Und nehmen was kommt
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Und nehmen was kommt

Roman

  1. 224 Seiten
  2. German
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Und nehmen was kommt

Roman

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Monika weiß von Kindheit an, dass sie völlig auf sich gestellt sein wird. Ausgenützt, hintergangen und gedemütigt scheint ihr Weg als Prostituierte am Strich und in Clubs an der tschechischen Grenze vorgezeichnet. Aus Zuneigung und der Herausforderung wegen bietet ein Kunde dieser kaputten, extrem misstrauischen Frau eine neue Perspektive. Sie möchte die Chance nutzen, doch zeigt sich, dass eine Kindheit und Jugend wie ihre nicht so leicht wiedergutzumachen sind.Ludwig Laher schildert in seinem Roman die Entwicklung dieser Frau ebenso präzise wie beklemmend. Gleichzeitig ist das Buch ein messerscharfer Befund über gesellschaftliche Zustände mitten in Europa, jenseits jeder moralisierenden Anklage.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783852188997

II

Innerlich ist Monika noch gar nicht angekommen, unscheinbar sitzt sie, kleiner und schmäler als sonst, an der Ecke des Küchentisches, fremde Menschen um sich, die sie bewirten, auf sie einreden, erzählen, fragen. Mit den Antworten tut Monika sich schwer, die Anspannung schlägt sich auf ihre Konzentrationsfähigkeit, zwei lebhafte Kinder lenken sie ab, und auf Gedeih und Verderb angewiesen zu sein auf Kristyna und Emil, dieser Gedanke verstört sie jetzt, wo sie vor ihnen sitzt, mehr noch als zuvor.
Wenn Monika leise anfängt, darüber zu sprechen, was die beiden anscheinend erfahren wollen, kommt sie meistens nicht weit, denn ihren Gastgebern dürfte es entschieden zu mühselig sein, von sich selbst abzusehen. Schon sind wieder neue Themen auf dem Tisch, mit denen sie oft kaum etwas anfangen kann, weil sie mit der Welt zu tun haben, in die sie entlassen worden ist, ohne mit ihr bekanntgemacht worden zu sein. Besonders Kristyna nimmt ihr die Luft zum Atmen, wenn sie mit beiläufig eingestreuten Floskeln vermittelt, über dies oder jenes müsse sie, Monika, ohnehin bestens Bescheid wissen. Wie du dir sicher vorstellen kannst, heißt es da, oder: Und dann passierte das übliche, du weißt schon.
Zu diesen üblichen Geschichten zählt offenbar auch Emils bevorstehende Gefängnisstrafe. Völlig unschuldig sei er, aber die Polizei habe ihn mit voller Absicht eingetunkt, weil er sich eben nichts gefallen lasse. Schrecklich, die lange Trennung und natürlich der Verdienstentgang, sie und die Kinder würden wieder einmal nichts zu beißen haben, und das ausgerechnet jetzt, wo Monika neu in die Familie komme, denn schon übermorgen müsse er nämlich die Haft antreten.
Monika merkt, wie ihr langsam übel wird. Sie hat es befürchtet. Keine Rede von sanftem Übergang, einem geschützten Ort, wo ihr wohlmeinende Leute den Rücken stärken, ihr beistehen, sich einzuleben in die schwierige Freiheit selbstbestimmten Erwachsenseins. Stattdessen platzt sie in eine Familie im Chaos, und es ist abzusehen, daß sie schnell wieder ihren Koffer packen wird müssen. Am besten, ich packe ihn gar nicht aus, sagt sie sich.
Dabei könnte er sich die zehn Monate sparen, räsoniert Kristyna weiter und klatscht zur Bekräftigung in die Hände auf ihrem Schoß, wenn wir die lächerlichen hundertfünfzigtausend Kronen für die Geldstrafe hätten. Aber in der ganzen Verwandtschaft können wir vielleicht einmal, wenn’s hoch kommt, ganze fünfzigtausend zusammenkratzen. Arme Leute müssen eben dunsten, läßt sich Emil resigniert vernehmen.
