Mürrig
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Mürrig

Roman

  1. 296 Seiten
  2. German
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Mürrig

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Karl Georg Mürrigs Kindheit verläuft trostlos: der Vater ein autoritärer Familienregent, die Mutter schwach und unterwürfig, Karl Georg selbst ein kränkliches Kind und nur eine Belastung für die Eltern. Lediglich das gemeinsame Interesse für das weltpolitische Geschehen, das Karl Georg früh entdeckt, verbindet ihn mit seinem unnahbaren Vater. So verbringt er Stunden vor dem Radioapparat und saugt die Nachrichten in sich auf - sie werden ihm zu einem zweiten Zuhause.Als der jugendliche Karl Georg beim Durchstöbern des väterlichen Schreibtisches auf ein Geheimfach stößt, wendet sich das Blatt. Nun, da er die Vergangenheit seines Vaters kennt, ist der Tyrann plötzlich entzaubert und entmachtet. Doch was für ihn Befreiung sein könnte, misslingt.Noch Jahre später flüchtet er sich in die Scheinwelt der Medien, deren Geschichten von Krieg und Gewalt sein Leben zunehmend bestimmen. Es beginnt ein langsamer und doch unaufhaltsamer Abstieg in einen Abgrund, wie ihn die Weltgeschichte immer bereithält...Eindringlich und präzise in der Durchleuchtung der menschlichen Seele erzählt Günther Loewit die Geschichte eines Lebens, das von vornherein zum Scheitern verurteilt scheint.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783709974452

