenteuer zu erleben – sei es im Öffentlichen Personennahverkehr oder am bzw. auf dem Südsee. Auch eine gute Orientierung in den Straßen ist wichtig, damit Sie nicht »Lost in Braunschweig« gehen.
Dieses Buch beantwortet auch historische und kulturelle Fragen. Wie kam es eigentlich dazu, dass Auctor Schutzheiliger und Schutzpatron der Stadt wurde? Wie hört es sich an, wenn der Raabe-Preisträger wichtige Botschaften verkündet? Und was hat Bruce Springsteen mit der niedersächsischen Stadt zu tun?
Nicht immer ist alles schön im Joker an der Oker. Hardy Crueger weiß von Raub und Piraterie zu berichten, der inoffizielle Stadtchronist Axel Klingenberg bekommt selbst im ruhigen Heideumland keinen Schlaf, und Peter Schanz informiert über den größten Fast-Lebensmittelskandal Braunschweigs. Gut, dass zwischendurch immer mal wieder Gute Nachrichten verkündet werden – dank Marcel Pollex.
Und wie sieht die Zukunft aus? Wird die Stadt aus ihrem provinziellen Dornröschenschlaf erwachen können? Wiebke Saathoff macht dazu ganz praktische Vorschläge, die von den Stadtmarketingexperten unbedingt in Erwägung gezogen werden sollten!

Am Schluss meiner Einleitung angekommen, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und verabschiede mich mit dem guten Gefühl, Sie, lieber Leser, in die besten Hände zu entlassen, wenn es um die literarische Entdeckung unserer Lieblingsstadt geht.

Ihr Andreas Reiffer



Vom Brotaufstrich zum Domizil

von Tom Wunram
Gedanken eines Zugezogenen

Meine erste Berührung mit dem Begriff »Braunschweig« hatte ich als Kind. Damals war mir nicht bewusst, dass sich dahinter eigentlich eine Stadt im Nordosten Deutschlands verbirgt, sondern schenkte meine Aufmerksamkeit vielmehr dem gleichnamigen Brotaufstrich in Form eines Wurstkringels. Braunschweiger, die grobe Streichmettwurst, erfreute sich bei mir allergrößter Beliebtheit, da sie nicht nur eine Geschmacksoffenbarung war, sondern anhand einer enorm fingerfertigen Prozedur aus ihrer Hülle gepult werden musste, was ihr an unserem Esstisch in einem kleinen Kaff bei Bielefeld den Namen »Bohrwurst« einbrachte. Wir Ostwestfalen verstehen eben etwas von fortschrittlicher Esskultur. Und wer jetzt zu den wahnsinnig originellen Humorautisten gehört, die behaupten: »Bielefeld gibt es doch gar nicht!!!«, sollte sich im Keller einmotten lassen und sich dort weiterhin an lustigen Katzenvideos, Furzkissen und einem Buch von Fips Asmussen erfreuen. Oder für immer schweigen.

Etliche Jahre später, lange nachdem ich erfahren hatte, dass das beliebte Produkt, bestehend aus geschredderten und wieder zusammengepressten Tierkadavern jeglicher Couleur, seinen Namen einer Stadt verdankte, hat mich meine berufliche Zukunft in eben diese Metropole gelockt. Abgesehen von der Wurst und dem Weihnachtsmarkt, den ich zuvor einige Male besucht hatte und der mir dank »Hühnerstall« und »Schwarzwaldklinik« stets in hochprozentig-lückenhafter Erinnerung blieb, war mir über diese Stadt nicht viel geläufig. Braunschweig war nur eine weitere graue und bedeutungslose Provinz irgendwo an der A2. Der Umzug am ersten Februarwochenende 2005 begann dann auch gleich mit einem Kulturschock, als mir schlagartig eröffnet wurde, dass es sich bei meiner neuen Wahlheimat um eine Karnevalshochburg handelte!!! Niemand hatte mich vorgewarnt, vermutlich wusste man, dass wir Ostwestfalen als Faschingsmuffel bekannt sind, da unser Humor wesentlich ausgeprägter, anspruchsvoller und facettenreicher ist als der von verkleideten Zwangsfrohnaturen und Stimmungslegasthenikern. Ich war nicht weit entfernt von meinem ersten hiesigen Nervenzusammenbruch. Der Löwe, dessen Höhle ich betreten hatte, stand auf seinem Podest auf dem Burgplatz und verhöhnte mich. Aber freuen wir uns für den Braunschweiger, dass er zumindest für ein paar Tage im Jahr etwas zu lachen hat. Wenn auch aus zweifelhaften Gründen …
So oder so, für einen Rückzug war es längst zu spät. Alle Verträge waren unterschrieben, und die ersten 4½ Jahre schlug ich meine Zelte im beliebten Östlichen Ringgebiet auf. Eine recht versnobte und horrend überteuerte Wohngegend, die ihren Siedlern eine gewisse Arroganz verleiht, jedoch Autobesitzern eine hervorragende Form des Gedächtnistrainings bietet, denn aufgrund des akuten Parkplatzmangels (ein Sechser im Lotto ist statistisch wahrscheinlicher, als einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung zu ergattern) muss man jeden Morgen überlegen, wo man seinen fahrbaren Untersatz am Abend zuvor abgestellt hat. Alois Alzheimer hätte seine wahre Freude daran gehabt und »Parkplatzsuche im Östlichen Ringgebiet« garantiert als therapeutische Maßnahme empfohlen. (Sudoku war ja so was von gestern!) Aber ich will nicht so viel lästern, immerhin ist die Gegend wirklich schön und bietet mit dem angegliederten Prinz-Albrecht-Park (oder »Prinzenpark«) und dem Naturschutzgebiet Riddagshausen eine wunderbare Outdoor-Kulisse.
Nach einem Umzug kann ich mittlerweile behaupten, dass auch das Westliche Ringgebiet seine Vorzüge hat und als Lebensraum wunderbar geeignet ist. Dazu bedarf es jedoch einer gewissen Offenheit, die so manchem innerstädtischen Ost-West-Spezialisten scheinbar nicht so leicht von der Hand geht … Die Mauer ist in gewisser Hinsicht noch präsent in den Köpfen.