Ich habe ein Sparbuch, entfährt es da Monika, und in derselben Sekunde noch schießt ihr ein, daß sie das besser nicht gesagt hätte. Sie hat keine Arbeit, braucht das Geld doch für sich, und wie soll sie es überhaupt in absehbarer Zeit zurückgezahlt bekommen? Monika will zurückrudern, retten, was zu retten ist, es ist aber nichts zu retten.
In Nullkommanichts ist vereinbart, man werde gleich am nächsten Morgen gemeinsam die Bank aufsuchen, Monikas Sparbuch auflösen, und in Monatsraten werde sie die Summe zurückbekommen, auf Heller und Pfennig, selbstredend mit Zinsen und Zinseszinsen. Was für ein Glück! Kristyna ist ganz außer sich vor Freude, umarmt Monika fest, Emil holt, um den Vertrag zu besiegeln, statt Papier und Kugelschreiber die Schnapsflasche, schenkt gut ein und will anstoßen. Monika haucht, sie trinke aus Prinzip keinen Alkohol, und schüttet den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter.
Kann ich mich kurz wo hinlegen, mir ist schlecht, bettelt sie dann, und Emil meint verständnisvoll: Ja, wenn man’s nicht gewöhnt ist. Monika starrt zur Decke, hört die Kinder streiten und quengeln, die Eltern vergnügt scherzen und sich mehrmals nachschenken. Ihr steht der Schweiß auf der Stirn, als ihr auf der Kunstledercouch in der Wohnküche klar wird, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Sie hat solche Angst vor der Zukunft, möchte hemmungslos heulen, liegt aber doch nur da, das Gesicht zur Maske erstarrt, die Augen weit offen.
In der Früh ringt sie sich durch, ihre Zustimmung vorsichtig zurückzuziehen. Ihr müßt verstehen, stammelt sie, es ist alles, was ich habe, ihr habt beide keine regelmäßige Arbeit, wie wollt ihr das je zurückzahlen? Emil will es nicht verstehen und schlägt ihr zornig mitten ins Gesicht. Du willst also, daß ich unschuldig im Gefängnis verrotte, während du es dir in meiner Wohnung bequem machst. So gehen Monikas hunderttausend Kronen samt der verbliebenen Zinsen in den Besitz von Kristyna und Emil über. Sie fragt nicht nach einer Quittung, sie kennt weder das Wort noch seinen Sinn. Und am übernächsten Tag eröffnet Kristyna ihr beim Frühstück, sie könne übrigens doch nicht bei ihnen wohnen bleiben, aber sie kenne jemanden, der habe für sie ein Zimmer übrig, wenn sie für ihn auf der Straße arbeite.
Vielleicht will sich die älteste Tochter des Gelähmten auch nur dafür rächen, daß die Kinder nach seinem unerwarteten Tod entschieden weniger Bargeld im Schrank vorfanden, als sie vermuten durften. Dafür, daß sie Monikas Mutter verdächtigen mußten und damit auch nicht falsch lagen, ganz egal, welchen für sie berechtigten Anspruch diese damit verband. Monika ahnt von all dem nichts, weil ihr die zweifelhaften Grundlagen jenes Sparbuches verborgen blieben, als sie mit zehn beiläufig von seiner Existenz erfuhr und es gleich wieder vergaß. Denn einerseits bekam sie es nie zu Gesicht, im Safe der Heimleitung blieb es, viele Jahre weggesperrt, Bestandteil ihres Aktes. Andererseits war das ohnehin alles viel zu abstrakt für das Kind, das sie war. Als sie älter wurde, nahm sie die Zinsen wie ein persönliches Geschenk des Direktors.
Monika ist erleichtert, als ihr eröffnet wird, sie könne anderswo ein eigenes Zimmer bekommen, sogar eine Arbeit. Hier bei Kristyna und Emil in der kleinen Wohnung würde sie sich unter Garantie nie wohlfühlen können, sie hat keinen Ort, um sich zurückzuziehen, schläft auf der Kunstledercouch in der Küche, muß aufbleiben, bis Emil das letzte Glas geleert hat. Und, soviel steht fest, von diesen Menschen fühlt sie sich weder angenommen noch beschützt, im Gegenteil. Gott sei Dank hat sie noch keine Anstalten gemacht auszupacken, wo hätte sie ihr Zeug auch unterbringen sollen?
