Schuhe für Ruth
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Schuhe für Ruth

Roman

  1. 216 Seiten
  2. German
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Schuhe für Ruth

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Ruth liebt Schuhe. Allerdings kann sie sich als alleinerziehende Mutter nur selten neue leisten. Der Vater ihrer Kinder ist über alle Meere und zahlt keine Alimente. Auch sonst sind die Freiheiten eingeschränkt: das Jugendamt hat ein Auge auf Ruth, dann schneit eines Tages eine Betreuerin ins Haus - die sportliche Nadine soll die Kinder von ihrem Übergewicht befreien.Wozu Widerstand leisten, wenn alle nur das Beste wollen? Ruths Leben bekommt tatsächlich neuen Schwung. Sie lernt einen netten Mann kennen.Kann Ruth ihm trauen? Kann sie sich selbst trauen und ihrer Freundschaft mit Gabriele? Gibt man sich mit dem Glück der kleinen Leute zufrieden oder wagt man das Große, wagt man den Schritt über die Grenze, wagt man die Liebe?Herzenswarm und klug, pointiert und mit viel Sinn für Ironie beschreibt Irene Prugger Ruths Blick auf die Welt - ein Lesevergnügen.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783709975183
Teil II
1
Jedes Mal, wenn Ruth in der Schlange vor dem Bankschalter stand und darauf wartete, dass sie an die Reihe kam, hoffte sie auf einen Überfall. Menschen wie dem kleinen, grauen Schalterbeamten konnte man nur mit vorgehaltener Pistole angemessen begegnen. Dabei war er die Höflichkeit selbst. Keine Spur von Arroganz, wie sie die glatten Schnösel der Kreditabteilung für Großkunden an den Tag legten, sondern von einer klebrigen Nettigkeit, dass man das Bedürfnis verspürte, sich die Hände zu waschen, sobald er sie geschüttelt hatte. Er schüttelte seinen Kunden zweimal die Hand, zur Begrüßung und zur Verabschiedung, und manchmal sagte er dazwischen nicht mehr als den einen Satz: „Tut mir wirklich leid!“
Das teilnehmende Mitgefühl in seinem Blick wäre einem Begräbnisritual für nächste Angehörige würdig gewesen. Tatsächlich wurden hier Hoffnungen begraben. Schlüpfte der Beamte jedoch in die Rolle des Gönners, dann gebärdete er sich derart zuvorkommend, dass die Peinlichkeit noch größer war als bei einer abschlägigen Antwort.
Ruth hatte zweimal bei ihm um einen höheren Überziehungsrahmen für ihr Konto angefragt und beide Male hatte er sein geknicktes „Tut mir wirklich leid“ entgegengehalten und ihr seine feuchtwarme Hand hingestreckt, als hätte sie einen immensen Verlust in Aktiengeschäften erlitten. Aber derartige Verluste wurden wohl auf andere Art besiegelt: auf weichen Teppichen, in tiefen Fauteuils, mit einem tröstenden Glas uralten Cognacs in der Hand und der Aussicht auf Gewinne in einem parallel veranlagten Fond, der sich – „Wir sind genau zum richtigen Zeitpunkt eingestiegen!“ – gerade prächtig entwickelte.
Viele um Kredit ansuchende Kunden legten eine ähnliche Unterwürfigkeit an den Tag und buckelten, als hätten sie Rückenprobleme. Die Frau in der Reihe vor Ruth hatte sich aufs Betteln verlegt, und zwar so laut, dass alle Umstehenden mithören konnten. Als sie in einen weinerlichen Ton verfiel, schien das auch dem sonst so routinierten Beamten unangenehm zu sein. Erst versuchte er zu beschwichtigen, dann ließ er die Frau reden und warf dabei einen entschuldigenden Blick hinüber zu Ruth.
Ihr war das unangenehm, sie drehte sich um und schaute in das lächelnde Gesicht eines Mannes.
„Und? Wie geht’s?“, fragte er, als kennten sie einander schon länger. In seiner weißen Maurermontur, dem karierten Hemd und den kalkbespritzten Schuhen bot er eine durchaus selbstbewusste Erscheinung.