Ich gebe zu, dass ich eine Weile brauchte, um mich an die Heimat von Till Eulenspiegel zu gewöhnen und die Stadt als mein neues Zuhause zu akzeptieren. Braunschweig ist eine Stadt, deren Schönheit sich erst auf den zweiten Blick offenbart. Hier gewinnt vor allem die wunderschöne Innenstadt mit ihren zahlreichen historischen Bauten und Denkmälern, und dank mancher Stadtführung konnte ich eine ganze Menge interessanter Details über Braunschweigs bewegte Vergangenheit erfahren. Mag nach Reisebroschüre klingen, trifft aber den Nagel auf den Kopf. Das Magniviertel bleibt mein persönliches Highlight, zumindest solange ich das Schundwerk des geistig umnachteten New Yorker Architekten Rizzi ausblenden kann. Ich vermute nach wie vor, dass es sich um die peinliche Wettschuld des verantwortlichen Bürgermeisters aus einer durchzechten Nacht handelt, bei der so manche Droge im Spiel gewesen sein wird. Anders kann ich mir die Existenz dieses Augenkrebs erzeugenden Gemäuers nicht erklären. Auch der Kunst sollten gewisse Grenzen gesetzt werden.
Ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist das Braunschweiger Straßenverkehrsnetz, und damit meine ich in erster Linie die Autobahnen und sonstigen Umgehungsstraßen. Ich hege den Verdacht, dass speziell für das braunschweigische Asphaltwirrwarr überhaupt erst Navigationssysteme erfunden wurden. Ich kenne Ureinwohner, die auch heute noch mit der Flut von unsortierten Abfahrten und Spaghettiknoten völlig überfordert sind. Da verfügen sogar Großstädte wie Berlin und Hamburg über mehr Geschick bei der Verkehrsführung. Und die zahlreichen und oft sinnentleerten Baustellen tragen auch nicht gerade zur Fahrfreude bei. Bleiben wir erst mal auf der Straße. Diese ist nämlich in erster Linie mit Karosserien überfrachtet, die einem Konzern entspringen, der auf Wunsch eines österreichischen Landschaftsmalers und Braunschweiger Ehrenbürgers in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts die automobile Weltherrschaft in Wolfsburg anstrebte. Diesen Heimvorteil machen sich die Fahrer jener Modelle noch heutzutage zunutze. Dank ihres eigentümlichen Fahrstils und innovativer Interpretation der Straßenverkehrsordnung sind sie in der Region unverkennbar. Nutzer einer anderen KFZ-Marke werden hier lediglich geduldet. Kurios übrigens auch die Tatsache, dass mindestens jeder zweite Mensch, den man hier kennenlernt, in irgendeiner Art und Weise beruflich mit der erwähnten Automanufaktur verknüpft ist. Da kann man ja schon fast paranoid werden … Über die militanten und stark suizidgefährdeten Radfahrer – anders kann ich mir ihre Fahrweise nicht erklären – in unserer Stadt hülle ich lieber den Mantel des Schweigens, ich kann es mir ja nicht mit jedem verscherzen …

