Volterra. Wie entsteht Prosa
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Volterra. Wie entsteht Prosa

  1. 88 Seiten
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Volterra. Wie entsteht Prosa

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Über dieses Buch

Ein Mann und eine Frau besuchen Volterra - einen der schönsten Orte der Toskana. Auf ihrem Erkundungsgang durch die pittoresken Straßen streifen sie die Häuser und deren Bewohner, nehmen mit jedem Atemzug auf, was sie umgibt. Doch nicht weit entfernt liegt Ansedonia, die Ruinen der alten Stadtanlage, und so spannt sich der Bogen von ihren Ursprüngen zum heutigen Leben der Stadt in all seiner Sinnlichkeit. Franz Tumler hat mit Volterra ein einzigartiges literarisches Stimmungsbild geschaffen, in dessen Entstehung er im Essay Wie entsteht Prosa unmittelbaren Einblick gewährt. Als einer der großen modernen Erzähler der Nachkriegszeit ist Tumler zu Unrecht beinah in Vergessenheit geraten. Diese Taschenbuchausgabe, versehen mit einem Nachwort von Johann Holzner, ist eine Einladung, ihn als Klassiker der literarischen Moderne wiederzuentdecken. Zugleich bietet sie einen Vorgeschmack auf die Tumler-Werkausgabe, deren erster Band zum 100. Geburtstag von Franz Tumler im Januar 2012 bei Haymon erscheinen wird.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783852188942