„Gut. Danke der Nachfrage. Und selbst?“
„Das Auto macht wieder mal Ärger, aber sonst läuft’s.“
„Na fein“, sagte Ruth und wandte sich wieder dem Schalter zu.
„Im ersten Stock servieren sie Champagner zum Kredit, aber wir bekommen nicht einmal eine Diskretionszone.“
„So ist das eben“, sagte Ruth über die Schulter hinweg.
Die Frau trug abgetretene Schuhe, unter ihrem Rock schob sich mehrere Zentimeter lang das Futter hervor. Die provokante Zurschaustellung einer unzumutbaren Situation. Fast bereute Ruth, dass sie sich wieder tadellos ausstaffiert hatte. Dazu die silbernen Stöckelsandalen, wie lächerlich! Man sollte dringend die Kleider wechseln, die schlechtesten Stücke aus den Caritassäcken holen und damit auf die Straße gehen.
„Charmantes Outfit, oder?“
Ruth drehte sich noch einmal um und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Dem Anlass entsprechend.“
„Ich habe übrigens gleich Mittagspause. Vielleicht könnten wir zusammen etwas trinken?“
„Wenn ich einen höheren Überziehungsrahmen bekomme, vielleicht.“
„Daran soll’s nicht liegen. Ich lade dich ein. Abgemacht?“
Ruth antwortete nicht, denn soeben hatte der Schalterbeamte die Frau erfolgreich abgewimmelt und streckte nun ihr die Hand hin. Anschließend tippte er mit ausgestreckten Zeigefingern Ruths Namen in den Computer. Dabei runzelte er die Stirn, als lese er ein Protokoll ihrer gesammelten Verfehlungen. Dem Bildschirm zugewandt fragte er: „Ich nehme an, Sie wollen den Überziehungsrahmen erhöhen lassen?“
„Ja, ähm … ich …“
„In welcher Höhe?“
„Äh … tausend …?“
„Mhm …“
„… fünfzehnhundert vielleicht?“
„Ich denke, das lässt sich machen.“
Er lächelte gönnerhaft und sagte etwas zu laut: „Es liegt in unserem Sinn, dass auch unsere Kleinkunden zufrieden sind. Wenn Sie bitte so lieb wären und dieses Formular hier ausfüllen möchten?“
„Ich bin so lieb“, murmelte Ruth.
„Es bringt nichts, die Bank zu wechseln. Sie haben überall dieselben Leute und dieselben Methoden“, sagte der Mann, der Mario hieß. Ruth schätzte ihn auf Mitte dreißig, obwohl er ein paar Jahre jünger aussah. Warum sie ihn dann auf Mitte dreißig schätzte? Sie hielt sich heute wohl für besonders schlau.
Ruth war mit ihm ins Kaffeehaus gegangen, hatte ihm aber gleich zu verstehen gegeben, dass sie pünktlich um eins zu Hause sein müsse, weil die Kinder dann aus der Schule kämen. Er hatte sich davon nicht abschrecken lassen.
„Du hast Kinder?“
„Zwei.“
„Und bist du verheiratet?“
„Ich lebe von meinem Mann getrennt.“
Es wirkte wie das Durchschneiden einer Schnur und hatte eine andere Qualität als: Er hat mich verlassen. Es hatte auch eine andere Qualität als: Er ist tot. Eigentlich hätte Ruth genausogut sagen können: Ich habe mich soeben, in diesem Augenblick, von ihm getrennt.
Er fragte nach ihrem Namen. „Ruth klingt gut“, sagte er.
„Wie eine Herstellerfirma von Haushaltsgeräten.“
„Mir gefällt’s, ich bin praktisch veranlagt.“
Zwanzig Minuten später tauschten sie Telefonnummern aus. Auf dem Nachhauseweg kam Ruth bei einem Friseurladen vorbei, über dessen Schaufenster der Slogan prangte: Hast du eine Pechsträhne, dann färb sie dir doch blond! Sie hatte keine Pechsträhne, trotzdem besorgte sie sich einen Termin.