1985

Am 11. März wird Michail Gorbatschow Generalsekretär der KPDSU. In der westlichen Welt weiß man nicht viel über den ehemaligen Landwirtschaftsminister der Sowjetunion.
Ein erstes Treffen mit US-Präsident Reagan, einem erklärten Antikommunisten, führt zu einer Annäherung der Führer der zwei mächtigsten Länder der Welt.
Am 10. Juli 1985 wird die „Rainbow Warrior“, ein Schiff der Umweltorganisation Greenpeace, das in Auckland vor Anker liegt, durch zwei Bombenexplosionen versenkt. Ein Mensch stirbt.
Bei späteren Untersuchungen stellt sich heraus, dass zwei Agenten des französischen Geheimdienstes die Bomben gelegt haben. Die Affäre führte schließlich zum Rücktritt des französischen Verteidigungsministers und zur Entlassung des Chefs des Geheimdienstes.
Für Karl Georg Mürrig wird die Zeit knapp. Wenn es ihm nicht gelingt, bis zum Ende des Sommersemesters das zweite Rigorosum erfolgreich abzuschließen, werden ihm die bisherigen Prüfungen aberkannt.
Der größte Druck kommt aber von Helene. „Du musst etwas gegen deine Depressionen tun.“
Der Satz treibt Mürrig zur Verzweiflung. „Ich glaube nicht, dass ich Depressionen habe“, fängt er an und weiß nicht weiter.
Immer öfter verzieht sich Mürrig in das ehemalige Arbeitszimmer des Vaters. Er schließt die Tür hinter sich. Edith ist noch zu klein, um die Klinke zu erreichen, und Helene zu verzweifelt, um sie zu drücken. Einen erneuten Versuch zu starten. Und so sitzt er verschanzt, weitab seiner Familie, kommt nur zum Essen in die Wirklichkeit zurück und manchmal für einen gemeinsamen Spaziergang, zur Ringstraße, dann zum Schwarzenbergplatz und durch die Seitengassen zurück zum Beethovenplatz. Dort setzen sich die Eltern auf eine der Bänke und beobachten Edith beim Taubenjagen.
„Karl Georg, ich glaube, wenn wir so weitermachen, wird das Geld knapp werden.“ Mürrig legt seinen Arm um Helene und ignoriert den Satz, ignoriert die Kälte, die sich zwischen ihnen breitgemacht hat.
„Knapp.“
„Lauf, lauf, Edithi, zeig es ihnen!“
Die Tauben hat auch er schon am Beethovenplatz gejagt. Die Eltern der jetzigen Tauben, vermutet er, oder die Großeltern. „Schau“, sagt er zu seiner Frau, teilnahmslos, „die Viecher haben schon den ganzen Ludwig van verschissen.“
Helene erwidert die Umarmung nicht. Das Taubenjagen ist ihr peinlich. „Sei doch nicht so ordinär.“
Sie denkt an den Vater, den „dummen Rittener Bauern“, wie Karl Georg ihn am Anfang genannt hatte, dem solche Worte nicht über die Lippen gekommen wären, der ihr abgeraten hat vom Städter Mürrig. Ihr Mann neben ihr denkt an den zugeschissenen Ludwig van und die dritte Symphonie. Er hört sie häufig beim geheimen Onanieren im Arbeitszimmer.
„Ich mach jetzt eine Famulatur auf der Frauenstation“, springt Mürrig unvermittelt in seinen Gedanken. Bisher war von einer solchen Famulatur noch nie die Rede.
„Solltest du nicht zuerst das Rigorosum zu Ende bringen?“, wirft Helene ein.
Sie selbst hat das Studium endgültig aufgegeben. Edith und der Haushalt, ohne jede Hilfe ihres Mannes, wie sie es ihrer Mutter in einem der seltenen Briefe anvertraut hat, sind Arbeit genug. Der Wunsch, Ärztin zu werden, ist Illusion geworden.
„Ich werde das schon alles zu deiner Zufriedenheit erledigen.“ Schnippisch, knapp, fast auflehnend.
Helene versucht, vor Edith keinen Streit mit Mürrig vom Zaun zu brechen, der zu einer Mauer geworden ist. Das hat sie bei den Eltern in Südtirol gelernt, dass vor den Kindern nicht geliebt und nicht gestritten wird.
Mürrig beginnt, Pfeife zu rauchen.
Der Anatomieprofessor raucht, Anselm Hofbauer raucht, warum nicht er. Seit Jahren muss er auf dem Weg zu den Hörsälen der medizinischen Fakultät an einem appetitlichen kleinen Rauchwarengeschäft vorbei. Die handlichen Formen der Pfeifen in der Auslage üben eine Anziehung auf ihn aus. Der Arzt hat ihn eine ganze Jugend lang vor dem Rauchen gewarnt. Die Warnungen in Bezug auf seinen Husten, Krebs im Allgemeinen, Lungenkrebs im Besonderen, haben ihre Wirkung auch nicht verfehlt. Karl Georg ist jeder Form des Rauchens gewissenhaft aus dem Weg gegangen. Aber jetzt, in Anbetracht des allgemeinen Niederganges, was sollte es da machen, wenn er sich ein Hobby gönnt. Außerdem bezweifelt er eine angeborene Schwäche seiner Lunge. Das meiste Husten war gewollt oder zumindest nicht unerwünscht.
Und so verwandelt er das Arbeitszimmer in seinen Rauchsalon. Wenn er die Flügeltür öffnet, erobert ein Schwall des süßlichen Tabakduftes den Rest der Wohnung in der Kantgasse.
Die ersten Pfeifen handhabt er noch ungeschickt.
Ein Neuling.
Verbrennt sich häufig die Zungenspitze, weil er zu heftig anzieht, weil er im Stopfen noch ungeübt ist, weil der Tabak nicht glimmt. Mürrig verbraucht pro Füllung fast ein Päckchen Zündhölzer, schämt sich, lacht, wenn er an die Sparsamkeit des Vaters denkt. Betrachtet den Zündholzfriedhof rechts neben dem Arbeitsplatz.
Er liebt den Geruch seiner neuen Beschäftigung. Arbeitet mit der Pfeife. Füllt. Stopft. Putzt.
Überzieht den Schreibtisch mit braun-schwarzen Tabakrückständen.
Zündet, zig Mal. Lässt den Sud abtropfen. Auf ein Blatt Papier.
Auch eine Tinte, überlegt er und verteilt die stinkende Flüssigkeit mit der Federspitze zu einem Wort, gedankenverloren, vermischt das klebrige Braun aus der Pfeife mit der flüssigeren blauen Tinte zu knapp.