Welche Arbeit ist das? fragt Monika unschuldig. Mit so viel Naivität haben Kristyna und Emil nicht gerechnet, für einen Moment zeigen sie sich sogar einigermaßen irritiert: Na, auf der Straße eben, Männer, du weißt schon. Wirst sicher gut ankommen mit deiner Figur, laß dir das gesagt sein. Monika traut ihren Ohren nicht, das Blut zieht sich zurück ins Zentrum ihres Körpers, als müsse es sich schnell in Sicherheit bringen vor den angekündigten Übergriffen. Ein paar Sekunden herrscht völlige Stille, dann springt Monika auf, schlägt auf Emil ein und schreit: Gebt mir sofort mein Geld zurück, ihr Schweine! Welches Geld? fragt Emil mit gespieltem Erstaunen.
Wieder fährt ein Zug ein. Monika nimmt keine Notiz davon. Den Kopf im Nacken, hält sie die Augenlider geschlossen, preßt sie die Unterschenkel gegen den Koffer, der zwischen ihren Beinen unter der Bank steht. Zur Faust geballt, liegen die Hände auf ihrem Schoß, die Fingernägel krallen sich in die Handflächen.
Dunkle, gutturale Schmerzenslaute, tierisch mehr als menschlich, heulten aus ihr, als sie fluchtartig aus der Wohnung stürzte, lief lief lief, nach ein paar hundert Metern kehrtmachte, weil ihr dämmerte, daß sie ohne ihr Gepäck unterwegs war. Bei dem Gedanken, noch einmal zurück in diese Wohnung zu müssen, wurden ihre Schritte langsamer, auch weil ein Würgen einsetzte und sich den Hals hochkämpfte. Sie blieb stehen, stützte sich mit der Linken an einer Hausmauer ab, endlich ging sie in die Knie, übergab sich, zitterte dabei am ganzen Körper und hockte einige Minuten reglos vor ihrer Kotze, ohne daß ihr jemand beizustehen versucht hätte.
Dann wischte sie sich mit dem Handrücken in Zeitlupe über den Mund, erhob sich mühsam und schlurfte weiter. Leise drückte sie die Klinke der Wohnungstür und schnappte, ohne daß Kristyna und Emil es merkten, ihren Koffer, der griffbereit im Vorzimmer stand. Da fiel ihr Blick auf den leeren Fleck daneben, wo sich tags zuvor noch der verschnürte Karton mit dem Startpaket aus dem Heim befunden hatte. Wo sind meine Sachen? stieß sie hervor, rückt sofort meine Sachen heraus! Seelenruhig trat Emil aus der Küche und fragte scheinheilig: Welche Sachen?
Monika will sich vor den Zug werfen, aber das kostet Kraft, die sie erst ansparen muß. Länger als eine Stunde schon sitzt sie, ohne die Augen auch nur einmal zu öffnen, neben dem alten Bahnhofsgebäude. Der Tag ist noch lang, das Wetter passabel, sie hat keine Eile, spürt sie, denn zum Denken fehlt ihr jede Energie. Sie hat keinen Hunger, keinen Durst, der schale Geschmack im Mund ist ihr einerlei. Es hat sie zur einzigen, weil unter einem großen Baum aufgestellten, mit Vogelkot übersäten Bank auf dem wenig benutzten Hausbahnsteig gezogen, aus dessen brüchigem Asphalt hohes Sommergras sprießt. Hier wähnt sie sich vor neugierigen Reisenden sicher, und ihre von den weißen Ausscheidungen auf Lehne und Sitzfläche komplett verdreckte Kleidung wird sie, so Monikas unbewußtes Kalkül, vor einem Rückfall ins Leben bewahren, denn dieser Bahnhof soll die Endstation werden.