Wie entsteht Prosa

„To find out what you cannot do
and then go and do it:
There lies the golden rule“
John Donne
Über die Entstehung einer eigenen Arbeit zu sprechen ist schwierig. Eine Hemmung ist, daß man von sich selber redet; eine zweite, daß man sich selber nicht kennt. Gang, Haltung, Gebärden, die eigene Stimme – dieses Unvermögen, sich selbst wahrzunehmen, hat im Geistigen ein Gegenstück: Wir halten in uns Dinge für wichtig, die es nicht sind; und halten das Wichtige, das die andern sofort sehen und als unsere eigentliche Kraft oder Schwäche erkennen, oft nicht für der Rede wert. Solche Erfahrungen sollten uns vorsichtig stimmen, wenn wir auf die Frage antworten sollen: Wie entsteht eine Arbeit?
Man kann aber, glaube ich, davon sprechen – so, wie man von einer Sache spricht. Ich erinnere mich auch an solche Gespräche; sie waren immer dann fruchtbar, wenn sie nicht zu theoretisch waren, sondern wenn von einer bestimmten – fertigen oder halbfertigen – Arbeit die Rede war, vom konkreten „Machen“, von den Stationen dieser Arbeit, bei der jemand etwas, das er zuvor nur undeutlich im Kopf hat, zuletzt so weit bringt, daß es in Wörtern und Sätzen auf dem Papier steht. Das waren immer ganz nüchterne Gespräche über Einfall und Stoff, über scheinbar gewichtlose Nuancen der Sprache, und Schwierigkeiten der Hervorbringung von Wort zu Wort; und ich wünschte, es würde mir gelingen, auf ähnliche reelle Weise einen solchen Vorgang hier darzulegen – wie jemand, der sagt, zuerst war das, und dann das. Ich bin mir dabei darüber im klaren, daß diese Stationen nur für dieses eine Beispiel gelten; sie lassen sich nicht ohneweiters übertragen. Aber ich denke, es werden sich an verschiedenen Punkten auch Ausblicke ergeben, die für das Schreiben allgemein wichtig sind.
Die Arbeit, von der ich spreche, ist nicht ein lyrisches Gedicht, sondern lyrische Prosa; ihr Inhalt ist nicht Erzählung oder Beschreibung, sondern Heraufbeschwörung des Gegenstandes durch eine Stimme, die spricht. Ich glaube, daß eine Prosa dieser Art auf einem Weg entsteht, der von dem eines Gedichts nicht weit entfernt ist. Aber ich will davon jetzt nichts weiter durch Erklärung vorwegnehmen, sondern beginnen, wie ich es mir vorgenommen hatte, und sagen, wie diese Arbeit entstand.
An einem Novembertag vor zwei Jahren saß ich gegen Abend in meinem Zimmer in Berlin und dachte, daß ich diese Sache, die ich schreiben wollte, nie würde machen können; und daß es mir früher zwar manchmal ähnlich ergangen sei, ich aber einen Weg doch immer gefunden hätte, diesmal aber sei es endgültig: kein Wort, kein Satz; völlige Unfähigkeit, über die ich mich stets nur hinweggetäuscht hätte; jetzt mußte ich sie mir eingestehen, und ich wollte mir auch nichts mehr vormachen: Es gab das eben, daß eine Begabung zu Ende war; und bei mir war es jetzt so; und selbst dies, daß ich hier saß und es dachte, war nur noch eine mechanische Gewohnheit, nichts weiter; Unmöglichkeit zu schreiben, zu erleben, weiterzumachen. Ich sah durchs Fenster. Ich wohnte damals in einem möblierten Zimmer in einer Seitenstraße nicht weit vom Kurfürstendamm; so nahe dem Zentrum war diese Straße doch still; war mit Bäumen bestanden, war auch im Krieg ziemlich unversehrt geblieben; nur schräg gegenüber fehlten ein paar Häuser; und dieser Ruinenplatz war eingeebnet, von einer schwarzen Brandmauer begrenzt, von einem entfernten niedrigen Dachhorizont, über dem auf dem freien Himmel die Sonne unterging. Sie ging am Himmel schon unter an diesem Novembertag, in einer unsichtbaren Dunstschicht, die sich von der klaren Luft darüber nicht unterschied: eine scheinbar körperlose Flut in der Atmosphäre. Nur an der Sonne, die hinter ihr verschwand, wurde sie wie ein Horizont sichtbar. Ich sah es durch die Glasscheibe und dachte, wie ähnlich es dem Sonnenuntergang über dem Meer war, das auch so hoch anstieg, blaugrau, und dessen Kimme weit draußen mit dem niederen Himmel verschwamm und genau so nur an der untergehenden Sonne hervortrat. Dieses Bild hatte sich mir eingeprägt; ich hatte es erst vor wenigen Wochen gesehen – auf einer Reise in Italien; und es gehörte zu der Sache, die ich schreiben wollte, und an die ich immerzu dachte.
Jetzt erinnerte mich der Sonnenuntergang auf dem Novemberhimmel wieder daran. Aber plötzlich schien es mir, als würde mir noch etwas anderes von damals gezeigt in diesem Bild der Sonne, die noch hoch am Himmel war in der scheinbar leeren Luft, und die ich trotzdem nicht mehr sehen konnte in der ungreifbaren Decke aus Finsternis hier – nur war es damals nicht die Sonne gewesen, die sich mir so entzogen hatte, sondern ich hatte etwas erlebt und mir selber verdeckt durch Verfinsterung in der Seele. Ich erkannte es jetzt erst: Ich hatte Worte gehört und sie nicht verstanden; aber es war mehr gewesen als die gesprochenen Worte; ich hatte gespürt, daß es etwas gab, das ich nicht erreichen konnte; und das hatte lange schon angefangen, auf der ganzen Reise; aber an dem Abend mit dem Sonnenuntergang über dem Meer war es mir wie in einer Szene deutlich geworden: Ich hatte etwas versäumt und konnte es nicht einholen – und daß ich es schreiben wollte, war nur ein Versuch, es einzuholen; aber ich wußte noch immer nicht, was es war. Ich konnte es auch nicht schreiben. Mir war alles Äußere davon gegenwärtig, und ich stellte mir nun vor, daß ich es auf die Fensterscheibe hier aufmalte: die Küste, das Vorgebirge, die Leuchtfeuer; und hier, wo ich saß, war die Klippe, auf der wir gestanden hatten; und ich stellte mir weiter vor, die Frau säße neben mir, und ich zeigte ihr dieses Bild, riefe es ihr in Worten zurück, und sie hörte mir zu, und ich würde sie fragen …