Ein weiteres, wenn nicht sogar das wichtigste Thema für den Braunschweiger ist … na klar, sein Fußballclub. In regelmäßiger Eintracht sieht man die Anhänger des Braunschweiger Turn- und Sportvereins, immer erkennbar an ihren blau-gelben Accessoires (nicht zu verwechseln mit den Farben einer regelmäßig für lustige Schlagzeilen sorgenden politischen Partei), wie sie ihre Mannschaft anfeuern oder während eines Spiels mitfiebern, sei es im Stadion, irgendeiner Sportkneipe oder aber nach dem Match, voll wie eine Natter in der Fußgängerzone oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln, dort auch gern in Kombination mit der passenden olfaktorischen Belästigung, wenn Bratwurst und Bier keine besonders harmonische Symbiose eingehen. Wenn Eintracht spielt, bleibt kein Stein auf dem anderen. Für mich als Fußballgegner aus Überzeugung ist so etwas nicht mal ansatzweise nachvollziehbar, das dafür erforderliche Gen wurde bei mir niemals aktiviert. Aber ich bin damit bisher gut durchs Leben gekommen, und bei aller Verständnislosigkeit muss ich die Braunschweiger für ihre Hartnäckigkeit respektieren. Egal ob Aufstieg oder Abstieg, die Fans stehen fest verwurzelt hinter ihrer Truppe und klammern sich an ihre geschworene Lehnstreue, auch wenn sie dafür manchmal gern belächelt werden. Mag vielleicht auch daran liegen, dass der Braunschweiger einfach gern feiert. Wer fragt da schon nach dem Tabellenplatz?

Es sind auch die kleinen und besonderen menschlichen Eigenheiten, die einem zugezogenen Stadtneuling anfangs die Verwirrung in die Gesichtszüge meißeln. Dass man hierzulande statt »Grünkohl« lieber »Braunkohl« sagt oder seine Speisen mit einer widerlichen Warzentinktur namens »Mumme« würzt, sind dabei nur Banalitäten. Nein, ich will natürlich noch einmal auf den Braunschweiger an sich hinaus (und damit meine ich beide Geschlechter). Auch hier sind Geduld und Diplomatie gefragt, um mit den Bewohnern warm zu werden. Man sagt uns Ostwestfalen nach, dass wir sture Böcke seien. Wer das behauptet, ist noch keinem Braunschweiger begegnet. Meine folgenden Beobachtungen und anfangs gewagt wirkenden Thesen stütze ich auf Erfahrungen mit zahlreichen Studienobjekten, die ich in den letzten Jahren ausführlich erforschen konnte.

Der gebürtige Braunschweiger ist nicht gerade berühmt für seine euphorische Herzlichkeit, sein Charme gleicht vielmehr dem eines Reibeisens. Er brennt von innen. Auf Sparflamme. Oder anders ausgedrückt: wäre Übellaunigkeit eine Kategorie im Guinness-Buch der Rekorde, ein dortiger Eintrag wäre vermutlich auf einen Braunschweiger zurückzuführen. So wird dem Neuankömmling zunächst nur eine homöopathische Dosis Freundlichkeit kredenzt. Doch hat man den Braunschweiger etwas besser kennengelernt, wird einem schnell klar, dass er durchaus liebenswert sein kann und sein Herz nicht nur als Antrieb für sein Kreislaufsystem nutzt. Man muss ihm nur etwas Zeit für diese positive Entfaltung geben. Natürlich gerät man auch immer mal wieder an das eine oder andere unsympathische Sackgesicht, aber davon kann sich wohl keine Großstadt dieser Welt ganz freisprechen.

Neue Gegebenheiten und Situationen betrachtet der Löwenstädter mit der erforderlichen Distanz und einer vermutlich angeborenen Vorsicht. Es liegt in seiner Natur, dass er von seinem Glück manchmal erst durch Fremdeinwirkung überzeugt werden muss. Als Beispiel bringe ich gern das städtische Einkaufszentrum ins Gespräch, welches als Kulisse an der Frontseite mit einem großen Vorhängeschloss mit psychologischer Sogwirkung versehen ist. Als es vor Jahren in die heiße Vorbereitungs- und Bauphase dieses Objektes ging, wollte niemand diesen Kasten in seiner Stadtmitte wissen. Doch schon kurz nach Eröffnung des Konsumtempels fragten sich die mittlerweile geläuterten Bürger, wie sie früher nur ohne dieses Shopping-Mekka überleben konnten. Seitdem sind die Schloss-Arkaden einer der Dreh- und Angelpunkte in Braunschweig. Lediglich die zahlreichen Drogenabhängigen und ihre Dealer, die sich ehemals im mittlerweile nicht mehr existenten Schlosspark tummelten und dort ihren Tages- und Nachtgeschäften nachgingen, mussten sich eine neue Wirkungsstätte suchen. Dabei hatten die Junkies wesentlich flexiblere Öffnungszeiten als die Schlossarkaden.

Konfrontiert man den Braunschweiger mit seinen Marotten und Unzulänglichkeiten, so ist er tief gekränkt und reagiert – wie sonst auch – gewohnt sauertöpfisch und engstirnig. Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein gehört nicht unbedingt zu seinen Stärken, auch erkennbar an der Pflege seines hochgradigen Minderwertigkeitskomplexe gegenüber der (verbotenen) Landeshauptstadt. Und wenn man vom gebürtigen Braunschweiger immer wieder gefragt wird, warum man denn ausgerechnet in seine Stadt gezogen sei, dann spricht das ja auch nicht gerade für Lokalpatriotismus aus Überzeugung. Diese falsche Bescheidenheit ist mir absolut unverständlich. Braunschweig ist in Wirklichkeit doch genau...

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