Oder: Wer rettet mich noch einmal?
Genießt, wenn ihm ein paar Züge hintereinander gelingen. Und stinkt erbärmlich nach Feuer und Rauch, wenn er durch die Flügeltür von Zeit zu Zeit in die Wirklichkeit zurückkehrt.
„Mein Gott, Karl Georg, was treibst du da drinnen?“
Helene hat es aufgegeben, ihre Mutterrolle auf das Arbeitszimmer ausdehnen zu wollen. Sie hat akzeptiert, dass die weiße Flügeltür eine Grenze darstellt.
„Ich studiere“, sagt er lapidar, einer anderen Wahrheit entsprechend.
Helene schreibt der Mutter unter anderem: „Ich kann seit geraumer Zeit meinen Mann nicht mehr erreichen, so fremd und seltsam wird er mir und unserer Edith, um die er sich nur selten kümmert.“
Mürrig gelingt es tatsächlich, eine zwei Monate dauernde Famulatur auf der Gynäkologischen Abteilung des AKH zugeteilt zu bekommen.
Mein Studium ist am Sand/ die Tage des Mediziners gezählt/ wem sollte ich helfen/ wenn schon allen geholfen wird/ mir?!?/ kann keiner helfen./ Ich habe alles auf eine Karte gesetzt/ und die gleich entwerten lassen/ gegen besseres Wissen/ Gewissen/ zumindest das des Vaters.
Also gönne ich mir noch einmal die Frauen/ gebärend/ die Beine spreizend/ um die Folgen der Vereinigung loszuwerden/ auszudrücken/ was in Worten nicht mehr ausgedrückt werden kann/ das gönne ich mir zum Abschied/ und dann/ dann/ sollte ich einen Abschied nehmen/ von irgendwem/ irgendwohin/ es wäre besser/ für Frau und Kind/ und mich/ natürlich auch/ irgendein Ende.
Immer häufiger finden sich Rückstände des Rauchens auf dem Papier, auf das Mürrig gerade schreibt. Kreisrunde braune Ringe, wenn er das Mundstück aus dem Kopf herausgedreht und am Blatt aufgesetzt, hin und her gedreht hat, schwarze Schleifspuren von einem Zündholz, eingetrocknete Tropfen, die immer noch eindeutigen Geruch abgeben, solange eine Seite aufgeschlagen, ein Blatt seines Deckblattes beraubt ist.
Im Juli, zu Beginn der Sommerferien, tritt er die Famulatur an. Von der Wäscheabteilung des AKH bekommt er zwei Garnituren weißer Arztkleidung ausgehändigt, bestehend aus Hose, Hemd und knielangem Mantel. Mit einer Unterschrift verpflichtet er sich zur Rückgabe am letzten Tag seines Praktikums. Eine Fotografie entsteht.
Mürrig, wie ein Arzt.
Bei der Morgenvisite wird Mürrig vom Abteilungsleiter den Schwestern und Ärzten vorgestellt, man wünscht ihm alles Gute und überlässt ihn dann seinen wirren Vorstellungen von stöhnenden, entbindenden Frauen, verlorenem Blut, Mutterkuchen, Nabelschnüren und den schreienden Neuankömmlingen.
Die jüngeren Ärzte lassen den Famulanten ihre Verachtung spüren, als sie erfahren, dass Mürrigs Studium schon seit geraumer Zeit stockt.
„Warum machst du ein Praktikum auf der Klinik, wenn du das zweite Rigorosum noch nicht fertig hast?“ Mürrig erklärt seine Situation, spricht von Prüfungsangst und Pech, seinem Interesse an der Frauenheilkunde und dass er sich schon jetzt gut auf den dritten Studienabschnitt vorbereiten möchte, und dass er nicht lästig sein werde, die zwei Monate. Das verschafft ihm Ruhe bei den männlichen Kollegen. Sie haben mit dem eigenen Weiterkommen genug zu tun.
Und erweckt zugleich das Interesse der einzigen Ärztin an der Station.
Silvia Haselhofer arbeitet ihr halbes Jahr Gegenfach im Rahmen der Ausbildung zur Fachärztin für Psychiatrie auf der Geburtshilflichen Abteilung ab. Auch ihr Interesse an der Gynäkologie ist nicht so groß, dass sie den männlichen Kollegen eine Konkurrentin wäre. Nach einem halben Jahr wird sie endgültig auf die Psychiatrie zurückkehren, so wie Karl Georg Mürrig in sein Studium.
Die beiden ungleichen Mediziner freunden sich an. Zwischen den Patienten, unterwegs auf der Station, am Weg vom und zum Kreißsaal.
„Was, du hast schon eine Familie?“
Es gefällt der Ärztin, den jungen Studenten in die Eigenheiten der Station, des Tagesablaufes, einzelner Krankengeschichten einzuweihen. „Ja, manchmal kann ich es selbst nicht glauben.“
Mürrig erlebt die erste Geburt als Mediziner, mit dem Abstand des nicht Betroffenen, freut sich.
„Aber bei uns zuhause geht es nicht so gut.“
Eine kreißende Patientin hält seine Hand und spricht ihn mit Herr Doktor an. Die Wehen werden häufiger, Mürrig denkt an die eigene Geburt, an die seiner Tochter, wie fest er Helene gehalten hat, versucht hat, nützlich zu sein, ihr zu helfen.
„Das tut mir leid für dich“, sagt Haselhofer so leise, dass es keiner bemerkt.
Jetzt hat er Zeit zu beobachten.
Als Herr Doktor, weiß gewandet. Er staunt über die Freude am Leben, die er schon lange nicht mehr verspürt hat.
„Aber schau mich an, ich hab überhaupt niemanden, das ist a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Inhalt
  5. 2001
  6. 1957
  7. 1958
  8. 1959
  9. 1960
  10. 1961
  11. 1962
  12. 1963
  13. 1964
  14. 1965
  15. 1966
  16. 1967
  17. 1968
  18. 1969
  19. 1970
  20. 1971
  21. 1972
  22. 1973
  23. 1974
  24. 1975
  25. 1976
  26. 1977
  27. 1978
  28. 1979
  29. 1980
  30. 1981
  31. 1982
  32. 1983
  33. 1984
  34. 1985
  35. 1986
  36. 1987
  37. 1988
  38. 1989
  39. 1990
  40. 1991
  41. 1992
  42. 1993
  43. 1994
  44. 1995
  45. 1996
  46. 1997
  47. 1998
  48. 1999
  49. 2000
  50. 2001
  51. Günther Loewit im Skarabæus Verlag
  52. Impressum