Aber es konnte nicht gelingen. Was wirklich war, zeigte mir das Bild draußen: die Sonne hoch am Himmel und nicht mehr zu sehen – es zeigte mir meinen Stand an: den Punkt des Nichts, die Unmöglichkeit, weiterzumachen; Aufhören, Ende, Erstarrung.
Dann begann ich zu schreiben. Wenigstens diesen Punkt wollte ich festhalten. So fing ich an:
„Die Sonne ist noch am Himmel, aber man sieht sie nicht mehr, sie geht am Himmel schon unter in der Zone aus Staub, die sich über der winterlichen Erdhälfte nicht mehr löst; – gestern noch über dem Meer: Auf seinem Horizont, der als Berg aufstieg, setzte die Sonne einen weichen Fuß auf und sank langsam ein; und das grüne Leuchtfeuer auf dem Vorgebirge war zu erkennen, und das rote Leuchtfeuer vor dem Hafen, das wegweisende und das hemmende Feuer, sie blitzten schon lange herüber; und jetzt male ich es dir auf die Scheibe: grün, rot, und dazwischen die Stadt, über die du gegangen bist, eine ebene Tafel: Ansedonia auf dem Hügel von Cosa; Mauerwerk, Pflaster, Rinnsal, die hochgehobene Stadt, verlassen, ausgegraben, der Stein an den Tag gelegt, von wem bewohnt –“
Diesen ersten Satz hatte ich, aber nun mußte ich noch einmal anfangen. Denn mit der Frage „von wem bewohnt“ war ich schon bei dem Punkt von damals, an dem ich nicht weiter wußte. Jetzt im Nachhinein sieht es aus wie eine Wiederholung und Folge aus künstlerischer Absicht: zuerst der Umriß des Ortes, dann das genauere Bild, dann die Szene. Aber in Wirklichkeit war es einfach dieses Nichtweiterkönnen und deshalb nochmals Beginnen – und diesen Antrieb in der Sache möchte ich hier festhalten; er kommt immer vor bei der Entstehung einer Arbeit, ob er als Hemmung auftritt oder in anderen Gestalten – es ist eine Art Nötigung, aber auch etwas Unbeirrbares, mit dem die Sache über den bloßen Einfall hinauswill, als wäre eine Uhr in Gang gesetzt worden. Die Wörter, die geschrieben sind, lassen sich schwer zurücknehmen. Später sind es Stellen, die nach bewußter Kunstüberlegung aussehen, während sie doch von diesem andern Antrieb stammen.
Was er in einer Arbeit bewirkt, war mir lange nicht klar. Ich wußte es noch nicht, als ich meine Frage „von wem bewohnt“ hinschrieb. Ich empfand nur die Hemmung; sah, daß die Wörter aus der Fläche und Nähe der Bilder heraussprangen und einen Ton hatten, der es mir schwer machte, bei dem alten, in dem ich begonnen hatte, zu bleiben; und hätte sie am liebsten wieder gestrichen – und sah erst später, daß ich mit dieser kleinen Frage „von wem bewohnt“ hier am Schluß des ersten Satzes schon das Beste für meine Arbeit gefunden hatte: eine Unterbrechung und Schwierigkeit, die mich zwang, immer weiterzugehen – vom Eindruck und der bloßen Nachzeichnung in ein vom Erlebnis losgerissenes, unabhängiges Schreiben. Dieser Weg einer Lösung der Dinge von Voraussetzungen außerhalb des Geschriebenen zu einer in ihm unabhängigen Existenz scheint mir der eigentliche Weg zu sein, der in jeder Arbeit zurückgelegt werden muß; und so sehe ich nun auch in dieser kleinen Wendung am Anfang „von wem bewohnt“ und in dem Antrieb, der von ihr ausgeht, eine wichtige Kraft für das Ganze: nicht nur einen Anstoß, der die Sache über den bloßen Einfall hinausbringt, sondern einen „zweiten Beginn“, der ihr zu ihrer wahren Dimension erst verhilft und sie auch schon bis zu ihrem Ende bestimmt. Er ist Überschreitung und Vorwegnahme, und eben deshalb als Hemmung zu spüren; ein Punkt der Herausforderung, durch den der Autor über die Vorstellung, die er von seiner Arbeit hat, hinauskommen kann.
Und ich möchte auch dies festhalten: Es wird fast immer, ähnlich wie hier, gleich zu Beginn entschieden – durch eine unscheinbare Stelle, durch ein plötzlich sich ablösendes, wegschwebendes kleines Wort, das den Stoff in seiner dann größeren Ausdehnung schon enthält. Es ist eine Art Ungeduld dabei, alles in den Augenblick zu pressen; diese Ungeduld erzeugt Gedichte.
So viel über diesen Punkt am Anfang; und nun zunächst noch ein paar Sätze, gekürzt aus dem Text, wie es dann weitergeht:
„Ansedonia. Ich ging in die Höhe zwischen Geröll und Gestrüpp, ein Dornenstrauch versperrte mir den Einstieg in die kyklopische Mauer. An ihrem Fuß fauliger Müll, der Meerhorizont aus Kreide, eine Rauchfahne, ein Inselrücken wie ein Schlammhaufen, die Rauchfahne rückt vor, und nun erinnere ich mich, so weit draußen gehen die Schiffe vorüber.
Der Ort mit Dornen verrammelt, nur eine schmale Pforte offen gelassen. Ein Stall aus Zement, an die Mauer geklebt. In seinem Schatten ein Fahrrad, eine Weinflasche, eine Vogelflinte; und hier schläft ein Mann, den Kopf in den Ellbogen gedrückt, den Hut im Gesicht.“
Und nun, als letzten Absatz, das Bild zusammen mit dem Anfang der Szene:
„Ich sah das Innere der Stadt. Eine ebene Tafel, von den Mauern eingeschlossen, aber wo früher Stadt gewesen war, wuchsen Ölbäume, Sträucher, Gräser und Blumen. Ich sa...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Volterra
  3. Wie entsteht Prosa
  4. Nachwort
  5. Editorische Notiz
  6. Anmerkungen
  7. Zum Autor
  8. Impressum