Irgendwann steckt sie die kalten Hände in ihre Hosentaschen und stößt so auf den zerknüllten Zettel mit Zuzanas Adresse und Handynummer, den sie vor der Abreise für den Fall des Falles eingeschoben hat. Sie hat nicht mehr daran gedacht und will eigentlich auch jetzt nicht daran denken, sie ärgert sich und zieht die Hände aus den Taschen, aber es läßt sich nicht ungeschehen machen. Für einen Moment beschließt sie, dem nächsten schweren Güterzug in die Quere kommen zu wollen, um die Verführung abzuwehren, die von dem blöden Stück Papier ausgeht. Dann macht ihr eine neue Überlegung den Kopf klarer und das Herz leichter, das trotzdem bis zum Hals klopft, als Monika sich zur Telefonzelle auf dem Bahnhofsvorplatz aufmacht: Warum immer ich, soll doch das Schicksal entscheiden und die Verantwortung übernehmen. Ich werde Zuzana anrufen, und wenn die Nummer nicht mehr stimmt, selbst wenn sie bloß abgeschaltet hat oder fort ist, mache ich auf der Stelle Schluß. Sie ist mit einem Mal hellwach, direkt überdreht, verwählt sich, fängt noch einmal an und zählt mit: Es läutet einmal, zweimal, dreimal, prosim, meldet sich Zuzanas Stimme. Monika bricht in Tränen aus.
Wenn die älteren Mädchen das Heim für Schwererziehbare verließen, wurde gewöhnlich viel geweint. Lange Umarmungen waren die Regel, die Wünsche reichten vom Märchenprinzen bis zur Modelkarriere, realistisch waren sie nicht. Die meisten versprachen, ihre Adresse in der Freiheit bekanntzugeben, sobald sie eine solche haben würden. Nur selten freilich kam dann wirklich ein Brief oder eine Postkarte, aus den Augen, aus dem Sinn. Zuzana aber meldete sich, Besuche seien willkommen.
Auf dem Damenklo wechselt Monika die Wäsche. Siebenundzwanzig Kronen bleiben ihr in der Geldbörse, nachdem sie die Fahrkarte gekauft hat. Sie trinkt aus der Wasserleitung, um nichts für ein Cola zu vergeuden. Wenn alles klappt, wird sie am frühen Abend bei Zuzana sein. Sie ist weit davon entfernt, sich Großes zu erwarten, gar echte Hilfe, eher sieht sie die Reise als schicksalsbedingten Aufschub ihres Entschlusses, denn Züge gibt es überall.
Das darf doch nicht wahr sein, ereifert sich Zuzana, als Monika ihre Erlebnisse mit Kristyna und Emil schildert, und zündet sich nervös eine Zigarette nach der anderen an. Einen Besen fresse ich, wenn diese komische Geschichte mit dem Gefängnis stimmt. Die stinkt doch meilenweit gegen den Wind. Denen ist es von vornherein einzig und allein darum gegangen, dich auszunehmen wie eine Weihnachtsgans, und du bist ihnen prompt hineingefallen.
Zuzana wohnt, erfährt Monika, gemeinsam mit ihrem Freund und ihren zwei jüngeren Schwestern in einem schäbigen Hinterhaus. Die beiden seien arbeiten, erklärt Zuzana, sie aber habe sich spontan freigenommen. So aufgelöst, wie du am Telefon geklungen hast, armes Kind, da ist das doch selbstverständlich. Sie stellt Teewasser auf, Monika kämpft sich inzwischen durch aufs Klo. Heillose Unordnung herrscht in der gesamten Wohnung, fällt ihr auf, in der Küche stapelt sich seit längerem unabgewaschenes Geschirr, im Vorzimmer lehnen mehrere alte Bilder an der Wand, zwei gut halbmeterhohe Marienstatuen aus Holz, vier Messingleuchter und ein Kinderwagen aus den fünfziger Jahren stehen davor. Die Türen zu den Zimmern sind offen, auch da lagern offenbar Antiquitäten und Altwaren, von der Pendeluhr bis zum Röhrenradio, zwischen den Einrichtungsgegenständen. Es riecht irgendwie süßlich-faul nach einer Mischung aus Vergangenheit, feuchtem Holz, verdorbenen Lebensmitteln und Räucherstäbchen. Im Bad besetzen ganze Batterien von Kosmetika jeden freien Fleck, viele von einer dicken Staubschicht überzogen. Monika schaut sich lange in den Spiegel, um sich zu vergewissern, daß sie tatsächlich an diesem wenig einladenden Ort gelandet ist, genauso zufällig wohl wie das Trödelzeug, mit dem Zuzanas Freund offensichtlich seinen Lebensunterhalt bestreitet.
