Los Angeles
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THIS IS EARTHQUAKE AWARENESS-MONTH, ARE YOU PREPARED?
(Ein Transparent überm Freeway 60, wie einladend!)
Die Faszination, die von dieser Vorstellung ausgeht:
Ein paar sich beharrlich genug wiederholende Erdstöße im oberen Drittel der Richterskala, und diese ganze, zu einem Konglomerat von Städten zusammengewachsene, sich als Megalopolis manifestierende Lebensgier ist ein Trümmerhaufen.
Santa Monica, Beverly Hills, San Fernando.
Hollywood, Burbank, Glendale und Pasadena.
Successful hills (beschissen erfolgreiche Hügel).
Sie stehn, um zu bleiben. Aber das alles ist eitel.
Könnte, notiere ich, Morrison sagen / gesagt haben.
Zu dieser Stadt habe er sich, seit er das erste Mal von ihr gehört habe, hingezogen gefühlt (auch das ein magnetisches Phänomen).
Vielleicht, weil man angesichts der permanenten (und permanent verdrängten) Todesbedrohung, die für unser Zeitalter repräsentativ ist, am intensivsten lebt.
Wäre er im ersten Jahrhundert nach Christus zur Welt gekommen, er (M.) hätte sich wohl am ehesten in Pompeji angesiedelt.
LOS ANGELES, 40 MILES. The City of the angels.
Die Dunstglocke reicht bis hierher. Oder ist es der Sand aus der hinter uns liegenden Wüste, der in der Luft tanzt?
Vor mir: ein Motorboot, auf der Straße gestrandet.
Über mir: ein Ballon, als Zeppelin getarnt.
Morrisons Stimme aus dem Kassettenrecorder.
Die sanfte Parade hat soeben begonnen.
Im Chrysler zu meiner Rechten Miss Piggy persönlich.
Im offenen Chevrolet zu meiner Linken ein alter Indianer, der aussieht wie Hermann Hesse.
LOS ANGELES, 20 MILES. 1769 kam der spanische Forschungsreisende Don Gaspar de Portola auf seinem Weg von Mexiko nach Monterey in diese Gegend.
El Pueblo de Nuestra Senora, la Reina de Los Angeles de Porciuncula.
Die Stadt, die da geistlich heißt Babylon und Ägypten.
Der Westen ist am besten. Aber man kann dort auch unversehens ans Ende der Welt geraten und abstürzen.
Abfahrt Washington Boulevard, Richtung VENICE-Beach.
Ein Zimmer im erstbesten Motel genommen, an dessen Tür ich, im einfallenden Dämmer, das in Neonbuchstaben leuchtende Wort VACANCIES gelesen habe.
Ein Bett zum Schlafen, ein Tisch zum Schreiben, was brauche ich mehr.
Eine Sitzgarnitur aus stark riechendem (ehemals rotem) Kunstleder, ein Fernseher mit Staubschicht obenauf, den ich wohl kaum benutzen werde.
Noch ein paar Schritte getan, zum Füße vertreten.
Venice had been a Mecca for the beat generation in the 1950s and the bohemian tradition clung to it.
Verlassene Villen und geschlossene Rolläden.
Leer und lang liegt der Strand. Davor der Pazifik.
Draußen am Pier ein älterer Mann, er lehnt am Geländer.
In seinem Blick: Entgleitende Segel, Nebel.
Wie alt wäre Morrison jetzt? – Mein Alter. Mein Jahrgang.
Hope I die before I get old. Das hat sich Morrison hinter die Ohren geschrieben.
Wenn nicht … Aber nein, Petra spinnt. Ich will der realen Morrison-Story nachgehen.
Nicht der phantastischen. Morrison ist tot. Und er tut gut daran, es zu sein.
MY GENERATION. 1965 kam dieser Song der WHO heraus.
Da war Jim gerade 22. Etwa das Alter, in dem auch er Songs zu schreiben begann.
Morrisons Ankunft hier, das war ’64.
Da war das Lebensgefühl, das in MY GENERATION anklingt, zumindest schon im Heraufdämmern.
People try to put us down / just because we get around usw.
Diese Generation hatte, kaum war sie aus ihrer Kindheit aufgewacht, Marlon Brando in DER WILDE und James Dean in DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN gesehen. An der Stelle, an der James Dean verunglückt ist, bin ich übrigens auch vorbeigekommen. Tod im Porsche Spider.
Just über der Erdbebenspalte. Der hat sich rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen.
Lieber Morgenrot, erinnerst Du Dich?
Bevor wir so werden, wie ihr, haben wir gesagt, verdammt nocheinmal, da geben wir uns lieber rechtzeitig die Kugel.
Aber sind wir so geworden, wie wir? frage ich Dich.
Ich habe das Gefühl, daß wir nicht mehr allzuviel Zeit haben.
Awake / Shake dreams from your hair (ja können vor Haarausfall).
Ich öffne das Fenster. Ich werfe einen Blick in den Hof. Mein Blick fällt krachend auf ein Autodach.
Wo bin ich? – Unter mir der mäßig verparkte Innenhof des Marina Motels zu Los Angeles. – Wie bin ich bloß hierher gekommen?
Ich versuche mich zu erinnern. Ich erinnere mich. Also kann ich das Fenster wieder zumachen.
Ich sehe mich im Spiegel. Ich gefalle mir nicht. Ich putze mir die Zähne.
Ich wasche mich, ziehe mich an. Ich gehe die Treppe hinunter.
Ich überquere die Straße. Ich werde nicht überfahren.
Wie geht’s uns denn heute morgen? fragt mich die Kellnerin.
Gestern abend haben wir uns noch nicht gekannt.
Thank you, fine. Sie lächelt wie eine Krankenschwester.
Der Kaffee rinnt aus dem Kopf, mit dem ich denke, in den Brustteil, mit dem ich atme, und vergluckst in den Eingeweiden.
More coffee? fragt mich die Kellnerin. Nein danke, sage ich. Ich habe einen Weg.
Können Sie mir freundlicherweise den besten Weg zur Universität sagen?
Zu welcher? fragt sie. Zur U. S. C. oder zur U. C. L. A.?
University of California, gegr. 1880, oder University of California at Los Angeles, gegr. 1919?
Informiert, diese Frau!
Zur U. C. L. A.
1964 gab es dort 20 000 Studenten. Einer davon hieß Jim Morrison.
Der Campus: riesig, gepflegt, ein bißchen steril.
Etwas verloren versuchte J. M., soeben aus Florida zugereist, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
Unter Palmen oder Platanen...