Drei Tage schwebte sie auf Wolken. Alles ging leicht, dabei hatte sich noch gar nichts verändert. Sie war allein, das Bett neben ihr war leer. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man sich nachts mit gesichtslosen Fantasien umtreibt und hohle Masken küsst oder ob man sich an einer konkreten Vorstellung von einem Mann festhalten kann. Florians Bild lag lange schon verkehrt herum in der Schublade ihres Nachtkästchens, jetzt stopfte sie es in die Fotoschachtel im Wohnzimmerschrank.
Sie war sich sicher, dass Mario anrufen würde, und wartete. Es war ein sehr produktives Warten; alle Arbeiten gingen ihr schnell von der Hand, bei ihren Ordnungsreihen war sie nicht ganz so pingelig, das freute vor allem die Kinder. Nadine gegenüber war sie so zuvorkommend wie nie, was diese ihr mit kleinen Vertraulichkeiten über die zweite Familie, die sie betreute, dankte. „Niemand verlangt von solchen Leuten Vernunft. Disziplin würde genügen!“
In der Bibliothek machte Ruth einen Besucher darauf aufmerksam, dass sein Hosenschlitz offenstand. Er nahm es höflich zur Kenntnis: „Vielen Dank, das passiert mir öfters.“ – „Gern geschehen. Aber wenn Sie vielleicht in Zukunft selbst drauf achten würden …“ – „Das werde ich, das werde ich. Vielen Dank nochmals.“
Wenn das Telefon läutete, wartete sie so lange, bis sie sich sicher war, dass Mario sie entgegen allen Befürchtungen doch noch anrufen würde.
„Ach, du bist es, Gabriele!“
„Enttäuscht?“
„Warum sollte ich?“
„Es klang irgendwie so.“
„Was gibt’s?“
„Ich habe für Samstagabend zwei Leute vom Verlag zum Essen eingeladen. Wäre schön, wenn du auch kommen würdest.“
„Essenseinladungen sind zurzeit nicht sehr gefragt.“
„Kannst du nicht einmal eine Ausnahme machen? Du bist viel zu streng mit dir!“
„Wenn es nichts Wichtiges mehr gibt, würde ich lieber auflegen, ich warte nämlich auf einen Anruf.“
Zwei Minuten später rief er an.
Die Liebe, ständig im Entwurf begriffen, ist ein zart gesponnener Traum und kaum je so handfest und einsichtig wie das, was man darüber gelesen hat. Und sie stellt einen von Beginn an vor praktische Probleme. Ruth brauchte ein Auto, um zum vereinbarten Rendezvous zu kommen. Sie fragte Gabriele, ob sie ihr den Wagen leihen könne.
„Wohin fährst du?“
„Musst du das wissen?“
„Es interessiert mich eben.“
„Ich möchte ein paar Besorgungen machen. Alltagskram. Nicht der Rede wert.“
Es gelang ihr, gelassen von Alltagskram zu reden, als hätte sie das schon immer gekonnt, als zähle die Verstellung zu ihrem ureigenen Wesen. Eine zweckdienliche Form des Verschwindens? Durchaus!
Gabriele war in solchen Belangen immer großzügig gewesen und gab ihr meistens ohne nachzufragen Autoschlüssel und Papiere. Jetzt zog sie sich Jacke und Schuhe an, setzte sich auf den Beifahrersitz und sah zum Fenster hinaus. Eine nachdenkliche Beifahrerin, die sich die günstigste Route zurechtlegt. Dabei hatten sie sich noch nicht aufs Ziel geeinigt. Überhaupt war es fraglich, ob sie sich je wieder auf ein gemeinsames Ziel würden einigen können.