Zuzana hat sich sehr verändert. Schmal wirkt sie und blaß, wenn man bei einer Romni überhaupt von blaß reden kann, fahrig, das Gesicht voll mühsam abgedeckter Pickel. Kaum setzt sie sich hin, steht sie schon wieder auf, geht im Raum umher, die Zigaretten dämpft sie nach wenigen Zügen energisch aus, reißt das Papier auf, zermalmt den Tabak zwischen den Fingern. Sie zwinkert dauernd, kann die Lider nicht offen halten. Wir sollten uns etwas Gutes tun nach all den Aufregungen, hm, meint sie schließlich und kramt eine Spritze aus der Tischlade. Ist Speed, einwandfreie Qualität, hast du dir’s schon über die Nadel gegeben?
Monika hat keinerlei Drogenerfahrungen. Selbst als sie sich einmal für drei Wochen aus dem Heim verdrückte, die letzten Tage von Junkies und Alkoholikern unter die Fittiche genommen wurde, warmherzige Menschen waren das, hat sie sich konsequent von dem Suchtzeug ferngehalten, aus Scheu, vor allem aber aus Abscheu. An diesem Abend, an dem sie nach all den Tiefschlägen genauso gut, von Güterzugrädern bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, auf der Gerichtsmedizin liegen könnte, scheinen ihr die alten Vorsätze geradezu lächerlich. Sie will, daß es ihr besser geht, und zwar jetzt, sofort, auf die Zukunft pfeift sie. Sie wünscht sich, so lange es sie noch gibt, ernstgenommen zu werden, das geht aber nur, wenn sie sich wie im Heim Respekt verschafft, stark ist, hart. Ehrlichkeit, Zurückhaltung, Vorsicht sind nichts als ein gefundenes Fressen für Leute wie Kristyna und Emil.
Immer nur durch die Nase, antwortet Monika mit gespielter Lässigkeit, und meistens Koks. Kein Vergleich, winkt Zuzana ab, aus Vorfreude wohl huscht zum ersten Mal ein Lächeln über ihr Gesicht, mit der Spritze zieht das Zeug echt hurtig ins Hirn, so schnell kannst du gar nicht schauen, glaub mir’s. Monika erhält auf der Stelle den nötigen Unterricht, und bald ist sie überzeugt, daß das Schicksal es gut gemeint hat mit ihr in der Telefonzelle: Das Leben ist schön, was heißt schön, saugeil kann es sein, auch wenn man nichts hat und nichts ist.
Geblödelt wird bis zum Abwinken, und als spät in der Nacht die Schwestern eine nach der anderen heimkommen, ist erst einmal Tanzen angesagt. Man macht sich gemeinsam auf den Weg in die Disco. Alles ist so intensiv, so klar, so unmittelbar, die flüchtigen Blickkontakte, die Vibrationen aus den Lautsprechern, die Mixtur aus Düften und Schweiß, das Spiel mit dem Licht, die Drinks, die Bewegungen auf der Tanzfläche. Als Monika einschlafen will, sind seit dem letzten Aufstehen mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, unendlich viel ist passiert seither. Sie ist wieder einigermaßen nüchtern, es geht ihr nicht wirklich schlecht, erstaunt ist sie, verwirrt, schlafen kann sie nicht.
Die nächsten Tage gewinnt Monika einen ersten Überblick: Speed ist allgegenwärtig in diesem Haushalt, den dreien geht es ohne regelmäßige Dosis sauschlecht. Sauschlecht geht es ihnen auch finanziell, das Zeug kostet, einen normalen Job hat keine von ihnen, sie stellen sich an den Straßenrand und nehmen, was kommt. Die Schwestern sind großzügig, teilen das wenige, das sie haben, mit Monika, lassen sie auf einer Luftmatratze im Zimmer von Tereza und Jana schlafen, den beiden jüngeren. Monika revanchiert sich nach Kräften, kümmert sich um die Wohnung, beseitigt die ärgste Unordnung.
Sie lernt Petr kennen, der regelmäßig Trödelmärkte bereist und nur wenig zuhause ist. Er dürfte nicht viel Freude mit Monikas Anwesenheit haben, spricht kaum mit ihr, aber auch mit Zuzana ist er meistens kurz angebunden, und mürrisch wirkt er obendrein. Praktisch zu allen Tages- und Nachtzeiten erscheint er manchmal mit Kunden, die an Speziellem interessiert sind, das, wie Zuzana kryptisch erklärt, eine problematische Herkunft hat und deshalb nur hier begutachtet werden kann.
So vergeht die erste Woche. Noch zieht Monika einen in ihren Augen klaren Trennstrich: Sie hat sich bisher höchstens dreimal, nein, viermal eine Amphetaminladung gesetzt, während die Schwestern keinen Tag ohne Drogen vergehen lassen, und auf die Straße wird sie unter keinen Umständen gehen, lieber unter den Zug. Nein, sie ist nicht so kaputt wie die drei, sagt sie sich, bei weitem nicht. Pläne aber hat sie keine, sie weiß nach wie vor nicht wohin, das ängstigt sie freilich nur, wenn sie nüchtern ist. Auf Speed dagegen geht es ihr ausgezeichnet, kaum setzt die Wirkung ein, ist ihr mit einem Schlag alles gleichgültig, Gefühle und Gedanken, die über den Moment hinausreichen, sind weggeblasen. Eine große Gelassenheit überkommt sie. Egal, egal, egal, stößt sie heraus aus sich, scheißegal. Und was am besten ist: Auch daß sie ohne praktisches Wissen und vernünftige Perspektiven mutterseelenallein dasteht in dieser Welt voller Fallen und Verschlagenheit, es ist sowas von egal. Auf Speed fühlt Monika sich so stark, wie sie sein will, sie strotzt vor Selbstvertrauen, Bäume ausreißen könnte sie. Und hart sein, zu anderen, zu sich.
Dann erklärt Zuzana ihr beiläufig, man werde nicht darum herumkommen, die meisten Möbel zu versetzen, weil die Geschäfte derzeit nicht genug einbringen und der Dealer, an sich ein netter Mensch, die Schulden nicht mehr stunden will. Er stellt seine Garage zur Verfügung, ein paar Wochen haben wir dann Zeit, unsere Sachen wieder auszulösen, sonst macht er sie zu Geld. Kann Petr denn nicht aushelfen? fragt Monika. Zuzana winkt ab. Wir arbeiten auf getrennte Rechnung, sagt sie.
Nur die Betten, drei Stühle und der wackelige Eßtisch bleiben zurück vom beweglichen Mobiliar. Zwei kräftige junge Männer, offensichtlich gut bekannt mit den Schwestern, sind mit einem Pritschenwagen vorgefahren, laden die Schränke, ein Sofa samt Beistelltisch, zwei Teppiche, eine Truhe, die Kredenz, sogar den großen Vorzimmerspiegel auf. Dafür vergrößern jetzt ungeordnete Wäschehaufen, aus denen zerknitterte Plastiktaschen ragen, das Durcheinander in den Zimmern, in Obstkisten verfrachtete Töpfe, Teller, Tassen, Lebens- und Scheuermittel stehen auf dem Küchenboden neben dem Fernseher, der fast ununterbrochen läuft. Nippesstücke von der kleinen Buddhastatue aus Jade über eine Blechdose voller Glasmurmeln bis zum betagten Neujahrsglücksschwein haben zunächst auf den Fensterbrettern Asyl gefunden, aber da sich so die Fenster nicht mehr öffnen ließen, dräng...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. I
  3. II
  4. III
  5. IV
  6. V
  7. Zum Autor
  8. Impressum