„Eine Frage ganz nebenbei“, sagte Gabriele. Ruth wusste, was jetzt kam. „Du wirst doch nicht wieder leichtsinnig werden?“
„Bloß ein bisschen.“
„Das ist doch nicht wahr, oder?“
Was hieß schon wahr! „Die Wahrheit ist, ich hab jetzt einen Freund“, sagte Ruth. „Er wohnt und arbeitet zurzeit außerhalb der Stadt, leider ist sein Auto in Reparatur und die öffentliche Verkehrsverbindung ist denkbar schlecht. Mach dir aber keine Sorgen, es würde mir niemals einfallen, in irgendeiner Weise deinen Wagen zu beschmutzen.“
Das hörte sich so holprig an, dass Ruth selbst Zweifel kamen, dennoch erwartete sie, Gabriele würde gleich vor Neugierde platzen, wenn sie nicht auf der Stelle alles erfuhr. Gabriele jedoch sagte nur: „Na, dann wünsche ich alles Gute!“, stieg aus, überließ Ruth den Schlüssel und ermahnte sie durchs offene Autofenster, keine Dummheiten zu machen. Sie solle an die Kinder denken. Sie habe Verantwortung und könne sich keine Ausrutscher leisten. Es stehe nicht dafür, alles aufs Spiel zu setzen.
Ruth nickte und winkte, dann fuhr sie los.
Beruhigend war, wie selbstverständlich das Auto funktionierte, es fuhr schneller, wenn sie Gas gab, und drosselte die Geschwindigkeit, wenn sie bremste. Auf den Geraden spulte sich unter ihr die Straße ab wie verrinnende Zeit. Hätte sie umgedreht, wäre der Weg zurückverlaufen. Nicht einfach wieder zu Gabriele hin, sondern in bereits vergangene Tage. Sie konnte sich kaum erinnern, wie alles begonnen hatte, so aufgeregt wurde sie beim Gedanken daran.
Nur gut, dass auch Glücksgefühle eine gewisse Frequenz nicht überstiegen. Ruth schaltete, kuppelte und lenkte präzise. In einem Kreisverkehr drehte sie aus Übermut zwei Ehrenrunden. Autofahren hatte sie schon immer gemocht, es erforderte ihre ganze Konzentration, aber es unterliefen ihr kaum Fehler dabei. Bei ihren Ausflügen mit Gabriele übernahm meistens sie das Steuer, Gabriele machte der Verkehr nervös, sie ließ sich zu leicht ablenken.
Heute waren kaum Sonntagsfahrer unterwegs, nur Routiniers; einer von ihnen winkte ihr bei einer roten Ampel freundlich zu und Ruth winkte freundlich zurück. Das spornte ihn offenbar an, denn er legte schon bei Orange einen Kavaliersstart hin.
Zu beiden Seiten der Straße schoben sich Stadt- und Landschaften vorbei, sonnig und fremd, als ginge es in den Urlaub. Sogar zwei Palmen grüßten vor der Auffahrt eines Hotels. Bei der Stadtausfahrt fuhr sie an einigen Plakaten mit verkehrten Bildern vorbei, die diesmal ein Slogan zierte: Wir stellen die Welt auf den Kopf.
Dann ist ja alles klar, dachte Ruth.
Sie schaltete das Autoradio ein und suchte einen Sender mit beschwingter Musik. Alles wäre jetzt schon gut gewesen, der perfekte Tag, die perfekte Harmonie, eins mit sich und der Welt brauchte sie nicht noch auf eine Zugabe zu hoffen. Sie war verblüfft, als sie nach zwanzig Minuten ans Ziel gelangte: Am Ende der Straße wartete ein Mann, bei dessen Anblick ihr Körper die Pulsfrequenz nach oben fuhr und kleine Explosionen in der Herzgegend verursachte, als wolle er sich selbst in die Luft sprengen. Zum Glück waren es nur Fehlzündungen; auch in der Liebe geht es in erster Linie ums Überleben.
Als sie anhielt, öffnete Mario die Beifahrertür, ließ sich auf den Sitz neben ihr fallen und sagte allen Ernstes: „Zehn Minuten zu spät. Ich hatte schon Angst, du kommst nicht mehr.“
Verrückte Welt, dachte Ruth.
Durch das offene Autofenster spürte sie den lauen Atem des über die Stadt hereinbrechenden Frühlings.
2
Nach so langer Zeit wieder mit einem Mann Händchen zu halten, war ein seltsames Gefühl. Auf Ruths Skala des zwischenmenschlichen Händedrucks kam nach lasch sofort besitzergreifend. Mario drückte ausnehmend fe...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Teil I
  4. Teil II
  5. Impressum